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Russische Avantgarde
Wie sich gefälschte Kunstwerke entlarven lassen

Die Russische Avantgarde mit ihrer revolutionären Formensprache gehörte zu den Favoriten des legendären Sammlerehepaares Ludwig. Mittlerweile aber ist klar - nicht alle der von den beiden Kunstbegeisterten erworbenen Bilder sind echt. Eine Ausstellung im Kölner Museum Ludwig sorgt nun für Transparenz.

Von Barbara Weber | 12.11.2020
Installationsansicht Russische Avantgarde im Museum Ludwig – Original und Fälschung. Fragen, Untersuchungen, Erklärungen, Museum Ludwig, Köln 2020
Original und Fälschung im direkten Vergleich - in der Ausstellung im Museum Ludwig können Besucher Echtheitsrecherchen nachvollziehen (Rheinisches Bildarchiv, Köln/ Chrysant Scheewe)
"Ganz am Anfang stellen wir die drei Methoden vor, mit denen wir die Echtheit der Bilder überprüfen. Das ist die Provenienz, das heißt, die Herkunft des Bildes: In welcher Sammlung, auf welche Ausstellung vielleicht, in welchen Auktionshäusern sind diese Bilder in ihrer Geschichte gewesen?"
Rita Kersting, die stellvertretende Direktorin des Museums Ludwig in Köln, hat gemeinsam mit der Restauratorin Petra Mandt die Ausstellung über die Russische Avantgarde kuratiert.
"Das zweite ist die kunsthistorische Einordnung, die geht von der Komposition aus: Ist eine solche Arbeit im Werk der Künstlerin, des Künstlers für diese Zeit üblich? Und das dritte ist die kunsttechnologische Untersuchung. Das heißt, das sind materialtechnische Untersuchungen in Hinblick auf die Farbe oder die verwendete Leinwand und eben die Überprüfung, die chemische Überprüfung, ob die Materialien Datums-kompatibel sind. Es geht stark um die Datierung, um die Einordnung: Ist das Bild zu der Zeit gemalt? Kann die Künstlerin Popowa oder Gontscharowa oder Malewitsch dieses Bild zu der Zeit gemalt haben?"
Zum ersten Mal lassen sich in der Fülle Original und Fälschung der "Russischen Avantgarde" vergleichen, zum ersten Mal wurde ein Teil der Sammlung Ludwig einer systematischen wissenschaftlichen Analyse unterzogen, deren Ergebnis nun dem breiten Publikum in einer der spannendsten aktuellen Ausstellungen in Deutschland präsentiert wird.
Sie wirft ein Schlaglicht auf eine seinerzeit radikale Kunst, die zunächst von Revolutionären gefeiert, dann unter Stalin verbannt wurde, schließlich in Vergessenheit geriet, nach dem Zweiten Weltkrieg einen unglaublichen Boom erlebte und heute für zweistellige Millionenbeträge versteigert wird.
Das berühmte Propagandaplakat "Schlagt die Weißen mit dem roten Keil" von El Lissitzky
"Schlagt die Weißen mit dem roten Keil" von El Lissitzky (www.imago-images.de/John Parrot/Stocktrek Images )
Die Revolution begeistert die Künstler
"Es wird nicht lange dauern, und wir werden den Sieg des Kommunismus in der ganzen Welt sehen, wir werden die Gründung der Föderativen Weltrepublik der Sowjets erleben."
Erklärte Wladimir Iljitsch Lenin im März 1919 anlässlich der Dritten Kommunistischen Internationale.
"Es war sehr interessant, wie die Künstler auf die Revolution reagierten. Natürlich waren sie nicht nur ästhetisch, sondern auch politisch radikal und verbanden beides miteinander. Sie wollten der Revolution dienen, meint Prof. Konstantin Akinsha, Gründungsdirektor des "Russian Avant-garde Research Project":
"Sie forcierten die Gründung neuer Museen, in Moskau und Petersburg, die die radikale moderne Kunst sammelten und ausstellten. Letztendlich haben sie nach der Revolution das kulturelle Leben des Landes bestimmt."
