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Rowohlt-Verleger Florian Illies
Vom Glück des Lesens

Der neue Rowohlt-Verleger Florian Illies will Menschen für Bücher begeistern und vorleben, dass die Lektüre eines Romans lohnender ist, als aufs Handy zu starren. Der 48-Jährige kommt als Bestsellerautor, aber ohne Verlagserfahrung zu Rowohlt. Er sieht darin nicht nur Nachteile.

Von Holger Heimann | 15.05.2019
Zu sehen ist der Autor und Rowohlt-Verleger Florian Illies.
Rowohlt-Verleger Florian Illies (Autorenfoto: Patrick Bienert )
Das kleine, helle Eckzimmer mit den großen Fenstern in der vierten Etage des imposanten Bieberhauses im Zentrum von Hamburg, das der neue Rowohlt-Verleger Florian Illies bezogen hat, wirkt bescheiden. Der Schreibtisch und das noch kaum bestückte Bücherregal dahinter füllen einen guten Teil des weiß gestrichenen Raumes. Inmitten der funktionalen modernen Büro-Ausstattung fällt lediglich ein eleganter Holztisch mit vier eigenwillig gestalteten Stühlen aus dem Rahmen. Illies hat sich die schönen Möbelstücke selbst ausgesucht:
"Das sind dänische Möbel aus dem Jahr, in dem das Reinbeker Haus gebaut wurde, also aus dem Jahr 1960, weil ich es sehr schätze, wenn man aus dem einen Ort in den anderen etwas mitnimmt. In diesem Falle ist das Entstehungsjahr 1960 durch die Sitzmöbel präsent, auf denen wir gerade sitzen."
Die Auswirkungen sind nicht absehbar
Florian Illies ist seit Anfang des Jahres neuer Rowohlt-Chef. Nur drei Monate später zog der Verlag von Reinbek nach Hamburg um. Nicht nur der Geschäftsführer fängt also neu an, in gewisser Weise tun das alle. Kisten müssen ausgepackt und Regale eingeräumt werden. Die Wände in den Büros sind nach wie vor kahl. Rowohlt hat zwei Etagen in dem 1909 erbauten Haus bezogen, in dem vorher das Finanzamt untergebracht war. Hier und da sind noch immer Handwerker unterwegs. Der Verlag hat das beschauliche Reinbeker Idyll vor den Toren der Hansestadt gegen die Hamburger Zentrumslage mit Blick auf den Hauptbahnhof eingetauscht. Mehr Veränderung geht nicht. Das sieht auch der Verleger so:
"Man schaut hinaus und guckt nicht mehr auf Hasen und Maulwurfshügel und Apfelbäume, sondern auf Züge und Busse und Taxis und Menschen und Demonstrationen, auf das Schauspielhaus, auf Kräne, auf das Leben, auf das Transitorische, auf die Züge, die ein- und ausfahren. Und das wird natürlich Auswirkungen haben. Man kann aber gar nicht genau sagen, in welche Richtung. Es kann sein, dass man versucht, sich dem mehr anzunähern oder sich genau deshalb versucht, mehr abzuschotten, weil man Bücher für die Ruhe und gegen den Strom der Zeit schaffen will. Es ist in einem Punkt jedenfalls sehr gut und wichtig. Es wird sehr viel selbstverständlicher und einfacher, in den Verlag zu kommen. Wir erleben das jetzt in den letzten vier Wochen."
Der Verleger als Bestsellerautor
Nicht nur Autoren und Geschäftspartner des Verlags profitieren vom neuen Standort. Auch für Illies selbst ist die Anreise komfortabler. Denn der Neue bei Rowohlt lebt mit seiner Familie in Berlin – und zwar da, wo die Generation Golf, die er in seinem gleichnamigen Bestseller beschrieben hat, am liebsten hingezogen ist – im Prenzlauer Berg. Der Verleger hat sich zwar eine Wohnung in Hamburg gesucht, an einen kompletten Umzug in die Hansestadt denkt er jedoch nicht.
