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Schnelligkeit vor Sicherheit?
Rennen um die Zulassung der Corona-Impfstoffe

Weltweit arbeiten Forschungsinstitute und Unternehmen mit Hochdruck an der Erprobung unterschiedlichster Vakzinen gegen SARS-CoV-2 - und entwickeln dabei mitunter ganz neue Technologien. Doch Risiken und Nebenwirkungen dürfen beim Kampf gegen die Pandemie nicht unterschätzt werden.

Von Dagmar Röhrlich | 13.10.2020
Impfstoff des Unternehmens Sinovac Biotech. Das Mittel wird zurzeit in der 3. Phase getestet.
Impfstoff des Unternehmens Sinovac Biotech. Das Mittel wird zurzeit in der 3. Phase getestet. (AFP/ Yasin Akgul)
"Die Forschung ist im Moment gigantisch schnell. Aktuell gehen wir als Forschungsministerium davon aus, dass Mitte nächsten Jahres breite Teile der Bevölkerung geimpft werden können," so Bundesforschungsministerin Anja Karliczek. "Sollte es schneller gehen, ist das natürlich toll."

Ende 2019 war das Coronavirus SARS-CoV-2 in der chinesischen Millionenstadt Wuhan als Auslöser einer unbekannten Lungenkrankheit aufgefallen. Am 10. Januar 2020 veröffentlichen chinesische Wissenschaftler den genetischen Code und binnen Stunden begann in Forschungsinstituten und Unternehmen die Arbeit an Impfstoffen. "Nie zuvor haben so viele Wissenschaftler so intensiv daran gearbeitet, eine Pandemie einzudämmen. Und die Fortschritte der Forschung sollen uns doch Zuversicht geben, dass wir irgendwann zum Alltag zurückkehren können."

Die Entwicklungen laufen auf Hochtouren: Laut WHO forschen inzwischen fast 200 Institute und Unternehmen weltweit an mehr als 160 Projekten zu SARS-CoV-2-Impfstoffen. "Wir hatten eigentlich zu Anfang erwartet, dass sich relativ schnell herauskristallisiert, dass eine bestimmte Impfstofftechnologie einfach schneller oder besser zu Impfstoffen führt. Wir haben aber jetzt gesehen, dass tatsächlich Impfstoffe, die mit einer ganz unterschiedlichen Technologie arbeiten, es alle geschafft haben, in die Erprobung mit Freiwilligen oder eben auch schon in dieses letzte Erprobungsstadium," erklärt Rolf Hömke, Forschungssprecher des Verbands der Forschenden Pharmaunternehmen. Mehr als 40 Impfstoffkandidaten werden demnach gerade in klinischen Studien an Menschen getestet.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Rund ein Dutzend davon sind in der dritten klinischen Phase, in der sich – kontrolliert durch eine Placebogruppe – mit Zehntausenden Teilnehmern erweisen muss, ob das Vakzin wirklich schützt, ob es seltene Nebenwirkungen gibt und ob es auch für Risikogruppen wie Alte oder Vorerkrankte verträglich und wirksam ist. In diese entscheidende Phase haben es ganz unterschiedliche Technologien geschafft. "Das eine sind Impfstoffe, in denen einfach inaktivierte Viren drin sind, sozusagen abgetötete Viren."
Neue Konzepte - kaum Vorerfahrung
Solche Impfstoffe sind altbekannt, die Erfahrung mit ihnen ist groß. Vorne mit dabei sind jedoch auch neue Konzepte: beispielsweise Vektorviren. "Das heißt, da sind keine Coronaviren drin, sondern andere Viren, die nicht krank machen. Denen hat man nun mit gentechnischen Möglichkeiten ein Gen vom Coronavirus mitgegeben."

