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Rohstoff-Grabbing für Handys und E-Auto-Batterien
Zwangsarbeit und Vergewaltigung im Kampf um Kobalt im Kongo

Extreme Gewalt findet im Osten des Kongos statt: Vergewaltigungen an Frauen und Kindern und Zwangsarbeit führen zu schweren Traumata. Diese Menschenrechtsverletzungen stehen im Zusammenhang mit dem Abbau von Mineralien, die für die Herstellung von Handys und Batterien benötigt werden.

Von Isabel Fannrich-Lautenschläger | 28.11.2019
Ein Kind und eine Frau arbeiten in Lubumbashi in der Demokratischen Republik Kongo an Steinen aus einer Kobalt-Mine. Sie sitzen im Staub.
Dutzende bewaffnete Banden, darunter Rebellen und Milizen, Armee-Angehörige und Polizei, konkurrieren im Kongo um die Rohstoffe Kobalt, Coltan und Gold (AFP / Junior Kannah)
Auf einer Schulveranstaltung wurde der kongolesische Arzt Denis Mukwege von einem Jungen angesprochen, der große Angst vor dem Beginn der Ferien hatte:
"Ein kleiner Junge von sieben Jahren ist zu mir gekommen und hat geweint. Ich wollte wissen, warum. Und er sagte mir: 'Ich will nicht zurückkehren. Ich will nicht zurück in die Hölle.' Ich habe mich zu ihm gebeugt und mir seine Geschichte angehört. Er sagte: 'Was man meiner Mutter angetan hat, ist die Hölle.' In den Minen von Luischa und Kamituga arbeiten die Kinder hart. Dieses Kind sprach von der Hölle, weil seine Mutter in dem kleinen Zelt, in dem sie wohnten, wieder und wieder vergewaltigt wurde – vor seinen Augen. Das Kind hatte so eine Angst dorthin zurückzukehren, wo es nach einer schweren Arbeit nichts als eine Banane gab."
Denis Mukwege leitet das Panzi-Hospital in Bukavu im Osten der Demokratischen Republik Kongo. Dort hat der Gynäkologe in den vergangenen 20 Jahren zehntausende Frauen behandelt und operiert, die Gruppenvergewaltigungen und schlimmste genitale Verletzungen erleiden mussten. Für seinen Einsatz wurde der Menschenrechtsaktivist 2018 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet:
"Ich habe Frauen jeden Alters behandelt. Ich glaube, die älteste war über 80. Sie wusste nicht einmal mehr ihr Alter, aber wir haben es geschätzt. Die jüngste war sechs Monate alt, das ist ein Baby. Und heute stellen wir leider fest, dass die Zahl der vergewaltigten Säuglinge und der vergewaltigten Kinder unter zehn Jahren zunimmt – innerhalb von vier Jahren von drei auf sechs Prozent."
Schwere Gewalt im Rohstoffabbau
Einer der Gründe für die extreme Gewalt sind die reichen Rohstoffvorkommen im Osten des Landes. Dutzende bewaffneter Banden, darunter Rebellen und Milizen, Armee-Angehörige und Polizei, kämpfen hier um die Macht. Sie konkurrieren um die Rohstoffe Kobalt, Coltan und Gold, die zunehmend für die Herstellung von Handys und Batterien für Elektroautos benötigt werden. Den Abbau erzwingen sie von Männern, Frauen und Kindern. Rachel zum Beispiel wurde von ruandischen Rebellen, die in den Kongo geflüchtet waren, zur Zwangsarbeit in einen Wald verschleppt, erzählt die Diplompädagogin und Sozialarbeiterin Thérèse Mema Mapenzi:
"Man hat sie sechs Monate lang vergewaltigt und wie eine Sex-Sklavin gehalten. Und in dieser Zeit musste sie schwere Gegenstände schleppen zum Nutzen der FDLR-Rebellen. Hinterher hat sie herausgefunden, warum sie jeden Tag den Sand schleppen musste. Es war das Coltan, das sie transportieren musste, damit die FDLR, die in meinem Wald war, Gewinne macht. Madame Rachel hat Glück gehabt, konnte fliehen und in meine Stadt kommen."
Die Täter waren in den 1990er Jahren noch zu 95 Prozent Rebellen aus dem Nachbarland Ruanda, die vor dem Krieg in die Wälder des östlichen Kongo flohen, sagt der 64-jährige Denis Mukwege. Und auch Rebellen aus Uganda und Burundi seien dabei gewesen. Seit der Jahrtausendwende habe sich das ins Gegenteil verkehrt: Heute würden überwiegend lokale Milizen die Frauen vergewaltigen:
"Hier neigt man dazu zu denken, das sind Stammeskriege, weswegen die Menschen nicht zusammen leben können. In Wirklichkeit hat das gar nichts damit zu tun. Sondern es geht nur um das Rohstoff-Grabbing in dieser Region. Diese Bergbauressourcen sind eine der Quellen der Probleme für unsere Bevölkerung, einer der Gründe für die wiederkehrenden Konflikte und Menschenrechtsverletzungen in großem Maßstab, die unsere Gemeinschaft seit Generationen traumatisieren."