Bücher und Zeitschriften wurden in den Dienst der Propaganda gestellt. Es gab revolutionäre abstrakte Stoffmuster und Porzellan. El Lissitzky schuf das Plakat "Schlagt die Weißen mit dem roten Keil", eine abstrakte Komposition, in der ein roter Keil einen weißen Kreis durchdringt, wobei mit "Die Weißen" umgangssprachlich die Gegner der Bolschewiki bezeichnet wurden.
Radikale Abstraktion gilt schon bald als "unmarxistisch"
Doch die Begeisterung währte nicht lange. Die Doktrin des Sozialistischen Realismus setzte dem künstlerischen Höhenflug ein Ende, so Konstantin Akinsha:
"Die Situation änderte sich schon 1923 mit einem Artikel des Vorsitzenden des Revolutionären Militärrates Leo Trotzki in der Prawda. Er kritisierte die experimentelle formalistische Herangehensweise in der Literatur als nicht mit dem Marxismus vereinbar. 1933/34 verbannte Stalin den Formalismus oder jede Art von Experiment endgültig aus der sowjetischen Kunst. Gemälde von Kandinsky, Malewitsch, Popowa, Tatlin, Rothschenko und anderen verschwanden in den geheimen Depots der Museen. Einige Künstler fielen dem stalinistischen Terror zum Opfer und wurden wegen angeblicher politischer Verbrechen hingerichtet. Am Ende des Zweiten Weltkriegs waren sie alle vergessen."
Doch nicht auf Dauer, denn was damals, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, in vielen Teilen Europas geschah, war nicht weniger als eine künstlerische Revolution. Stefan Koldehoff, Autor von "Kunst und Verbrechen" und Kulturredakteur beim Deutschlandfunk:
"Man muss sich immer klarmachen, die Kunst bildet ab diesem Moment nicht mehr die Wirklichkeit ab. Die Aufgabe hatte die Fotografie übernommen oder wer auch immer. Aber die Kunst war es jedenfalls nicht mehr. Und wenn Sie heute in ein Museum gehen und sich angucken, dass die Menschen vor einem Kandinsky, vor einem ungegenständlichen, oder einem Malewitsch stehen, der dann eben nur aus perspektivisch verschobenen geometrischen Formen besteht und Farben, denen dann auch noch bestimmte Wertigkeiten und Funktionen zugeschrieben wurden, dann ist dieses Unverständnis heute noch da."
Das ungeahnte Comeback der Avantgarde
Nach dem Zweiten Weltkrieg und danach in den 1960er, 70er und 80er Jahren erlebte die russische Avantgarde ein ungeahntes Comeback. Dazu beigetragen hatte auch ein berühmter Sammler, der Grieche George Costakis, der als Botschaftsangehöriger in Moskau die wohl größte und weltbeste Privatsammlung aufgebaut hatte, die er allerdings größtenteils bei seiner Ausreise nach Griechenland zurücklassen musste. Zudem führten diverse Malewitsch-Ausstellungen dazu, Begehrlichkeiten bei Sammlern und Museen zu wecken. Stefan Koldehoff:
"Das haben sehr schnell Galeristen gemerkt, sind nach Moskau gereist, sind nach Petersburg gereist, auch in weiter abgelegene Landstriche, wo zum Teil die Familien dieser Künstlerinnen und Künstler, es waren dann die Kinder oder die Enkelgeneration, gelebt haben und haben sich von denen zeigen lassen, was denn noch da ist. Also es gibt sehr anrührende Beschreibungen, wie dann tatsächlich diese Koffer unterm Bett hervorgezogen wurden. Und dann lagen da drei Bilder von Malewitsch oder von Popowa oder von Gontscharowa. Und die waren dann natürlich auch für relativ geringes Geld zu bekommen."
Eine Schwierigkeit bestand allerdings darin, die Bilder außer Landes zu bringen:
"Es gab Schwarzhandel. Es ist nachgewiesen, dass Bilder aus öffentlichen russischen Museen auf den illegalen Kunstmarkt gefunden haben, in den Westen verkauft wurden. Die Tretjakow-Galerie beispielsweise ist da genannt worden, und da gibt es auch Belege für."