Auf diesem Prinzip beruhen sowohl der Impfstoff der Universität Oxford und des Pharmaunternehmens AstraZeneca als auch der russische Sputnik-V. Ebenso ein Vakzin, das von der Ludwig-Maximilians-Universität, dem Deutschen Zentrum für Infektionsforschung und der Dessauer Firma IDT Biologika entwickelt wird. "Dann gibt es noch eine weitere Technologie. Das sind Impfstoffe, die nur Genmaterial vom Coronavirus enthalten, normalerweise als Messenger-RNA."
Eine Spritze steckt in einem Fläschchen mit der Aufschrift "Coronavirus-Impfstoff" und
COVID-19: Warum es so lange dauert, einen Impfstoff zu entwickeln
Die Entwicklung eines Impfstoffs ist ein komplexer, langwieriger Prozess. In der Regel dauert es mehrere Jahre, von den ersten Experimenten im Reagenzglas bis zu einer Zulassung eines Wirkstoffs. Nun soll alles etwas schneller gehen.
Die beiden deutschen Entwickler BioNTech und CureVac setzen mit ihren Partnern aus der Pharmaindustrie auf diese Messenger- oder Boten-RNA-Impfstoffe. Die spielen bei der Proteinproduktion eine Rolle. Der Haken: "Man muss auch klar sagen, dass es für manche der Impfstoffe, die jetzt im Gespräch sind, zur Anwendung von ganz neuen Technologien gekommen ist. Stichwort: mRNA-Impfstoff, Stichwort: Vektor-Vakzin, für den es ja entweder gar keine oder nur sehr vereinzelt beim Menschen schon angewendete Impfstoffe gibt, sodass man natürlich auch nicht die Möglichkeit hat, auf viel Vorerfahrung zurückzugreifen."

Allerdings gebe es bislang keine Hinweise darauf, dass diese neuen Impfstoffe besonders nebenwirkungsträchtig seien, sagt Thomas Mertens vom Universitätsklinikum Ulm, Vorsitzender der STIKO, der ständigen Impfstoffkommission am Robert Koch-Institut. Angesichts der Tatsache, dass die Forschungen erst vor rund neun Monaten angelaufen sind, ist das Tempo, das derzeit vorgelegt wird, beeindruckend – vor allem, weil Entwicklung und Zulassung von Impfstoffen in der Regel Jahrzehnte dauern. Seit Mitte Oktober werden von der Europäischen Arzneimittelagentur bereits zwei potentielle Impfstoffe in einem beschleunigten Verfahren bewertet: der Impfstoff der Universität Oxford und AstraZeneca und der von BioNTech und Pfizer.
Tempo und Sicherheit sollen dabei ein "Rolling Review-Verfahren" – ein beschleunigtes Bewertungsverfahren – garantieren: "Es kommt dabei ja vor allen Dingen darauf an, dass der Entwicklungsweg angemessen verkürzt werden kann", sagt Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts im hessischen Langen, das im Rahmen der europäischen Medikamentenzulassung für die deutsche Seite tätig ist. Das Institut führte von Anfang an Gespräche mit den Herstellern, die Personalkapazitäten wurden erhöht, was geht, hinten angestellt, Verfahrensabläufe verkürzt. Die an Corona-Impfstoffen forschenden Unternehmen müssen die Datenpakete nicht mehr erst sammeln und am Ende einreichen, sondern können sie an das Paul-Ehrlich-Institut weitergeben, wie sie fertig werden.
Außerdem können die drei Phasen der klinischen Prüfung überlappend geplant und kombiniert werden: "Aber erst wenn die Wirksamkeitsdaten da sind, geht dann der Komplett-Review los, also das Verfahren der Zulassung. Es gibt keine Abstriche bei der Sorgfalt der Bewertung von Anträgen beim Paul-Ehrlich-Institut", sagt Cichutek. Auch die sogenannte Pharmakovigilanz werde besonders intensiv sein, also die Überwachung der Sicherheit nach einer Zulassung, um Spätfolgen aufzudecken. Es werde nicht nur ein passives Verfahren geben, bei dem Ärzte, Apotheker und Geimpfte Nebenwirkungen melden. "Wir werden auch eine aktive Pharmakovigilanz einführen, das heißt, pharmakoepidemiologische Studien mit Einführung der Impfung, um sicher zu sein, dass wir sehr schnell mögliche Risikosignale erfassen und dann noch die entsprechenden Maßnahmen ergreifen können."
In Deutschland sind Transparenz, Vertrauen und Akzeptanz zentral
Schließlich ist die Akzeptanz der Bevölkerung zentral: Um das Virus erfolgreich zurückzudrängen, müssten sich wahrscheinlich mindestens 60 Prozent der Menschen impfen lassen, schätzt Thomas Mertens. Dazu brauche es Vertrauen, sagt Johannes Bauernfeind, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg: "In Deutschland ist es so, dass die pharmazeutischen Unternehmen nachweisen müssen, dass der Impfstoff wirklich sicher, unbedenklich und wirksam ist. Wir brauchen in Deutschland unheimlich viel Transparenz. Wir müssen die Bevölkerung umfassend aufklären, wie es zu der Zulassung der jeweiligen Impfstoffe gekommen ist, damit sie sich auch voller Vertrauen entsprechend impfen lassen können. In anderen Ländern ist das nicht so. Da wird schnell und voreilig gegebenenfalls ein Impfstoff zugelassen, nur um im weltpolitischen Wettbewerb vorne zu sein."
So vermischt sich bei dem russischen Impfstoff Sputnik-5 die letzte Phase der klinischen Prüfung mit der Impfung der Bevölkerung. China hat Hunderttausende außerhalb traditioneller Testverfahren mit experimentellen Vakzinen geimpft. Auch in den USA ist der politische Druck hoch. Nachdem eine Umfrage ergeben hatte, dass fast 80 Prozent der US-Bevölkerung fürchteten, das Zulassungsverfahren werde in erster Linie von der Politik und nicht von der Wissenschaft vorangetrieben, sah sich die Pharmabranche Anfang September zu einer ungewöhnlichen Gemeinschaftsaktion gezwungen: Die Vorstandsvorsitzenden von neun amerikanischen und europäischen Arzneimittelherstellern gaben eine gemeinsame Erklärung ab. Sie versprechen, "die Integrität des wissenschaftlichen Prozesses aufrechtzuerhalten und einen Impfstoff erst dann zur Zulassung oder Notfallgenehmigung einzureichen, wenn die Sicherheit und Wirksamkeit durch eine klinische Studie der Phase III nachgewiesen wurde".

