Samstag, 27. April 2024

Sportgeschichte
Als das Saarland ein Fußballnationalteam hatte

Der erste WM-Titel der deutschen Fußball-Nationalelf 1954 ist ein Meilenstein der Sportgeschichte. In der Qualifikation traf das DFB-Team auf das Saarland, das kurzzeitig eine eigene Mannschaft hatte. Um die Spiele ranken sich zahlreiche Geschichten.

Von Ronny Blaschke | 30.03.2024
Schwarz-weiß-Foto: Deutschlands Stürmer Max Morlock (r) erzielt das erste Tor für die deutsche Fußballnationalmannschaft, der saarländische Torwart Strempel (l) und sein Mannschaftskollege Biewer können nicht mehr eingreifen.. Foto: +++(c) dpa - Report+++ [dpabilderarchiv]
Deutschland besiegte die saarländische Fußball-Nationalmannschaft im WM-Qualifikationsspiel am 28.03.1954 mit 3:1, Max Morlock (r.) erzielte das erste Tor für die DFB-Auswahl. (picture-alliance / dpa / dpa)
Das Ludwigsparkstadion in Saarbrücken am 28. März 1954. Mehr als 50.000 Zuschauer drängen sich bis zum Spielfeldrand. Die Nationalmannschaft der Bundesrepublik benötigt einen Sieg, um sich für die WM in der Schweiz zu qualifizieren. Aber: Dieses Spiel in Saarbrücken ist für die Auswahl von Trainer Sepp Herberger ein Auswärtsspiel. Gastgeber ist das Nationalteam des Saarlandes.
„Das hat eine ganz, ganz wichtige Funktion gehabt. Und es war auch ein Aufbruch im wahrsten Sinne des Wortes“, sagt Reinhold Jost, der im Saarland seit 2022 Minister für Inneres, Bauen und Sport ist. Seit Jahren befasst er sich mit der Sportgeschichte in seiner Heimat, auch mit dem wichtigen Spiel 1954, wenige Jahre nach dem Krieg. „Das hat natürlich eine unglaublich verbindende Funktion. Man kann dann auch das eine oder andere vergessen. Man kann das, was man mit Blick auf die schrecklichen Verbrechen, die die Nazis im deutschen Namen und auch viele Deutsche damals begangen haben, man konnte sich dann trotzdem freuen. Und auch einen gewissen Stolz entwickeln. Ohne sich gleichzeitig dafür schämen zu müssen.“

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Das Saarland tritt vor dem DFB der FIFA bei

Aber wie kommt es zu diesem Fußballspiel? Nach dem Zweiten Weltkrieg gehört das Saarland zunächst zur französischen Besatzungszone. Doch bald darauf erhält es eine eigene Verfassung und wird zum autonomen „Saarstaat“. Das Saarland bekommt eine eigene Symbolik mit Flagge, Hymne und Wappen – und mit einem Fußballnationalteam. Präsident des Saarländischen Fußballbundes ist zu jener Zeit der 30 Jahre alte Hermann Neuberger, der Jahrzehnte später auch an die Spitze des DFB treten wird.
Der ehemalige DFB-Praesident Hermann Neuberger sitzt am Schreibtisch in seinem Büro in Frankfurt
Der spätere DFB-Präsident Hermann Neuberger, damals noch Präsident des Saarländischen Fußballverbandes, sorgte 1950 dafür, dass das Saarland noch vor dem DFB in die FIFA eintrat. (picture alliance / SvenSimon / SVEN SIMON)
Der Journalist Thomas Wollscheid vom Saarländischen Rundfunk erinnert an das Jahr 1950: „Also Hermann Neuberger wollte unbedingt, dass das Saarland vor dem DFB in der FIFA ist. Und er hat dann am Vorabend eines FIFA-Kongresses damals wohl zu einer Art Gelage eingeladen. Er selber hat Ölsardinen gefuttert, weil er gemeint hat, dass das den Alkoholspiegel senkt. Aber in diesem Gespräch mit den Delegierten hat er dann sehr viele dazu gebracht, am nächsten Tag bei der Abstimmung für die Aufnahme des Saarlandes in die FIFA zu stimmen.“

