Archiv

Russland im Syrien-Krieg
"Wir müssen überlegen, welche Sanktionen greifen"

Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter verlangt angesichts der russischen Syrien-Politik ein abgestimmtes Vorgehen des Westens. Man müsse auf Diplomatie setzen, aber auch neue Sanktionen gegen Moskau prüfen, sagte er im DLF.

Roderich Kiesewetter im Gespräch mit Bettina Klein |
    Der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter
    Der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter vor einem LKW in Tarnfarben (picture alliance / dpa / Stephanie Pilick)
    Strafmaßnahmen könnten zwar die Bombardierungen in Syrien nicht stoppen, "aber man kann auch nicht weiter zusehen", meinte Kiesewetter. Gebraucht werde jetzt eine europäische Initiative.
    Der CDU-Politiker schlug vor, in Syrien nahe der Grenzen humanitäre Korridore einzurichten. Solche Schutzzonen könne es geben, ohne dass man dafür "das Völkerrecht verbiegen" müsse. Die Korridore müssten militärisch abgesichert sein. Zur Durchsetzung könne es auch begrenzte Militärschläge gegen das Assad-Regime geben. Die Syrer sähen in Assad das größere Übel, betonte Kiesewetter. Man müsse darauf drängen, dass dieser abgelöst werde, und in einem zweiten Schritt den IS bekämpfen.

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: Am Telefon mitgehört hat der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter. Er ist unter anderem Obmann im Auswärtigen Ausschuss für seine Fraktion. Guten Morgen, Herr Kiesewetter.
    Roderich Kiesewetter: Guten Morgen, Frau Klein.
    Klein: Ja was tun? Beginnen wir damit: Verhältnis zu Russland, die Frage nach Sanktionen. Die SPD sieht das durchaus skeptisch und kritisch. Unterstützen Sie da Ihren Parteifreund Norbert Röttgen uneingeschränkt, wenn er sagt, wir müssen Sanktionen gegen Russland verhängen?
    Kiesewetter: Wir müssen erst mal die Lage betrachten. Ich schließe Sanktionen nicht aus, denn Russland geht ja sehr ganzheitlich vor. Blicken wir auf die Ostukraine: Das Minsker Abkommen ist von russischer Seite nicht umgesetzt. Blicken wir auf die Krim: Auch dort findet eine sehr starke Beeinflussung statt. Schauen wir auf die Beeinflussung der Wahlkämpfe in Europa hinsichtlich der Unterstützung von identitären Bewegungen, der Aufbau eines Think Tanks, eines Putin-Vertrauten Jakunin, Dialog der Generationen mit einem Millionenbetrag in Berlin. Und das fürchterliche Vorgehen Russlands im Weltsicherheitsrat gestern wie auch in Syrien. All das zeigt, dass Russland eine große abgestimmte Strategie hat und wir in Europa, weder die EU, noch einzelne Staaten können dem etwas entgegensetzen. Meine Forderung ist, dass hier die Europäische Union deutlich stärker werden muss. Mogherini sollte eine Sondersitzung ansetzen, oder auch der Kommissionspräsident. Wir brauchen ein stärkeres europäische abgestimmtes Vorgehen. Es reicht nicht, wenn Spanien und Frankreich etwas im Weltsicherheitsrat tun.
    "Sanktionen können nur das letzte Mittel sein"
    Klein: Aber das heißt auch, Sie sind selbst auch skeptisch, was Sanktionen angeht, und würden auch befürworten, den Dialog zunächst mal weiter aufrecht zu erhalten und zu verstärken mit so einer EU-Initiative?
    Kiesewetter: Wir sollten auf jeden Fall auf Diplomatie setzen. Sanktionen können nur das letzte Mittel sein. Aber so verfahren wie die Lage ist, glaube ich, ist es erforderlich zu überlegen, welche Sanktionen greifen, denn darunter muss man ja wirtschaftliche Sanktionen verstehen. Es sollten auf keinen Fall Sanktionen sein, die Gespräche aussetzen. Aber wir müssen überlegen, wo wir Russland treffen, und das ist zum einen im Bereich der Technologieversorgung, im anderen aber auch, indem wir den Nachbarn Russlands etwas anderes anbieten, im Bereich der Energieversorgung, aber auch im Bereich der gesellschaftlichen Unterstützung. Hier muss jetzt die Europäische Union, die ja eine neue Strategie seit diesem Jahr hat, diese Strategie auch praktisch umsetzen, und das fehlt mir noch.
