Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Russland-Sanktionen und Ukraine-Konflikt
"Wir brauchen einen wahrhaftigen Waffenstillstand"

Ohne einen Waffenstillstand in der Ostukraine, der seinen Namen auch verdiene, werde es kein Ende der Sanktionen gegen Russland geben, sagte der SPD-Außenpolitiker Nils Schmid im Dlf. Erst wenn das Waffenstillstandsabkommen umgesetzt werde, könne man über einen Einstieg in den Ausstieg aus der Sanktionspolitik reden.

Nils Schmid im Gespräch mit Peter Sawicki | 18.08.2018
    Der SPD-Politiker Nils Schmid
    Das Minsk-Abkommen müsse endlich umgesetzt werden, sagte der SPD-Politiker Nils Schmid im Dlf (picture alliance / ZB / Karlheinz Schindler)
    Peter Sawicki: Am Telefon Nils Schmid, SPD. Er ist außenpolitischer Sprecher seiner Partei im Deutschen Bundestag. Guten Morgen, Herr Schmid!
    Nils Schmid: Guten Morgen, Herr Sawicki!
    Sawicki: Wird es Zeit, dass Deutschland wieder Brücken nach Moskau baut?
    Schmid: Ja, wir bauen ständig Brücken nach Moskau. Wir sind ja die ganzen Jahre über, auch in der Hochphase des Ukraine-Konflikts, im Gespräch geblieben, und Treffen zwischen Merkel und Putin finden regelmäßig statt, auch zwischen den Außenministern. Und wir haben in der Tat vieles mit Russland zu besprechen. Ob es um die Ostukraine oder Syrien geht, ohne Russland werden wir dort keine politischen Lösungen hinbekommen.
    Sawicki: Aber das ist ja das erste bilaterale Treffen Wladimir Putins in Deutschland nach vier Jahren, und offensichtlich hat es dann ja doch eine Distanz gegeben in den letzten vier Jahren. Zwingt das jetzt nicht zu einem weiteren Kurswechsel?
    Schmid: Ein Kurswechsel nicht. In der Sache sind die Positionen Deutschlands und der EU klar. Wir wollen, dass das Minsk-Abkommen endlich umgesetzt wird, auch mit Unterstützung der Russen, die Einfluss auf die Separatisten in der Ostukraine haben, und wir wollen, dass es eine politische Lösung in Syrien gibt. Beides ist nur mit Russland möglich, und wir werden deshalb mit Russland insbesondere besprechen müssen, wie wir konkrete Schritte zu diesen Zielen mal hinbekommen. Denn seit zwei Jahren wird darüber geredet, die konkreten Schritte sind in der Ostukraine bislang sehr bescheiden ausgefallen, und in Syrien deutet alles darauf hin, dass es eine militärische Lösung zugunsten des Assad-Regimes gibt. Umso wichtiger ist es, danach eine politische Lösung zu finden, die alle Kräfte Syriens, auch die oppositionellen Kräfte, einbettet.
    Sawicki: Hätte man dann in der Vergangenheit nicht noch häufiger mit Russland sprechen müssen, um schneller dort in diesen Gebieten zu politischen Lösungen zu kommen?
    Schmid: Wissen Sie, in der Ukraine lag es einfach auch am mangelnden russischen Willen, dass wir nicht vorangekommen sind. Am Dialog hat es nie gemangelt. Und bei Syrien hat Russland sich auf die Seite Assads geschlagen und militärisch interveniert. Der Westen hatte auf militärische Intervention im großen Stil verzichtet. Und damit war Russland erst mal in der Vorhand und hat keinen Anlass gesehen in den letzten zwei Jahren, politische Zugeständnisse zu machen. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Umso wichtiger ist es jetzt, in beiden Konflikten endlich die Waffen zum Schweigen zu bringen und eine politische Lösung jeweils anzustoßen, die auch wirklich nachhaltig ist und nicht einseitig, im Falle Syriens zum Beispiel das Assad-Regime, begünstigt.
    Sawicki: Dann blicken wir erst mal auf Syrien, Herr Schmid. Wie könnte da ein Friedensplan aussehen, der sowohl der EU oder sowohl aufseiten der EU als auch in Russland, mit dem man einverstanden sein könnte dort?
