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Rumänische Haftanstalten
Überbelegte Zellen und menschenunwürdige Zustände

Rumäniens Haftanstalten stehen in der Kritik von Menschenrechtsorganisationen. Schon mehrfach kämpften Gefangene vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen die menschenunwürdigen Haftbedingungen und bekamen Recht. Die Gefängnisse sind überbelegt und in einem schlechten Zustand - und nur langsam ändert sich etwas.

Von Annett Müller | 03.01.2016
    Flur im geschlossenen Strafvollzug im Frauengefängnis im südrumänischen Targsor. Die Gefängnisverwaltung verbot, vergitterte Zimmertüren und -fenster zu fotografieren. Die Bilder sollten nicht ans Gefängnis erinnern. Vom Flur aus dürfen die Frauen ihre Familie anrufen, viel Privatsphäre bleibt hier nicht.
    Flur im geschlossenen Strafvollzug im Frauengefängnis im südrumänischen Targsor. Die Gefängnisverwaltung verbot, vergitterte Zimmertüren und -fenster zu fotografieren. Die Bilder sollten nicht ans Gefängnis erinnern. (Deutschlandradio - Annett Müller)
    Mittagszeit im Gefängnis im südrumänischen Targsor. Rund 50 Frauen drängen zur Kantine auf dem Gelände der Haftanstalt. Eva Kovacs lässt die Bohnensuppe erst mal stehen, denn sie hat nur selten jemanden zu Besuch. Sie hat sich zurechtgemacht, trägt einen Haarreif im dunkelblonden Haar. Früher war Kovacs eine angesehene Englischlehrerin an einer siebenbürgischen Universität. Seit ihrem Mord ist jedoch alles anders. Ihre Familie hat sich von ihr losgesagt, die meisten Freunde sowieso. Mit gebrochener Stimme erzählt die 48-Jährige, dass sie ihre Mutter im Streit erschlug.
    "Ich wollte sie nicht töten und es ist dennoch passiert. Ich habe oft darüber nachgedacht und viel gebetet für meine Mutter, die das Opfer dieses Verbrechens ist. Ich habe doch studiert und moralische Regeln. Die Tat aber konnte ich nicht kontrollieren. Ich stand wie unter einem schlechten Stern."
    Sieben Jahre ist Kovacs nun schon in Haft. Ihre Tage und Nächte teilt sie sich seither in ihrer Zelle mit 14 anderen Frauen. Jede Gefangene sollte mindestens vier Quadratmeter Platz für sich haben. Das empfiehlt der Europarat als menschenwürdig. Kovacs hat etwas mehr als zwei. Das ist Bettgröße. Kaum mehr. Die Frauen schlafen in Doppelstockbetten, damit überhaupt alle in die Zelle passen. Platz gibt es noch für den Gang zum WC und zur Zellentür.
    Europäisches Komitee zur Verhütung von Folter kritisiert Haftanstalt von Targsor
    Das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter, kurz CPT, das in Europa die Einhaltung der Menschenrechte in Gefängnissen überwacht, kritisierte zuletzt die Haftanstalt von Targsor als heillos überfüllt. In vielen anderen Gefängnissen in Rumänien sieht es ähnlich aus. Das Komitee schrieb in seinem Bericht, die Überbelegung sei umso besorgniserregender, weil die Gefangenen fast die gesamte Zeit in ihren Zellen seien.
    "Wie viel Platz ich hier für mich habe? Ich weiß es nicht. Ich habe ihn nie ausgemessen."
    Ihr Bett teilt Kovacs sich mit ihren Büchern, ein Regal hat sie nicht. Den Platz unterm Bett hat sie zum Schrank umfunktioniert. Sie verstaut dort ihre wenigen Habseligkeiten in einer Plastiktasche: einen Wintermantel, die nötigsten Hygieneartikel, ein paar Schuhe zum Wechseln.
    Das Gefängnis von Targsor ist das einzige Frauengefängnis Rumäniens. Dort sitzen derzeit rund 650 Frauen ein. Sie dürfen, sollten sie schwanger sein, ihr Kind bis zum Alter von einem Lebensjahr mit in der Haftanstalt behalten. Die Gefängnisverwaltung ANP ist stolz auf solche Räume. Sie zeigen die menschliche Seite in den rumänischen Gefängnissen.