    "Man kann nicht die Bombardierung stoppen"
    Klein: Ein Argument gegen Sanktionen - das wurde ja auch von dem angesprochenen Gernot Erler, Russland-Beauftragter der Bundesregierung, bei uns am Samstag im Deutschlandfunk dargelegt - ist, das sei nur langfristig wirksam und damit könne man im Augenblick nicht die Bombardierung stoppen in Aleppo. Da würden Sie Herrn Erler zustimmen?
    Kiesewetter: Man kann nicht die Bombardierung stoppen. Aber wir können auch nicht weiter zusehen. Deshalb unterstütze ich die Forderung der Prüfung nach Sanktionen, weil wir sonst wieder zu viel Zeit verlieren. Wir brauchen jetzt einen parallelen Ansatz, Prüfung von Sanktionen, Fortsetzung der Diplomatie. Nur was nützt es, wenn wir auf Gespräche setzen - und Steinmeier macht das ja vorbildlich - und auf der anderen Seite das Ganze ins Leere läuft. Hier brauchen wir den Ansatz, was können wir noch tun, und das ist aus meiner Sicht die europäische Initiative, die Prüfung von Sanktionen, aber auch eine stärkere Einbindung der Türkei. Die müssen wir in unsere Strategie mit einbeziehen. Sie ist zu verselbständigt.
    Klein: Dialogpolitik muss weitergeführt werden, sagen Sie auch. Gleichzeitig haben wir gerade gehört, genau der Ansatz wird immer stärker kritisiert, und da gerät die SPD auch unter Druck. An der Stelle würden Sie den Koalitionspartner in Schutz nehmen?
    Kiesewetter: Nein. Die SPD hat sich inzwischen in den letzten Jahren zu einem gleichen Abstand zur USA und zu Russland entwickelt. Die SPD sollte viel stärker auf das aufbauen, was die SPD eigentlich ausmacht: die Dialogbereitschaft, vertrauensbildende Maßnahmen. Aber hier knickt die SPD leider ein. Es sind Kräfte in der SPD wie Platzeck und andere, die dies tun, und Steinmeier wird dadurch etwas isoliert. Das ist schade! Aus meiner Sicht ist es erforderlich, dass wir aus dem Kanzleramt hier noch stärker auf die Europäische Union einwirken. Wir brauchen, gerne gestützt durch das Kanzleramt, aber eine sehr klare europäische Initiative. Sonst machen wir uns unglaubwürdig. Wir halten uns doch raus! Wir sind doch fast bequem geworden, zuzuschauen, und sind froh, nicht eingebunden zu sein. So geht es nicht weiter.
    "Russland schafft hier Fakten, die womöglich Anwendung in anderen Krisengebieten finden"
    Klein: Es wird offensichtlich in den Vereinigten Staaten zumindest hinter den Kulissen jetzt doch noch mal darüber diskutiert, ob man militärisch eingreifen sollte. Davon würden Sie jetzt aber komplett abraten, oder wie?
    Kiesewetter: Der Punkt ist ja, ob wir vergleichbar 1999, als es gegen Serbien ging im Kosovo-Krieg, wo es auch kein Votum des Weltsicherheitsrates gab, ob wir eine Weiterentwicklung des Völkerrechts brauchen, um dort einen Eingriff zu ermöglichen. Dieser Eingriff muss aber sehr begrenzt sein und an den Grenzen von Libanon und Jordanien sichere Schutzzonen ermöglichen, dass Menschen, die im Niemandsland sind, die Chance haben, unter internationalem Schutz zu stehen. Das wäre eine Initiative, die man leisten könnte, ohne dass man das Völkerrecht verbiegt. Aber nur zuzuschauen, wie Russland die Initiative ergriffen hat und quasi das gesamte Land Syrien unter seine Hegemonie bringt, das können wir auf Dauer nicht zulassen, weil wir ja auch Folgeschritte haben werden. Syrien wird ja nicht der Endpunkt der internationalen Krisenentwicklung sein und Russland schafft hier Fakten, die womöglich dann auch Anwendung in anderen Krisengebieten finden. Hier müssen wir einen Riegel vorschieben.
