Archiv

Russland
Einflussnahme vor der Wahl

Präsident Putin wolle Proteste wie nach der Parlamentswahl 2011 verhindern, sagte der Russland-Beauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler, im DLF. Deshalb gebe es diesmal eine Wahlkommission mit der Menschenrechtlerin Ella Pamfilowa an der Spitze. Anlass für Skepsis sieht Erler trotzdem.

Gernot Erler im Gespräch mit Dirk Müller |
    Der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler (SPD), aufgenommen am 14.03.2015 in Singen.
    Glaubt nicht an faire Parlamentswahlen in Russland: Der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler (SPD). (dpa - Patrick Seeger)
    Bei der Vorbereitung der Duma-Wahl, vor allem bei der Registrierung, seien Entscheidungen getroffen worden, die sich auf das Ergebnis auswirkten. Es gebe nur zwei wirkliche Oppositionsparteien, die antreten könnten, die PARNAS, die Partei der Volksfreiheit, und Jabloko. Dagegen sei die Fortschrittspartei von Alexei Nawalny nicht zugelassen worden. Außerdem seien bei der Registrierung von Direktbewerbern 92 Prozent der unabhängigen Kandidaten nicht aufgenommen worden. "Das ist natürlich eine Einflussnahme", betonte der SPD-Politiker.
    Allerdings erwarte er beim Ablauf der Wahl am Sonntag selbst keine großen Unregelmäßigkeiten. Der "Schock von 2011 sitzt immer noch tief." Deshalb sei die Parole ausgegeben worden, "allzu eindeutige Unregelmäßigkeiten zu unterlassen". Ella Pamfilowa sei eine anerkannte Menschenrechtskämpferin, die sehr energisch vorgehe. Sie habe bereits deutlich gemacht hat, dass sie nicht davor zurückschrecken werde, Wahlergebnisse bei Unregelmäßigkeiten zu annullieren.
    Zudem würden fast 500 Wahlbeobachter der OSZE vor Ort sein, deutlich mehr als bei früheren Wahlen. Sie seien aber nur wenige Tage vor Ort und beobachteten lediglich, wie der Wahltag verlaufe. Das Registrierungsverfahren im Vorfeld sei nicht Gegenstand ihrer Beobachtung.
    Die Partei "Geeintes Russland" von Präsident Wladimir Putin könne mit einer deutlichen Mehrheit rechnen. In den Umfragen liege sie zwischen 31 und 44 Prozent. Weil vermutlich viele kleinere Parteien an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterten und aufgrund der vielen Direktmandate werde sie aber vermutlich die absolute Mehrheit erreichen.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Russland, Dutzende Gouverneure, die korrupt sein sollen, sind gefeuert worden. Zehnmal so viele Parteien wie noch vor fünf Jahren dürfen diesmal antreten. Und die neue Chefin der zentralen Wahlkommission ist Menschenrechtsbeauftragte gewesen. Die Duma-Wahlen, die Parlamentswahlen in Russland an diesem Wochenende.
    Wladimir Putin will damit ein Zeichen setzen: Öffnung, Transparenz, Fairness. Er will verhindern, dass ähnlich wie 2011 Zehntausende, Hunderttausende auf die Straßen gehen und demonstrieren, gegen das Wahlergebnis, den Mächtigen wieder vorwerfen, alle getäuscht zu haben, das Land verraten zu haben, offene Proteste gegen das System Putin. Doch an diesem System wird sich nach Einschätzung vieler Beobachter auch diesmal nichts ändern.
    Am Telefon ist nun SPD-Außenpolitiker Gernot Erler, Regierungsbeauftragter für die deutsch-russischen Beziehungen. Guten Morgen!
    Gernot Erler: Guten Morgen, Herr Müller.
    "92 Prozent der unabhängigen Kandidaten sind nicht registriert worden"
    Müller: Herr Erler, täuscht Wladimir Putin immer?
