In Washington gibt es eine Diskussion darüber, wie man auf den Sturm auf das Kapitol reagieren soll. Die Sicherheitsmaßnahmen sollen eindeutig verbessert werden. Das Land fragt sich: Wie konnte es nur möglich sein – eine angekündigte Kundgebung und dann dieses Ergebnis, dass die wenigen Polizisten förmlich überrannt wurden und die Demonstranten in das Kapitol eindringen konnten.
Die Demokraten erwägen andererseits auch ein zweites Impeachment-Verfahren gegen Noch-US-Präsident Donald Trump - das erste hatte nicht geklappt -, um ein Signal zu setzten und zu verhindern, dass dieser Mann noch einmal ein politisches Amt in Amerika ausüben wird.
Der CDU-Politiker Norbert Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag, zeigt sich über die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft besorgt und vor allem auch über die Spaltung der republikanischen Partei. Den Versuch eines Impeachments hält er für sinnvoll, um ein Zeichen für die Demokratie zu setzen.
"Schweres historisches Versagen der Republikanischen Partei"
Norbert Röttgen: Das Land ist immer noch entsetzt über das, was passiert ist. Das ist auch eine Mehrheit. Gott sei Dank besteht darüber eine Einigkeit, weitgehende Einigkeit, auch nicht völlige Einheitlichkeit. Aber das Land ist gleichzeitig tief und noch tiefer gespalten, vor allen Dingen die Republikanische Partei, die jetzt mindestens in zwei Teile gespalten ist, nämlich in immer noch Trump-Loyalisten und solche, die sagen, es ist jetzt endgültig Zeit, sich loszusagen.
Friedbert Meurer: Ist das eine gute oder eine schlechte Entwicklung mit dieser Spaltung bei den Republikanern?
Röttgen: Es ist eine schlechte Entwicklung, weil die Republikaner, die von Trump zuerst feindlich übernommen worden waren – die Republikaner waren am Anfang gegen Trump. Dann haben sie sich ihm ergeben und jetzt finden sie trotz dieses unfassbaren Verhaltens: Der Brandstifter der amerikanischen Demokratie ist ihr Präsident. Aber sie raffen sich nicht auf, sich von ihm komplett loszusagen. Es ist eher die kleine Minderheit und damit ist das Zerstörungswerk von Trump endgültig auch bei der Republikanischen Partei angekommen und sie wird, glaube ich, fürchte ich, lange brauchen, um sich neu zu sortieren.
Meurer: Sie hoffen nicht, dass da noch mehr abspringen werden von Donald Trump?
Röttgen: Ich hoffe es, aber es sind bislang bemerkenswert wenige Stimmen. Im Repräsentantenhaus hat noch kein republikanischer Kongressmann erklärt, für das Impeachment zu stimmen, und im Senat sind es einige wenige, drei, vier. Auch die Mehrheit der republikanischen Wähler befürwortet das nicht. Es ist eine tiefe Spaltung und ein schweres historisches Versagen, ich muss es leider so sagen, der republikanischen Partei, denn sie müsste jetzt eintreten für die Demokratie oberhalb von Parteien und sie müsste sich beteiligen daran, das Land zu versöhnen.
Amtsenthebungsverfahren: "Man muss es mindestens versuchen"
Meurer: Geben Sie dem Impeachment-Verfahren, wenn es dazu kommt, aber es sieht ja danach aus, denn Vizepräsident Mike Pence wird wohl kaum selbst den Präsidenten absetzen – geben Sie dem Impeachment-Verfahren irgendeine Chance auf eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Senat?
Röttgen: So apodiktisch ablehnend, dass es nicht kommen würde, würde ich es nicht beschreiben. Ich glaube, es wird auch vertagt werden. Die Demokraten werden das im Haus beschließen, weil die Regierung selber könnte es ja auch tun. Sie wird es, glaube ich, nicht tun. Die Demokraten werden das Anfang der Woche im Repräsentantenhaus beschließen. Dann werden sie es aber nicht direkt an den Senat weitergeben, weil dann die Entscheidung im Senat und das Prozedere dort mit der Amtseinführung von Joe Biden zeitlich zusammenfallen würde, und sie wollen nicht, dass das völlig überlagert wird, die Amtseinführung, sondern sie werden ihm die 100 Tage geben und dann wird man darauf zurückkommen. Wie in 100 Tagen das Land aussieht, das ist wieder eine etwas andere Frage, aber ich fürchte, dass die Republikaner nicht innerhalb von 100 Tagen sich schon neu sortiert haben.
