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Richtlinie für Blutspenden
"Die Unterscheidung in Homo und Hetero finde ich skandalös"

Homosexuelle durften lange Zeit kein Blut spenden, weil sie wegen einer potenziellen HIV-Ansteckung als Risikogruppe galten. Im August 2017 wurde diese Regelung aufgehoben. Doch es gibt noch immer Einschränkungen: Um spenden zu können, müssen Schwule ein Jahr lang enthaltsam leben. Das empfinden viele als Diskriminierung.

Von Sabine Büttner | 07.11.2017
    Einem Patienten wird Blut abgenommen
    Wegen der Zwölf-Monatsfrist sind viele potentielle schwule Blutspender verunsichert und zurückhaltend. (picture alliance / Klaus Rose )
    Blutbeutel, Wattetupfer und eine beachtlich große Nadel – das Arbeitsgerät von Klaus Wenzel. Er ist Helfer in der Blutspende-Zentrale des Deutschen Roten Kreuzes in Köln. Vor einer großen Fensterfront stehen zehn Liegen, in der Mitte des Raumes eine große Theke, auf der Dutzende leere Blutbeutel auf ihren Einsatz warten.
    15.000 Blutspenden werden in Deutschland jeden Tag gebraucht. Trotzdem darf nicht jeder Blut spenden. Ob man zugelassen wird, prüft ein Arzt mithilfe eines Fragebogens. Seit Mitte Oktober gibt es auf den Bögen des DRK neue Fragen, denn die Bundesärztekammer hat ihre Richtlinien zum Blutspenden geändert. Stephan Küpper vom DRK:
    "Bei dem neuen Anamnesebogen wird bei homosexuellen Männern danach gefragt wann man das letzte Mal oder ob man überhaupt schon mal Sexualverkehr mit anderen Männern hatte und da ganz konkret wann zuletzt. Und da zielt man auf die Novelle der Richtlinie ab, das heißt, wenn man als homosexueller Mann Geschlechtsverkehr mit einem anderen Mann hatte und das in einem Zeitraum kürzer als zwölf Monate war, darf man kein Blut spenden."
    Kritik aus Reihen der Verbände
    Heißt: Schwule müssen ein Jahr auf Sex verzichten, um Blut spenden zu dürfen – für viele homosexuelle Männer ein Skandal. Kritik kommt zum Beispiel von der Deutschen Aidshilfe und dem Lesben- und Schwulenverband. Auch Martin Heinze vom Kölner Verein "Rubicon", in dem sich Schwule und Lesben organisieren, findet deutliche Worte:
    "Die Menschen fühlen sich – ich sag's mal auf Deutsch – wirklich verarscht. Die haben das Gefühl, jetzt ist das so ein bisschen geöffnet worden, eben auch für Homosexuelle, die können jetzt Blut spenden. Aber die Unterscheidung in Homo und Hetero finde ich nach wie vor skandalös. Zwölf Monate enthaltsam leben. Da fragt man sich: Warum soll ich das unterstützen?"
    Was Heinze ärgert: Bei Heterosexuellen wird im Fragebogen nur nach dem Sexualverhalten der vergangenen vier Monate gefragt. Sexuelle Kontakte, die länger zurück liegen, führen nicht zwangsläufig zu einem Ausschluss von der Blutspende. Warum also schaut man bei schwulen Männern ein Jahr zurück? Das liege an der Zahl der neuen HIV-Fälle, sagt Stephan Küpper vom Deutschen Roten Kreuz:
    "Der Neuanteil der homosexuellen Männer liegen (sic!) bei 68 Prozent. Dann geht man von einer höheren Promiskuität aus. Also, dass sie auch in monogamer Beziehung häufiger wechselnde Partnerschaften haben."
    Nur viermonatiger Ausschluss in England
    Homosexuelle Männer sind also eine Risikogruppe. Und ein Risiko kann für jemanden, der zum Beispiel nach einer OP Blut braucht, lebensbedrohlich werden. Jede Blutspende wird deshalb im Labor getestet. Aber: Ist HIV im Blut erst nach einem Jahr sichtbar?
    "Tatsächlich ist es so, dass nach abgelaufenen vier Monaten eine Ansteckung zu 100% nachweisbar sein müsste. Für uns ist es aber natürlich auch so, dass wir uns an diese Regelung halten müssen. Wir müssen die umsetzen. Es gibt Länder, da gibt es diese 12-Monats-Regel schon, wie Italien. Es gibt aber auch Länder, wie zum Beispiel England, wo nur ein viermonatiger Ausschluss gilt. Aus rein medizinischen Gründen würden die vier Monate eigentlich reichen."
    Was bleibt, so der DRK-Sprecher, ist bei vielen eine Verunsicherung. So wundert es nicht, dass die Zahl schwuler Blutspender bislang verschwindend gering ist. In Nordrhein-Westfalen haben in den ersten drei Monaten gerade mal (Zahl folgt) homosexuelle Männer Blut gespendet. Unter den schwulen Männern, die zu Martin Heinze in die Beratungsstelle "Rubicon" kommen, wird das Thema nach wie vor diskutiert:
    "Was sollen wir den Leuten raten? Wir können sagen: Ihr könnt Blut spenden, aber ihr dürft ein Jahr keinen Sex haben. Das halte ich für nicht realistisch. Oder ihr könnt spenden und lügt, das finden wir nicht richtig. Deshalb würde ich eher abraten, Blut zu spenden. Das finde ich sehr schade, weil ich glaube, das Blut wird gebraucht und weil ich es grundsätzlich sehr gut finde, wenn Menschen Blut spenden."
    Dass Blut gebraucht wird, weiß auch Helfer Klaus Wenzel aus der Kölner Blutspende-Zentrale so. Bis er aber ganz selbstverständlich Homo- und Heterosexuellen die Nadel in den Arm piekst, wird es noch dauern.