    Erler: Wladimir Putin ist entschlossen, dass es diesmal nicht zu großen Protesten und Kritik an den Wahlen kommen kann. Der Schock von 2011, der sitzt immer noch tief. Und insofern ist auch die Parole ausgegeben worden, hier allzu eindeutige Unregelmäßigkeiten, eine allzu klare Nutzung von den sogenannten administrativen Ressourcen, also den Vorteilen, die die Regierungspartei hat, zu unterlassen.
    Und Sie haben schon erwähnt: Wir haben diesmal eine zentrale Wahlkommission unter Ella Pamfilowa, einer anerkannten Menschenrechtskämpferin auch, die sehr energisch vorgeht und auch schon deutlich gemacht hat, sie wird nicht davor zurückschrecken, Wahlergebnisse zu annullieren, wenn ihr zu starke Beschwerden über Unregelmäßigkeiten zu Ohren kommen.
    Müller: Herr Erler, das hört sich jetzt so an, als könnte es in diesem Falle fast faire Wahlen geben.
    Erler: Nein! Das wird leider nicht der Fall sein, weil ich spreche jetzt von dem Wahlvorgang, aber nicht von den Vorbereitungen. Und bei den Vorbereitungen sind natürlich schon Entscheidungen getroffen worden, die sich auswirken auf das Wahlergebnis, vor allen Dingen bei dem Registrierungsverfahren.
    Wir haben praktisch nur zwei wirkliche Oppositionsparteien, die antreten können, das ist PARNAS, die Partei der Volksfreiheit, und Jabloko, während zum Beispiel die Fortschrittspartei von Alexei Nawalny, einem bekannten Oppositionellen, nicht registriert worden ist. Und wir haben bei der Registrierung von Direktbewerbern - die Hälfte der Mandate, 225, werden über Direktmandate vergeben - große Schwierigkeiten bei den Kandidaten gehabt. Von 304, die sich nominieren lassen wollten, registrieren lassen wollten, haben das nur 23 geschafft. Das heißt, 92 Prozent der unabhängigen Kandidaten sind nicht registriert worden. Das ist natürlich eine Einflussnahme.
    "Vorentscheidungen über den Registrierungsprozess werden sich auf das Ergebnis auswirken"
    Müller: Wenn ich die Zahl von eben noch mal zitieren darf? Das haben wir in mehreren Quellen ja gelesen. Das sind ja unterschiedliche Rechnungen, aber sie kommen alle zu einem Ergebnis. Es sind zehnmal mehr Parteien, die antreten dürfen, als 2011. Das habe ich in der Moderation auch gesagt. Das war für mich eine erstaunliche Zahl. Ist das nur Scheinpluralismus?
    Erler: Das ist durchaus Pluralismus. Aber wie gesagt, es ist auch so, dass eine ganze Reihe von Kandidaten nicht zugelassen worden sind, und insofern sind Vorentscheidungen über den Registrierungsprozess gefallen, die sich auswirken werden auf das Ergebnis insgesamt, und das ist natürlich dann nicht ein Gegenstand von Wahlbeobachtung.
    Wir werden auch Wahlbeobachtung haben, es werden annähernd 500 Wahlbeobachter von der OSZE vor Ort sein, interessanterweise genauso viele wie auch beim amerikanischen Wahlkampf dabei sein werden. Das hat geholfen, dass das auch von Russland akzeptiert wird. Aber das sind 420 Kurzzeit-Beobachter, die nur wenige Tage vor Ort sind und bei denen natürlich dann der Gegenstand ist, nicht wie das Registrierungsverfahren verlaufen ist, sondern wie der Wahltag verläuft.
    "Man glaubt, dass nicht mehr als vier Parteien in die Duma kommen werden"
    Müller: Aber sie werden nichts am Ergebnis ändern können, die Kontrollen, die Beobachtungen?