Die Gemengelage war unübersichtlich.
Prof. Dr. Peter Ludwig, Schokoladenfabrikant und Kunstsammler neben einer Skulptur, 05.11.1987 
Der Kunstsammler Peter Ludwig neben einer Skulptur in einer Aufnahme aus dem Jahr 1987 (imago images / Hans-Günther Oed)
Aufsehenerregende Ausstellung im Jahr 1993
Die inzwischen verstorbene Dr. Evelyn Weiß, enge Vertraute des Sammlerpaars Irene und Peter Ludwig und ehemalige stellvertretende Direktorin des Kölner Museums Ludwig, kuratierte 1993 die Ausstellung "Von Malewitsch bis Kabakov – Die Russische Avantgarde im 20. Jahrhundert" in der Kunsthalle Köln. Im Deutschlandfunk erinnerte sie anlässlich der Eröffnung an eine Galerie:
"Bestimmt hat Antonina Gmurzynska und ihrer Tochter Christina damals Anfang der 70er Jahre Pionierarbeit geleistet. Ohne ihre Bemühungen, ohne ihre Erkenntnis und auch ohne ihre Kontakte zu Sammlungen in Moskau und in Leningrad, wäre es nie zu so einer Konzentration hier in Köln gekommen, so dass man hier in den 70er Jahren bei Eröffnungen Costakis treffen konnte, später den Botschafter Semjonow, den damaligen Botschafter der Sowjetunion, der auch eine interessante Sammlung hatte, 1980, das war schon eine Sensation, da wurden Teile seiner Sammlung gezeigt, hat sich hier eine Konzentration an Interessen gebildet, und dann begann auch Ludwig Feuer zu fangen."
Wie er über die ganzen Jahre eine so umfangreiche Sammlung an Russischer Avantgarde zusammentragen konnte, beschreibt Peter Ludwig anlässlich der Ausstellung in Köln 1993 gegenüber einem WDR-Journalisten:
"Sicher vor allen Dingen mit einer großen Leidenschaft, mit einer riesigen Begeisterung und mit der Bereitschaft, wirklich Außerordentliches zu tun, damit diese, bis dahin im Westen praktisch unbekannte, ganz wichtige Kunst, anschaulich wird. Und dass das in Köln geschieht, ist natürlich für meine Frau und für mich ein Triumph geradezu, denn diese Stadt hat nun verdient, dass sie diese einzigartige Sammlung im Museum Ludwig auch in Zukunft beheimatet."
Überbordende Nachfrage - aber nur begrenztes Angebot
Das Problem daran: Nicht nur das Sammlerpaar Ludwig fing Feuer. Einer überbordenden Nachfrage stand nur ein begrenztes Angebot zur Verfügung. Und dann passierte das, was Prof. Nicoletta Misler von der Università di Napoli auf einem Symposium zur Ausstellung im Museum Ludwig so beschrieb: Aus Leidenschaft wurden Fehler gemacht. Aus Begeisterung wurde häufig nicht so genau hingeschaut, was gekauft und ausgestellt wurde.
Ein weiteres Problem bestand seinerzeit darin, dass die heute möglichen naturwissenschaftlichen Analysemethoden noch nicht zur Verfügung standen, so Prof. John Bowlt von der University of Southern California, auf dem Symposium.
Mit entsprechenden Folgen, wie im Museum Ludwig in Köln zu sehen ist. Die stellvertretende Museumsdirektorin Rita Kersting:
"Wir stehen vor einem Bild von Olga Rosanowa, eine der wichtigen Künstlerinnen der russischen Avantgarde, die ‚Man in the Street‘, also ein ‚Mann auf der Straße‘ gemalt hat in einem großformatigen Bild, das hier als Leihgabe aus der Sammlung Thyssen-Bornemisza hängt."
Das Original stammt aus dem Nationalmuseum Thyssen-Bornemisza in Madrid. Es wurde schon 1976 in der Leonard Hutton Gallery in New York gekauft.