Auch die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA hat inzwischen die Bedingungen für eine beschleunigte Zulassung verschärft: So sollen die Probanden aus der Phase III mindestens über zwei Monate nach der letzten Immunisierungsdosis beobachtet werden.
Ungeduld in der Bevölkerung
Wie verzweifelt jedoch der Impfstoff herbeigesehnt wird, zeigt die Bereitschaft Großbritanniens, über Human Challenge Studies nachzudenken – also gesunde Menschen zu impfen, um sie dann gezielt zu infizieren - mit dem potentiell tödlichen Corona-Virus, gegen das es im Ernstfall keine sichere Behandlung gibt. Thomas Mertens: "Das findet dann unter besonderer medizinischer Bewachung statt und findet naturgemäß dann auch nur bei Menschen statt, die kein großes Risiko für schwere COVID-Erkrankung haben. Mit anderen Worten: Gerade die Gruppe, die ja sozusagen besonders vulnerabel ist, also alte und erkrankte Menschen, die wird man in einem solchen Challenge-Versuch ja gar nicht heranziehen können. Und das bedeutet, dass man für diese Risikogruppen auch keine Daten daraus gewinnen kann."
Impfung mit Einwegspritze (Symbolbild)
Human Challenge Studie: Gezielt anstecken für die Impfstoff-Entwicklung
Bei Human Challenge Studien werden Testpersonen erst geimpft und dann kontrolliert infiziert. In England soll nun eine solche Studie beginnen.
Doch auch in Deutschland ist die Ungeduld groß. Das Bundesforschungsministerium hat ein Sonderprogramm unter anderem für die Ausweitung der Entwicklungs- und Produktionskapazitäten in Deutschland aufgelegt. Der Umfang: 750 Millionen Euro. Und BioNTech, CureVac und IDT Biologika haben sich erfolgreich um die Förderung beworben.
"Wir bauen alle hier Druck auf an dieser Stelle, denn wir wollen alle eine veränderte Situation haben. Dennoch wird dieser Zeitraum, bis wir den Impfstoff haben und bis wir dann vielleicht eine veränderte Risikosituation in der Pandemie erleben, wird noch Zeit vergehen. Das schränkt uns alle ein, und von daher entsteht auch von jedem Druck auf dieses System der Impfstoffzulassung", sagt Tim Steimle, Leiter Arzneimittelbereich bei der Techniker Krankenkasse. "Wir wollen hier einen Impfstoff. Die Impfstoffe sollen, wie wir uns alle wünschen, ja lieber gestern als erst in ein paar Wochen, ein paar Monaten zur Verfügung stehen. Aber wenn sie zur Verfügung stehen, dann sollten sie in jedem Falle sicher sein."
Qualitätsstandards müssten international anerkannt und eingehalten werden. Genau das bereitet dem ehemaligen Leiter des deutschen Cochrane-Zentrums, Gerd Antes, Sorgen: "Alle diese Produkte, die jetzt entwickelt werden, unterliegen einer Prüfung, die tatsächlich normalerweise viel länger dauert, die man jetzt aus Zeitgründen und auch aus politischen Gründen enorm beschleunigt. Das kann an einigen Stellen funktionieren. Zum Beispiel haben wir nicht akzeptable Wartezeiten bei der Arzneimittelentwicklung, bürokratische Hemmnisse, die kann man alle weglassen. Was wir nicht weglassen können, ist tatsächlich die biologische Zeit, die benötigt wird, um zum Beispiel Nebenwirkungen zu erkennen, zuverlässig zu erkennen. Wenn ich diese Zeit nicht lasse, dann wird es später ein bitteres Erwachen geben, wenn tatsächlich geimpft wird."
Gerd Antes fordert eine Entpolitisierung der Entscheidungswege. Denn: "Wir brauchen die Impfung auf jeden Fall. Und zwar auch mit Kompromissen. Deswegen sind die Studien so wichtig. Wir brauchen die Impfung mit den potenziellen Nachteilen, also auch mit der eingeschränkten Sicherheit und mit einer nicht zu hohen Wirksamkeit. Wir müssen wissen, was wir da tun, und das muss auch transparent kommuniziert werden."
Wie lang der Schutz hält, ist offen
Dass das System trotz der Beschleunigung grundsätzlich funktioniert, zeigen Unterbrechungen bei klinischen Studien: Als Probanden erkrankten, haben die Pharmafirmen AstraZeneca und jetzt auch Johnson&Johnson ihre Studien vorerst gestoppt. Doch selbst wenn alles glatt läuft und ein Impfstoff freigegeben wird: Die großen Hoffnungen, die damit verbunden werden, dürften sich zunächst als überzogen erweisen. Thomas Mertens, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission des RKI: "Die Leute, die alle erzählt haben, dass man bis Ende dieses Jahres einen einsetzbaren Impfstoff haben wird, das habe ich eigentlich nicht verstanden, weil da jeder sich hätte überlegen können, dass das zu kurz gegriffen ist."

