Dienstag, 14. Mai 2024

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Sänger James Taylor
Der Idealist

James Taylor unterschrieb als erster Künstler beim Apple-Label der Beatles, er hatte ein Drogenproblem und wurde zum Star der amerikanischen Folk-Rock-Szene. Fünf Jahre nach seinem letzten musikalischen Lebenszeichen, veröffentlicht er "American Standard": eine Liebeserklärung an das Great American Songbook.

Von Marcel Anders | 26.04.2020
    Ein Mann in Jeansjacke mit einer Kappe auf dem Kopf blickt in die Kamera.
    James Taylor lieferte den Soundtrack zum Animationsfilm "Cars" (Norman Seeff)
    Musik: "The Nearness Of You"
    James Taylor: "Die Baby-Boomer, die in den 1950ern geboren wurden, verstanden sich als eine Generation, die klare Ziele und Vorstellungen hatte. Sie dachten: ´Wir werden die Welt grundlegend verändern.´ Auf gewisse Weise haben wir das auch nur nicht so nachhaltig, wie wir uns das erhofft hatten."
    Tiefsinnige Gedanken von einem, der als Songwriter eher langsam ist.
    "Ich kann nicht einfach fünf Stunden am Stück schreiben. Ich brauche schon ein paar Tage Ruhe, ehe mir Sachen einfallen."
    Sich selbst bezeichnet er als Atheist, Aktivist und Pazifist:
    "Alle Soldaten reden mit Gott. Aber nur in wenigen Fällen antwortet Gott auch. Dann sollte man sich in Acht nehmen."
    Kritik an sich und seiner Kunst begegnet er mit stoischer Gelassenheit.
    "Das ist ok. Schließlich reden wir hier nicht über foie gras, ich stopfe meine Musik niemandem in den Hals, sondern man kann sie annehmen oder nicht. Es steht jedem frei, sie zu hassen wie zu lieben."
    Auf seinem neuen Album interpretiert er das Great American Songbook auf seine Weise:
    "Wenn ich Cover aufnehme, drücke ich ihnen meinen Stempel auf. Also mein Vokabular, meinen Gitarrenstil, meinen Gesang. Und die Grenzen, an die ich dabei stoße, haben auch etwas Gutes. Sie geben ihnen Form und Persönlichkeit."
    Musik: "Moon River"
    Wie ein Uniprofessor oder Bibliothekar
    Er ist ein seltener Gesprächspartner. Nicht, weil James Taylor die Öffentlichkeit scheut oder nichts zu sagen hat – der Mann aus Boston redet nur dann, wenn er glaubt, sich oder seine Kunst erklären zu müssen. Jetzt möchte er über sein inzwischen 20. Studio-Album sprechen: "American Standard", sein erstes seit fünf Jahren. Darauf interpretiert James Taylor 14 Stücke des sogenannten "Great American Songbook" quasi die Popmusik der 1920er bis 1950er Jahre. Um darüber zu diskutieren, empfängt er Ende Februar im Londoner Stadtteil Kensington, wo sich das europäische Feuilleton die Klinke in die Hand gibt. Betritt man die geräumige Suite des Royal Garden Hotels, wird man mit kräftigem Händedruck empfangen, von einem großen, hageren Mann, der schwarzen Anzug zu feiner Nickelbrille und Schiebermütze trägt. Der 72-Jährige spricht ruhig und bedächtig und wirkt wie ein Uniprofessor oder Bibliothekar. Taylor überlegt lange, bevor er antwortet. Er zeigt kaum Gefühlsregungen und wirkt ein wenig hölzern. Anders als so viele seiner Kollegen ist er keine Promotion-Maschine und kein Selbstdarsteller. Taylor wirkt eher introvertiert, melancholisch, vielleicht auch nostalgisch. Doch hört man ihm genauer zu, erlebt man einige Überraschungen.
    "Genesung ist ein wichtiger Teil meines Lebens. Schließlich erhole ich mich seit über 30 Jahren von meiner Heroin-Sucht. Und das ist nichts, das je beendet wäre, sondern es geht immer weiter und erfordert eine Menge Training. Von daher denke ich viel darüber nach und schreibe oft darüber, wie dankbar ich bin, dass ich es soweit geschafft habe. Einige Stücke sind auch voller Bedauern, aber ich habe definitiv eine Menge zu diesem Thema geschrieben. Wie "T-Bone", "Whenever You´re Ready", "Oh Brother" oder ´"Yellow And Rose". Es ist etwas, das ich immer wieder aufgreife."
    Willkommen in der wundersamen Welt eines Softies mit Ecken und Kanten.