"Wenn man aus Berlin kommt, sind es anderthalb Stunden. Und da, auch wenn sich viel verändert hat, zum Beruf des Verlegers weiterhin gehört, Manuskripte zu lesen, sind die regelmäßigen Fahrten nach Berlin und zurück wunderbare Zeiten des Lesens. Ich habe sehr gute Erinnerungen an dieses Zugfahren zwischen Berlin und Hamburg. In meiner Zeit für die "Zeit" vor zehn Jahren habe ich mich einmal durch die ganze Literatur des Jahres 1913 gearbeitet."
Entstanden ist daraus sein Buch "1913. Der Sommer des Jahrhunderts" – das ebenfalls zu einem Bestseller wurde. Im Vorjahr hat Illies eine Fortsetzung herausgebracht: "1913. Was ich unbedingt noch erzählen wollte". Als Autor scheint ihm nahezu alles zu gelingen. Aber hilft ihm diese Erfahrung dabei, erfolgversprechende Bücher zu verlegen?
Bücher über Bienen und Bäume
"Das ist das Wunderbare am Büchermachen, dass es dieses Geheimrezept nie gibt und dass es jeden Tag ein anderes gibt und jeden Tag ein neues gibt. Plötzlich sind es Bücher über Ernährung und plötzlich sind es Bücher über Bienen und plötzlich sind es Bücher über Bäume. Plötzlich ist es ein Buch über das Alte Land und plötzlich ist es ein Krimi. Das ist mit keinem Algorithmus der Welt zu finden. Es gibt kaum etwas Tröstlicheres als das."
Der 48 Jahre alte und dabei jugendlich wirkende Mann hat eine bemerkenswert reiche Berufserfahrung: Er war unter anderem Feuilletonchef sowohl der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" als auch der "Zeit", zu deren Herausgeberrat er heute gehört. Er gründete die Kunstzeitschrift "Monopol" und arbeitete zuletzt als Gesellschafter des Berliner Auktionshauses Villa Griesebach. Den Alltag in einem Buchverlag kennt Illies bislang jedoch nicht.
"Das ist die herausforderndste Arbeit, die ich getan habe, weil die Komplexität am größten ist, weil die Verantwortung vor den Autorinnen, den Autoren, den Mitarbeitern angesichts einer wirklich fundamentalen Veränderung der Branche einfach sehr groß ist. Weil die Anzahl der Bücher, die hier erscheint, sehr groß ist. Also ich habe sehr viel Respekt vor dieser Aufgabe. Aber das hat mich noch nie davon abgehalten, solch eine Herausforderung anzugehen."
Überall Probleme, Probleme, Probleme
Der Neu-Verleger betrachtet sich selbst als Lernenden. Aber er sieht in der Rolle des Novizen durchaus nicht nur Nachteile. "Man kann Warum-Fragen stellen, die in der Routine des Betriebs nicht gestellt werden", sagt er. Erwartungsdruck lässt er sich nicht anmerken. Im Gegenteil, so akkurat er mit Hemd, Krawatte und Sakko gekleidet ist, so leicht und lässig tritt er auf.
"Seit ich im Büro bin, sitze ich und schaue auf das Deutsche Schauspielhaus und schaue auf ein Plakat, da steht "Probleme, Probleme, Probleme". Das ist das neue Stück von René Pollesch. Das ist sehr sehr schön, weil es bei all den kleinen und großen Problem-Gesprächen, die man naturgemäß in einem Verlegerbüro führt, wahnsinnig hilft, in einem scheinbar festgefahrenen Moment kurz den Blick des Gegenübers auf dieses Plakat zu lenken. Und dann findet man sich meist im gemeinsamen Schmunzeln. Ich finde das sehr tröstlich zu sehen und ich merke, dass ich auch meine Gegenüber mit dem Hinweis auf die Allgegenwärtigkeit von Problemen manchmal von der nicht so großen Schwere ihres Problems überzeugen kann."
Florian Illies sagt nichts zu den Erwartungen, die mit seinem Antritt bei Rowohlt verbunden sind, nachdem seine erfolgreiche Vorgängerin Barbara Laugwitz überraschend entlassen wurde. Lieber als sich zu exponieren, hebt der Neue das Kollektiv hervor.