    Schmid: Das Gute ist ja, wir haben mit Russland ein gemeinsames Interesse. Wir wollen einen stabilen syrischen Gesamtstaat, keinen Zerfall des Staates, wie es im Irak oder in Libyen geschehen ist. Da haben die Russen auch zu Recht Kritik am westlichen Vorgehen geübt. Und deshalb brauchen wir einen politischen Prozess, der eine Verfassung ausarbeitet unter Beteiligung der Opposition in Syrien, und der danach freie Wahlen ermöglicht, wo nicht das Assad-Regime kraft überlegener Medienmacht Vorteile hat. Und wir brauchen eine Lösung für die Frage der Kriegsverbrechen, die in Syrien massenweise von verschiedenen Seiten, auch vom Assad-Regime begangen worden sind. Und deshalb dokumentiert Deutschland mithilfe der UN die Kriegsverbrechen. Und auch dafür brauchen wir entweder eine strafgerichtliche Aufarbeitung oder mindestens eine Wahrheits- und Versöhnungskommission, wie sie in anderen Ländern nach solchen Konflikten eingerichtet worden sind.
    Sawicki: Ist das mit Russland zu machen?
    Schmid: Das gilt es auszuloten. Bloß, diese massenweisen Kriegsverbrechen einfach ungesühnt zu lassen, das würde für die Welt und die Weltgemeinschaft unabsehbare langfristige Folgen nach sich ziehen. Deshalb sollten Deutschland und die EU auf einer solchen Aufarbeitung beharren.
    Sawicki: Erkennen Sie Signale, dass Wladimir Putin in dieser Hinsicht gesprächsbereit ist?
    Schmid: Mein Eindruck ist, dass Russland in der syrischen Frage deutlich mehr gesprächsbereit ist. Sie wissen jetzt, dass sie militärisch auf der Siegerstraße sind, wissen aber auch, dass eine politisch nachhaltige Lösung und der wirtschaftliche Wiederaufbau Syriens ohne den Westen, ohne die EU nicht funktionieren kann. Syrien ist ein Nachbarland der EU, die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen Syriens zur EU waren immer wichtig und werden auch in Zukunft wichtig sein. Deshalb wird Russland alles dafür tun, Syrien und auch das Assad-Regime aus der politischen Isolation zu befreien.
    Sawicki: Dann blicken wir mal auf die Ostukraine, wo der Friedensprozess ja auch seit vielen Jahren nicht vorangeht. Sie haben jetzt Russland dafür in erster Linie verantwortlich gemacht. Ist Kiew in dieser Hinsicht komplett von jeglicher Schuld freizusprechen?
    Schmid: Nein. Auch Kiew hat insbesondere, was die politische Komponente des Minsker Abkommens anbelangt, die Frage, wie Autonomierechte für die Ostukraine eingeräumt werden, hat auch sehr zögerlich gehandelt. Aber der Waffenstillstand, die Umsetzung des Waffenstillstands, scheitert maßgeblich daran, dass die separatistischen Kräfte immer noch über die russische Grenze Nachschub bekommen. Wären die auf sich allein gestellt, hätten sie schon längst aufgeben müssen. Und der erste Schritt muss sein, dass der Krieg in der Ostukraine aufhört. Immer noch sterben Menschen dort, und das muss das erste Ziel sein, dass der Waffenstillstand auch wirklich seinen Namen verdient.
    Sawicki: Aber es gab ja auch von der OSZE in Richtung der Ukraine immer wieder Vorwürfe, dass man von der Seite aus den Waffenstillstand gebrochen hätte, sich nicht daran gehalten hätte. Braucht es jetzt nicht auch von deutscher Seite klare Ansagen Richtung Kiew?
    Schmid: Die sind ja immer wieder gemacht worden. Auch die ukrainische Seite verstößt gegen den Waffenstillstand. Wir haben auf beiden Seiten nach wie vor schwere Waffen innerhalb des Konfliktgebiets, das ist richtig. Aber der entscheidende Hebel ist die russische Unterstützung, auch militärische Unterstützung der Separatisten. Wir vom Westen haben aber auch immer die Ukraine darauf hingewiesen, dass sie von einer militärischen Lösung Abstand nehmen muss. Dieser Krieg ist militärisch für keine der beiden Seiten gewinnbar, und deshalb muss dieser Waffenstillstand auch von beiden Seiten eingehalten werden. Aber wie gesagt, der russische Einfluss ist maßgeblich, und deshalb ist, was den Waffenstillstand anbelangt, eine Verständigung mit Putin und auch konkrete Umsetzung dieses Waffenstillstands unbedingt erforderlich. Und dann muss die politische Seite des Minsker Abkommens umgesetzt werden, und da ist die Ukraine genauso gefordert. Und wenn wir erste Schritte zur Umsetzung des Minsker Abkommens haben, dann kann man auch darüber reden, ob die Sanktionen schrittweise ausgesetzt werden können.
    Sawicki: Was muss da konkret erfolgen, um das in Angriff zu nehmen?
