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Rüstungsexportpolitik
Deutsche Waffentechnik für die Türkei

Deutsche Rüstungsexporte in die Türkei sind umstritten. Seit dem gescheiterten Militärputsch von 2016 gehen nur noch vorher genehmigte Exporte über die Bühne. Trotzdem steht der NATO-Partner bei den Kriegswaffenlieferungen aus Deutschland derzeit an Nummer eins.

Von Mathias von Lieben | 16.07.2019
Deutschland liefert Bauteile für U-Boote in die Türkei
Deutschland liefert Bauteile für U-Boote in die Türkei (dpa / picture alliance / Carsten Rehder)
Es sind Zahlen, die Sevim Dagdelen wütend machen: In den ersten vier Monaten dieses Jahres hat die Türkei Kriegswaffen für rund 184 Millionen Euro aus Deutschland erhalten – und ist damit wichtigstes Empfängerländerland unter den Nato-Partnern. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung an die Anfrage der abrüstungspolitischen Sprecherin der Linken-Fraktion im Bundestag hervor. Laut Informationen der Deutschen Presse-Agentur handelt es sich bei den Rüstungsgütern ausschließlich um "Ware für den maritimen Bereich". Konkret: Bauteile für sechs U-Boote, die in der Türkei gebaut werden. Genehmigt wurde die Lieferung bereits 2009, abgesichert hatte sie die Bundesregierung mit einer sogenannten Hermes-Bürgschaft in Höhe von 2,49 Milliarden Euro. Sevim Dagdelen:
"Ich finde die Genehmigungen der Kriegswaffen waren vor vornherein falsch. Aber dass die Bundesregierung jetzt trotz der aktuellen türkischen Aggressionspolitik im Mittelmeer gegenüber dem EU-Mitglied Zypern diese Kriegswaffen tatsächlich auch ausliefern lässt, halte ich für in hohem Grade unverantwortlich."
Streit wegen Erdgasbohrungen
Ein von Kriegsschiffen eskortiertes Schiff aus der Türkei bohrt derzeit an der Ostküste Zyperns nach Erdgas. Das Vorgehen begründet Ankara damit, dass die türkisch-zyprische Bevölkerung im Norden der Insel ein Anrecht auf die Rohstoffvorkommen in der Region habe. Zyprische Regierungsvertreter werfen der Türkei indes vor, ihren Einfluss auf die östliche Mittelmeerregion ausweiten zu wollen. Für weitere Bohrungen will die Türkei auch den griechischen Teil der Insel im Südwesten ansteuern und würde damit – so der Vorwurf der EU – den europäischen Wirtschaftsraum verletzen. Daher hatten die EU-Außenminister gestern bei ihrem Treffen in Brüssel einen Beschluss gefasst: So sollen unter anderem EU-Gelder für die Türkei gekürzt, die Verhandlungen über ein Luftverkehrsabkommen eingestellt werden und die Europäische Investitionsbank soll angehalten, ihre Kreditvergabe an das Land auf den Prüfstand zu stellen. Michael Roth, Staatssekretär im Auswärtigen Amt und dort zuständig für Europafragen, hatte nach dem Treffen klargemacht:
"Die Provokationen in der Türkei sind für uns alle inakzeptabel und wir stehen hier auf der Seite Zyperns. Wir haben jetzt eine Sprache gefunden, die uns alle Optionen offen lässt. Selbstverständlich auch die von Sanktionen."
Linken-Politikerin Dagdelen findet das widersprüchlich:
"Und da halte ich es für eine pure Heuchelei, wenn die Bundesregierung zwar die Solidarität mit Zypern auf EU-Ebene beschwört aber zugleich die Mittel für die Aggressionen gegenüber Zypern sozusagen an die Hand legt."
Gesamtvolumen der Exportgenehmigungen verdoppelt
Seit dem gescheiterten Militärputsch von 2016 in der Türkei werden die sogenannten Hermes-Bürgschaften zwar nicht mehr erteilt, bereits genehmigte Rüstungsexporte in die Türkei gehen aber weiter ganz normal über die Bühne. So machten auch im vergangenen Jahr Lieferungen an die Türkei mit knapp 240 Millionen Euro rund ein Drittel aller deutschen Exporte aus, in den ersten vier Monaten dieses Jahres sogar fast zwei Drittel. Wie aus dem Rüstungsexportbericht der Bundesregierung für 2018 hervorgeht, der bereits im Juni vorgestellt wurde, hat sich auch das Gesamtvolumen der neuen Exportgenehmigungen der Bundesregierung für die Türkei im ersten Halbjahr 2019 im Vergleich zum Gesamtjahr 2018 fast verdoppelt. So wurden bis Anfang Juni 139 Einzelanträge genehmigt. Gesamtwert: Rund 23 Millionen Euro.
"Wir brauchen einen umfassenden Rüstungsexportstopp. Das heißt: Sowohl für Genehmigungen als auch für die tatsächlich Ausfuhr von bereits genehmigten Waffengütern."
Eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums teilte dem Deutschlandfunk-Hauptstadtstudio auf Anfrage mit, dass die Bundesregierung zu Einzelfällen keine weitere Auskunft geben kann. Sie verwies jedoch auf die restriktive Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung, die nach sorgfältiger Prüfung und unter Einbeziehung außen- und sicherheitspolitischer Erwägungen gestaltet wird.
Der Streit um Rüstungsexporte dürfte genauso weitergehen wie der zwischen der EU und der Türkei. Denn das türkische Außenministerium hat der EU inzwischen Voreingenommenheit vorgeworfen. Die EU tue so, als ob die türkischen Zyprer nicht existieren, kritisierte das türkische Außenministerium an diesem Vormittag in einer Mitteilung. Die Entscheidung der EU-Außenminister vom Montag, Sanktionen wegen der Erdgasförderung zu erheben, werde Ankara nicht abschrecken.