    "Die Syrer sehen in Assad das größere Übel als im IS"
    Klein: Ich verstehe Sie richtig, Sie würden begrenzte Militärschläge der Vereinigten Staaten auch ohne Mandat des Sicherheitsrates mit einer sogenannten Koalition der Willigen durchaus für gerechtfertigt halten?
    Kiesewetter: Nicht gegen Russland!
    Klein: Entschuldigung! In Syrien gegen das Assad-Regime.
    Kiesewetter: Gegen das Assad-Regime. Und zweitens haben wir uns immer darauf international verständigt, zuerst den IS zu bekämpfen und dann Assad abzulösen. Mein Eindruck ist auch aus vielen Reisen in die Region, dass die Syrer in Assad das größere Übel sehen als im IS, und ich glaube, wir müssen darauf drängen, dass Assad abgelöst wird in einem überschaubaren Zeitraum, um auch der syrischen Bevölkerung ein Zeichen zu geben, dass das eigentliche Übel Assad ist und dass man dann in einem zweiten Schritt den IS bekämpft.
    Klein: Aber wie groß ist das Risiko, Herr Kiesewetter, dass man sich damit in eine Art Stellvertreterkrieg hinein begibt, dass im Grunde genommen die USA sich indirekt dann doch in einen Krieg gegen Russland begeben würden und damit wirklich eine Gefahr eines Weltenbrandes eingehen?
    Kiesewetter: Diese Gefahr sehe ich weniger, weil wir ja leider das Phänomen das Stellvertreterkrieges dort schon haben. Saudi-Arabien und Iran haben ihre Kräfte innerhalb Syriens und auch des Iraks und es geht jetzt hierum, humanitäre Hilfe zu leisten und humanitäre Korridore abzusichern. Das kann man nicht inmitten des Landes machen, weil dann genau wie Sie sagen der Stellvertreterkrieg droht, sondern man muss es in der Peripherie machen. Dazu brauchen wir die Türkei, den Libanon und Jordanien. Das wäre aus meiner Sicht ein sinnvoller Ansatz, genauso wie man in den stabilen Teilen des Iraks, so wie die Bundesrepublik ja die Peschmerga im Nordirak unterstützt, von dort aus auch Initiativen starten muss, so dass man quasi von den Grenzen heraus wirkt und entsprechend militärisch abgesichert humanitäre Korridore aufbaut.
    "Eine humanitäre Unterstützung, die militärisch abgesichert ist"
    Klein: Von der syrischen Opposition haben wir auch am Samstag hier im Deutschlandfunk die Forderung gehört, es müssten die Rebellen bewaffnet werden. Damit würde man quasi ein direktes Eingreifen verhindern, aber die Rebellen soweit ausrüsten, dass sie sich dann auch gegen Bombardierungen von Assad und durch Russland unterstützt zur Wehr setzen könnten. Das halten Sie aber nicht für praktikabel?
    Kiesewetter: Diese Rebellen werden ja zum Teil schon unterstützt, von Saudi-Arabien großteils. Diese weiter zu bewaffnen - es ist völlig unklar, die Gemengelage ist unklar, wer welche Rebellen sind, wer wie unterstützt wird -, da bin ich sehr vorsichtig. Wir brauchen einen Dialog vor Ort mit Saudi-Arabien, mit Iran, mit Türkei, mit Russland, den USA und Europa. Das könnte man im Libanon leisten. Der Libanon ist, so instabil er ist, immer noch ein Rollenmodell für die Art und Weise, wie unterschiedliche ethnische und religiöse Gruppen miteinander umgehen können. Diplomatische Initiative und eine humanitäre Unterstützung, die militärisch abgesichert ist, an der Peripherie Syriens, glaube ich, das wäre der Ausweg.
    Klein: Die Meinung von Roderich Kiesewetter heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk, CDU-Außenpolitiker im Deutschen Bundestag. Danke, Herr Kiesewetter, für das Gespräch.
    Kiesewetter: Ja, schönen Tag. Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.