Donnerstag, 02. Mai 2024

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Robbe für Beibehaltung der Wehrpflicht

Karg: Die SPD diskutiert heute in Berlin über die Wehrpflicht, mitgehört hat Reinhold Robbe in Berlin. Er ist für die SPD im Bundestag und leitet den Verteidigungsausschuss des Parlamentes. Herr Robbe, brauchen wir die Wehrpflicht?

Moderation: Detlev Karg | 13.11.2004
    Robbe: Ja, wir brauchen nach wie vor die Wehrpflicht. Die Wehrpflicht ist erforderlich, und zwar in erster Linie wegen der Landesverteidigung. Man muss einfach wissen, dass all die Begründungen, die für die Wehrpflicht sprechen, natürlich alles gute Gründe sind, aus meiner Sicht zumindest. Aber ein ganz wesentlicher Punkt muss gewährleistet sein, nämlich die Ableitung aus unserem Grundgesetz und das ist nun mal die Landesverteidigung.

    Ich sage, Landesverteidigung wird heute anders buchstabiert als noch vor 50 Jahren oder auch vor 15 Jahren, als der Ostblock zusammen gebrochen ist, weil wir es heute mit einer total veränderten Sicherheitslage in der Welt zu tun haben. Wir haben den internationalen Terrorismus, wir haben die organisierte Kriminalität, wir haben Phänomene, die vor 15 und 50 Jahren noch überhaupt nicht zu erkennen waren und deswegen haben wir heute eine andere Landesverteidigung, deswegen lässt sich aber die Landesverteidigung als Begründung bis zum heutigen Tage für die Wehrpflicht ableiten.

    Karg: Aber ist denn der Auftrag von der Landesverteidigung her gesehen nicht ein ganz anderer geworden? Früher war Landesverteidigung für uns vielleicht eine große Panzerschlacht in Norddeutschland. Das war das Ziel, womit man gerechnet hat. Heute ist es ja so, dass wir out of area unsere Soldaten hinschicken müssen. Bräuchten wir also nicht eine neue Definition von dem, was Landesverteidigung ist und was die Bundeswehr machen soll?

    Robbe: Das haben wir bereits, auch wenn die Öffentlichkeit das vielleicht gar nicht so bewusst wahrgenommen hat. Wir haben eine veränderte Situation in der Welt, die ist richtig beschrieben und Peter Struck hat daraus die richtigen Konsequenzen gezogen, er hat die so genannten Verteidigungspolitischen Richtlinien erlassen und hat einen Satz getan, der im Grunde sehr schön deutlich macht, worum es geht, dass Deutschland heute auch am Hindukusch verteidigt wird. Und damit meint er die Tatsache, dass wir in der Tat keine "natürlichen Feinde" mehr haben. Unser ehemaliger Erzfeind Frankreich ist heute unser bester Freund und die ganzen Anrainer im Osten gehören inzwischen zur NATO beziehungsweise stehen kurz davor.

    Die natürlichen Feinde gibt es nicht mehr. Deswegen haben wir es mit einem anderen Szenarium zu tun, deswegen hat sich die ganze Welt verändert und deswegen muss die Bundeswehr sich darauf einstellen und sie hat es auch getan, durch die Transformation, durch die Veränderungen, die stattgefunden haben. Sie wissen, dass wir vor einer Woche bekannt gegeben haben, 100 Standorte zu schließen. All das steht im Zusammenhang mit dieser veränderten Bundeswehr und mit dem veränderten Auftrag.

    Karg: Aber braucht denn die veränderte Bundeswehr dafür noch Wehrpflichtige?

    Robbe: Ja, absolut, in erster Linie natürlich auch wegen der Rekrutierung des Fachpersonals. Wir haben doch einfach eine positive Geschichte unserer Bundeswehr in 50 Jahren. Wir haben eine gesunde Mischung aus allen Bevölkerungsgruppen. All das würde wegfallen, wenn wir eine Berufsarmee hätten. Dann würden nur noch diejenigen zur Armee, und zwar mit einem erheblichen finanziellen Aufwand zur Armee kommen, die, wie vorhin in dem Bericht auch sehr richtig beschrieben wurde, sich speziell angesprochen fühlen.

    Jetzt haben wir es so, dass sich jeder junge Deutsche mit der Frage auseinander setzten muss: "Gehe ich zur Bundeswehr, will ich meinen Beitrag leisten?". Er wird aber nicht letzten Endes gezwungen, weil unsere Verfassung auch vorsieht, dass er, wenn Gewissensgründe dagegen sprechen, Zivildienst machen kann, eine der vielen Ersatzdienstmöglichkeiten wahrnehmen kann. Insofern hat sich dieses System - und ich würde da durchaus von dem besonderen deutschen Weg sprechen, der uns auch unterscheidet von unseren Nachbarn - bewährt.

    Das ist auch das Ergebnis aus der dunkelsten Epoche unserer Geschichte. Darauf will ich an dieser Stelle hinweisen und darauf müssen Sozialdemokraten hinweisen, wenn sie über das Thema sprechen. Ich möchte keine Armee, in welcher Form auch immer, die nicht wirklich voll demokratisch eingebunden ist, die nicht wirklich ein Menschenbild hat, das sich an dem orientiert, was unsere Verfassung wiederspiegelt. Ich möchte eine Armee, die wirklich so transparent ist, und das bietet unter anderem auch die Wehrpflicht, dass jeder weiß, woran er ist.

