Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Russische Raketen in der Türkei
Ankaras Verhältnis zum Westen steckt in der Krise

Mit dem Kauf russischer Luftabwehrraketen hat die Türkei ihre NATO-Partner vor den Kopf gestoßen. Die USA hat ein gemeinsames Rüstungsprogramm gestoppt und droht mit Sanktionen. Zugleich wächst im Westen die Sorge über eine weitere Annäherung zwischen Russland und der Türkei.

Von Thomas Seibert | 24.09.2019
Ein vom türkischen Verteidigungsministerium veröffentlichtes Foto einer russischen Militärmaschine beim Entladen eines S-400 Raketenabwehrsystems auf dem Luftwaffenstützpunkt Murted in Ankara.
Russisches Luftabwehrsystem S-400 bei der Ankunft in Ankara (AFP PHOTO / TURKISH DEFENCE MINISTRY)
Der Start von Luftabwehrraketen des russischen Typs S-400 - eines der modernsten Waffensysteme, das Moskau zu bieten hat. Derart ausgestattete mobile Luftabwehr-Batterien können feindliche Drohnen, Raketen und Flugzeuge in einer Entfernung von mehreren hundert Kilometern bekämpfen. Nach Einschätzung von Militärexperten ist das russische System mindestens ebenso wirksam wie das amerikanische Patriot-Raketen-System - und dazu auch noch wesentlich billiger. Russland hat S-400 bereits an China und Indien verkauft, auch Gespräche mit Saudi-Arabien laufen.
Die größten Sorgen bereitet dem Westen allerdings die Lieferung des russischen Systems an das NATO-Mitglied Türkei. Ankara hat zwei Batterien der S-400 gekauft. Ein Großteil der Anlagen, die unter anderem aus Radaren und Raketen bestehen, ist bereits in der Türkei angekommen. Bis April 2020 sollen die Waffen einsatzbereit sein.
Streit um Luftabwehrsystem für die Türkei
Dass die Türkei ein modernes Luftabwehrsystem braucht, bestreitet kaum jemand. Zwar haben mehrere westliche Bündnispartner der Türkei, darunter auch Deutschland, in den vergangenen Jahren mehrmals eigene Luftabwehrbatterien in die Türkei verlegt, um den Verbündeten zu schützen. Doch angesichts der unsicheren Nachbarschaft der Türkei genügt das nicht, sagt auch der SPD-Außenpolitiker Nils Schmid.
"Ohne Zweifel hat die Türkei ein berechtigtes Interesse an einem modernen Luftabwehrsystem. Sie ist unmittelbarer Nachbar des Iran und damit auch von iranischen Raketen bedroht. Die bisherigen NATO-Installationen reichen nicht aus."
Deshalb machte sich die Türkei vor einigen Jahren auf die Suche nach einem eigenen System. In der engeren Auswahl war dabei die amerikanische Patriot-Rakete, die an diverse NATO-Mitgliedsländer verkauft wurde, auch an Deutschland.
Doch die USA - immerhin westlicher Hauptverbündeter der Türkei - wollten ihre Patriots nicht an Ankara liefern. Im amerikanischen Kongress gab es Widerstand gegen eine Lieferung, unter anderem wegen des Misstrauens vieler amerikanischer Politiker gegenüber der türkischen Regierung.
Und so landete die Türkei auf der Suche nach einem Luftabwehrsystem am Ende bei Russland. Moskau verkaufte nicht nur die S-400 an Ankara, sondern sagte auch einen Technologie-Transfer zu, der langfristig der türkischen Rüstungsindustrie helfen soll, selbst hochmoderne Waffensysteme zu entwickeln. Inzwischen sprechen Ankara und Moskau bereits über eine türkisch-russische Zusammenarbeit bei der Entwicklung des S-400-Nachfolgemodells, der S-500.
Präsident Hassan Rouhani (links im Bild), der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (Mitte) und Russlands Präsident Vladimir Putin bei einer Syrien-Konferenz in Ankara am 16. September 2019.
Irans Präsident Rouhani (l.), der türkische Präsident Erdogan (Mitte) und Russlands Präsident Putin: Alarmglocken im Westen (AFP Photo / Turkish Presidential Press Service)
Die Zurückweisung durch die USA sei ein wichtiger Grund, warum es so weit gekommen ist, sagt der türkische Journalist Murat Yetkin, ein Spezialist für die türkische Außenpolitik.