"Die Rolle des Verlegers, so wie ich sie verstehe, ist mit der aus früheren Zeiten nicht zu vergleichen. Weil es von meinem Verständnis her darum geht, nicht sehr hierarchisch zu führen, sondern in Gruppen zu denken und in flachen Hierarchien zu arbeiten. Um diese ganze Energie, die ganze Kompetenz, die hier im Haus ist, auch abzurufen."
Ein Sturm ist überstanden
Die unschöne Absetzung von Barbara Laugwitz wäre dem Verlag beinah zum Verhängnis geworden. Die Starautoren des Hauses formulierten einen geharnischten Protestbrief. Illies selbst spricht von einem Sturm. Aber der ist überstanden. Rowohlt befindet sich in keiner Krise, sieht man einmal davon ab, dass es für jeden Verlag schwieriger geworden ist, Leser für seine Bücher zu finden. Florian Illies weiß das natürlich.
"Ich bin in einem Moment in diese Branche gewechselt, da jetzt die Zahlen amtlich sind, wie viele Millionen Leser in Deutschland verschwunden sind, um wie viele hunderttausende von Exemplaren der Buchverkauf in Deutschland zurückgegangen ist. Deswegen geht es einfach darum, mit großer Lust vorzuleben, wie beglückend es ist, zu lesen. Ich kann alle meine Arbeit immer dann gut machen, wenn ich einen großen missionarischen Drang habe. Den habe ich."
Sich selbst Zeit schenken
Rowohlt, 1908 in Leipzig gegründet, ist einer der renommiertesten deutschen Verlage. Das Spektrum reicht von Autoren wie Ernest Hemingway, Jonathan Franzen, Daniel Kehlmann und Martin Walser bis hin zu Rosamunde Pilcher, Jojo Moyes und Eckart von Hirschhausen. 400 Titel werden pro Jahr publiziert, der Umsatz beträgt fast 70 Millionen Euro. Im Frühjahr ist ein 1300 Seiten dicker Roman eines gänzlich unbekannten Norwegers erschienen. Illies freut das. Johan Harstad war der erste Schriftsteller, den der Verleger getroffen hat. Er verspricht: Wir werden diesen Autor groß machen. Programmatische Aussagen hingegen unterlässt er.
"Ich bin nie jemand gewesen, dem es darum ging, große Visionen zu verkünden, sondern ich versuche mich immer nicht in der Theorie, sondern in der Praxis zu verwirklichen, durch einzelne Projekte oder durch die Ausweitung, die Veränderung des Spektrums zu zeigen, wo ich glaube, wo Bücher lauern könnten, die die Menschen interessieren, die die Menschen begeistern. Darum geht es, das ist unsere große Aufgabe, die Menschen mit Büchern zu begeistern, die sie dazu zu bringen, sich Zeit zu schenken und dem Buch zu schenken und zu spüren, wie viel wohler man sich fühlt nach der Lektüre als wenn man die gleiche Zeit in sein Handy geschaut hat. Und dafür müssen wir uns alle unglaublich anstrengen."
Was schreibt Illies demnächst?
Seine Energie will Florian Illies aber weiterhin auch in eigene Bücher stecken. Für ihn geht es nicht anders, sagt er und wirkt dabei kaum so, als ließe ihm der neue Job keinerlei Raum für seine eigenen publizistischen Neigungen:
"Ich habe es glücklicherweise immer hinbekommen, trotzdem Bücher zu schreiben, weil es mich so besetzt hat und weil es dann einfach so sein musste. Es ist auch so, dass es nicht zu verhindern sein wird, dass es wieder ein Buch von mir geben wird."
Vor zwei Jahren hat er mit seinem Hausverlag S. Fischer einen Kontrakt über eine Caspar-David-Friedrich-Biografie abgeschlossen. Den Vertrag will Florian Illies auf jeden Fall erfüllen. Es könnte nur etwas länger dauern als ursprünglich geplant.