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Russischer Impfstoff gegen COVID-19
Sputnik V wirkt und ist sicher

Dass in Russland mit Sputnik V geimpft wurde, noch bevor die klinische Studie abgeschlossen war, stieß auf viel Kritik. Jetzt ist ein Zwischenbericht in der renommierten Fachzeitschrift "The Lancet" erschienen. Er nährt die Hoffnung, dass ein neues, wirksames Vakzin im Kampf gegen Covid-19 zur Verfügung steht.

Von Arndt Reuning | 03.02.2021
Ein Fläschchen mit dem russischen Impfstoff Gam-COVID-Vak (Sputnik V) gegen COVID-19 steht im Krankenhaus Nr. 4 in Sotschi
Mit Sputnik V hat Russland einen der ersten Impfstoffe geliefert und verabreicht. (dpa / TASS / Dmitry Feoktistov )

Wie wirksam ist der russische Impfstoff?

In dem Zwischenbericht, der jetzt in "The Lancet" veröffentlicht worden ist, gibt das Forschungsteam vom Gamaleja-Institut eine Wirksamkeit von 91,6 Prozent an. Also ungefähr in dem Bereich, den auch die beiden bereits zugelassenen mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna erreichen. Und deutlich höher als das Vakzin von AstraZeneca. Das schützt nämlich nur zu 60 Prozent, wenn es so injiziert wird, wie das Studienprotokoll das vorgesehen hatte.
Diese Zahl von rund 92 Prozent war bereits im November und Dezember kommuniziert worden von dem Russian Direct Investment Fund. Das ist ein russischer Staatsfond, der unter anderem die Entwicklung dieses Impfstoffes finanziert. Und der hat zwei Pressemitteilungen herausgegeben, wo diese Zahlen bereits drinstanden. Auch das waren nur Zwischenauswertungen, teilweise mit weniger Probanden.
Jetzt aber ist das Ganze in einem wissenschaftlichen Fachjournal erschienen, noch dazu in einem sehr renommierten. Das heißt, die Arbeit ist auch von unabhängigen Fachleuten begutachtet worden. Es gibt einen Anhang mit zusätzlichen Tabellen. Die Auswertung basiert auf 20.000 Probanden. Also alles sehr transparent. Denn das war ja bisher immer kritisiert worden: Dass die russischen Forscher keine Daten vorgelegt haben – bis auf Ergebnisse aus der kombinierten Phase I und II, die waren Anfang September schon publiziert worden, ebenfalls in "The Lancet".

Wie überzeugend ist die Studie?

Auf zehn Seiten werden umfangreiche Daten präsentiert. Es gibt darüber hinaus einen Anhang mit zusätzlichen Tabellen. Die Auswertung basiert auf 20-tausend Probanden. Das ist ungefähr die Hälfte der Zahl, die dann endgültig erreicht werden soll. Also alles sehr transparent. Das sehen auch die Fachkollegen so: In einem Kommentar, der dem Artikel zur Seite gestellt wurde, heißt es: Die bisherige Intransparenz sei zurecht kritisiert worden. Aber: Das Ergebnis, das nun in einem wissenschaftlichen Fachblatt veröffentlicht worden ist, sei eindeutig und zeige, dass die Impfung funktioniert. Es stehe nun also ein neues Vakzin im Kampf gegen Covid-19 zur Verfügung.

Eine Wirksamkeit von über 90 Prozent – deutlich höher als beim Vakzin von AstraZeneca, das dasselbe Prinzip nutzt. Das schützt nur zu 60 Prozent. Ist das plausibel?