    Das Gefängnis von Targsor ist das einzige Frauengefängnis Rumäniens. Dort sitzen derzeit rund 650 Frauen ein. Sie dürfen, sollten sie schwanger sein, ihr Kind bis zum Alter von einem Lebensjahr mit in der Haftanstalt behalten. Die Gefängnisverwaltung ANP ist stolz auf solche Räume. Sie zeigen die menschliche Seite in den rumänischen Gefängnissen. (Deutschlandradio - Annett Müller)
    "Ein Gefängnis bedeutet nun mal viele Leute auf einem Haufen. So habe ich es in Filmen gesehen, so kenne ich es aus Büchern, so erlebe ich es hier. Das ist aber nicht schlimm. Wir müssen lernen, miteinander auszukommen."
    In Kovacs Zelle blättert die Farbe von den Wänden, die Betten sind durchgewetzt, warmes Wasser gibt es nur zwei Stunden pro Tag. Doch Kovacs klagt nicht. Immer wieder schaut sie unsicher zur Vollzugsbeamtin, die das Gespräch überwacht. Bei guter Führung wird ihr ein Drittel auf Bewährung erlassen. Sie käme damit nach neun Haftjahren wieder auf freien Fuß.
    Rumänische Gefängnisse sind eher Verwahranstalten
    Bis heute sind die rumänischen Gefängnisse oftmals Verwahranstalten, in denen Mörder, Diebe und Betrüger vor der Gesellschaft weggeschlossen werden. Deren Strafe aber sollte im Freiheitsentzug bestehen. Die Gefangenen dürfen nicht gedemütigt oder erniedrigt werden - weder durch Platzmangel, minderwertiges Essen noch durch den Entzug von Frischluft. Das besagt die Europäische Menschenrechtskonvention des Europarates. Im Mitgliedsland Rumänien ist das oft nur Theorie.
    Florin Stanciu sitzt in seinem Büro in Targsor. Der Gefängnisdirektor ist ein großer, kräftiger Mann. Über die unzulänglichen Haftbedingungen will er am liebsten nicht sprechen. Die Situation sei gar nicht so dramatisch, wie Menschenrechtsorganisationen sie immer wieder beschreiben, sagt er.
    Außenaufnahme vom Frauengefängnis Targsor. Auf dem staatlich gesponserten Plakat rechts steht: Wir sind das Produkt der Umgebung, in der wir leben. Geworben wird für eine bessere Wiedereingliederung der Häftlinge in die Gesellschaft. In der Realität werden die Ex-Häftlinge oft stigmatisiert.
    Außenaufnahme vom Frauengefängnis Targsor. Auf dem staatlich gesponserten Plakat rechts steht: Wir sind das Produkt der Umgebung, in der wir leben. Geworben wird für eine bessere Wiedereingliederung der Häftlinge in die Gesellschaft. In der Realität werde (Deutschlandradio - Annett Müller)
    "Es ist nun nicht so, dass sich zwei Frauen ein Bett teilen müssen. Sie haben hier alle ihr eigenes Bett. Seitdem ich hier 2012 Direktor wurde, kenne ich keinen Fall, dass zwei in einem Bett geschlafen hätten - außer sie wollten es."
    Stancius Gefängnis platzt wie die meisten anderen Haftanstalten in Rumänien aus allen Nähten. Statt zu 100 Prozent sind sie in der Regel zu 150 Prozent ausgelastet. Das heißt, viele Gefangene leben auf engstem Raum. Direktor Stanciu könnte problemlos anbauen, denn das Gefängnis liegt am Dorfrand von Targsor. Stanciu aber fehlen die finanziellen Mittel:
    "Es würde uns helfen, wenn die verantwortlichen Politiker uns mehr Aufmerksamkeit schenken würden, was unser Budget für die Gefängnisse angeht. Das wäre wirklich etwas. Der Fakt allein, dass sie über die Haftbedingungen diskutieren und sagen, die seien nicht sehr gut, hilft uns gar nichts."
    Dransalierung und Schikanierung der Häftlinge
    Den Gefängnisverwaltungen mangelt es jedoch nicht nur am Geld, um die schlechten Haftbedingungen abzuschaffen. Die Anwältin Nicoleta Popescu zieht im Büro der Bukarester Menschenrechtsorganisation APADOR-CH einen Stapel Briefe aus dem Regal.