Banalisierung sexueller Gewalt
Der Krieg im Kongo hat sich längst zu einem Normalzustand entwickelt, betont Boniface Mabanza von der Kirchlichen Arbeitsstelle Südliches Afrika in Heidelberg. Auf die mehr als 30 Jahre währende Militärdiktatur unter Mobutu folgte nach einer Rebellion das Kabila-Regime. Spätestens mit dem zweiten Kongokrieg, der 1998 begann, seien die letzten staatlichen Handlungsmöglichkeiten verloren gegangen, so der promovierte Literaturwissenschaftler und Philosoph. Dass stattdessen verschiedene Machtzentren von Milizen entstanden, habe dazu geführt, "dass wir es mit einer unglaublichen Plünderung der natürlichen Ressourcen zu tun haben. Wir haben es zu tun mit einer Banalisierung von Gewalt – von Gewalt im Allgemeinen, aber besonders von Gewalt gegenüber Frauen und Kindern. Und wir haben es mit einer Banalisierung, mit einer Zerstörung des Staatswesens zu tun."
Die sexuelle Gewalt wird im Osten Kongos gezielt als Kriegswaffe eingesetzt. Wie viele Frauen betroffen sind und welche Hilfe es für sie gibt, darüber liegen bisher keine Forschungen vor. Thérèse Mema Mapenzi sieht in den Taten die gezielte Absicht, Frauen aus der Gesellschaft auszustoßen:
"Sie wissen, welche Rolle Frauen in unseren Gemeinden spielen. Und sie wollen diese Rolle zerstören, indem sie zum Beispiel eine Frau vor den Augen ihrer Familie vergewaltigen, indem sie einen Mann dazu zwingen, seine Tochter zu vergewaltigen oder einen Sohn, dies mit seiner Mutter zu tun. Sie sagen damit: 'Sei still. Das ist nicht mehr deine Mutter. Du wirst nicht mehr in Harmonie mit deiner Familie leben.' Wir wollen, dass die Frauen das Ziel der Täter erkennen: 'Wenn ihr nichts tut, werden sie ihr Ziel erreichen. Lasst uns also über sexuelle Gewalt sprechen und neue Mechanismen der Resilienz aufbauen, um gegen sexuelle Gewalt zu kämpfen'."
Nicht nur die Frauen, auch deren Familien würden durch die Gewalt zerstört, berichtet Thérèse Mema Mapenzi auf der Tagung der Katholischen Akademie. Sie stammt aus dem Osten des Landes und hat 2006 das erste Traumazentrum für sexuell missbrauchte Mädchen und Frauen in der Diözese Bukavu mit aufgebaut. Seitdem sind 17 weitere Einrichtungen rund um die Hauptstadt der Provinz Süd-Kivu entstanden. Frauen wie Rachel, die zunächst ärztlich behandelt und operiert werden müssen, schickt die 37-Jährige zu Denis Mukwege ins Panzi-Hospital. Danach werden sie in einem "Centre d'Ecoute", Zentrum des Zuhörens, psychosozial betreut. Weil viele aus Scham von der Familie weggelaufen sind oder von dieser verstoßen wurden, wird dort auch eine Familienmediation angeboten. Die Reintegration der betroffenen Frauen bezeichnet Thérèse Mema Mapenzi als schwierig:
"Einige der Polizisten, der lokalen Autoritäten, gehören zu den früheren Tätern in unseren Gemeinden. Und weil sie eine wichtige Rolle spielen, ist es schwierig für die Opfer zurückzugehen. Sie wissen, dass er sie und ihre Familie töten wird. Deshalb komme ich immer wieder darauf zurück, dass wir Entschädigung und Gerechtigkeit wollen. Ja!"
Sorgfaltspflicht im Handel mit Mineralien
Die Konsumenten der westlichen Welt, so der Tenor in der Katholischen Akademie, sind mit verantwortlich, dass um die sogenannten Konfliktmineralien im Kongo Krieg geführt und Menschenrechte verletzt werden. Dass die EU ein Gesetz verabschiedet hat, das europäischen Unternehmen ab 2021 eine verbindliche Sorgfaltspflicht im Handel mit Zinn, Tantal, Wolfram und Gold auferlegt, bezeichnet Denis Mukwege als ersten Schritt:
"Das erste ist, den Handel von Erzen in der Demokratischen Republik Congo transparent zu gestalten. Weil diese Erze die Ursache des Konflikts sind, der auf dem Rücken der Frauen ausgetragen wird. Zweitens muss unbedingt die Straflosigkeit bekämpft werden. Denn wenn die Menschen so unfassbare Verbrechen begehen, ohne bestraft zu werden, werden sie das weiterhin tun, weil sie sich geschützt fühlen."
Zukunft im Kongo
Die Kultur der Straflosigkeit, so Boniface Mabanza, lasse sich nur durch eine demokratisch legitimierte Regierung beenden. Noch sei der Staat zu schwach, der 2018 gewählte Präsident Félix Thisekedi möglicherweise nur eine Marionette in den Händen eines Milizenführers. Damit der Staat nicht weiterhin – wie seit seiner Unabhängigkeit 1960 – von außen beeinflusst und gesteuert werde, müsse er jetzt neu gegründet werden:
"Es ist an der Zeit, dass die Kongolesen selbst definieren, welches Konzept sie von sich selbst haben wollen. Was soll das Land sein? Welche Potentiale es hat? Wie will das Land diese Potentiale entfalten? Und welche Art von Beziehungen braucht das Land zu den Nachbarländern, zum afrikanischen Kontinent insgesamt und zu anderen Players, die von außen Einfluss nehmen auf die Geschehnisse im Kongo? Ob sie China heißen, USA, EU oder Deutschland. Das ist zentral, weil nur so kann ein Konzept entstehen, das tatsächlich den Interessen der Bevölkerung vom Kongo dient."