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Rom
Die Armen und die Kirche

In einer der schönsten Barockkirchen der Stadt bekommen Hungrige jeden Mittag eine warme Mahlzeit. Die Zahl der Obdachlosen steigt beständig. Die Politik ignoriert die Armen und verlässt sich auf die Kirche. Aber auch im katholischen Klerus öffnet nicht jeder Herz und Kirchentür.

Von Thomas Migge | 19.08.2016
    Eine arme Frau bittet vor der Kirche Santa Sabina auf dem Hügel Aventin in Rom um Almosen.
    In Rom leben immer mehr Menschen auf der Straße: Der Aufforderung des Papstes an den römischen Klerus, in jeder Gemeinde mindestens einen Obdachlosen oder einen Einwanderer aufzunehmen, kamen noch nicht einmal zehn Prozent der Geistlichen nach. (picture alliance / dpa / Lars Halbauer)
    "Das hier ist kein Self service wie in einer x-beliebigen Mensa. Das hier ist wie im Restaurant! Hier wird am Tisch serviert! Ein erster Gang, ein zweiter Gang, ein Dessert und dann ein Kaffee."
    Don Pietro Sigurani lädt zum Mittagessen ein. In einer der schönsten Barockkirchen Roms. Don Pietro ist katholischer Geistlicher von Sant’Eustachio. Die im achten Jahrhundert gegründete Kirche, liegt genau im Zentrum der politischen Schaltstellen Roms: zwischen dem Amtssitz von Matteo Renzi, dem Parlament und dem Senat. Und genau deshalb lässt Don Pietro von Montags bis Freitags im Kirchenschiff Klapptische und Klappstühle aufstellen und ein komplettes Mittagessen servieren:
    "Alle die Hunger haben können kommen. Und alle, die arm sind. So werden die Damen und Herren Politiker mal ganz konkret, in ihrer direkten Nachbarschaft, mitbekommen, dass es auch Arme gibt. Das kann man hier im Zentrum der Macht schnell vergessen. Offiziell gibt es hier Mahlzeiten für 100 Bedürftige. Wenn mehr kommen, gehe ich zu den Luxusrestaurants in der Nachbarschaft, und bitte sie, mir unter die Arme zu greifen".
    Don Pietro Sigurani hat in den Kellergewölben seiner Kirche auch Duschen und eine Wäscherei eingerichtet: Alles gratis für diejenigen, die auf solche Hilfe angewiesen sind. Der Geistliche hatte die Idee zu seinem Hilfsprojekt nachdem Papst Franziskus im vergangenen Jahr bei den Kolonnaden am Petersplatz Duschen für Obdachlose einrichten ließ, von denen seit einigen Jahren immer mehr beim Petersplatz unter freiem Himmel hausen – in der Hoffnung, dass die vielen Pilger und Touristen ein paar Münzen locker machen.
    Die Hilfe des Papstes und verschiedener katholischer Geistlicher sei sicherlich hilfreich und vorbildlich, aber trotzdem leider nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein, meint Marco Impagliazzo, Präsident der katholischen Freiwilligenorganisation Comunità di Sant’Egidio, die sich seit ihrer Gründung 1968 um Arme in Rom kümmert:
    "Wir haben rund 8.000 dauerhafte Obdachlose in Rom! Dazu kommen zirka 6.000 bis 7.000 Roma und Sinti, die an den Stadträndern in nahezu menschenunwürdigen Favelas leben. Das sind beeindruckende Zahlen, die jedes Jahr größer werden. Es ist aber falsch anzunehmen, dass diese Zahlen nur aufgrund der Einwanderer steigen, denn es sind immer mehr Italiener, die obdachlos werden".
    Dem jüngsten Berichts des statistisches Bundesamtes ISTAT in Rom zufolge leben etwa vier Prozent aller Römer unterhalb des Existenzminimums. Das sind rund 115.000 Menschen. Immer mehr Römer sind gezwungen, ihre Wohnungen aufzugeben und irgendwo anders unterzukommen, wo sie keine hohen Mieten zahlen müssen. Das ISTAT fand auch heraus, dass es in der italienischen Hauptstadt nur maximal 2.000 kommunale und kirchliche Gratisunterkünfte für Obdachlose gibt. 2.000 weitere Schlafplätze finden betroffene Römer und Einwanderer, die vor allem aus Nord- und Schwarzafrika kommen, in leer stehenden Wohnhäusern, und auch in antiken Ruinen – wie zum Beispiel auf dem Colle Oppio beim Kolosseum, wo einige dutzende Menschen in den grandiosen Ruinen von Neros Goldenem Haus biwakieren.
    Papst Franziskus wird nicht müde, immer wieder an diese Situation in Rom zu erinnern. Wie etwa Ende 2015, als er die neue Armenmensa am Hauptbahnhof Termini einweihte: "Ich will, dass der Heilige Geist die Herzen aller Römer öffnet, um ihnen zu zeigen, dass nur konkret gelebte Nächstenliebe uns retten kann."
    Die Worte des Papstes sorgen immer wieder für große Aufmerksamkeit. Ist er doch in Rom inzwischen die einzige bekannte öffentliche Persönlichkeit, die das Thema Armut ständig thematisiert. Doch seine Worte bleiben eher ungehört. Auch innerhalb seiner eigenen Kirche in Rom, deren Bischof er ist. Seiner Aufforderung an den römischen Klerus, in jeder Gemeinde jeweils mindestens einen Obdachlosen oder einen Einwanderer aufzunehmen, kamen noch nicht einmal zehn Prozent der Geistlichen nach.
    Die politische Klasse Roms scheint am Problem der städtischen Armut nicht besonders interessiert zu sein. Dieses städtische wie auch staatliche Desinteresse generiert nicht nur Hilfe seitens der Kirche, sondern auch der Bürger und verschiedener Bürgerinitiativen. Zum Beispiel am Hauptbahnhof in Rom, wo Alessandro Radicchi von der im Sozialbreich arbeitenden Kooperative Europe Consulting in Zusammenarbeit mit dem staatlichen Bahnunternehmen Schlafplätze schafft:
    "Vorhin hatte ich eine obdachlose Mutter mit einem Kleinkind hier in unserer Aufnahmestelle, für die wir erst morgen einen Platz in einer Unterkunft finden. Heute Nacht können wir sie aber in einem der extra für uns bereitgestellten leer stehenden Zugwaggons unterbringen."
    Jedes Jahr gibt die Comunità di Sant’Egidio einen Gratis-Guide für Obdachlose und Arme heraus. Darin enthalten sind sämtliche Adressen für Mensen, Unterkünfte, ärztliche und bürokratische Betreuung. Ein Guide, der immer schnell vergriffen ist: groß ist die Nachfrage nach den darin enthaltenen Informationen.
    Kirchliche und Laienhelfer hatten große Hoffnung in Roms neue Bürgermeisterin Virginia Raggi von der so genannten politischen Bewegung 5 Sterne M5S gesetzt. Während ihres Wahlkampfs sprach sie auch über entschieden mehr Hilfe für Arme und Obdachlose. Seit ihrer Wahl ins Rathaus aber ist dieses Thema von ihrer kommunalpolitischen Agenda verschwunden. Darin ist die Neue nicht verschieden von fast allen vorherigen Bürgermeistern Roms.