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Rumänien
Die Spuren Nicolae Ceausescus

Die lange Herrschaft Nicolae Ceausescus kollabierte 1989 schnell: Vom Beginn erster Proteste, über die Flucht des Tyrannen bis zu seiner Hinrichtung vergingen knapp zehn Tage. Auf den 25. Jahrestag seines Todes blicken viele Rumänen mit gemischten Gefühlen.

Von Annett Müller | 12.12.2014
    Der Grabstein von Nicolae Ceausescu und seiner Frau Elena in Bukarest.
    Der Grabstein von Nicolae Ceausescu und seiner Frau Elena in Bukarest. (picture alliance / EPA / Robert Ghement)
    Elena Calistru betritt ihre Ein-Raum-Wohnung in einem Bukarester Wohnblock aus der Ceausescu-Zeit. Neuerdings ist das ihr Büro. Darin: Ein Sofa, ein Schreibtisch, elf Freunde. Gemeinsam arbeiten sie in einer Nichtregierungsorganisation - "Funky Citizens", die "ungewöhnlichen Bürger" nennen sie sich. Zum Arbeiten brauchen sie lediglich: eine stabile Internetleitung, ihr Smartphone, ihre Notebooks und eine Kaffeemaschine. Die 28-jährige Elena gehört zu der Generation, die das Ceausescu-Regime vor allem aus Erzählungen kennen:
    "Es stimmt mich traurig, wenn Leute, die die Ceausescu-Zeit erlebt haben, sagen, dass es früher besser war. Dieses Regime wirft noch heute seine Schatten. Das merkt man daran, dass die Behörden ineffizient arbeiten, dass es Korruption gibt und eine rückständige Mentalität, wie man die Dinge angeht."
    Probleme als Inspirationsquelle
    Für Elena und ihre NGO sind all diese Probleme eine Inspirationsquelle. Sie haben beispielsweise einen virtuellen Wegweiser entworfen, mit dem Bürger effizienter bei Behörden anfragen können. Sie müssen einfach nur ein Online-Standardformular ausfüllen. Darin wird der Beamte freundlich auf seine Auskunftspflicht hingewiesen. Das sei der richtige Umgangston für die rumänische Verwaltung, meint Calistru:
    "Den Behörden sagt man bis heute eine kommunistische Mentalität nach, weil sie keinen offenen Umgang pflegen. Sie scheinen vielmehr Sachen zu vertuschen. Auch deshalb dauert die Beantwortung von Anfragen oft wochenlang. Viele Beamte denken: "Darf ich das überhaupt öffentlich machen? Begehe ich hier nicht einen Fehler? Was, wenn der auf mich zurückfällt?" Die Beamten haben immer noch Angst, Verantwortung zu übernehmen."
    Sehnsucht nach Normalität
    Elena Calistru und ihre NGO arbeiten, wie sie sich das von ihrer öffentlichen Verwaltung wünschen: Schnell, transparent, gutgelaunt. Calistru hätte wie viele ihrer Freunde auswandern können. Doch Rumänien zu verändern, sei viel spannender, sagt sie:
    "Unsere Eltern haben immer wieder gehört, sie seien die Generation gewesen, die sich für die schwere Übergangszeit vom Kommunismus zur Demokratie habe opfern müssen. Wir wollen uns nicht auch noch opfern müssen. Wir sind viel in Westeuropa gereist, haben Zugang zu einer Menge Informationen, und wir wissen, wie eine Demokratie aussehen sollte. Wir wollen einfach nur Normalität. In Rumänien aber kommt das etwas Revolutionärem gleich."
    Der rumänische Staats- und Parteichef Nicolae Ceausescu (M) winkt am 24. November 1989 nach dem Parteitag in Bukarest der jubelnden Bevölkerung zu. Im Hintergrund rot gekleidete junge Männer, die rote Tücher schwenken. Ceausescu wurde an diesem Tag zum Abschluß des 14. Parteitages der rumänischen KP einstimmig wiedergewählt. Kurz darauf, am 22. Dezember 1989 wurde er durch einen Aufstand gestürzt, verhaftet, nach einem Geheimprozeß durch ein Sondergericht zum Tode verurteilt und gemeinsam mit seiner Frau Elena am 25. Dezember 1989 hingerichtet.
    24. November 1989: Der rumänische Staats- und Parteichef Nicolae Ceaușescu (M.) – etwa einen Monat später wurde er gestürzt. (picture-alliance / dpa / epa afp)
    Die Eltern von Nicoleta und Iulia Moraru haben hingegen Rumänien verlassen, damit sie eine Zukunft haben. Die Mädchen wachsen deshalb bei ihrer Großmutter im siebenbürgischen Victoria auf.
    Victoria als florierende Arbeiterstadt
    In der Ceausescu-Zeit war Victoria eine florierende Arbeiterstadt. Ein riesiges Chemiekombinat beschäftigte 7.000 Menschen. Auch die Großmutter von Nicoleta und Iulia hat dort ein Leben lang gearbeitet. Sie wartet zuhause auf ihre beiden Enkel, das Mittagessen dampft auf dem Küchentisch. Wenn sich die 60-jährige Maria erinnert, hören die Mädchen erstaunt zu. Ihre Oma spricht von Zeiten, die längst vergangen sind:
    "Ceausescu besuchte eines Tages unsere Fabrik, er landete mit einem Helikopter. Die Gewerkschaft sagte: ‚Ihr steht hier, die anderen dort und rührt Euch bloßnicht vom Fleck. Applaudiert, ruft, schön, dass Sie da sind.'So war das Leben damals. Wie soll ich sagen: Wir haben uns gefreut, wie man sich eben über jeden Besuch freut, der kommt. Und wenn der Besuch wieder abreist, freut man sich manchmal noch mehr."
    Wie Maria hofften viele andere, dass es nach dem Sturz des Diktators mit Rumänien aufwärts gehen würde. Doch das Chemiekombinat, das zwar dem reichsten Mann des Landes gehört, steht kurz vor der Pleite, seit die Subventionen vom Staat ausbleiben. Tausende Arbeiter wurden in Frührente geschickt oder entlassen.
    Die Großmutter hat deshalb gemischte Gefühle, wenn sich dieser Tage der Sturz des Diktators zum 25. Mal jährt:
    "Wir hätten ihn nicht erschießen, sondern ins Gefängnis stecken und sein Geld beschlagnahmen sollen. So wie wir jetzt auch mit den korrupten Politikern umgehen sollten. Was haben die sich für Villen gebaut. Wer sein Geld ehrlich verdient, ist nie so reich geworden. Wir haben jetzt eine Menge Politiker, die sich aufführen wie einst Ceausescu."