Ja, das ist eine große Differenz bei zwei Präparaten, die eigentlich ähnlich funktionieren sollten. Beide sind Vektorimpfstoffe. Das heißt die nutzen ein harmloses, vermehrungsunfähiges Erkältungsvirus, ein Adenovirus, um die genetische Information für das Spike-Protein von SARS-CoV-2 in die Körperzellen einzuschleusen. Die Körperzellen bauen die Spikes dann auf, machen das Immunsystem damit vertraut – so dass sich die Abwehr aufbaut.
Worin sich beide Impfstoffe, der russische und der britische, aber unterscheiden, das ist das Vehikel, das die Bauanleitung wie ein Trojanisches Pferd in die Zellen einschleust, eben jenes Adenovirus, hier auch Vektor genannt. Der kann nun selbst vom Immunsystem als Eindringling erkannt und bekämpft werden, so dass die Bauanleitung ihr Ziel erst gar nicht erreicht.
Um zu verhindern, dass sich eine Immunabwehr gegen das Trägervirus aufbaut, verwendet das Team vom russischen Gamaleja-Institut zwei verschiedene Typen von Adenoviren. Bei der ersten Impfung wird Serotyp 26 geimpft, bei der zweiten dann drei Wochen später Serotyp 5. So soll das Vakzin die Vektor-Immunität umgehen. Falls das erste Trojanische Pferd ins Visier geraten ist, macht das nichts, denn das zweite sieht anders aus und kommt durch.

Und das macht AstraZeneca anders?

Ja, AstraZenaca verwendet für beide Impfungen denselben Typ, nämlich ein Adenovirus, das sonst nur Schimpansen infiziert. Das könnte möglicherweise die Ursache dafür sein, dass der britische Impfstoff nur zu ungefähr 60 Prozent wirksam ist – dass sich da eine gewisse Vektorimmunität einstellt.
Wobei es jetzt aber auch Hinweise aus einer Vorveröffentlichung gibt, dass sich dessen Wirksamkeit steigern lässt auf gut 75 Prozent, wenn man das Zeitfenster zwischen den Impfungen verlängert – auf drei Monate statt vier Wochen.
AstraZeneca hatte übrigens am 11. Dezember angekündigt, zukünftig mit dem russischen Gamaleja-Institut zusammenarbeiten zu wollen – um die Wirksamkeit des eigenen Produkts zu erhöhen.

Welche Nebenwirkungen sind bekannt?

Die üblichen, die zu erwarten sind, wenn das Immunsystem aktiv wird. Also grippeähnliche Symptome, Schmerzen an der Einstichstelle, Abgeschlagenheit. Ein paar schwerere Nebenwirkungen wurden auch registriert. Aber sie scheinen nicht ursächlich mit der Impfung zu tun zu haben. Der Anteil an diesen Nebenwirkungen war übrigens in der Placebo-Gruppe größer als in der Gruppe, die den eigentlichen Impfstoff erhalten hatte.

Wie weit ist nun der Weg von diesen Zwischenergebnissen bis zu einer möglichen Zulassung in Europa?

Bei der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA in Amsterdam ist wohl schon Ende Januar ein Antrag auf Zulassung eingegangen. Das hat der Russische Direktinvestment-Fond mitgeteilt, der die Studie mitfinanziert. Aber es dürfte trotzdem noch ein Weilchen dauern, bis die EMA dann die kompletten Daten gesichtet und bewertet hat. Also über die Engpässe der nächsten Wochen wird auch Sputnik V nicht hinweghelfen.
Aber: Russland hat nach Berichten des MDR auch bereits in Deutschland bei einer Firma in Dessau-Roßlau angefragt, ob man sich dort vorstellen könne, den russischen Impfstoff zu produzieren, mit dem dann Europa versorgt werden könnte. Moskau möchte das Vakzin also auf alle Fälle auch im Ausland vermarkten.

Die Studie sagt nichts über die Wirksamkeit von Sputnik V gegen die neuen Corona-Varianten. Wovon muss man ausgehen?

Wir können Vermutungen anstellen, denn der Impfstoff nutzt ja auch das Spike-Protein sozusagen als Steckbrief, um das Immunsystem dem Erreger bekannt zu machen. Und da gibt es die Befürchtung, dass manche Mutationen das Aussehen des Spike-Moleküls so sehr verändern, dass das Immunsystem anhand des Steckbriefs aus der Impfung nicht mehr dazu in der Lage ist, den Übeltäter zu erkennen und unschädlich zu machen. Das wären die sogenannten Escape-Mutationen, die wohl in den Varianten aus Südafrika und Brasilien vorkommen.
Aber letztendlich verringern die, wenn überhaupt, die Wirksamkeit des Impfstoffes. Sie machen ihn nicht vollkommen wirkungslos.
Und außerdem hat man immer noch die Möglichkeit, die Impfstoffe anzupassen. Besonders leicht geht das bei den mRNA-Vakzinen. Aber für Sputnik V ist das genauso möglich.