"Die Türkei hatte viele politische Schwierigkeiten beim Kauf westlicher Systeme, besonders beim amerikanischen Patriot-System. Das Misstrauen zwischen der Türkei und den USA wegen des Kurdenproblems in Syrien, der Putschversuch in der Türkei im Jahr 2016 und die technische Überlegenheit der S-400 gaben den Ausschlag für das russische System."
Die enge Zusammenarbeit zwischen der Türkei und Russland lässt im Westen indessen die Alarmglocken klingeln. Die NATO verfügt über eine sogenannte integrierte Luftverteidigung, in die ihre Mitglieder die Daten aus ihren Ländern einspeisen. Wenn die türkische S-400 nun in dieses System integriert wird, könnte Russland möglicherweise die NATO aushorchen, befürchten Europäer und Amerikaner. Hält die Türkei die S-400 aber aus dem NATO-System heraus, wird der Schutzschild der Allianz geschwächt, weil aus den Stationierungsorten in der Türkei keine Daten mehr an die NATO gehen.
Keine F-35-Kampfjets mehr für Ankara
Noch schwerer wiegen für die USA Befürchtungen, die den hochmodernen amerikanischen Kampfjet F-35 betreffen: Die US-Regierung hat den Verdacht, dass die russischen S-400-Batterien in der Türkei das neue Kampfflugzeug der NATO ausspionieren könnten. Geheime Daten über den F-35 könnten auf diese Art nach Moskau gelangen. Eigentlich wollte die Türkei auch den F-35 kaufen und arbeitete sogar an der Herstellung des Flugzeuges mit. Doch nach dem Lieferstart der S-400 in die Türkei stoppte Washington die Zusammenarbeit mit Ankara bei dem Kampfjet. Die Türkei darf also keine F-35-Jets haben. Die US-Regierung habe keine andere Wahl gehabt, sagte Verteidigungs-Staatssekretärin Ellen Lord vor Journalisten in Washington:
"Seit 2017, als die Türkei damit begann, öffentlich über ihr Interesse an dem russischen S-400-System zu sprechen, hat die US-Regierung auf allen Ebenen und konsequent betont, dass F-35 und S-400 inkompatibel sind. Wie andere US-Regierungsvertreter und auch ich immer wieder klar und deutlich sagen, kann die Türkei keine russische Plattform zum Sammeln von Geheimdienstinformationen in der Nähe von Orten stationieren, wo die F-35 gebaut, repariert und stationiert werden. Da ein Großteil der Stärke der F-35 in seiner Tarnkappen-Technologie liegt, würde das Ausspionieren dieser Eigenschaften langfristig die Sicherheit des F-35-Programms gefährden."
Ein F-35 Kampfjet auf dem Militärstützpunkt Hill Air Force Base in Ogden, Utah.
Lieferstopp nach Ankara: F-35 Kampfjet auf dem US-amerikanischem Militärstützpunkt Hill Air Force Base (George Frey / Getty Images / AFP)
Dass die USA den NATO-Partner Türkei aus einem gemeinsamen Rüstungsprogramm werfen und gleichzeitig mit Sanktionen drohen, zeigt das ganze Ausmaß des Zerwürfnisses. Die amerikanische Sorge um das F-35-Programm ist aber nur einer der Gründe dafür, warum sich die Differenzen um die S-400 zu einer Krise zwischen den USA und der Türkei entwickelt haben. Die beiden Verbündeten liegen seit Jahren miteinander im Streit. Vor allem die amerikanische Unterstützung für kurdische Rebellen in Syrien lässt die Türkei an der Vertrauenswürdigkeit des Verbündeten zweifeln.
Syrien-Konflikt entzweit NATO-Partner USA und Türkei
In Syrien haben sich die Amerikaner mit der kurdischen Miliz YPG verbündet und mit den Kurden gegen den Islamischen Staat gekämpft. Die Türkei sieht die YPG jedoch als syrischen Ableger der kurdischen Terrororganisation PKK und wirft den USA deshalb vor, sich mit Feinden Ankaras zusammengetan zu haben. Die Folgen dieser gegensätzlichen Sichtweisen sind immens, sagt Gönül Tol, Direktorin des Zentrums für Türkeistudien am Nahost-Institut in Washington:
"Die auseinanderklaffenden Interessen in Syrien haben den türkisch-amerikanischen Beziehungen einen schweren Schlag versetzt. Aus türkischer Sicht bestätigte das amerikanische Vorgehen in Syrien, dass die USA kein verlässlicher Partner mehr sind und dass sich die Türkei in Sicherheitsfragen nicht auf die USA verlassen kann."