    Natürlich kommt es auch immer wieder vor, dass Dinge passieren, die nicht in Ordnung sind, die auch gegen Recht und Gesetz verstoßen. Und ich behaupte, in einer Wehrpflichtarmee werden derartige Dinge sehr viel eher aufgedeckt und es wird sensibler mit derartigen Dingen umgegangen. All das spricht unterm Strich für den Erhalt der Wehrpflicht.

    Karg: Wenn ich da mal kurz nachfragen darf, was entgegnen Sie denn dem Vorwurf, es gebe keine Wehrgerechtigkeit mehr? Nur wenige junge Männer müssen ja pro Jahr noch in die Armee einrücken.

    Robbe: Da muss man sich die Zahlen genau anschauen. Diejenigen, die dieses Argument im Munde führen, vergessen in der Regel, dass wir es - und ich habe versucht, das gerade zu beschreiben - in Deutschland mit der Tatsache zu tun haben, dass es nicht nur viele junge Leute gibt, die Wehrdienst leisten, sondern es gibt mindestens ebenso viele, die die alternativen Möglichkeiten in Anspruch nehmen. Alles zusammen genommen ergibt dann das Ergebnis und stellt die Wahrheit dar.

    Eine vollkommene Wehrgerechtigkeit, das heißt, eine Einberufungsgerechtigkeit gibt es nicht, kann es im Prinzip auch gar nicht geben. Aber wir werden in den kommenden Jahren geburtenschwache Jahrgänge haben, so dass dieses Thema sowieso nicht mehr die Brisanz hat, die es derzeit hat.

    Natürlich kommt auch hinzu: Knappe Kassen, es kommen andere Probleme. Das ergibt in der Tat im Moment eine etwas schwierige Situation. Die kann aber überwunden werden und die wird auch überwunden werden und wir werden insofern auch eine Einberufungsgerechtigkeit in Zukunft darstellen können.

    Karg: Um noch einmal darauf zurückzukommen, Wehrgerechtigkeit heißt also für Sie die Gesamtheit der Dienste, die es gibt, also auch mit technischem Hilfswerk und mit Zivildienst. Jetzt haben Sie sich ja dafür ausgesprochen, vielleicht eine allgemeine Dienstpflicht einzuführen für Männer und Frauen, wie es auch Herr Gabriel in dieser Woche getan hat. Sehen Sie dafür eine Chance in der SPD?

    Robbe: Unabhängig davon, dass Gabriel ein tüchtiger Mann ist, bin ich mit ihm der Auffassung, dass es durchaus überlegenswert wäre, einen derartigen allgemeinen Dienst, und zwar für junge Frauen und Männer, einzuführen. Allerdings sehe ich auch als Pragmatiker das Problem, dass so etwas selbstverständlich auch durch die Gremien unseres Staates abgesegnet werden müsste. Ich kann im Moment wirklich nicht erkennen, dass wir hier eine Zustimmung der Länder bekommen, des Bundesrates. Ich sehe auch gewisse Probleme innerhalb des Bundestages, weil dort die Meinungen nicht so eindeutig sind, wie zwischen Gabriel und mir.

    Karg: Nun müssen Sie ja auch noch ihren Koalitionspartner, die Grünen, davon überzeugen, die ja eigentlich gegen die Wehrpflicht sind. Im Hinblick auf die Bundestagswahl 2006 könnte das ja schwierig werden?

    Robbe: Nein, das sehe ich nicht so, sondern die Grünen wissen, dass es sich um einen Prüfvermerk im Koalitionsvertrag handelt. Peter Struck ist derjenige gewesen, der gesagt hat, wir wollen mit dieser Überprüfung, der Notwendigkeit der Wehrpflicht, nicht bis zum Ende der Legislaturperiode warten, sondern wir wollen es bereits jetzt klären, damit auch jeder weiß, woran er ist. Wir haben ein Jahr Zeit in der SPD, um uns sehr ausführlich Gedanken darüber zu machen. Heute haben wir einen Kongress in Berlin. Das ist praktisch der Auftakt dieser Diskussion. Heute werden keine Entscheidungen gefällt, aber in einem Jahr werden wir auf dem Parteitag der SPD de facto über die Zukunft der Wehrpflicht entscheiden.

    Karg: Sind Sie da optimistisch, für oder gegen die Wehrpflicht eine Mehrheit in der SPD zu erreichen? Was ist Ihre Einschätzung, für heute und fürs nächste Jahr?

    Robbe: Heute geht es nicht um die Bildung von irgendwelchen Mehrheiten, sondern heute haben wir quasi eine Anhörung, um uns über die gesamte Themenpalette auch im Klaren zu sein. Aber es werden auch schon Akzente gesetzt. Es wird schon deutlich werden, wer dafür und wer dagegen ist. Aber wie gesagt, es geht in diesem Folgejahr darum, dass wir sehr intensiv miteinander um die beste Lösung ringen. Ich bin dafür, das ist absolut notwendig, dass wir auch allgemein in unserer Gesellschaft die Sicherheitspolitik, die Friedenspolitik mehr in den Mittelpunkt stellt.