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Rupert Neudeck: Mehr säkulare Schulen neben Koranschulen notwendig

Man dürfe nicht vergessen, dass Religion für die Menschen im Nahen Osten eine große Rolle spiele, meint der Vorsitzende der Hilfsorganisation Grünhelme Rupert Neudeck. Es müssten zwar in diesen Ländern neben den Koranschulen mehr staatliche Schulen aufgebaut werden. Dies müsse aber mit Respekt für die dortigen religiösen Autoritäten geschehen.

Rupert Neudeck im Gespräch mit Jürgen Liminski | 15.09.2012
    Jürgen Liminski: Er ist der Präsident der Grünhelme, die in vielen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens Häuser und Schulen baumen. Herr Neudeck, ist mangelnde Bildung ein, vielleicht sogar ein Hauptgrund für den Fanatismus?

    Rupert Neudeck: Ganz sicher kann man das so sehen, und ich würde es so sehen, aber wenn wir die Schulen in Afghanistan, die 30 Schulen, die wir in Afghanistan in der Provinz Herat gebaut haben, wenn wir die nicht mit großem Respekt vor der dortigen Kultur gemacht hätten, wenn wir uns nicht in den Dörfern immer erst an die Autoritäten gehalten haben, und das ist immer auch der Mullah in diesen Dörfern, Religion spielt ja, das weiß der Europäer kaum noch, Religion ist ein Existenzial der Menschen in diesen Ländern. Nicht irgendetwas was ihnen dazu kommt noch zusätzlich als zugeschriebenes Merkmal.

    Und deshalb ist glaube ich ein Hauptproblem für die Bildung in diesen Ländern, aber auch für die Verhältnisse zwischen uns und diesen muslimischen Gesellschaften, das wir anfangen müssen zu begreifen, auch im säkularisierten Europa, das Religion für diese Menschen eine ganz ganz große Rolle spielt und das haben wir manchmal vergessen.

    Liminski: Ist denn Religion in diesem Sinn ein Hindernis für Säkularisierung oder für Aufklärung, besser gesagt?

    Neudeck: Nein, das glaube ich nicht. Ich würde sehr stark noch mal auf das zurückkommen, was Ruprecht Polenz heute Morgen in diesem Sender gesagt hat: Wir haben eigentlich in Europa die Strafrechtsparagrafen, die dazu führen sollen, dass religiöse Gefühle geschützt werden müssen. Aber wir nehmen das nicht mehr so ernst.

    Ich besinne mich, dass vor vier oder fünf Jahren es einen Christen…, ein Christus verletzender … ein Christus schmähender Film, "Die letzte Versuchung Christi" hieß der, auch aus den Vereinigten Staaten, in London in mehreren Kinos aufgeführt werden sollte. Und wissen Sie, wer diesen Film zum Kippen gebracht hat, dass er gar nicht in die Kinos kam: Das waren muslimische Vereinigungen, die gesagt haben, wir lassen es nicht zu, dass einer der Propheten – für die Muslime ist Christus auch ein Prophet neben Mohammed –, dass einer der Propheten in unseren Kinos in London beleidigt wird. Das heißt, wir haben dieses Gefühl dafür verloren, dass das Menschen so aufregt, dass das eben dann auch eskaliert und dann in völlig unerlaubte Gewalttätigkeiten kommt.

    Dazu muss man natürlich auch noch sagen: Es ist nicht die Mehrheit der Muslime, die zu solcher Gewalttätigkeit neigt. Millionen, Hunderte von Millionen Muslimen haben damit nichts zu tun. Und es sind leider immer auch bezahlte Leute, die davon eben Profit machen, ihren Profit machen. Es sind Salafisten, und das habe ich nun in dem Nahen Osten, das habe ich in Zentralägypten erlebt, das habe ich auch in Nigeria erlebt. Die sind eigentlich nicht geboren auf dem Boden der einheimischen Kultur Ägyptens und Nigerias oder Mauretaniens oder Malis, sondern die werden in der Regel bezahlt mit großen Summen von Saudi-Arabien. Es wurde in Ägypten sogar gesagt, welche Summe das ist, die wöchentlich an die Salafisten in Ägypten aus Saudi-Arabien kommt. Das heißt, wir haben … Wir müssen da auch politisch ehrlich sein und sagen, unsere Unterstützung für Saudi-Arabien würde im Laufe der Gegenwart und Zukunft auch mal eine heftige Korrektur verdienen.

    Liminski: Nun macht die demografische Explosion den Aufbau eines Bildungssystems ebenso notwendig wie auch schwierig. Immer größere Massen von Kindern können nicht in normale Schulen gehen, müssen oder gehen nur in Koranschulen. Werden sie dort nicht sozusagen verbildet?

    Neudeck: Ja, das ist ja deshalb, deshalb ist ja Bildung im übergreifenden Sinne eine große Forderung. Und wenn man wie … Noch mal gesagt, wenn man es mit dem Respekt für die Autoritäten dort macht, kann man zu ganz erstaunlichen Erfolgen kommen. Ich war in Kabul vor zwei Wochen und habe dort erlebt, dass in einer Moschee, in einer Vorstadt von Kabul, also in Afghanistan, eine Schule, eine säkulare Schule eingerichtet ist, die der Mullah dort regelrecht leitet. Das hat eine deutsche Organisation, Ofarin heißt die, eingerichtet. Sie hat es mit dem Respekt und mit Zustimmung der dortigen religiösen Autoritäten gemacht, und man kann das hinkriegen, wenn man es mit denen zusammen macht und wenn man das nicht gegen die tut.

    Das Problem mit Pakistan ist, dass weite Landesteile überhaupt noch nicht von der Regierung ausgerüstet worden sind mit säkularen, also mit staatlichen Schulen. Dort gibt es noch gar keine staatlichen Schulen. Das wäre zum Beispiel ein Programm, was wahrscheinlich für den Frieden in der Welt von allergrößter Wichtigkeit wäre, dass man in Pakistan ein Schulprogramm jetzt einführt und dass man Pakistan dabei unterstützt. Das ist in weiten Teilen des westlichen Landes, in den Tribal Areas, die also gar nicht unter richtiger Kontrolle der Regierung stehen, wo es nur Medressen, also die von Ihnen eben, Herr Liminski, genannten Koranschulen gibt, dort wäre es auf das Dringendste zu wünschen, dass dort eben auch staatliche Schulen neben den Medressen existieren.

    Liminski: Aber kann man denn sicher gehen, dass das Geld auch nicht in irgendwelchen korrupten Kanälen verschwindet, versickert?

    Neudeck: Wenn man sich bemüht darum und mit den richtigen Leuten zusammenarbeitet – und die gibt es in diesen Ländern nach meiner eigenen Erfahrung immer –, wenn man mit den richtigen Organisationen auch dort vor Ort zusammenarbeitet, es gibt eine große Organisation, die von einer deutschen Ärztin geleitet wird in Pakistan, mit denen zusammen könnte man diese Schulen bauen.

    Es gibt auch Reinhard Erös aus Ulm, der dort als ehemaliger Bundeswehrgeneralarzt diese Schulen baut und gebaut hat. Also, man muss es eben so vernünftig machen, dass es nicht in die Hände von Regierungen kommt. Geld in die Hände von Regierungen zu geben, war immer das Schlechteste, was wir in den letzten 60 Jahren in der Entwicklungspolitik gemacht haben, das sollte überhaupt aufhören!

    Liminski: Rupert Neudeck, Präsident der Grünhelme, besten Dank für das Gespräch!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.