Von einer Erosion des Vertrauens zwischen den beiden Partnern, die bereits seit vielen Jahren im Gange ist, spricht der Türkei-Experte Selim Sazak, der in den USA lebt:
"Syrien spielt ganz bestimmt eine Rolle und ist vielleicht der Knackpunkt in der heutigen Krise zwischen den USA und der Türkei - aber ist Syrien auch der auslösende Grund? Ich glaube das nicht unbedingt. Wenn man sich die Entwicklung seit dem Ende des Kalten Krieges anschaut, dann sieht man ein langsames, aber stetig voranschreitendes strategisches Auseinanderleben zwischen den USA und der Türkei. Ihre regionalen Interessen haben sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten erheblich auseinander entwickelt. In den Umfragen ist gerade in den vergangenen drei, vier Jahren der Unwille der türkischen Öffentlichkeit gegenüber den USA immer weiter gewachsen."
Gemeinsamer türkischer und US-amerikanischer Militärkonvoi am Rande der syrischen Stadt Tal Abyad im Grenzgebiet  zwischen Syrien und der Türkei
Spaltpilz Syrien-Konflikt: Türkischer und US-amerikanischer Militärkonvoi im Grenzgebiet zwischen Syrien und der Türkei (AFP / Delil Souleiman)
Auch auf der amerikanischen Seite gibt es innenpolitische Entwicklungen, die eine Entschärfung der Krise erschweren. Die Senatoren und Abgeordneten im US-Kongress in Washington etwa sind seit einiger Zeit so schlecht auf die Türkei zu sprechen, dass sie Ankara inzwischen eher als Gegner denn als Partner sehen.
"Das Hauptproblem war, dass die Türkei nie fest damit rechnen konnte, dass der Kongress ein solches Geschäft genehmigen werde. Also riskiert die Türkei, dass sie ganz leer ausgeht, wenn sie das russische Geschäft platzen lässt, um dann zu erleben, dass der Kongress die Lieferung der Patriots verbietet. Der Kongress ist einer der Hauptfaktoren, die einer Wiederannäherung zwischen den USA und der Türkei im Wege stehen."
Das amerikanische Parlament hegt den Verdacht, dass die Türkei mit islamischen Extremisten in Syrien zusammenarbeitet und ist besorgt wegen der zunehmenden Autokratie in Ankara, sagt Gönül Tol vom Nahost-Zentrum in Washington.
"Im Kongress wird die Türkei als Land gesehen, das den Islamischen Staat gewähren lässt, als Land, das Verbündete der USA in Syrien angreift - das sind wichtige Probleme im Zusammenhang mit dem Krieg in Syrien. Der Demokratie-Abbau in der Türkei war im Kongress ebenfalls Grund zur großen Sorge. Besonders entscheidend war die enge Zusammenarbeit der Türkei mit Russland zu einer Zeit, in der die Befürchtungen mit Blick auf Russland in den USA einen Höhepunkt erreicht hatten. Die Entscheidung der Türkei, die S-400 zu kaufen, war dann der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte."
Erdogans machtpolitische Ambitionen
Die türkischen Ambitionen, im Nahen Osten als Regionalmacht aufzutreten, erschweren die Suche nach einem Kompromiss beim Thema S-400 ebenfalls. Unter Präsident Erdogan sieht sich die Türkei als selbständiger Akteur, der eigene Interessen verfolgt - und die können durchaus von denen der westlichen Partner der Türkei abweichen. Erdogan selbst machte dies kürzlich in einer Rede deutlich, in der er die Vorwürfe aus Amerika zurückwies.
"Sie verfolgen sicher die jüngsten Entwicklungen beim Thema S-400. Wir schauen uns mehrere Alternativen an und kaufen bei dem, der uns die besten Bedingungen bietet. Bisher saßen wir immer mit den USA am Tisch, jetzt setzen wir uns mit Russland zusammen, und morgen setzen wir uns vielleicht mit China hin."