Meurer: Ist das mit dem Impeachment überhaupt eine gute Idee?
Röttgen: Ich meine, ja. Wann ein Impeachment, eine Amtsenthebung, wenn nicht in dem Fall – es ist ja so fürchterlich auszusprechen -, dass der gewählte, noch amtierende Präsident das Volk aufwiegelt und es so anstachelt, dass es das Parlament stürmt. Ich glaube, das Parlament – ich bin Parlamentarier – ist es sich und der Demokratie schuldig, darüber ein Verdikt zu sprechen, und man muss es mindestens versuchen.
"Das bewusste Verächtlichmachen haben wir auch"
Meurer: Wenn jetzt einige sagen, Herr Röttgen, wir kritisieren und machen uns totale Sorgen um die US-Demokratie mit Verweis auf die Bilder im Kapitol, und dann wird gesagt, ihr habt doch so was Ähnliches vor dem Bundestag und im Bundestag gehabt bei der Querdenker-Demonstration: Was würden Sie antworten?
Röttgen: Da würde ich sagen, ja und nein. Erst ein großes Nein. Das Besondere, das Historische, das Unfassbare in den USA ist, wie eben gesagt, dass der Präsident selber der Brandstifter ist. Mob gibt es überall und der Mob ist auch nicht das Problem, sondern die Brandstiftung durch den Präsidenten selber und, dass er immer noch so viel Unterstützung in der eigenen Partei und auch in der Bevölkerung hat. Auch die Bevölkerung jagt ihn ja nicht mit friedlichen Mitteln aus dem Weißen Haus, sagt nicht, verlass das Haus. Das ist der große Unterschied.
Das, wo ich nicht widerspreche: Ja, auch bei uns gibt es das, was ja über Jahre in den USA den Boden vorbereitet hat. Das ist ja nicht alles nur spontan. Das hat sich ja ergeben und entwickelt aus Hass, aus Hassrede, aus Agitation. Das bewusste Verächtlichmachen der Institution des Staates, um die Demokratie zu treffen, das haben wir auch, und wir müssen ihm darum noch viel entschiedener entgegentreten.
"Seine große Medienmacht ist Trump weggenommen worden"
Meurer: Der Aufstieg Donald Trumps hängt höchst wahrscheinlich, um nicht zu sagen ganz sicher auch zusammen mit seinen Tweets, mit der Art und Weise, wie er mit den sozialen Medien umging. Jetzt ist er bei Twitter gesperrt, bei Facebook praktisch auch. Auch bei anderen Plattformen wird ihm der Boden entzogen, bei Parler. Hat das einen Effekt?
Röttgen: Ja, das hat einen Effekt. Das war fast seine größte Macht, mit seiner Amtsmacht, aber seine kommunikative Macht hat in seinem enormen Zuspruch über die sozialen Medien gelegen. Er hatte, glaube ich, 80 bis 90 Follower auf Twitter allein und das war seine große Medienmacht, die er aufgebaut hat. Die entsteht ja durch Folgen von Personen. Die ist ihm weggenommen worden.
Meurer: Die Hightech-Konzerne haben mit Trump im Prinzip auch Geld verdient. 88 Millionen Follower auf Twitter, das hat dem Konzern lange gut gefallen. Jetzt diese Wende. Es gibt ja auch die Diskussion, Herr Röttgen, ist das auch ein bisschen gefährlich, wenn Twitter und andere Organisationen entscheiden, wer wird aus dem öffentlichen Diskurs herausgenommen?