    Musik: "Yellow And Rose"
    Mann der Widersprüche
    James Vernon Taylor ist ein Mann der Widersprüche. Einer, der krasse Gegensätze in sich vereint. Nach außen wirkt er wie ein Asket, gibt sich betont bodenständig und bescheiden, ist aber tatsächlich einer der erfolgreichsten Musiker der Welt mit über 100 Millionen verkauften Tonträgern. Allein in den USA hat er von jedem seiner 20 Studio-Alben mindestens eine Millionen Exemplare umgesetzt. Von seinen "Greatest Hits" aus dem Jahre 1976 sind es sogar zwölf Millionen. Er ist ein Erfolgsgarant und ein Künstler, der es schafft, allen Strömungen und Trends zu trotzen – seit über 50 Jahren. Taylor ist ein Grenzgänger zwischen Traditionalismus und Subkultur, zwischen Akustik- und E-Gitarre. Ein Experte für leise, sanfte Töne, für technisch versiertes Fingerpicking, sonoren Gesang und große Gefühle. Schon seit Mitte der 1960er Jahre bedient er sich bei Elementen aus Folk, Country, Soul und Rock. Seine Musik versteht er als "helfende Hand" in Richtung seiner Hörer, als Ratgeber und Beistand. Er selbst ist wie ein alter Freund, der immer für einen da ist und stets ein offenes Ohr hat.
    "Ich denke, die meisten meiner Songs haben etwas Feierliches. Einige wenige sind auch wütend, andere politisch, experimentell oder mystisch. Aber der Großteil hat etwas Therapeutisches, Palliatives. Stücke wie "You´ve Got A Friend" und "Fire And Rain" helfen den Leuten durch harte Zeiten. Was toll ist."
    Musik: "You´ve Got A Friend"
    "You´ve Got A Friend" von 1971. Taylors erster und einziger Nummer 1-Hit in den Billboard Charts, geschrieben von Kollegin Carole King. Ein Musterbeispiel für seinen "Freund und Helfer"-Ansatz. Dabei schreibt er die meisten seiner Songs eigentlich für sich selbst und zur reinen Selbsthilfe: Das Komponieren ist Teil seines langwierigen Kampfes gegen Depressionen, unter denen Taylor seit Teenager-Tagen leidet. In seiner Jugend ist er oft in psychiatrischen Einrichtungen und wird deshalb vom Kriegsdienst in Vietnam befreit. Als er 1966 erste Gehversuche als Berufsmusiker im New Yorker Greenwich Village unternimmt, kommt er in Kontakt mit Heroin. Anfang der 1980er überwindet er die Abhängigkeit, ist aber bis heute in Therapie.
    "Opiate imitieren den Effekt, den bestimmte Gehirn-Impulse im menschlichen Körper auslösen, nämlich das Endorphin-System. Manche Leute argumentieren, dass Süchtige eine Veranlagung zur Opiat-Sucht haben, weil sie ein Endorphin-Defizit besitzen. Aber egal, was der Ausgangspunkt ist: Letztlich endet man mit einem Endorphin-Defizit. Und genau das ist der Grund, warum es so schwer ist, davon loszukommen. Denn wie alle suchterzeugenden Drogen bauen sie eine Verbindung zur Körperchemie auf und man wird abhängig davon. Von daher würde ich nicht sagen, dass Heroin mich in irgendeiner Form fasziniert hätte, es war einfach verfügbar und zuerst hat es mir auch geholfen. Insofern war es quasi vorbestimmt, dass ich früher oder später damit in Kontakt komme. Und sobald das der Fall war, habe ich in echten Schwierigkeiten gesteckt."
    Musik: "Carolina In My Mind"
    Taylors allererste Single vom Frühjahr 1969. Sie erscheint, wie sein selbstbetiteltes Debüt-Album, beim "Apple"-Label der Beatles. In London wird Taylor 1968 von seinem späteren Manager Peter Asher entdeckt, der als Talentscout für die Plattenfirma der Fab Four arbeitet. James Taylor ist der erste Künstler, den Asher unter Vertrag nimmt mit ausdrücklicher Zustimmung der Beatles. Paul McCartney und George Harrison spielen Bass und Gitarre auf Taylors Debüt und lassen ihren Protegé in den Abbey Road Studios aufnehmen: In der Studiozeit, die sie selbst nicht für das "White Album" benötigen. Trotzdem ist Taylors Erstling lediglich ein Achtungserfolg und seine letzte Veröffentlichung bei Apple. Als nächstes zieht es den Barden nach Los Angeles, wo er Teil der legendären Laurel Canyon-Szene wird. Zu seinen Freunden zählen Jackson Browne, Crosby Stills & Nash oder Neil Young zu seinen Affären Joni Mitchell und Carly Simon. Anfang der 1970er wird Taylor zum Superstar. Seine Alben sind Bestseller und weisen trotz anhaltender Drogensucht keine qualitativen Schwankungen auf. Das einzige, was unter seinem Missbrauch leidet, sind seine Beziehungen: zwei Ehen werden geschieden.