Solche Sätze lassen die Befürchtungen im Westen noch weiter wachsen. Einige Beobachter sehen den Verkauf der S-400 als Teil einer russischen Strategie, die Türkei langsam aus den westlichen Allianzen herauszulösen. Diese Strategie zeitigt erste Ergebnisse, sagt Kerim Has, ein Experte für die russisch-türkischen Beziehungen in Moskau.
"Zunächst einmal will Moskau mit dem Verkauf der S-400-Raketen einen Keil zwischen die Türkei und die USA und die NATO treiben und so einen tiefen Graben in der westlichen Gemeinschaft entstehen lassen. Und bisher spielt die Türkei dem Kreml auch in die Hände, indem sie Alternativen zu ihren Partnerschaften im Westen sucht. Raketen an ein Land zu verkaufen, das zur NATO gehört und ein zentraler Akteur im Nahen Osten ist - das stellt einen wichtigen Sieg für die langfristige Moskauer PR-Strategie dar. Das hilft beim Verkauf von Rüstungsgütern und vergrößert das internationale Prestige und den Einfluss in einer Region, in der die USA eigentlich viel mehr Partner haben als Moskau."
Moskaus Einfluss auf Ankara wächst
Auch auf anderen Feldern nimmt der russische Einfluss zu. Moskau ist ein Hauptlieferant von Öl und Gas in die Türkei, baut das erste türkische Atomkraftwerk und schickt mehr als fünf Millionen Urlauber pro Jahr an die türkischen Strände. Ankara sei zunehmend auf Russland angewiesen, sagt Has:
"Der Kauf der S-400 wird die Abhängigkeit der Türkei von Russland wohl vergrößern, und zwar auf dem strategisch wichtigen Feld der militärisch-technischen Zusammenarbeit. Möglicherweise verkauft Russland künftig auch Kampfflugzeuge und andere Raketensysteme an die Türkei. Außerdem ist vorstellbar, dass sich der Einsatz russischer Militärtechniker in der Türkei langsam zu einer dauerhaften Stationierung von russischen Militärs in der Türkei entwickelt. Diese Art von Abhängigkeit würde der Türkei bei der Verfolgung ihrer eigenen Interessen die Hände binden, ob das nun im Kaukasus ist, auf der Krim, im Schwarzen Meer, auf dem Balkan, im Nahen Osten oder im östlichen Mittelmeer."
Während die türkisch-russischen Beziehungen immer enger werden, fragen sich manche Beobachter im Westen, ob die Türkei drauf und dran ist, die NATO zu verlassen. Das werde sie nicht tun, sagt Journalist Yetkin.
"Nein, die Türkei hat keine Absicht, die NATO zu verlassen. Aber die Türkei will, dass ihre Partner Probleme der türkischen nationalen Sicherheit wie Terrorismus und kurdischen Separatismus ernster nehmen."
Deshalb sollte die S-400-Krise auch nicht als Abwendung der Türkei vom Westen gesehen werden, fügt Journalist Yetkin hinzu. Vielmehr gehe es um eine Neuordnung der Beziehungen, die Ankara einfordere.
"Man kann die Krise als Zeichen dafür sehen, dass die Türkei ihre Beziehungen mit dem Westen neu definieren will, weil sie den derzeitigen Stand nicht als fair und gleichberechtigt genug betrachtet."
Erdogan feilscht, Trump zögert
Vorerst aber bleibt es bei dem tiefen Misstrauen zwischen der Türkei und dem Westen und bei den vielen Problemen, die mit der Lieferung des russischen Luftabwehrsystems an die Türkei einhergehen. Wie der Streit gelöst werden kann, weiß derzeit niemand. US-Präsident Trump verzichtet derzeit noch auf Sanktionen gegen die Türkei, um Verhandlungen mit Ankara zu ermöglichen. Eine Variante, die dabei erwogen wird, ist die zusätzliche Lieferung von amerikanischen Patriot-Raketen an die Türkei in der Hoffnung, dass Ankara die russischen Raketen dann gar nicht erst aufstellt.
Trump will sich in den kommenden Tagen am Rande der UN-Vollversammlung in New York mit Erdogan zusammensetzen. Der amerikanische Präsident sieht sich selbst als geschickten Verhandler, der in persönlichen Kontakten sehr viel mehr erreichen kann als Bürokraten oder Diplomaten. Auch Erdogan hat mehrfach betont, dass er im direkten Kontakt mit Trump viele Fragen klären kann.