"Toll, dass das Museum uns dieses Bild zur Verfügung gestellt hat, denn es diente als Vorlage für das nicht authentische Bild, das sich in unserer Sammlung befindet, das Peter Ludwig in den Achtzigerjahren angekauft hat."
Und zwar von der Galerie Gmurzynska.
"Und das, wie wir jetzt festgestellt haben, nicht von Olga Rosanowa gemalt wurde, da deuten die kunsthistorischen, die kunsttechnologischen Untersuchungen, die Provenienz deutet darauf hin."
links das vermeintliche Gemälde von Olga Rosanowa "Landschaft (Zerlegung der Formen), 1913" aus der Sammlung Ludwig - rechts das Original "Mann auf der Straße (Analyse von Volumen), 1913" aus der Sammlung Thyssen-Bornemisza
Im direkten Vergleich fällt die aus einem Katalog abgemalte Fälschung deutlich ab (Rheinisches Bildarchiv, Köln/Museo Nacional Thyssen-Bornemisza)
Fälschung offenbar schlechte Kopie einer Katalogabbildung
Schon für Laien ist der Unterschied zwischen beiden Bildern ersichtlich. Die kräftigen farbigen geometrischen Elemente des kubistischen Originals zeigen nicht nur eine Stadtlandschaft, sondern auch die fragmentierte Figur eines Mannes. Das Bild, das Ludwig als Rosanowa gekauft hat und in der Ausstellung von 1993 schon zu sehen war, sieht aus wie die schlechte Kopie einer Abbildung des Originals in dem Katalog der Leonard Hutton Gallery in New York. Durch die mindere Qualität des Fotos konnte der Fälscher den Mann nicht erkennen, der entsprechend auf der Fälschung fehlt. Es gibt noch weitere Belege für die Fälschung, so die Restauratorin Petra Mandt:
"Bei diesem Bild war das jetzt so, dass die Faseranalyse da einen ganz wesentlichen Hinweis gegeben hat. Wir haben zusammengearbeitet mit der Frau Dr. Sicken hier von der TU in Köln, die die Faseranalysen für uns macht. Traditionell würde man ja, weiß ich nicht, einen Baumwollträger oder meistens Flachs als natürliche Faser erwarten. Und hier ist es eben so, dass bei diesem Bild ein Polyester gefunden worden ist."
Das Problem dabei: "Die Künstlerin selber ist 1918 schon verstorben, und auf den Markt kam das erst ab den Fünfzigerjahren, so dass wir da einen ganz, ganz starken Hinweis haben."
Komplett erfundenes Oevre der Künstlerin Nina Kogan
Manchmal ist es ein Farbpigment, was zu Lebzeiten des Künstlers noch nicht erhältlich war. Manchmal stellt sich heraus, dass die Pflanze, aus der die Leinwand hergestellt wurde, erst nach dem Tod der Künstlerin wuchs. Und manchmal wird ein Oeuvre komplett erfunden, wie bei Nina Kogan, deren vermeintliches Bild auch 1993 in Köln zu sehen war.
"Nina Kogan hat mit Malewitsch kurz zusammengearbeitet. Es gibt einige Zeichnungen in russischen Museen, die von ihr bekannt sind, aber eben keine Bilder. Und die sind sehr viel später gemalt worden, ihr zugeschrieben worden, und als Nina Kogans verkauft worden, eben zum Beispiel in Heinrich Thyssen Bornemiszas Sammlung. Und er hat schon 1993 auch auf unser Bild in der Sammlung Ludwig verwiesen und gesagt: Nina Kogan hat es so nie gegeben. Sie hat biografisch existiert. Man weiß, dass sie bei der deutschen Belagerung Leningrads 1942 verhungert ist. Man kennt biografische Details, aber die Bilder, die wir von ihr kennen, die hat sie nicht gemalt."
