Freitag, 19. April 2024

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Russland und Europa
"Auf dem besten Weg in ein neues Wettrüsten"

Zwischen Russland und dem Westen bestehe die Gefahr eines neuen Kalten Krieges, sagte der Historiker Wolfgang Eichwede im DLF. Beiden Seiten seien Vorwürfe zu machen. Doch erzeuge Russland für die internationale Politik ein "hohes Maß an Unkalkulierbarkeit". Ein neues Wettrüsten sei nicht ausgeschlossen.

Wolfgang Eichwede im Gespräch mit Mario Dobovisek | 13.02.2016
    Der russische Ministerpräsident Dmitri Medwedew spricht am 13.02.2016 während der 52. Sicherheitskonferenz in München
    Der russische Ministerpräsident Dmitri Medwedew während der 52. Sicherheitskonferenz in München (Sven Hoppe, dpa picture-alliance)
    Mario Dobovisek: Und am Telefon begrüße ich Wolfgang Eichwede, Gründer und langjähriger Direktor des Osteuropainstituts an der Universität Bremen. Guten Tag, Herr Eichwede!
    Wolfgang Eichwede: Guten Tag, Herr Dobovisek!
    Dobovisek: Greifen wir eines der Zitate des russischen Premiers noch einmal auf. Befinden sich Russland und der Westen mitten in einem neuen Kalten Krieg?
    Eichwede: Wir sind tatsächlich auf einem Weg dahin. Ich habe vor wenigen Tagen vertraulich mit einem hohen russischen Diplomaten gesprochen. Er sprach, Zitat, von "einer Ruine" der Beziehungen zwischen Russland und dem westlichen Europa. Diese Wahrnehmung ist auf russischer Seite offenbar im Augenblick diejenige, die auch an die Öffentlichkeit getragen wird. Aber tatsächlich, muss man sagen, sind die Beziehungen zwischen den westlichen Ländern und Russland seit drei Jahren in einem katastrophalen Zustand. Man kann schon von der Gefahr oder in Teilen sogar von der Realität eines neuen Kalten Krieges sprechen.
    Dobovisek: Verdorben sagt ja auch Dmitri Medwedew heute. Wie gefährlich ist das?
    Eichwede: Das ist sehr gefährlich, glaube ich. Einerseits ist der Westen in einer extrem schlechten Verfassung. Ich glaube, das hat auch Frank-Walter Steinmeier heute Morgen gesagt, dass dieses Europa, das ja nun gewissermaßen die wesentliche Erfolgsgeschichte der Nachkriegszeit war, dass die Einigung dieses Prozesses in Gefahr ist. Und von dorther sein Verhandlungsgewicht gering wird. Auf der anderen Seite muss gesagt werden, das wurde ja auch in den Zitaten deutlich, dass Russland vor zwei Jahren mit der Besetzung der Krim und der Intervention in der östlichen Ukraine ein Grundprinzip der europäischen Politik seit 1975, seit dem Helsinki-Abkommen verletzt hat, nämlich es hat Gewalt in Europa angewendet. Und das war kein Bürgerkrieg, das waren keine kleinen Staaten. Und das war eine ehemalige Weltmacht und auch jetzt immer noch große Macht, die hier zu den Waffen gegriffen hat. Und das verändert die Architektur der gegenwärtigen europäischen oder vielleicht sogar der Weltpolitik.
    Dobovisek: Russland zeigt mit dem Finger auf den Westen, der Westen auf Russland. Lässt sich an dieser Stelle, an der wir über einen neuen Kalten Krieg reden müssen, überhaupt noch ein Verantwortlicher festmachen?
    Eichwede: Russland steht vor einem heillosen Dilemma
    Eichwede: Es ist sicher – wenn ich mit meinen russischen Kollegen spreche, es ist immer wieder der gleiche Streit: Wer hat angefangen? Die westliche Seite hat in dem Ukraine-Konflikt definitiv nicht angefangen, das muss man sagen. Und das ist für Europa, wenn Sie so wollen, die am tiefsten gehende Krise. In Syrien ist die Hilflosigkeit auf allen Seiten gewesen. Die Bombardements, die heute Russland durchführt, stärken das Assad-Regime. Es wäre klüger, aus meiner Sicht, gewesen, von Russland, wenn es seinen Einfluss auf Assad ausgeübt hätte oder ausüben würde, seinerseits zu einer ganz anderen Konstruktion, nämlich an einen Bau des Friedens in Syrien zu kommen. Die Vorwürfe an Russland ändern nichts daran, dass man auch der westlichen Seite immer wieder Vorwürfe machen muss. Aber da wir über die russische Politik sprechen, steht heute Russland vor einem, ich glaube, für sein eigenes Land heillosen Dilemma. Auf der einen Seite erhöht Putin, erhöht das heutige Russland sein internationales Gewicht durch die Konfrontation, die es mitspielt, aufnimmt oder selbst verursacht, also um die Vielfalt der Ursachen mit in den Blick zu nehmen. Auf der anderen Seite, während dadurch sein internationales Gewicht erhöht wird in den Krisen, kommt es in der wirtschaftlichen Situation, in der Modernisierung des eigenen Landes nicht voran. Schauen Sie, die Vereinigten Staaten haben vor einem Jahr bei dem Internationalen Patentamt 71.000 technologische Neuerungen angemeldet, Russland 967. Eine solche innere Unmodernität oder Nichtmodernisierungspolitik kombiniert mit einer Konfrontation, die von Russland auch mitverursacht ist, nicht allein, aber auch mitverursacht ist, schafft für Russland ein außerordentliches Problem und für die internationale Politik ein hohes Maß an Unkalkulierbarkeit.
    Dobovisek: Putin muss also nach innen hin Stärke zeigen sozusagen. Der Westen setzt auf Diplomatie, zeigt in der Ukraine-Krise aber auch Zähne, und zwar mit Sanktionen. Jetzt hören wir heute von NATO-Generalsekretär Stoltenberg, dass er über Dialog und mehr Waffen spricht. Kann es bei den Sanktionen bleiben? Oder müssen wir in diesem Kalten Krieg, um das Zitat noch einmal zu verwenden, auch wieder über ein neues Wettrüsten sprechen?
    Eichwede: Wir sind auf dem besten Wege, in ein neues Wettrüsten zu kommen. Und wir müssen eine Partnerschaft mit Russland versuchen im Wissen, bei den Krisen, die wir heute haben, Ukraine und Syrien, dass Russland sich in erheblichen Teilen zumindest zum westlichen Europa – Amerika ist noch mal eine andere Situation – aber im Verhältnis zum restlichen Europa oft nicht wie ein Partner, sondern wie ein Gegner verhält.
    Dobovisek: Sind denn Waffen die einzige Sprache, die Putin verstehen würde?
    Eichwede: Auf jeden Fall versteht Putin eine Sprache der Stärke und der Konsequenz. Das müssen nicht nur Waffen sein, aber das können auch Waffen sein.
    Dobovisek: Wolfgang Eichwede, emeritierter Professor für Politik und Zeitgeschichte an der Universität Bremen. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
    Eichwede: Bitte sehr!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.