1956 wurde das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) erstmals bei Schimpansen entdeckt. Bereits ein Jahr später gab es den ersten Nachweis des Virus beim Menschen. Eine RS-Virusinfektion kann gerade bei Kleinkindern und bei älteren Menschen sehr schwer verlaufen – etwa eine Lungenentzündung verursachen und einen Krankenhausaufenthalt mit Beatmung notwendig machen. Die starke RSV-Winterwelle ist laut Robert-Koch-Institut aber seit der dritten Januarwoche 2023 vorbei. Bislang gibt es keine zugelassene Schutzimpfung gegen RS-Viren. Aber es kommt Bewegung in die Sache.
Wie verläuft die RSV-Erkrankung – etwa bei Kindern?
Eine RSV-Infektion ist eine Virusinfektion der oberen Atemwege, die alle Altersklassen betrifft. Sie beginnt in der Regel mit Symptomen wie Husten oder Schnupfen. RSV-Erkrankungen verlaufen meist harmlos, unter anderem bei Kleinkindern kann das Virus für lebensbedrohliche Zustände sorgen - mit Symptomen wie Atemnot sowie Entzündungen der Bronchien und der Lunge.
Sie können zu Bronchiolitis - das ist eine Virusinfektion, die die unteren Atemwege von Säuglingen und kleinen Kindern unter 24 Monaten befällt - und Lungenentzündung führen und sind eine der Hauptursachen für Krankenhausaufenthalte bei allen Kleinkindern. Üblicherweise infizieren sich 60 bis 70 Prozent der Säuglinge und nahezu alle Kinder unter zwei Jahren mit RSV. Das Virus ist auch eine häufige Ursache für Lungenentzündungen bei Erwachsenen.
Etwa ein Drittel der infizierten Kinder mussten im Verlauf der RSV-Infektion stationär aufgenommen werden, erklärte Intensivmediziner Florian Hoffmann in Deutschlandfunk Kultur. Das Problem: Im Gegensatz zu einer bakteriellen Lungenentzündung gibt es keine wirklich kurative Therapie. Man kann nur symptomatisch therapieren: mit Nasentropfen, der Gabe von Sauerstoff und notfalls mit einer Magensonde, wenn Kinder nicht mehr essen oder trinken können, weil sie Atemnot haben. Der normale Verlauf der Erkrankung dauere laut Hoffmann in der Regel drei bis fünf Tage.
Warum war die letzte RSV-Welle so heftig?
Das RSV ist sehr ansteckend und verbreitete sich schnell. Hinzu kam im Winter 2022/23 die dünne Personaldecke und die extrem hohe Belastung in Kinderarztpraxen und -kliniken. Intensivmediziner Florian Hoffmann forderte daher unter anderem, Pflegekräfte aus der Erwachsenenmedizin verstärkt auch in der Kinder- und Jugendmedizin einzusetzen. Seit Jahren sei in der Kinder- und Jugendmedizin gespart worden, sagte auch Jakob Maske vom Kinderärzte-Berufsverband Dlf. Das räche sich nun.
Dass Kinder im Winter 2022/23 "überraschend stark erkranken" führt Kinderarzt Hoffmann unter anderem auf die langen Isolationsmaßnahmen während der Hochzeit der Pandemie zurück. Aufgrund der Kontaktbeschränkungen hätte das Immunsystem der Kinder keine Möglichkeit gehabt, mit Viren in Kontakt zu kommen. "Viele Kinder sind es nicht mehr gewohnt, Virusinfektionen zu haben. Und wenn sie eine haben, fällt sie stärker aus."
Das gelte nicht nur für Kinder, sagte Immunologe Carsten Watzl im Dlf. Dass sich so viele Menschen infizierten, habe nichts damit zu tun, dass das Immunsystem in den letzten zwei Jahren durch die Maßnahmen geschwächt worden sei, "sondern dass man seine Immunität bei einigen der Viren regelmäßig auffrischen muss. Und da waren Leute vor einem oder zwei Jahren schon fällig, haben das Virus aber nicht abbekommen, weil wir diese Hygienemaßnahmen hatten. Und jetzt grassieren diese Viren relativ stark, weil sie einfach wieder viele Menschen finden können, die fällig sind und sich damit infizieren können".
Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es bei schweren RSV-Infektionen?