    Erler: Die Ergebnisse sind noch offen und sie sind so, dass die Prognosen darauf hinweisen, dass die Kreml-Partei Jedinaja Rossija, einheitliches Russland, das Ergebnis vom letzten Mal von 2011 wahrscheinlich nicht erreichen wird. Damals gab es 49,3 Prozent, allerdings bei einem anderen Wahlsystem. Die Umfragen liegen zwischen 31 und 44 Prozent.
    Aber es ist offenbar so, dass der Kreml diese Gefahr hinnimmt, dass die eigene Machtpartei vielleicht ein schlechteres Ergebnis bekommt, was übrigens nicht ausschließt, dass sie weiter die absolute Mehrheit hat, weil sie die meisten wahrscheinlich der Direktwahlkreise gewinnen wird, und das sind ja dann schon …
    Müller: Weil auch viele kleinere Parteien an der Fünf-Prozent-Hürde mit großer Wahrscheinlichkeit scheitern werden?
    Erler: Ja, das ist sehr wahrscheinlich. Man glaubt, dass nicht mehr als vier Parteien in die Duma kommen werden.
    "Putin ist vor allen Dingen populär durch seine geopolitischen Aktivitäten"
    Müller: Also könnten da 35, 40 Prozent ausreichen, um dann tatsächlich nach wie vor die absolute Mehrheit zu haben?
    Erler: Ja. Es werden wahrscheinlich über 40 Prozent sein, aber dass dadurch, dass die Direktwahlkreise dann doch sehr schwer für andere Kandidaten gewinnbar sind, dadurch wird das so sein und man rechnet damit, dass höchstens eine kleine Zahl von unabhängigen Kandidaten und auch oppositionellen Kandidaten es schaffen wird, einen Direktwahlkreis zu gewinnen.
    Müller: Herr Erler, wir haben gestern noch andere Zahlen gefunden, Umfragen - man weiß ja nie, wie unabhängig die sind, wie objektiv die sind, wie repräsentativ sie sind. 80 Prozent Zustimmung für Wladimir Putin. Das war die Zahl, die wir jedenfalls aktuell gefunden haben. Noch mal: 80 Prozent Zustimmung generell in der Bevölkerung für die Politik von Wladimir Putin. Warum hat ein solcher Präsident es dann nötig, zu manipulieren?
    Erler: Erst mal sind es tatsächlich 82 Prozent. Allerdings muss man sagen: Der Regierungschef, Dmitri Medwedew, hat nur 48 Prozent nach der gleichen Umfrage Zustimmung. Der ist der Platz eins von einheitliches Russland, also von der Liste, und hier gibt es Unterschiede. Putin ist vor allen Dingen populär durch seine geopolitischen Aktivitäten, durch die Aneignung der Krim und die Integration durch sein Auftreten im Syrien-Konflikt, und dadurch, dass er es geschafft hat, in den letzten Monaten doch international als ein wichtiger geopolitischer Player sozusagen auf Augenhöhe mit Amerika anerkannt zu werden, das sind internationale Aspekte, die hier zu seiner Popularität führen.
    Medwedew wird konfrontiert mit den Schwierigkeiten, die es in der Wirtschaft gibt. Wir haben im letzten Jahr 3,7 Prozent Minuswachstum gehabt in der russischen Wirtschaft, in den ersten acht Monaten dieses Jahres fast wieder ein Prozent …
    Müller: Herr Erler, wir hören leider die Musik im Hintergrund. Wir nähern uns den Nachrichten. Ich danke ganz herzlich, dass Sie so früh für uns Zeit gefunden haben, wieder einmal heute Morgen. Ihnen noch einen schönen Tag!
    Erler: Danke schön!
    Müller: Das war hier bei uns im Deutschlandfunk der SPD-Außenpolitiker Gernot Erler, der Regierungsbeauftragte für die deutsch-russischen Beziehungen. Vielen Dank dafür.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.