    Sie stammen von Gefangenen, die nicht nur zu wenig Platz in der Zelle haben, sondern sich vom Gefängnispersonal schikaniert und drangsaliert fühlen. Hier mangele es an Respekt, statt an Geld, sagt Popescu:
    "Es gibt Gefängnisse, in denen die U-Haftzellen beispielsweise kein WC haben. Es passiert, dass Häftlinge in der Nacht nicht auf die Toilette gelassen werden. Sie sind völlig in der Hand der Aufseher, die, wenn die Gefangenen laut an die Türen schlagen, diese entweder öffnen oder nicht."
    Selbstgebastelter Ikonenschrein in einer Zelle im Frauengefängnis von Targsor. Weil es kaum Therapieangebote gibt, suchen die Frauen ihr Heil in der orthodoxen Kirche. Sie hoffen, mit dem Glauben ihre Sünden zu bewältigen.
    Selbstgebastelter Ikonenschrein in einer Zelle im Frauengefängnis von Targsor. Weil es kaum Therapieangebote gibt, suchen die Frauen ihr Heil in der orthodoxen Kirche. Sie hoffen, mit dem Glauben ihre Sünden zu bewältigen. (Deutschlandradio - Annett Müller)
    Drill und unbedingter Gehorsam sind in vielen rumänischen Haftanstalten an der Tagesordnung. Die Gefängnisverwaltung ANP lässt sich hier ungern in die Karten schauen. Erst nach monatelangen Anfragen genehmigt sie einen Blick hinter die Gefängnismauern - natürlich nur in die Ecken, die sie für vorzeigbar hält.
    Ein Interview mit Gefangenen, die wegen ihrer Haftbedingungen bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg klagen, gestattet die Verwaltung nicht. Anwältin Popescu hat ähnliche Erfahrungen gemacht:
    "Viele meiner Mandanten klagen, dass man ihnen klar macht, dem System besser keine Probleme zu bereiten. Dass man lieber schön artig ist. Wer das nicht ist, dem gibt man indirekt zu verstehen, dass es im Gegenzug womöglich keine frühere Haftentlassung auf Bewährung gibt. Man droht ihnen - eintreten tut das natürlich nicht."
    140 Mal wegen miserabler Haftbedingungen verurteilt
    In den vergangenen fünf Jahren hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Rumänien rund 140 Mal wegen seiner miserablen Haftbedingungen verurteilt – so oft wie kein anderes Land in der EU. Mehr als eine Million Euro Schadensersatz musste der Staat an Gefangene zahlen, die auf ihre Menschenrechte pochten.
    Die rumänischen Gefängnisbauten sind oftmals bis zu 100 Jahre alt und müssten dringend saniert werden. Die Häftlinge klagen dort neben Platzmangel, über verschmutztes Trinkwasser, Ungeziefer in den Zellen und ungenießbares Essen.
    Jedes Urteil aus Straßburg legt den Finger in die Wunde. Und in der Tat: Durch diesen Druck bewegt sich langsam etwas. Hunderte Haftplätze wurden in den vergangenen Jahren saniert oder neu geschaffen.
    Ein Tropfen auf den heißen Stein. Bei diesem Sanierungstempo bräuchte Rumänien noch Jahrzehnte, um seine Haftanstalten in menschenwürdige Orte zu verwandeln. Der Straßburger Gerichtshof könnte das Land aber mit einem Grundsatzurteil dazu zwingen, das Problem in wenigen Jahren zu lösen. Die neue, parteilose Justizministerin Raluca Pruna will nichts schönreden.
    "Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass wir hier ein schwerwiegendes Problem haben, was die Menschenrechte betrifft und dass Rumänien das in einem relativ kurzen Zeitraum lösen müsste. Das Problem ist nur, die Dinge werden sich keinesfalls von heute auf morgen lösen lassen."
    Um die chronische Überbelegung in den Griff zu bekommen, wären hunderte Millionen Euro nötig. Geld, das das EU-Land derzeit nicht hat. Italien kämpft bei den Haftbedingungen seit Jahren mit einem ähnlichen Problem.
