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Rio Reiser-Musical
Kampfsongs und Liebeslieder

Auch 20 Jahre nach seinem Tod begeistern die Songs von Rio Reiser noch ein großes Publikum. Das Musical über das Leben des ehemaligen "Ton, Steine, Scherben"-Sängers ist schon lange bis Ende des Jahres ausverkauft - eine Inszenierung mit Gänsehaut-Momenten.

Von Oliver Kranz | 27.11.2017
    Moritz von Treuenfels als Rio Reiser mit der Band im Hintergrund
    Moritz von Treuenfels spielt in Potsdam Rio Reiser und begeistert das Publikum (Hans Otto Theater / HL Böhme)
    Wenn sich Schauspieler im Theater als Rockmusiker produzieren, kann das schnell peinlich werden - doch nicht in Potsdam. Das mit Profimusikern verstärkte Ensemble trifft den Ton perfekt - vor allem Moritz von Treuenfels als Rio Reiser.
    Mit strähnigem schwarzen Haar und bleich geschminktem Gesicht sieht der Hauptdarsteller Rio Reiser nicht nur äußerlich ähnlich - er hat auch dieselbe Kraft in der Stimme. Die frühen Songs waren wütender Protest. Später kamen Liebeslieder hinzu. Rio Reiser war homosexuell und hatte durch sein Temperament oft mit seinen Partnern Probleme. Das zeigt auch die Inszenierung. Frank Leo Schröder führt Regie.
    "Es ist ganz oft so, dass jemand wie Rio einfach so als Held flach dargestellt wird. Das hat mich überhaupt nicht interessiert. Ich habe ein Interview von ihm gesehen, von der NDR-Talkshow damals und habe gedacht: Das ist ein total zerrissener Typ."
    "Die Linke war im Grunde nicht sein Terrain"
    Die Zerrissenheit zeigt sich vor allem in der Musik. Das Stück ist kein klassisches Musical, sondern eher ein Konzert mit Theaterszenen. Der Autor Heiner Kondschak hat in die knappen Dialoge derart viele Informationen hereingepackt, dass sie manchmal etwas hölzern wirken. Am Anfang wird die Radikalisierung der Studentenbewegung nach dem Tod Benno Ohnesorgs erklärt. Rio Reiser lieferte mit der Band Ton Steine Scherben die Musik dazu - "Macht kaputt, was euch kaputt macht", "Wir sind geboren, um frei zu sein", "Keine Macht für niemand".
    Den Studenten, die den Song in Auftrag gegeben hatten, war der Text nicht eindeutig genug. Doch Rio Reiser war das egal. Er war kein Marxist, sagt sein Bruder Gert Möbius, sondern las gern die Bibel und Bücher von Karl May.
    "Das hat ihn beeinflusst. Die Linke war im Grunde nicht sein Terrain. Er hat in dem Sinne nicht Marx studiert. Er hat sich interessiert für alles, aber ich glaube, eine Rede von einem Indianer hat ihn mehr fasziniert als die Rede von Rudi Dutschke."
    Hinzu kamen finanzielle Probleme. Die "Scherben" spielten oft für winzige Gagen auf Solidaritätskonzerten. 1985 löste sich die Band auf. Rio Reiser begann seine Solokarriere.
    Gänsehaut und stürmischer Applaus
    In den späten 80er-Jahren produzierte Rio einen Hit nach dem anderen - ein angepasster Kommerzheini wurde er aber trotzdem nicht. Als 1989 die DDR zusammenbrach und das dortige Volkseigentum an westliche Konzerne verschleudert wurde, trat er der SED-Nachfolgepartei PDS bei. Sein Bruder erinnert sich.
    "Das war der Punkt, wo das wieder eingetreten ist, was bei den Scherben schon war, dass sie ihn nicht mehr gespielt haben. Das war das Ende seiner Karriere irgendwo."
    Zuerst wurde Rio nur durch den Fernsehsender Viva boykottiert, dann auch durch Radiostationen. Dabei haben seine Songs bis heute nichts von ihrer Kraft verloren. In Potsdam gab es nach der Premiere stürmischen Applaus. Theaterbesucher sagen:
    "Wir waren total begeistert von der Stimme von dem Schauspieler."

    "Es war authentisch, sehr authentisch."

    "Ich wusste nicht viel über Rio Reiser. Ich fand das sehr schön, wie sie die Geschichte von ihm aufgearbeitet haben."

    "Sie kann uns immer noch was sagen, weil man es auf die heutige Zeit übersetzt, weil Geld, Kaufen, Autos ja immer noch im Vordergrund dessen stehen, was wir in der Regel tun."

    "Es war ein Idealist. Ich finde, ein bisschen können sich viele Leute davon in der heutigen Zeit was abschneiden."
    Mehr als 20 Jahre nach seinem Tod ist Rio Reiser wieder da - in einer Theaterinszenierung mit vielen Gänsehautmomenten.