US-Präsident Donald Trump (links im Bild) im Gespräch mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan beim NATO-Gipfel im Juli 2018 in Brüssel
Belastetes Verhältnis: US-Präsident Trump (l.) mit dem türkischen Präsidenten Erdogan (AFP / Ludovic Marin)
Doch es ist fraglich, ob Trump und Erdogan schnell eine Einigung im Streit um die S-400 finden können. Wenn Trump der Türkei zum Beispiel eine Lieferung der amerikanischen Patriot-Raketen zusagt, steht der US-Präsident vor der Frage, wie er den Kongress zur Zustimmung zu einem solchen Geschäft bewegen kann.
Zudem stellt die Türkei Nachforderungen. Erdogan betonte kürzlich, die USA könnten die Krise nur entschärfen, wenn sie die Patriot-Raketen zu denselben Konditionen an die Türkei liefern, die auch von Russland gewährt wurden - das heißt: billiger und mit Zustimmung zum Technologie-Transfer. Der türkische Präsident:
"Beim Thema S-400 haben sie einen Riesenärger gemacht und gesagt: Das kaufst du nicht. Warum sollten wir das nicht kaufen? Das ist ein Verteidigungssystem, kein Angriffssystem. Also jetzt hindern sie uns sogar am Kauf eines Verteidigungssystems. Wir haben es trotzdem gekauft, und hoffentlich wird bis April alles fertig sein (Applaus). Und ich habe Präsident Trump folgendes gesagt: Gib uns auch das Patriot-System, dann kaufen wir das auch. Wirklich? hat er gefragt. Ja wirklich, habe ich ihm gesagt - aber die Bedingungen müssen dieselben sein."
S-400 Raketen als Moskaus Druckmittel
Doch noch auf die S-400 zu verzichten, wäre für die Türkei hingegen eher keine Lösung. Kerim Has, der Fachmann für die russisch-türkischen Beziehungen, rechnet für diesen Fall damit, dass sich Russland an anderer Stelle an der Türkei rächen könnte - etwa in der syrischen Provinz Idlib, wo die syrische Armee mit russischer Hilfe gegen Rebellen vorgeht. Die Türkei befürchtet hier eine neue Flüchtlingswelle.
"Wenn die Türkei das Geschäft aufkündigt, dürfte Moskau seine Meinung ändern, was die türkischen Forderungen in Syrien betrifft. Moskau könnte der syrischen Armee eine umfassende Offensive in Idlib erlauben und so die türkische Armee zwingen, sich so schnell wie möglich ganz aus Syrien zurückzuziehen."
Krach mit den USA und mit Russland gleichzeitig - das wird die Türkei zu verhindern versuchen. Türkei-Experte Sazak sieht deshalb noch Chancen für eine Wiederannäherung zwischen Washington und Ankara. Er verweist darauf, dass die USA es bisher vermieden haben, Sanktionen gegen die Türkei zu verhängen.
Erdogan und Trump "wie Teenager"
"Einer der Gründe, warum es bisher keine Sanktionen nach dem Kauf der S-400 gibt, ist, dass Washington weiß, dass die Türkei ein wertvoller Partner ist, den die USA lieber im eigenen Lager sieht als in dem der Russen. Die Hauptfrage ist die nach dem Willen und der Bereitschaft, die Beziehungen wieder zu reparieren. Sowohl die Türkei als auch die USA benehmen sich im Moment ein wenig wie Teenager. Die Trump-Regierung ist da ein Kapitel für sich. Und auch die Türkei hat eine Menge innenpolitischer Probleme, wie die Erosion der Institutionen und die politische Polarisierung. Die Voraussetzungen für eine Wiederannäherung sind derzeit also nicht die besten."
Dennoch ist der Schaden im Verhältnis zwischen der Türkei und dem Westen möglicherweise noch nicht völlig irreparabel, meint Sazak. Die amerikanische Unterstützung für die Kurden in Syrien und der türkische Verdacht, dass die USA die Bewegung des Erdogan-Erzfeindes Fethullah Gülen unterstützen, seien die Hauptgründe für die Vergiftung des Klimas. Wenn diese beiden Punkte entschärft werden könnten, wäre auch ein Weg zur Beilegung des Streits um die S-400 zu finden, sagt Sazak.