    Wunsch nach EU-Unterstützung
    Beide Staaten haben deshalb im Frühjahr 2015 gemeinsam die EU-Kommission um finanzielle Hilfe gebeten. Brüssel soll Geld für neue Gefängnisbauten und für Projekte zur Resozialisierung geben. Über zehn weitere EU-Länder unterstützen diese Forderung, darunter Bulgarien, Griechenland und Zypern. Auch sie bräuchten dringend solche Mittel. Justizministerin Raluca Pruna:
    "Wir wollen das Problem nicht an die EU-Kommission abgeben. Wir wollen vielmehr signalisieren, dass, wenn wir die Situation in den Gefängnissen in einem angemessenen Zeitraum lösen wollen, es gut wäre, neben den nationalen Geldern auch EU-Mittel zu bekommen."
    Die neue rumänische Justizministerin Raluca Pruna verspricht, sich für die Menschenrechte verstärkt stark zu machen. Die Juristin arbeitete zuletzt für die EU-Kommission in Brüssel. Derzeit ist sie Mitglied einer Technokraten-Regierung, die Rumänien bis zu den Parlamentswahlen in November 2016 regieren soll.
    Die neue rumänische Justizministerin Raluca Pruna verspricht, sich für die Menschenrechte verstärkt stark zu machen. Die Juristin arbeitete zuletzt für die EU-Kommission in Brüssel. Derzeit ist sie Mitglied einer Technokraten-Regierung, die Rumänien bis zu den Parlamentswahlen in November 2016 regieren soll. (Deutschlandradio - Annett Müller)
    Wer in Rumänien als Straftäter einsitzt, ist fernab der Öffentlichkeit und in der Regel kein Thema - auch nicht für die Politik. Auch die Bukarester Regierung interessiert die unmenschlichen Gefängnisbedingungen nur wenig. Doch inzwischen haben die Strafgefangenen illustre Lobbyisten: Parlamentarier, gegen die gerade ermittelt wird oder Ex-Politiker, die bereits wegen millionenschwerer Korruption hinter Gittern sitzen.
    Zwar machen die derzeit nur ein Prozent der gut 30.000 Strafgefangenen in Rumänien aus, doch können sie sich gute Anwälte leisten. Und sie sind immer noch bestens vernetzt mit den Medien - so wie Elena Udrea. Die konservative Parlamentarierin ist wegen Korruption angeklagt. Im vorigen Jahr saß sie deshalb zeitweilig in U-Haft. Über ihre miserablen Haftbedingungen unterrichtete sie später das Parlament:
    "Die Zelle hatte nur ein Plumpsklo, das nicht einmal durch eine Tür vom Raum abgetrennt war. Nachts legten wir eine Plastikflasche auf die Kloöffnung, damit die Ratten nicht durchs Rohr kamen. Liebe Kollegen, verstehen Sie meinen Bericht nicht als Vorwurf. Im Gegenteil – ich muss Ihnen gewissermaßen dankbar seien, Sie haben mir die Augen geöffnet."
    Udrea sorgt immer für Journalistenandrang
    Zweimal die Woche muss sich die gesetzesuntreue Politikerin zurzeit auf einer Bukarester Polizeistation zurückmelden. Sie lässt sich in einem schwarzen Mercedes vorfahren. Bei Wind und Wetter wartet eine Handvoll Journalisten vor dem mausgrauen Altbau der Polizeistation. Udrea hat das Problem der Haftbedingungen lange Zeit nicht wahrgenommen. Vier Jahre lang gehörte sie als Regionalministerin zu einem konservativen Regierungskabinett, das das Thema beharrlich ignorierte.
    Dass sie nun - wo ihr ein Prozess droht - aktiv wird, halten viele für anstößig. Schließlich versuchen immer wieder Politiker in Rumänien, den erfolgreichen Anti-Korruptionskampf im Land zu vereiteln oder zumindest abzubremsen. Wird Udrea verurteilt, drohen ihr mehrere Jahre Haft im einzigen Frauengefängnis des Landes, in Targsor:
    "Man fragt mich oft, warum ich mich nicht früher um das Thema gekümmert habe. Gut, aber immerhin kümmere mich jetzt darum. Angesichts der Diskussion, die ich losgetreten habe, hat man immerhin einige Bukarester U-Haft-Zellen menschenwürdiger gestaltet. Davon profitieren jetzt andere, nicht ich. Ich versuche immer, die Dinge zum Guten zu verändern."