Hinweise auf gefälschte Avantgardisten schon in den 90er Jahren
Heinrich Thyssen ließ seine Sammlung "Russischer Avantgardisten" schon zu Beginn der 90er Jahre überprüfen und beauftragte Prof. Nicoletta Misler gemeinsam mit Prof. John Bowlt, die Sammlung wissenschaftlich zu begutachten. Was die Beiden unter der Bedingung absoluter Unabhängigkeit in Bezug auf ihre Forschung annahmen. Ein Ergebnis der damaligen Untersuchung: Einige Bilder aus der Sammlung Thyssen-Bornemisza stellten sich als Fälschung heraus.
Es entstand ein Standardwerk, das heute noch wegweisend ist und – so betonte es Rita Kersting bei dem Symposium - eine Grundlage für die aktuelle Ausstellung lieferte.
Was die "Suprematistische Komposition" – zugeschrieben Nina Kogan – anbelangt, wurde das Bild von der Galerie Gmurzynska an die Sammlung Ludwig verkauft.
Links das vermeintlich 1923 von El Lissitzky gemalte Gemälde "Proun" - rechts das Infrarotreflektogram, auf dem der Druck unter der Gemäldeschicht sichtbar wird 
Ein vermeintlicher Schatz aus der Sammlung Ludwig entpuppt sich als Fälschung (Rheinisches Bildarchiv/Museum Ludwig Köln und Restaurierungszentrum Düsseldorf, Ulrik Runeberg, Inken Holubec)
Ein vermeintlicher El Lissitzky auf einem Kunstdruck-Karton
"In den neunziger Jahren hatte Peter Ludwig noch kein Gemälde, kein Bild von El Lissitzky in seiner Sammlung, sodass er ja ein Bild gekauft hat zusammen mit neun anderen, die sich alle als nicht echt erwiesen haben. Und den El Lissitzky haben wir hier ausgestellt, eine abstrakte Komposition, die ein bisschen Ähnlichkeit aufweist mit einem Bild, das in Harvard im Museum ist seit 1945, das dann mal in Deutschland abgebildet war auf einem Ausstellungskatalog des Städels Anfang der Achtzigerjahre. Und das ist möglicherweise auch eine Inspiration, sag ich mal, gewesen für die Fälschung, die hier vorliegt."
Schon eine alte Untersuchung verwies auf eine bräunliche Schicht unter der Malerei, seinerzeit interpretiert als Leimauftrag. Petra Mandt schaute sich das Bild unter dem Mikroskop noch einmal genauer an und beschloss:
"Da müssen wir noch mal mit Infrarot dran. Und hier war es so, dass wir einen Druck gefunden haben, und zwar keinen kompletten, sondern die Hälfte."
Der Druck basiert auf dem Gemälde: "Sommerabend im Judengässchen" von Ludwig Knaus, einem Wiesbadener Maler, der im 19. Jahrhundert sehr bekannt war.
"Und jetzt fragt man sich natürlich, hätte Lissitzky so gearbeitet?"
Selbst wenn Lissitzky den Karton genutzt hätte, hätte er dann nicht auf der Rückseite gemalt? Dem Fälscher kam es aber darauf an, mit Hilfe eines alten Kartons Echtheit zu suggerieren.
Und ein weiteres Indiz spricht für eine Fälschung: die angegebene Provenienz, die Herkunft des Bildes, so Rita Kersting.
"Hier ist es dann so, dass bei dem Lissitzky-Bild der Verkäufer eine Provenienz mitgeliefert hat, einen Wust an Dokumenten. Anna Tukalowa hat auf Russisch geschrieben, dass das Bild von El Lissitzky ihrem verstorbenen Ehemann gehörte, dass er Mitglied der Leningrader Gesellschaft der Sammler gewesen sei. Er ist an dem und dem Datum verstorben. Es ist ein Pass von Frau Tukalowa beigefügt. Ihre Ausführungen sind übersetzt vom Russischen ins Englische. Ein Notarbrief ist beigelegt mit Siegel, der allerdings weder die Echtheit des Bildes noch, dass es sich in ihrem Besitz befindet, zertifiziert, sondern nur die Richtigkeit der Unterschrift der Übersetzerin. Also Verwirrspiele auf höchstem Niveau…"
… die von Peter Ludwig vermutlich deshalb nicht durchschaut wurden, weil das Bild in höchster Eile unbedingt noch in den Katalog aufgenommen werden sollte, der 1993 zum Ausstellungsbeginn fertig sein sollte.