Johannes Liese, Leiter der Infektiologie und Immunologie der Kinderklinik an der Uniklinik Würzburg, war selbst an einer Studie zur Entwicklung eines antiviralen Medikaments gegen das RS-Virus beteiligt. Behandelt werde bei schweren Verläufen bei Kindern und Säuglingen mit Sauerstoff gegen die Atemnot, sagte er im Dezember 2022 im Dlf. Bislang habe man keine antivirale Medikation zur Verfügung. Bei den bisherigen Studien habe sich die Wirksamkeit der erprobten Mittel als nicht ausreichend erwiesen.
Bei der Prophylaxe setze man seit über zehn Jahren auf einen monoklonalen Antikörper, man spreche von passiver Immunisierung, so Liese. Dies geschehe mit einem Antikörper, der sich speziell gegen einen Membran-Eiweißstoff des RS-Virus in seiner Hülle wendet – gegen das sogenannte F-Protein. „Dieser monoklonale Antikörper kann Kindern verabreicht werden. Das ist allerdings ziemlich aufwendig.". Das müsse man monatlich machen, über die gesamte RSV-Saison sollte er fünfmal verabreicht werden. „Das wird als intramuskuläre Spritze gegeben, tut also weh, und es ist von der Wirksamkeit her nicht 100 Prozent, sondern etwa nur 50 Prozent.“
Der Antikörper namens Palivizumab sei auch relativ teuer. Empfohlen wird er laut Liese für Hochrisikogruppen, also Früh- oder Neugeborene, die an einer chronischen Lungenerkrankung oder an einem angeborenen Herzfehler leiden. Ein weiterer monoklonaler Antikörper Nirsevimab soll ab der nächsten RSV-Saison zur Verfügung stehen. Dieses Präparat soll ein halbes Jahr wirksam sein.
Wann ist mit einem Impfstoff gegen das RS-Virus zu rechnen?
Schon seit geraumer Zeit arbeitet die Wissenschaft daran. Bereits in den 1960er-Jahren habe es erste Versuche mit Impfstoffen gegeben, die „aber das Gegenteil bewirkt“ und die Infektion sogar verstärkt hätten, sagte Professor Bernd Salzberger, Leiter der Infektiologie an der Uniklinik Regensburg und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie, im Dlf. Man habe sehr lange gebraucht, um Strukturen im Virus zu finden „gegen die das Immunsystem gute Antikörper und vor allem guten Schutz aufbauen kann“.
Nun gibt es mehrere Impfstoffe in der Entwicklung. In den USA soll noch im Frühjahr ein erster Impfstoff zugelassen werden. Salzberger rechnet damit, dass die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA in der zweiten Jahreshälfte 2023 eine Zulassung, vielleicht auch für zwei Impfstoffe, erteilt wird.
Die Impfstoffe sollen insbesondere älteren Menschen gut helfen. Salzberger erklärt die Wirkungsweise: Der Impfstoff "wirkt, in dem ein Protein, das Protein, was die menschliche Zelle bildet, dem Immunsystem präsentiert wird.“ Dagegen entwickle der geimpfte Mensch gute Antikörper und auch gute T-Zell-Antworten. „Das hilft vor allen Dingen natürlich dann gegen eine schwere Infektion, aber auch gegen die Infektion selbst.“ Und es sei immer so, dass Impfstoffe im Prinzip zuerst für die älteren Menschen entwickelt würden.
Laut Salzberger sind insgesamt vier ähnlich wirkende Impfstoffe in der Entwicklung, zwei davon seien besonders weit. Der Mediziner: „Die helfen beide tatsächlich in der Größenordnung über 90 Prozent gegen schwere Infektionen und in der Größenordnung um die 80 Prozent gegen Infektionen überhaupt. Das ist sehr gut.“ In den Phase-3-Studien mit etwa 30.000 Geimpften habe man auch „seltene neurologische Nebenwirkungen“ gesehen. Man müsse dies wie bei den Corona-Schutzimpfungen genau beobachten.
Warum gibt es noch keine Impfung für Kinder gegen RSV?
Impfstoffentwicklungen für Kinder seien noch mit viel höheren Auflagen und Sicherheitsvorkehrungen verbunden, sagte Professor Salzberger. Der neue Impfstoff sei also erstmal nur für Erwachsene. Es werde noch dauern, bis es Impfstoffe für Kinder und speziell für Kleinkinder gebe. Die jetzt entwickelten Vakzine seien für zwei Gruppen geplant: nämlich für ältere Menschen und für schwangere Frauen. Und wenn Schwangere geimpft würden, könne wie bei anderen Impfungen auch der Säugling geschützt werden. So könne in den nächsten Jahren ein besserer Schutz gegen das RS-Virus erreicht werden.
Martin Winkelheide, Kathrin Kühn, dpa, og, tei