    Jedes Mal wird Elena Udrea von Journalisten umringt, die sie zur aktuellen Tagespolitik befragen oder zu den Haftbedingungen. Udrea saß 2015 über zwei Monate in U-Haft und machte danach die menschenunwürdigen Bedingungen in einer Rede vor dem Parlament öffentlich. Gegen die 42-jährige Politikern laufen mehrere Korruptionsermittlungen. Sollte sie verurteilt werden, drohen ihre mehrere Jahre Haft.
    Jedes Mal wird Elena Udrea von Journalisten umringt, die sie zur aktuellen Tagespolitik befragen oder zu den Haftbedingungen. Udrea saß 2015 über zwei Monate in U-Haft und machte danach die menschenunwürdigen Bedingungen in einer Rede vor dem Parlament öffentlich. Gegen die 42-jährige Politikern laufen mehrere Korruptionsermittlungen. Sollte sie verurteilt werden, drohen ihre mehrere Jahre Haft. (Deutschlandradio - Annett Müller)
    Erstmals haben die unmenschlichen Haftbedingungen in Rumänien medial für etwas Aufmerksamkeit gesorgt. Populär ist das Thema dennoch nicht, denn viele Menschen haben neben existenziellen Sorgen noch ganz andere Nöte: Zahlreiche staatliche Krankenhäuser und Schulen - vor allem in den Kleinstädten - müssten dringend renoviert werden. Hier wächst der Schimmel an den Wänden, gibt es Kakerlaken in den Ecken und dreckige Plumpsklos, ähnlich wie in den Haftanstalten. Für die Lebensumstände der Häftlinge in den Gefängnissen haben die meisten Bürger deshalb nur wenig Verständnis.
    - "Wir sind nun mal kein so reiches und entwickeltes Land, dass wir gute Haftbedingungen bieten könnten. Wer eine Straftat begangen hat, muss dafür auch leiden."
    - "Dem Durchschnittsbürger geht es schlecht. Was kümmert es uns, wie es den Leuten in den Gefängnissen geht? Sie sollten dort erst gar nicht landen."
    - "Es stimmt, die Haftbedingungen sind schlecht. Doch der Mensch interessiert sich nur dafür, wenn er ins Gefängnis muss. Lassen Sie alle korrupten Politiker rein, damit sie sehen, wie es ist und vielleicht schaffen sie dann Ordnung."
    36 Gefängnisse gibt es in Rumänien. Zehn neue müssten rein rechnerisch gebaut werden, um allen Gefangenen ausreichend Platz zu sichern. Also einfach nur neue Strafanstalten planen? Oder, wie rumänische Politiker immer wieder vorschlagen, Tausende Strafgefangene begnadigen, damit die Gefängnisse leerer werden?
    Viele Häftlinge werden rückfällig
    Soziologen warnen, dass damit das Problem nicht an seinen Ursachen gelöst würde. Die Haftanstalten seien auch deshalb so überfüllt, weil fast 50 Prozent der Gefangenen wieder straffällig wird. Denn nach ihrer Freilassung gibt es wenig, was ihnen Halt bietet. Manchmal ist dazu nicht einmal mehr die Familie bereit.
    Die Soziologin Maria Andreescu von der Menschenrechtsorganisation APADOR-CH fordert seit Jahren eine bessere staatliche Wiedereingliederung ehemaliger Häftlinge in die Gesellschaft. Doch vielen fehlt die Einsicht dafür:
    "Wir haben als Gesellschaft noch nicht verinnerlicht, dass die Haftstrafen zum einen eine Bestrafung sind, es aber zum anderen gleichzeitig auch um eine Resozialisierung in die Gesellschaft geht. Bislang leben die Gefangenen unter Bedingungen, die krank machen und wo sie nach ihrer Entlassung kaum eine zweite Chance bekommen. Somit sind neue Straftaten vorprogrammiert."