    Schmid: Wir brauchen einen wahrhaftigen Waffenstillstand. Das heißt, die Waffen müssen schweigen, es muss eine dauerhafte Entflechtung der schweren Waffen in der Ostukraine stattfinden. Ohne einen Waffenstillstand, der auch seinen Namen verdient, werden wir in der Ostukraine nicht weiterkommen und werden wir die Sanktionsfrage auch nicht lösen können.
    Sawicki: Aber das stellen Sie schon in Aussicht, dass die demnächst wieder zurückgefahren werden könnten?
    Schmid: Wenn es nachprüfbare Schritte und eine vollständige Umsetzung dieses Waffenstillstands in der Ostukraine gibt, dann, so steht es ja auch im Koalitionsvertrag dieser Bundesregierung, dann werden auch die Sanktionen wieder schrittweise zurückgefahren werden können.
    Sawicki: Ist diese Haltung auch eine Folge davon, dass innerhalb Ihrer Partei, innerhalb der SPD, ja keine einheitliche Meinung zum Thema Russland und Sanktionen da ist?
    Schmid: Nein, die Meinung ist schon einheitlich, denn diese Haltung ist ja nichts Neues. Wir haben immer gesagt, wenn wir Fortschritte bei der Umsetzung des Minsker Abkommens haben – und die ersten Fortschritte betreffen die vollständige Umsetzung des Waffenstillstands –, dann kann man auch über einen Einstieg in den Ausstieg aus den Sanktionen reden. Es ist ja nichts Neues und ist wie gesagt auch im Koalitionsvertrag verankert. Aber dazu ist unbedingt erforderlich, dass es aufhört mit den Schießereien, den Verletzungen und auch dem Ermorden von unschuldigen Zivilisten in der Ostukraine.
    Sawicki: Aber die Meinung ist ja nicht einheitlich in Ihrer Partei. Wenn man jetzt zum Beispiel Stefan Weil hört, den Ministerpräsident in Niedersachsen, auch Manuela Schwesig aus Mecklenburg-Vorpommern, die sprechen sich ja schon ganz lange für eine Aufhebung der Sanktionen aus. Also, ganz einheitlich ist es ja nicht.
    Schmid: Aber sie haben das immer daran geknüpft, dass das Minsker Abkommen umgesetzt wird und dass ein Waffenstillstand hält. Das war auch schon die Haltung der SPD schon vor der Bundestagswahl immer. Wenn das Waffenstillstandsabkommen umgesetzt wird, wenn wir wirklich einen Waffenstillstand haben, dann kann man auch über einen Einstieg in den Ausstieg aus der Sanktionspolitik reden. Aber solange leider dort Tag für Tag, Woche für Woche Menschen verletzt werden und sterben, werden die Sanktionen logischerweise in Kraft bleiben.
    Sawicki: Aber wir sehen ja auch seit Jahren, dass die Sanktionen offenbar nicht zu einer Lösung der Konflikte geführt haben. War es also ein Fehler, die überhaupt erst einzuführen?
    Schmid: Nein, es war genau richtig, denn die Sanktionen haben einen konkreten Zweck verfolgt, die Aggression in der Ostukraine zu stoppen. Das ist gelungen. Und der Waffenstillstand ist zwar vereinbart, aber noch nicht umgesetzt. Und Sanktionen machen immer dann Sinn, wenn sie einen eng umgrenzten Zweck verfolgen und dann politisch begleitet werden. Und genau das geschieht mit den Sanktionen in der Ostukraine. Wir bestrafen ja nicht Russland ganz allgemein für politisches Verhalten, sondern es geht um die Aggression in der Ostukraine. Wenn der Grund wegfällt, also ein Waffenstillstand erreicht wird, wie es in Minsk vereinbart worden ist, dann kann man auch über den Rückzug aus den Sanktionen reden. Und deshalb hat die Sanktionspolitik in diesem Fall genau ihren Zweck erreicht und wird den weiter erreichen. Das unterscheidet sie von der amerikanischen Sanktionspolitik, die doch relativ breit und ohne konkrete Ziele agiert. Mir scheint, diese amerikanischen Sanktionen, insbesondere, wie sie unter Trump verschärft worden sind, doch sehr ad hoc und mit wenig politischem Hintergrund vereinbar zu sein. Und deshalb tut die Europäische Union gut daran, eine eigenständige Sanktionspolitik, nicht nur gegenüber Russland, sondern allgemein zu vertreten. Denn wenn Sanktionen beliebig eingesetzt werden, dann verfehlen sie ihre politische Wirkung immer mehr.
    Sawicki: Nils Schmid, SPD, der außenpolitische Sprecher der Partei im Deutschen Bundestag. Herr Schmid, vielen Dank für das Gespräch, Ihnen ein schönes Wochenende.
    Schmid: Ja, danke, Ihnen auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.