Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Russland
Neue Aktivitäten in Afghanistan

28 Jahre nach dem Rückzug sowjetischer Truppen aus Afghanistan zeigt Russland wieder verstärkt Interesse an dem Land. Außenminister Sergej Lawrow führt als Ziel die Vernichtung terroristischer Gruppen an. Doch Beobachter vermuten auch strategische Gründe. Die USA sind beunruhigt.

Von Thielko Grieß | 16.02.2017
    Der russische Außenminister Sergej Lawrow (r) legt seine rechte Hand auf den linken Arm seines afghanischen Kollegen Salahuddin Rabbani. Die beiden lächeln sich an.
    Der russische Außenminister Sergej Lawrow (r) mit seinem afghanischen Kollegen Salahuddin Rabbani am 7.02.2017 in Moskau. (AFP/Kirill KUDRYAVTSEV)
    Von Kandahar bis Kabul hat er sich mit seiner Einheit durchgekämpft: 1985 bis 1987. Für Iwan, den Afghanistan-Veteranen der Sowjetischen Armee, ist Gedenktag: der Abzug der Sowjets aus Afghanistan liegt 28 Jahre zurück.
    "Sich gegenseitig umzubringen ist hart. Hat man Blut gesehen ... Na, der eine versteht es und bleibt ruhig, der andere fängt an, zu toben."
    Iwan sitzt mit seinen Kameraden in einem Café am Eingang zum Siegespark in Moskau. So blutig die Kämpfe auch waren – in seinen Augen hatten sie Sinn:
    "Als unsere sowjetischen Truppen, die Schurawi genannt wurden, dort waren, war es einfacher und ruhiger. Als die Amerikaner nach Afghanistan kamen, hat es begonnen mit dem echten Saustall. Und jetzt rufen die Afghanen uns, damit wir die Ordnung wiederherstellen."
    Iwan steht auf und verlässt mit seinen Kameraden das Café. Im Siegespark legen sie an einem Mahnmal für die getöteten Kameraden Kränze und Nelken nieder.
    Zu sehen ist auf dem Foto das "Unsterbliche Regiment": Veteranen und Angehörige halten bei Gedenkmarsch Schilder mit Porträts getöteter sowjetischer Soldaten hoch.
    Veteranen und Angehörige halten beim Gedenkmarsch Schilder mit Porträts getöteter sowjetischer Soldaten hoch. (Deutschlandradio / Thielko Grieß)
    Am selben Tag, Mittwoch, beginnen - auch in Moskau - internationale Verhandlungen. Die Teilnehmer kommen aus den Regierungen Indiens, Pakistans, Chinas, Irans und eben Afghanistans. Gastgeber Russland will wieder Einfluss ausüben in Afghanistan. Außenminister Sergej Lawrow in der vergangenen Woche:
    "Wir haben ein Abkommen zwischen unseren Regierungen über militärtechnische Hilfe. Auf Grundlage dieses Abkommen, das seit November des vergangenen Jahres in Kraft ist, liefern wir weiter Waffen und Munition. Im engen Kontakt zwischen unseren Geheimdiensten tauschen wir Informationen über die Identifizierung und Vernichtung terroristischer Gruppen aus und erhöhen die Effektivität unseres Kampfes gegen sie."
    US-Militär sieht russisches Engagement mit Sorge
    Russlands Interesse an Afghanistan ist dem US-Militär nicht verborgen geblieben. US-General Nicholson, der am Hindukusch kommandiert, klagte kürzlich vor einem Ausschuss des Senats in Washington:
    "Wenn wir uns anschauen, was die Russen und Iraner in Afghanistan tun, dann glaube ich, dass sie zum Teil die Bemühungen der USA und der NATO unterhöhlen."
    Dass Russland wieder stärker mitmischt, erkennt auch Orchan Dschemal. Der Journalist hat in den vergangenen Jahren aus Afghanistan über Konflikte und Kriege berichtet. Er sagt, um Afghanistan zur Ruhe zu bringen, ist Russland grundsätzlich bereit, mit den Taliban zu verhandeln. Etwas, was die Vereinigten Staaten bislang nicht mit Nachdruck täten. Moskau hingegen habe einen Vorteil: alte Kontakte.
    "Das ist eine technische Frage: Wenn wir solche Kontakte brauchen, wird es nicht so schwierig, sie zu bekommen. Man muss verstehen, dass noch vor 20 Jahren ein Drittel der mittleren Führungsebene der Taliban aus ehemaligen Kommunisten bestand."
    Russland verfolgt geopolitische und wirtschaftliche Interessen
    Dschemal geht davon aus, dass sich die vom Westen unterstützte Regierung in Kabul nicht lange wird halten können. Die nächste, meint er, wird zwangsläufig auch von Taliban gestellt. Moskau wolle erreichen, dass sich von Afghanistan aus keine politische Unruhe nach Zentralasien und damit bis zur russischen Südgrenze ausbreite. Schon heute sei Afghanistan zum Bedauern des Kremls Rückzugsraum für Oppositionelle aus Tadschikistan und Usbekistan. Beides sind autoritär regierte Länder, unterstützt von Moskau.
    Das russische Außenministerium erklärte gestern, die zentralasiatischen Regierungen sollten schon bald über Afghanistan mitverhandeln. Soviel zur Geopolitik. Dschemal sieht einen zweiten Grund, weshalb sich Moskau engagiere:
    "Schließlich gibt es ökonomische Interessen: eine transafghanische Gasleitung. Gas aus Turkmenistan kann durch Afghanistan und Pakistan bis zum Indischen Ozean geleitet und von dort mit Schiffen abtransportiert werden."
    Für den Kriegsberichterstatter ist ausgemacht: Die von den Amerikanern angeführte westliche Allianz wird Afghanistan verlieren. Moskau hatte sich zurückgelehnt, abgewartet und beginnt nun, ein eigenes Szenario umzusetzen.