    Ein Tropfen auf den heißen Stein sind auch die wenigen Bildungs- und Therapieprogramme, die die Gefangenen auf die Zeit nach ihrer Haft vorbereiten sollen. In den Haftanstalten werden dafür Lehrer, Psychologen oder Sozialtherapeuten angeheuert. Doch kommen auf eine Fachkraft oft Hunderte Häftlinge - betreut wird damit nur, wer am lautesten fordert. Für mehr Spezialisten fehlt wieder mal das Geld.
    Außenaufnahme der Haftanstalt vom südrumänischen Colibasi. Der Bau stammt von 1967. Zunächst wurden die Gebäude von der Automobilindustrie genutzt. Von 1977 an wurde die Anlage als Gefängnis genutzt. Auf dem staatlich gesponserten Plakat rechts steht: Wir sind das Produkt der Umgebung, in der wir leben. Geworben wird für eine bessere Wiedereingliederung der Häftlinge in die Gesellschaft. In der Realität werden die Ex-Häftlinge oft stigmatisiert.
    Außenaufnahme der Haftanstalt vom südrumänischen Colibasi. Der Bau stammt von 1967. Zunächst wurden die Gebäude von der Automobilindustrie genutzt. Von 1977 an wurde die Anlage als Gefängnis genutzt. Auf dem staatlich gesponserten Plakat rechts steht: Wir sind das Produkt der Umgebung, in der wir leben. Geworben wird für eine bessere Wiedereingliederung der Häftlinge in die Gesellschaft. In der Realität werden die Ex-Häftlinge oft stigmatisiert. (Deutschlandradio - Annett Müller)
    Mihaela Sasarman arbeitet seit 19 Jahren als Sozialarbeiterin in rumänischen Gefängnissen. Derzeit kommt sie einmal wöchentlich in die Haftanstalt im südrumänischen Colibasi und hilft Gewaltverbrechern bei ihrer Resozialisierung.
    "Unser Therapieprogramm wird Sie womöglich nicht großartig beeindrucken, denn in Westeuropa ist so etwas gang und gäbe. Für uns ist das aber etwas Besonderes, denn es gibt nicht viel Geld oder Personal für solche Programme, dass sie auch kontinuierlich laufen."
    Auch die Gefängnisleitung in Colibasi kann Sasarman derzeit nichts zahlen. Die 57-Jährige macht dennoch weiter. Vielleicht ist ja im neuen Jahresbudget mehr Geld da, sagt sie. Sie würde diesen Job nicht machen, wenn sie keine Hoffnung hätte.
    Etwas später sitzt die Sozialarbeiterin mit sechs Strafgefangenen im Klubraum. Ein Ölradiator sorgt für ein bisschen Wärme. Sasarman zieht ihre Winterjacke erst gar nicht aus. Sie will den Männern beibringen, sich selbst zu kontrollieren und Konflikte ohne Gewalt zu lösen.
    Immer wieder kommt es zu Gewaltausbrüchen
    Sasarman kennt die engen Zellen der Gefangenen, die sich dort die Langeweile teilen oder das Fernsehprogramm. Sich bei Konflikten aus dem Weg zu gehen, ist nicht möglich. Immer wieder kommt es zu Gewaltausbrüchen:
    "Wenn du im Gefängnis keinen Schneid hast, dann wirst du an den Rand gedrängt, geschlagen, beleidigt. Hier gibt es Clans, die lachen dich aus, weil du verprügelt worden bist, aber nichts dagegen unternommen hast."
    Ein bärtiger 30-Jähriger will Sasarmans Mitgefühl wecken. Die Sozialarbeiterin nimmt ihn ernst, duzt ihn nicht. Sie erzählt ihm geduldig, wie man Würde und Stolz auch ohne Gewalt erreichen kann. Sie lockt die Männer dabei verbal aus der Reserve, bis sie keine Argumente mehr haben.
    Der Gefängnisdirektor in der südrumänischen Stadt Colibasi, Emanuel Conea, will möglichst viele Gefangene während ihrer Haftzeit in Lohn und Brot bringen. Anders als in Deutschland besteht in den rumänischen Haftanstalten keine Arbeitspflicht. Viele Arbeitgeber haben Berührungsängste, mit Häftlingen zu arbeiten, meint Conea. Rund 50 Prozent der insgesamt 720 Gefangenen in Colibasi arbeiten dennoch.