Röttgen: Ich finde, der Fall der Brandstiftung gegen die Demokratie und das Parlament als das Herz der Demokratie ist ein Fall, wo solche Unternehmen reagieren müssen. Aber ich bin auch der Auffassung, dass es eine viel klarere systematischere Regulierung bedarf, denn wir sehen, welche Macht solche Tag-Firmen verleihen, die viel zu wenig kontrolliert ist, und dem muss Rechnung getragen werden durch eine geordnete systematische Regulierung der Macht, die dort entsteht. Das kann nicht so weitergehen, dass es am Ende in der Unternehmensführung liegt, wie man damit im Einzelfall umgeht.
"Ich habe enorm aufgeholt"
Meurer: Herr Röttgen, lassen Sie uns kurz auch noch darüber reden, was diese Woche, Ende der Woche, am Samstag passieren wird. Die CDU wählt einen Vorsitzenden. Sie sind einer der drei Kandidaten. Räumen Sie ein, Sie sind nur Außenseiter?
Röttgen: Das war ich mal, aber es besteht, glaube ich, kein Zweifel mehr, dass das nicht der Fall ist. In den Umfragen liege ich zum Teil vorne, in den meisten Umfragen vor Armin Laschet, entweder vor Friedrich Merz oder knapp hinter ihm. Davon kann seit längerer Zeit keine Rede mehr sein. Ich habe enorm aufgeholt. Ja, ich bin so gestartet, aber in der CDU ist der Zuspruch so groß, dass davon keine Rede mehr sein kann.
Meurer: Markus Söder hat jetzt Armin Laschet so was wie den Ritterschlag gegeben. Hat Sie das geärgert?
Röttgen: Ich glaube, dass das eine Fehlinterpretation ist. Dass wir alle respektvoll miteinander umgehen, ist doch völlig selbstverständlich. Der CSU-Vorsitzende hat sich völlig rausgehalten, hat auch immer Wert darauf gelegt, das zu tun.
Meurer: Er hat schon durchblicken lassen, dass er Laschet für den Mann hält, der Vorsitzender werden soll.
Röttgen: Nein, das glaube ich nicht. Ich weiß nicht, wer das transportiert hat, aber aus dem Verhalten und dem, was Markus Söder gesagt hat, lässt sich das nicht schließen.
"Ein Unions-Kanzler wieder im Kanzleramt ist das Wichtigste"
Meurer: Eine Frage denken ja auch viele. Wird eigentlich einer der drei am Ende dann Kanzlerkandidat werden? Könnte man Bundesvorsitz und Kanzlerkandidatur voneinander trennen?
Röttgen: Ich habe dazu seit zehn Monaten, seitdem ich meine Kandidatur erklärt habe, ja meine Position festgelegt und ich muss sie jetzt auch nicht wenige Tage vorher ändern. Es ist das Selbstverständnis der CDU, dass ihr Vorsitzender das Amt des Kanzlers kann und auch will. Sonst sollte sie ihn nicht wählen. Aber wir sind in einer so wichtigen Phase des Landes, Europas, dass das Wichtigste ist, dass wir diese Bundestagswahl gewinnen. Dafür brauchen wir die Bestaufstellung und ich als Vorsitzender werde mit Markus Söder zusammen mich setzen, sehr schnell, sehr vertraulich, und dann werden wir beide einen Vorschlag machen, der der Beste ist, die Wahlen zu gewinnen. Ein Unions-Kanzler wieder im Kanzleramt, nach 16 Jahren Kanzlerschaft der CDU, das ist das Wichtigste und der entscheidende Erfolg für uns als Unions-Parteien.
Meurer: Sie trauen sich zu, diese Aufgabe zu stemmen? Corona-Pandemie, internationale Krisen, Verhältnis zu den USA?
Röttgen: Ich weiß, was Regierung bedeutet. Ich war Mitglied der Bundesregierung, bin seit 26 Jahren Parlamentarier. Wenn die Partei so entscheidet, dann ist das das Selbstverständnis. Ja, dieses Selbstvertrauen muss man haben. Aber ich sage genau auch: Es geht nicht um mich, nicht um mein Ego, sondern das wird zusammen mit dem CSU-Vorsitzenden entschieden, und wir machen die Bestaufstellung aus den Unions-Parteien für den Wahlsieg.
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