Zwar fahren viele Hersteller ihre Produktion bereits hoch, obwohl sie noch nicht wissen, ob ihr Produkt erfolgreich sein wird. Doch bis geimpft werden kann, wer geimpft werden will, wird es dauern. Deshalb arbeitet die Impfkommission an einer Empfehlung zu einer Priorisierung. Im Mittelpunkt stehe das Vermeiden von schweren Erkrankungen und Todesfällen. Zweitens gehe es um das Verhindern von Infektionen. "Und das dritte Ziel, das wäre zum Beispiel hier das medizinische Personal."
Welches Szenario zum Tragen kommt, wird sich erst am Ende der dritten und abschließenden Phase der klinischen Studien entscheiden lassen. Doch auch dann sind die Probleme nicht gelöst. Vor den Impfungen stehen gewaltige logistische Anstrengungen. So müssen Impfstoffe transportiert, gelagert und gekühlt werden, manche sogar tiefgekühlt. "Hinzu kommt noch, dass es sogenannte Multi-Vials geben wird, wahrscheinlich, also Impfstofftöpfchen, wo immer der Impfstoff für mehrere Personen drin ist. Und dann muss man sozusagen mit der Spritze den jeweiligen Anteil entnehmen. Also müssen auch die Leute, die geimpft werden sollen, dann rechtzeitig zur Stelle sein, sonst verdirbt der Impfstoff unter Umständen."
Zwei Frauen sind zu sehen, eine mit, eine ohne Mund-Nasen-Schutz
Immunität gegen SARS-CoV-2 - Wie lange sind Infizierte geschützt?
Über das Virus SARS-CoV-2 haben Ärzte und Wissenschaftler in den vergangenen Wochen jede Menge gelernt. Kompliziert wird es dann, wenn Forschende herausfinden wollen, wie unser Immunsystem die neuen Viren bekämpft.
Man gehe derzeit auch davon aus, dass jeder Einzelne für einen dauerhaften Schutz wohl zweimal geimpft werden müsse, urteilt Thomas Mertens. Wobei die Frage offen ist, was unter dauerhaft zu verstehen sein wird: Wie lange die Wirkung vorhält, werden erst die Erkenntnisse der nächsten Monate und Jahre zeigen. Ohnehin scheint die durch das Virus hervorgerufene Immunität nur sechs oder acht Monate zu bestehen. "Dann können Sie sich ja leicht überlegen, selbst wenn Impfstoff genug da ist. Ich hoffe, ich mache jetzt keinen Rechenfehler. Aber wenn Sie 150 Tage lang jeden Tag 100.000 Menschen impfen würden, dann hätten Sie am Ende von 150 Tagen, sprich einem halben Jahr, 15 Millionen geimpft. Jetzt können Sie sich mal überlegen. Und 100.000 Leute am Tag zu impfen ist eine Zahl, die wir so nicht erreichen können. Nur damit man sich klarmacht, dass das ja ein sehr komplexes System ist."
Soll heißen: Mit der Zulassung erster Impfstoffe ist die Pandemie noch lange nicht vorbei. "Jetzt fangen wir an zu impfen und dann ganz prima, dann gehen wir alle wieder auf den Tanzboden. Das ist ja Unsinn. Es wird natürlich auch längerfristig so sein, dass wir neben der anlaufenden Impfkampagne auch weiter die Maßnahmen brauchen, um die Infektionseindämmung zu ermöglichen. Selbst wenn angefangen wird zu impfen, wird sich für unser tägliches Leben so schnell dann nichts ändern."