Massenhafte Fälschung mit System
In dem Fall kommt der Galerist Itzhak Zarug ins Spiel, der mit seinem Kompagnon eine Galerie in Wiesbaden hatte. Stefan Koldehoff hat die Erkenntnisse in seinem aktuellen Buch "Kunst und Verbrechen" beschrieben:
"Die nannten sich SNZ Galeries nur mit einem l, also auch noch fragwürdig geschrieben. Als Experten sich mit dem auseinandergesetzt haben, was da angeboten wurde, stellte man sehr schnell fest, dass es Bilder waren, von denen zum Teil die Nachlassverwalter sagten, das stammt nicht von diesen Künstlerinnen und Künstlern. Und es waren Bilder, zu denen sehr fragwürdige Herkunftsgeschichten nur erzählt werden konnten."
Tausende von Bildern fanden die Ermittler im Sommer 2013 in dem Lager in Wiesbaden.
"Bilder, die zum Teil, wenn sie echt wären - wir sind wieder bei Kasimir Malewitsch beispielsweise - 20, 30, 40 Millionen Euro wert wären, standen dort in einem Lagerhaus mit so einer Noppenfolie eingepackt, nicht klimatisiert, Bild gegen Bild gelehnt. Also man merkt es schon, dass offenbar die Leute selbst nicht so recht daran glaubten, dass das was tatsächlich kulturell wie merkantil Wertvolles sein sollte."
Die Galeristen hatten in Paris ein Institut gegründet, das für die entsprechende Provenienz sorgen sollte, mit einem Stab an Kunsthistorikern und Wissenschaftlern. Nach außen gab man sich seriös und unabhängig, in Wirklichkeit wurden stapelweise Pseudoprovenienzen erstellt, inklusive Werkkataloge im Eigenverlag. Das Gerichtsurteil bezog sich dann nur auf ein knappes Dutzend Bilder.
"Das führt aber dazu, dass die Betrüger dahinter jetzt wieder - und zwar sofort, noch im Gerichtsaal, wurde eine entsprechende Pressemitteilung verteilt - jetzt wieder unterwegs sind und sagen, na gut, bei dem Dutzend, da haben wir uns geirrt. Das tut uns leid, das kann mal passieren. Aber der Rest? Da hat das Gericht gesagt, es ist alles echt. Das hat das Gericht nie gesagt. Die sind nur nicht untersucht worden."
Fragen nach möglicher Verantwortlichkeit bleiben offen
Die Gerichte sind – davon ist Stefan Koldehoff überzeugt – heillos überfordert mit der Materie. Von außen betrachtet gleicht der Handel mit der "Russischen Avantgarde" einem Dschungel.
Natürlich verfügt das Kölner Museum Ludwig über eine große Anzahl an Originalen, die das Stifterpaar Ludwig der Stadt Köln geschenkt hat, auch unter Vermittlung der Galerie Gmurzynska – aber es bleiben Fragen offen.
Zum Beispiel, warum ist die Galerie so vehement gegen die aktuelle Ausstellung im Museum Ludwig vorgegangen? Stefan Koldehoff:
"Die Galerie Gmurzynska wollte und hat darauf geklagt, vor Eröffnung der Ausstellung die Forschungsergebnisse vorgelegt zu bekommen. Und in einer ersten Instanz hat man diesen Kunsthändlern hier in Köln auch recht gegeben. Erst in zweiter Instanz hat dann das Oberlandesgericht gesagt, nein, Moment mal, ein Museum ist ja nun nicht nur der Ort für schöne Ausstellungen. Das ist ein seriöses Forschungsinstitut, und die Wissenschaft ist frei. Und deswegen musste überhaupt nichts vorher vorgelegt werden. Das war ein großer Sieg für die Wissenschaft. Ohne Wissenschaft geht es in dem Bereich nicht. Nur Geld ist dafür in den Museen natürlich auch so gut wie überhaupt nicht mehr vorhanden."