Ohne Hymnen und Nationalflaggen

Der Saarländische Fußballbund wird 1950 einige Wochen vor dem neu belebten DFB in die FIFA aufgenommen. Der Weltverband möchte aber verhindern, dass bei der WM 1954 zwei deutsche Mannschaften vertreten sind. Deshalb wirkt er darauf hin, dass die deutsche und die saarländische Mannschaft in derselben Qualifikationsgruppe antreten - von der sich aber nur eine qualifizieren kann. Das Hinspiel zwischen Deutschland und dem Saarland findet in Stuttgart statt.
 „Und Adenauer hat nicht zugelassen, dass Hymnen gespielt werden und Fahnen aufgehängt werden, obwohl das Saarland eine eigene Hymne hatte“, erinnert Thomas Wollscheid, der eine Dokumentation über das saarländische Nationalteam gedreht hat. „Und dann gab es einen Kompromiss, den hat der damalige DFB-Präsident, der Peco Bauwens, wohl vorgeschlagen. Und darauf hat man sich dann geeinigt: Dass keine Nationalflaggen hängen würden, außer der holländischen wegen des Schiedsrichters. Und die Fahnen, die hingen, das waren die Fahnen des Deutschen Fußball-Bundes und die blau-weiße des Saarländischen Fußballbundes, aber keine Nationalflagge.“

Die Enttäuschung hält sich in Grenzen

Der Sonderstatus des Saarlandes ist damals umstritten. Frankreich und Deutschland wollen ihre wirtschaftlichen Interessen in der Region durchsetzen. Die Bundesrepublik gewinnt das Hinspiel 3:0, doch bei vielen Saarländern hält sich die Enttäuschung in Grenzen. Schließlich fühlen sie sich wegen der gemeinsamen Geschichte und Sprache mit Deutschland verbunden.
Doch auch das Rückspiel in Saarbücken wird zu einem Politikum. Die Regierungen verlangen, dass die Eigenständigkeit des Saarlandes nicht allzu sehr betont werde, sagt der saarländische Innenminister Reinhold Jost: „Deswegen gab es bei dem Spiel am 28. März 1954 auf dem Ludwigspark keine Hymnen. Aus einem nahegelegenen Wald hat dann irgendjemand einen Lautsprecher aufgestellt und hat dann die deutsche Nationalhymne abgespielt.“
Deutschland gewinnt das Rückspiel 3:1, qualifiziert sich für die WM und feiert schließlich das „Wunder von Bern“. Als Gäste auf der Tribüne mit dabei: die Spieler des Saarlandes. Bis zur Angliederung an die Bundesrepublik 1957 bestreitet das Saarland 19 Spiele und gewinnt immerhin sechs.
Für Reinhold Jost hat der Fußball eine symbolische Bedeutung, vor allem für die Entstehungsgeschichte des Bundeslandes Ende der Fünfziger Jahre „Das heißt, da war alles schon verteilt mit Blick auf Bundesbehörden und Konzernzentralen. Und wir waren dann ein zusätzliches Rad am Wagen. Und dieser Nachholbedarf ist bis heute eigentlich nicht gedeckt. Trotzdem waren wir selbstbewusst, weil wir auch im Vergleich zu anderen sagen konnten: Wir hatten schon ein eigenständiges Nationales Olympisches Komitee, wir hatten eine eigene Fußball-Nationalmannschaft.“

Die olympische Flamme in einer Grubenlampe

Politik und Fußball begehen den 70. Jahrestag des Rückspiels nun mit einem feierlichen Filmabend. Werner Otto, der letzte noch lebende Spieler des Saarlandes, soll als Ehrenspielführer geehrt werden. Innenminister Reinhold Jost blickt aber über den Fußball hinaus: 1952 war das Saarland mit 36 Sportlern bei den Olympischen Sommerspielen in Helsinki vertreten. Ohne Medaillen, aber mit Starthilfe für den Gastgeber.
Jost sagt: „Ohne das Saarland wäre beispielsweise damals die Olympische Flamme nicht nach Helsinki gekommen. Es war nämlich eine saarländische Grubenlampe, die es ermöglicht hat, dass diese Flamme in Athen entzündet und dort übergeben wurde und dann mit dem Flugzeug nach Norwegen gebracht wurde. Und von dort aus dann nach Helsinki.“
Reinhold Jost steht im Austausch mit dem finnischen Sportmuseum. Er möchte die Grubenlampe für ein oder zwei Jahre im Saarland präsentieren. Damit auch die jüngere Generation erfährt, dass das Saarland einmal bei Olympia war. Und den späteren Weltmeister im Fußball herausforderte.