Erstmals seit Polio soll Weltbevölkerung geimpft werden
"Die Impfstoffe werden alle unterschiedliche Eigenschaften haben und unterschiedliche Immunität erzeugen. Dann muss man sehen, wie es sich in der Praxis, was der beste Impfstoff ist, um eine Bevölkerung zu schützen." Die Herausforderung ist enorm, urteilt auch Jörg Vogel, Direktor des Helmholtz-Instituts für RNA-basierte Infektionsforschung. "Ich glaube, wir haben zum ersten Mal seit Polio tatsächlich eine Situation, wo man davon ausgeht, dass man eigentlich die gesamte Weltbevölkerung impfen muss."
Hier kommt auch die Frage der Verteilungsgerechtigkeit zum Tragen. Reiche Länder haben sich schon Hunderte Millionen Dosen gesichert, entweder direkt über Verträge mit den Unternehmen oder über die finanzielle Unterstützung der Entwicklung und des Produktionsausbaus. Und die Kosten für die Impfung so vieler Menschen werden gewaltig sein. Allerdings haben mehrere Unternehmen angekündigt, dass sie ihre Impfstoffe zu Preisen nahe der Herstellungskosten abgeben werden, zu Preisen, "die niedriger sind als das, was für die jährliche Grippeimpfung angesetzt wird. Und wenn man so arbeitet, dann macht man natürlich keine Rekordgewinne", beschreibt Rolf Hömke.
Das Firmenschild des Pharmaunternehmens AstraZeneca
Covid-19-Impfstoff: Das zähe Ringen um die Verteilung
Die Entwicklung der Impfstoffe gegen COVID-19 geht mit Turboantrieb voran. Erste Zulassungen hat es in China und Russland schon gegeben. Die Diskussion, wer wann welchen Impfstoff bekommt, läuft auf Hochtouren.
Doch für Entwicklungsländer wäre so etwas trotzdem unbezahlbar. Deshalb startete im vergangenen Monat ein Experiment: Covax, eine Initiative, die den globalen Zugang zu Covid-19-Vakzinen auch für ärmere Länder sichern will. Bis Ende 2021 sollen diesen Ländern zwei Milliarden Impfdosen unterschiedlicher Technologien zur Verfügung gestellt werden, erläutert Nicholas Jackson von der 2017 gegründeten Organisation CEPI, ein internationales Netzwerk zur Erforschung und Entwicklung neuer Impfstoffe: "Covax ist zentraler Baustein für einen gerechten Zugang zu diesen zwei Milliarden Dosen. Unglaubliche 168 Länder haben sich Covax angeschlossen: 76 Länder mit hohem Einkommen und 92 Länder mit mittlerem und niedrigem Einkommen. Es ist historisch, dass so viele Länder diese Vereinbarung unterzeichnet haben, vergleichbar nur mit dem Pariser Klimaabkommen, das vor einigen Jahren unterzeichnet wurde."

Deutschland zählt zu den großen Geldgebern des Projekts, auch viele Pharmaunternehmen beteiligen sich. Allerdings sind die Vereinigten Staaten, Russland und China bislang nicht dabei. Laut der Weltgesundheitsorganisation ist Covax mit China in Verhandlungen, chinesische Impfstoffe für den Rest der Welt zugänglich zu machen. Denn dort soll ein Impfstoff für die breite Öffentlichkeit schon im November oder Dezember bereitstehen.