
Dienstag, 27. Juni 1995, 15 Uhr 32 Ortszeit am Kennedy Space Center in Florida.
"and lift-off of the space shuttle Atlantis on a mission that will herald a new day of international cooperation in space."
Die Raumfähre Atlantis stemmt sich in den blauen Himmel - auf einer Mission, die eine neue Phase der internationalen Zusammenarbeit im Weltraum bringen wird, wie der NASA-Sprecher verkündet. An Bord befinden sich fünf Amerikaner und zwei Russen. So ungewöhnlich wie die Besatzung ist auch das Ziel dieses Weltraumfluges: Die Atlantis nähert sich vorsichtig der russischen Raumstation MIR.
"Funksprüche auf Englisch und Russisch] Houston, Atlantis, we have capture!"
Ankoppeln im Schneckentempo
Das Ankoppeln anderthalb Tage nach dem Start erfolgte buchstäblich im Schneckentempo. In den Kontrollzentren in Houston und Moskau hielten die Teams den Atem an.
"Copy capture. Congratulations Space Shuttle Atlantis, Space Station MIR."
Per Handsteuerung hatte der Pilot der Atlantis die schwere Raumfähre von unten an die MIR-Station heranmanövriert. Die Erleichterung über den geglückten Anflug war groß – und die meisten ahnten wohl die historische Dimension des Geschehens.
"After 20 years our space crafts are docked in orbit again. A new era of space exploration has begun."
Nach 20 Jahren waren erstmals wieder Raumfahrzeuge aus Ost und West aneinandergekoppelt. So etwas hatte es zuvor nur 1975 gegeben: Damals hatten sich ein Soyuz- und ein Apollo-Raumschiff im All getroffen - doch der Handschlag von Kosmonauten und Astronauten war eine einmalige Aktion mitten im Kalten Krieg. Dieses Mal beginne eine neue Ära der Weltraumerkundung, funkte ein NASA-Mitarbeiter nach oben.
"Houston, Atlantis, We agree, it is a great feeling to be here. It is great to be joined in orbit again."
Der Shuttle-Kommandant antwortete, es sei wunderbar, dort oben dabei und endlich wieder in der Umlaufbahn verbunden zu sein. Schließlich öffnete sich die Verbindungsschleuse und die Besatzungen von Shuttle und MIR verbrachten fünf gemeinsame Tage im All. Auch bei der russischen Seite war die Anspannung schnell verflogen, erklärt Gerhard Kowalski, Autor zahlreicher Bücher über das russische Weltraumprogramm:
"Das war natürlich technisches Neuland. Noch nie hatte so ein großes Raumschiff wie der Shuttle dort oben angedockt. Die Russen waren natürlich ein bisschen nervös. Außerdem spielte auch eine andere Frage eine Rolle. Sie hatten ja bis zu diesem Zeitpunkt keinen Ami dort oben. Es war zum ersten Mal, dass sozusagen der ehemalige große Feind und jetzt der große Freund dort oben bei ihnen zu Besuch war."
Einmalige Aktion mitten im Kalten Krieg
In gut vierhundert Kilometern Höhe kreisten die aneinandergekoppelten Raumschiffe gemeinsam um die Erde - wie eine Internationale Raumstation ISS im Kleinformat. Amerikaner und Russen haben in den fünf Tagen achtzig Mal die irdische Grenze zwischen West und Ost überflogen. Die Zusammenarbeit bewährte sich und bis 1998 gab es acht weitere MIR-Besuche eines Space Shuttle.
"Das Shuttle-MIR-Programm war im Grunde genommen die Phase 1 der ISS, das war ja sozusagen die Zwischenstation auf dem Weg zur ISS. Wobei die Amis noch Glück hatten, dass sie hoch fliegen konnten. Denn theoretisch hätte die MIR zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr existieren dürfen. Die war für fünf Jahre gemacht, die war ja damals schon elf Jahre in der Umlaufbahn. Die hat also länger gehalten als jemand dachte."
Auf der MIR ließ sich bestens das gemeinsame Leben und Arbeiten im Weltraum einüben. Die Amerikaner nutzten die Gunst der Stunde, endlich ihre Astronauten viel länger ins All schicken zu können als für maximal zweiwöchige Shuttle-Flüge. Die Russen freuten sich, dass die NASA von ihrer Weltraumerfahrung profitierte und im Gegenzug einen Großteil der Internationalen Raumstation bezahlte. Sechs Jahre nach dem Beginn des Shuttle-MIR-Programms bezogen die ersten Besatzungen die neuen Module der ISS. Bis heute hat der Außenposten der Menschheit alle irdischen Wirren gut überstanden - und Gerhard Kowalski hofft, dass auch jetzt die Gemeinsamkeit im All auf der Erde helfen kann:
"Jetzt ist wieder die internationale Lage kritisch. Man macht trotzdem bei der ISS weiter. Die Amerikaner haben sich dazu durchgerungen, die Raumfahrtkooperation mit den Russen nicht ganz abzubrechen, sondern die ISS herauszunehmen. Und das ist für mich ein kleines Wunder, dass bei den vielen Kriegen und dem Dilemma auf der Erde, da oben Menschen unterschiedlicher Nationen so wunderbar zusammenarbeiten können und zwar ohne jeglichen Hintergedanken."