    Der Gefängnisdirektor in der südrumänischen Stadt Colibasi, Emanuel Conea, will möglichst viele Gefangene während ihrer Haftzeit in Lohn und Brot bringen. Anders als in Deutschland besteht in den rumänischen Haftanstalten keine Arbeitspflicht. Viele Arbeitgeber haben Berührungsängste, mit Häftlingen zu arbeiten, meint Conea. Rund 50 Prozent der insgesamt 720 Gefangenen in Colibasi arbeiten dennoch. (Deutschlandradio - Annett Müller)
    Später im Büro trifft Sasarman Gefängnisdirektor Emanuel Conea. Der mit 38 Jahren jüngste Anstaltsleiter im Land versucht in seinem Gefängnis in Colibasi neue Wege zu gehen. Sasarmans Therapie hält er für wichtig, doch am liebsten hat es Conea, wenn er den inhaftierten Männern Arbeit geben kann. Mit einer Beschäftigung kommen sie weniger auf dumme Gedanken, sagt er.
    Viele Arbeitgeber haben dennoch Berührungsängste. Nicht einmal 30 Prozent aller rumänischen Strafgefangenen können arbeiten. Der Rest harrt in den Zellen aus.
    Rumänische Holzornamente für Stühle, die in der Tischlerei der Haftanstalt von Colibasi entstehen.
    Rumänische Holzornamente für Stühle, die in der Tischlerei der Haftanstalt von Colibasi entstehen. (Deutschlandradio - Annett Müller)
    Einen Job nach der Freilassung zu finden, ist noch schwerer. Wer einmal in Haft saß, trägt daran lebenslang. Straftäter bleibt Straftäter, meint die Mehrheit der Rumänen. Gefängnisdirektor Conea sieht das anders:
    "Man muss allen eine Chance geben. Eine zweite oder die wievielte auch immer, um sie wieder ins Alltagsleben einzugliedern. Doch wir im Gefängnis schaffen das nicht allein. Wir brauchen hier die Unterstützung der Gesellschaft."
    Gesellschaft gibt Ex-Häftlingen keine Chance
    Die Gefangene Eva Kovacs weiß sehr wohl, dass sie nach ihrer Entlassung aus Targsor auf niemanden zählen kann. An ihren früheren Beruf als Lehrerin ist nicht mehr zu denken - nicht als einstige Mörderin, sagt sie:
    "In Rumänien gibt es viele Vorurteile. Man meint, dass entlassene Häftlinge ein Leben lang isoliert werden müssten. Sie haben Angst vor einem. Ich sage immer, nach den Mauern des Gefängnisses werde ich in der Freiheit wieder auf Mauern stoßen. Doch ich muss meinen Weg finden."
    Die Haftanstalt von Colibasi lässt das Brot von den eigenen Gefangenen backen. Die bekommen im Gegenzug für die Arbeit einen Teil der Haftzeit entlassen. Wer einen Monat Arbeit kann bis zu sieben Hafttage erlassen bekommen - gute Führung vorausgesetzt. Manche Haftanstalten versuchen aus der Not eine Tugend zu machen. Da die Budgets klein sind, lassen sie die Gefangenen Gemüse anbauen oder eben Brot backen - eine Art Selbstversorgung, um mit den wenigen Ressourcen gut zu haushalten.
    Die Haftanstalt von Colibasi lässt das Brot von den eigenen Gefangenen backen. Die bekommen im Gegenzug für die Arbeit einen Teil der Haftzeit entlassen. Wer einen Monat Arbeit kann bis zu sieben Hafttage erlassen bekommen - gute Führung vorausgesetzt. Manche Haftanstalten versuchen aus der Not eine Tugend zu machen. Da die Budgets klein sind, lassen sie die Gefangenen Gemüse anbauen oder eben Brot backen - eine Art Selbstversorgung, um mit den wenigen Ressourcen gut zu haushalten. (Deutschlandradio - Annett Müller)
    Kovacs zählt die 621 Tage bis zur Freilassung. Die miserablen Haftbedingungen wird sie bis dahin geduldig ertragen. Nach ihrer Freilassung will sie nicht länger in den rumänischen Verhältnissen gefangen sein. Sie will auswandern, sagt sie. Dahin, wo sie nach verbüßter Haftzeit wieder Mensch sein darf.