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Russische Geschichte
Der Gulag als Streaming-Hit

Ein russischer Youtuber erzählt seinen Landsleuten die Geschichte des Gulags, beschreibt die Stadt Kolyma als Schreckensort, lässt Zeitzeugen und Historiker zu Wort kommen und landet damit einen Netzhit. Modernes Geschichtsfernsehen mit Anspruch, das schon fast sechs Millionen gesehen haben.

Uli Hufen im Gespräch mit Maja Ellmenreich |
Ein Portrait des Sportjournalisten und Youtubers Yuri Dud.
Der Youtuber Jurij Dud machte den Film, weil eine Umfrage gesagt hat: Die Hälfte aller jungen Leute in Russland weiß nicht, was der Gulag war (imago stock&people)
Jurij Dud ist ein Youtuber wie er im Buche steht: jung, Tattoos und T-shirt tragend und sehr eloquent. In Russland ist er eine Art Popstar. Jetzt hat Dud einen Dokumentarfilm auf der Plattform hochgeladen, "Kolyma - Die Heimat unserer Angst".
In über zwei Stunden erzählt er die Geschichte des Gulags, des Ortes, in dem das Straflager stand, zeigt zahllose Menschen, Denkmäler, Museen, die in Russland am Gedenken des Gulags arbeiten.
Popstar erzählt Geschichte der Straflager
Der Film wurde am Dienstag hochgeladen, innerhalb von zwei Tagen haben ihn viereinhalb Millionen Leute gesehen. Inzwischen liegt die Zuschauerzahl schon bei fast sechs Millionen. Man kann praktisch live zusehen, wie die Zuschauerzahl rasend schnell wächst und wie sich der Film durchs russische Internet und andere soziale Netzwerke verbreitet, sagte Russlandexperte Uli Hufen im Dlf.
"Kolyma - Die Heimat unserer Angst" wurde von einem der berühmtesten russischen Youtuber produziert: Jurij Dud. Ein Popstar. Ein eloquenter junger Moderator mit modischer Frisur und modischer Kleidung, der bekannt ist für seine langen Interviews, die er mit Künstlern, Politikern und Sängern führt. Dud ist vor allem sehr beliebt bei jungen Leuten und erreicht mit seinen Youtubefilmen - unabhängig von allen Fernsehsendern - ein Millionenpublikum auch mit dem überaus schwierigen Thema "Gulag."
Versuch einer Grundangst auf die Spur zu kommen
Was er über Russland sagt und den Umgang mit der Geschichte in Russland, ist ebenso interessant, erzählte Hufen, denn Dud machte den Film, wie er selbst erklärte, weil eine Umfrage gesagt hat: Die Hälfte aller jungen Leute in Russland weiß nicht, was der Gulag war. Und weil er einer Grundangst auf die Spur kommen will, die er aus der eigenen Familie kennt, von den eigenen Eltern, die heute noch Angst vor Straflagern haben, obwohl diese längst abgeschafft sind.
Interessanterweise, so Hufen, passiert in Russland in punkto Vergangenheitsbewältigung doch mehr als gemeinhin angenommen wird, auch wenn der Staat eine konservative Geschichtspolitik betreibt.
Lob von Historikern
Der Film zeigt und erzählt modernes Geschichtsfernsehen für junge Menschen von heute und würde sicher auch als Vorbild für Deutschland taugen. Gut recherchiert, gut produziert. Die Geschichte des Gulags, die Geschichte der Erinnerung an den Gulag wird als Reisereportage nach Ostsibirien mitten im Winter bei minus 45 Grad gezeigt. Das Ganze gemischt mit Interviews in Moskau, mit Verwandten von Opfern und auch Historikern.
Jurij Dud hat auch viel Lob von Historikern und Publizisten und Oppositionellen im Lande, auch von Memorial, der wichtigsten Gedenkorganisation im Lande. Der Film erzähle nichts Neues, so Hufen, aber er sei gezielt gemacht für ein junges Publikum, das Dank des Films viel über die eigene Geschichte erfährt.