    Musik: "Sweet Baby James"
    Musik: "Rainy Day Man"
    Fels in der Brandung
    Die wichtigsten Merkmale von Taylors Schaffen sind seine filigrane Gitarrentechnik, sein sonorer Gesang und seine therapeutischen Texte aber auch seine häufigen Kooperationen mit befreundeten Künstlern. Taylor ist kein Eigenbrötler oder Einzelgänger, sondern jederzeit offen für kreativen Austausch. In seiner Anfangsphase in Los Angeles arbeitet er oft mit Songwriterin Carole King, der er seinen größten Hit "You´ve Got A Friend" verdankt. In den nächsten Jahrzehnten teilt er Bühne und Studio mit Linda Ronstadt, John McLaughlin, Mark Knopfler, Stevie Wonder, Taylor Swift oder Sting.
    "Sting und ich arbeiten schon seit Jahren zusammen. Ich nehme an seinen Benefiz-Veranstaltungen teil, wir sind gute Freunde und kennen einander schon ewig. Ich habe auf seinen Alben gespielt und er auf einigen von meinen. Von daher ist es eine dauerhafte Freundschaft. Und als ich den Song "Before This World" geschrieben habe, hatte ich seine Stimme im Kopf. Denn es ist eine Nummer, bei der die Harmonie von zwei Leuten gesungen wird, und seine Tonlage und die Qualität seiner Stimme schienen wunderbar zu passen."
    Musik: "Before This World/Jolly Springtime"
    "Before This World", das Titelstück seines Albums aus dem Jahr 2015. Fast zehn Jahre hat er damals daran gearbeitet. Einerseits, weil er ein Perfektionist ist andererseits, das gibt er offen zu, aber auch ein extrem langsamer Songwriter. Wenn er nicht schreibt, ist er auf Tournee oder engagiert sich politisch und sozial. So ist Taylor gerngesehener Gast bei Wohltätigkeitsveranstaltungen aller Art, spendet 350.000 Dollar im Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie und unterstützt demokratische Präsidentschaftskandidaten. Denn, so Taylor mit ungewohnter Schärfe: Amerika verdiene, ja brauche dringend etwas Besseres als Trump.
    "Der Mann ist eine Abnormalität, die sich nicht in Worte fassen lässt. Ich meine, die Menschen, die normalerweise solche Ämter bekleiden, haben ihr Leben in Regierungen und im öffentlichen Dienst verbracht. Wir dagegen haben einen Reality-TV-Star, der einen Pseudo-Geschäftsmann für die Kameras gegeben hat und plötzlich die Welt regiert. Das ist unfassbar. Und nichts, mit dem auch nur irgendjemand gerechnet hätte. Keiner hätte für möglich gehalten, dass er Präsident werden könnte und wer weiß, wer ihn uns beschert hat?"
    Auf seiner kommenden US-Tournee, die im Spätsommer startet, will Taylor weiter Front gegen Trump machen. Gleichzeitig -und das ist einer der vielen Widersprüche, für die er steht - stellt er dabei ein ausgesprochen nostalgisches, tiefromantisches Album vor: "American Standard".
    Musik: "My Blue Heaven"
    American Standard
    "My Blue Heaven" aus der Broadway-Revue "Ziegfeld Follies" von 1927 und der erste Titel des aktuellen Taylor-Albums. "American Standard" hat er mit seiner langjährigen Band aufgenommen und dem Jazz-Gitarristen John Pizzarelli. Es enthält 14 Stücke aus dem Great American Songbook, die ursprünglich für Broadway- und Film-Musicals entstanden. Mit dieser uramerikanischen Unterhaltungsmusik ist Taylor aufgewachsen und sie hat ihn nachhaltig geprägt.
    "Als junger Mensch wollte ich nichts mit Frank Sinatra, Tony Bennett, Dean Martin oder Sammy Davis Jr. zu tun haben. Soul-Musik war OK, die war Teil meiner Generation also Ray Charles, Sam Cooke und wie sie alle hießen. Aber die Standards waren die Musik meiner Eltern. Deshalb hat es länger gedauert, um zuzugeben, dass sie eigentlich gar nicht so schlecht sind. Im Gegenteil. Sie wurden ja von professionellen Songwritern für Musicals oder Filme geschrieben, wo sie eine zentrale Rolle einnahmen. Das bedeutete wiederum, dass sie ein Massenpublikum erreichten und sie wirklich jeder mitsingen konnte. Außerdem waren sie nicht so sehr für einen bestimmten Künstler geschrieben, sondern sie standen für sich und konnten von unterschiedlichen Leuten auf unterschiedliche Weise interpretieren werden. Für mich sind sie Meisterwerke der populären Musik. Bessere Songwriter als Cole Porter, Rodgers und Hammerstein, Frank Loesser, Yip Harburg, Irving Berlin wird es nie geben."
    Vor diesen Meistern verneigt sich Taylor. Seine Interpretationen von Stücken aus Musicals wie "Brigadoon", "Guys And Dolls", "South Pacific" oder Kinder-Cartoons wie "Katnip Kollege" sind so warm, so einfühlsam und charmant, dass man sich ihnen kaum entziehen kann. Sie bewegen sich zwar immer an der Grenze zur Behäbigkeit, überschreiten diese aber nicht. Genau das unterscheidet James Taylor von Brian Wilson oder Rod Stewart, die sich ebenfalls am Great American Songbook versucht haben. Taylors Interpretationen haben Klasse und Stil. Und sie verfolgen - da schlägt der Idealist durch – eine Mission. Sie wollen amerikanisches Kulturgut bewahren und ein neues, junges Publikum erreichen.
    "Ich finde es wichtig, den Menschen Zugang zu diesem qualitativ hochwertigen Songwriting zu ermöglichen. Denn ich fürchte, unser aller Musikgeschmack ist gerade im Begriff, zu verkümmern. In dem Sinne, dass wir da zu anspruchslos werden. Womit ich die moderne Popmusik meine. Denn Leute wie Jacob Collier und Randy Newman machen ja weiterhin tolle Sachen. Genau wie der Typ von Steely Dan - Donald Fagen. Das sind Leute, die nach wie vor exzellente Musik schreiben. Aber was sich in den Charts tummelt, also die angesagte Musik unserer Zeit, ist unter harmonischen Gesichtspunkten viel zu simpel und anspruchslos. Von den Texten ganz zu schweigen. Sie ist längst nicht so originell wie diese Songs."
    Der Kulturpessimismus macht den Idealisten Taylor kämpferisch - auf seine Art:
    Musik: "You´ve Got To Be Carefully Taught"
    "You´ve Got To Be Carefully Taught" aus der Feder von Richard Rodgers und Oscar Hammerstein. Ein Stück, das Stellung gegen Rassismus bezieht. Auch das feministische "God Bless The Child" von Billie Holiday aus dem Jahr 1941 zeigt, welche Aktualität und Relevanz diese alten Stücke bis heute besitzen. Taylor hat das Album in seinem Heimstudio "The Barn" aufgenommen. Dahinter verbirgt sich genau das, was der Name vermuten lässt. Eine umgebaute Scheune auf seiner Farm in den Wäldern von Massachusetts, die er mit seiner dritten Frau Caroline bewohnt.
    "Unser Haus ist sehr abgelegen und ländlich. Wir haben da nur wenige Nachbarn, aber umso mehr Wild. Zum Beispiel jede Menge Bären. Jetzt, da sie aus dem Winterschlaf erwacht sind, sehen wir umso mehr davon. Ansonsten ist es aber extrem ruhig. Ein toller Ort zum Leben."
    Ausblick nach vorne
    Diesen Ort verlässt Taylor im Grunde nur, wenn er auf Tournee geht. Wie im Spätsommer, wenn er mit seinem Buddy Jackson Browne durch amerikanische Amphitheater tingelt. Auch Deutschland-Termine sind in Planung.
    "Ich weiß, dass ich im Frühjahr 2021 nach Europa komme, aber noch nicht in welcher Konfiguration. Mit Jackson zu touren, wäre toll. Aber wir müssen erst einmal abwarten, wie sich der Sommer gestaltet und ob er dann noch Lust darauf hat. Aber in den letzten Jahren, in denen ich mit Bonnie Raitt unterwegs war, haben wir einander jeden Abend unterstützt. Das ist bei einem solchen Doppelpack ganz normal und das ist gut so."
    James Taylor ist ein verantwortungsvoller Dienstleister, der seinen Sound und seine Performance über 52 Jahre hinweg perfektioniert hat. Ohne sich zu verbiegen verblüfft er immer wieder mit interessanten Konzepten und Kooperationen. Er bleibt sich und seinem Sound treu und besitzt eine einmalige Gabe. Mit seiner bodenständigen und technisch anspruchsvollen Musik erreicht er eine breite Hörerschaft. Und auch inhaltlich ist er immer noch relevant. Er thematisiert die Probleme und Fragen der Gegenwart und sieht es als seine Aufgabe und Pflicht, Position zu beziehen und sich entsprechend zu engagieren. All das macht ihn zum Vorbild – zu einem Mann, der für Ausdauer, Konstanz, Haltung, aber auch faszinierende Gegensätze steht. Dadurch wird James Taylor zum Unikat – und gerade das macht ihn in der stromlinienförmigen Popwelt der Gegenwart so wichtig.
    Musik: "How Sweet It Is To Be Loved By You"