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Sally Rooney: "Gespräche mit Freunden"
Geschichte ohne Fazit 

In Irland, England und den USA ist die 28-jährige Sally Rooney bereits ein Shootingstar, bejubelt von Publikum wie Kritik. Nun erscheint ihr Debütroman über kapitalismusmüde Dubliner Millennials auch auf Deutsch. Ein berechtigter Hype?

Von Miriam Zeh |
Sally Rooney: "Gespräche mit Freunden" Zu sehen ist die Autorin und das Buchcover
Zu Unrecht mit Preisen überhäuft? Sally Rooney und ihr Debütroman “Gespräche mit Freunden” (Cover: Luchterhand Literaturverlag / Foto: Ruby Wallis/The New Yorker/Conde Nast)
An Sally Rooney scheiden sich gerade die Geschlechter und Generationen. Für die einen schreibt die 28-jährige Irin scharfsinnige Gesellschaftsromane. Vor allem in sozialen Netzwerken bejubelt sie eine ganze Schar zumeist junger und weiblicher Fans. Andere rümpfen die Nase über Rooneys triviale Frauenbücher, die gerade zu Unrecht mit Preisen überhäuft würden. Prominent polemisierte etwa Schriftstellerkollege Will Self in der britischen Times, Rooneys Romane seien einfältig, ohne literarische Ambition.
Beide Urteile kommen nicht von ungefähr. Denn Rooneys Bücher sind nun einmal "easy reads", wie man im Englischen sagt, süffige, voraussetzungsarme Lektüren, bei denen man rasch von einer Seite zur nächsten blättert. Hinzu kommt – zumindest in Rooneys gerade auf Deutsch erschienenem Debütroman – eine reichlich strapazierte Geschlechterkonstellation: verheirateter Mann trifft junge, unbedarfte Studentin und beide beginnen eine Affäre. Das liest sich stellenweise tatsächlich etwas abgedroschen.
"Als er mich berührte wurde mir augenblicklich heiß, und ich fühlte mich passiv, als würde ich schlafen. Alle Kraft, die ich hatte, schien mich ganz und gar zu verlassen. Was ist, wenn deine Frau heimkommt?, fragte ich. Na, dann lassen wir uns was einfallen."
Die männlichen Figuren sind still
Doch allein über die Handlung lässt sich Rooneys Roman kaum greifen, denn er hat keine – zumindest keine konstruierte Dramaturgie im klassischen Sinne. Zwar setzt "Gespräche mit Freunden" damit ein, dass die beiden Freundinnen Bobbi und Frances ein älteres Künstler-Ehepaar kennenlernen. Bald schwärmt die exzentrische Bobbi für Fotografin Melissa und die gescheite Frances für den depressiven Schauspieler Nick. Doch über weite Strecken des immerhin fast 380 Seiten langen Romans scheint Sally Rooney selbst nicht zu wissen, wohin sie sich als nächstes schreibt. Ein heimliches Treffen von Nick und Frances reiht sich ans nächste, bis die Affäre damit endet, dass Nick seine Ehefrau natürlich nicht verlässt und Frances vorerst verletzt zurückbleibt.
Wie beiläufig, aber um vieles interessanter, umkreist die Ich-Erzählerin Frances ihre Beziehung zu Freundin Bobbi. Auf dem Gymnasium haben die beiden ungleichen jungen Frauen sich kennengelernt, waren für kurze Zeit sogar ein Paar. Mittlerweile studieren Bobbi und Frances am Trinity College in Dublin und treten gemeinsam mit Spoken Word Performances auf. Während Rooneys männliche Figuren meist still und ein wenig verwirrt sind, versieht die Autorin ihre beiden jungen Frauen mit mehr Komplexität.
"Bei anderen Leuten hatte ich normalerweise ein gutes Gefühl dafür, was ernst zu nehmen war und was nicht, aber bei Bobbi war das unmöglich. Sie schien nie etwas völlig ernst oder völlig im Spaß zu meinen. Also hatte ich gelernt, die seltsamen Dinge, die sie sagte, mit einer Art Zen-Gelassenheit zu akzeptieren."
Absage an die Erzählbarkeit
Irgendwo zwischen ihren unterschiedlichen Temperamenten, intellektueller Stimulation und freundschaftlicher Loyalität liegt jene Faszination, die Bobbi und Francis immer wieder zusammenfinden lässt. Abschließend bestimmt Rooney aber auch diese Konstellation nicht. Erzählstränge versanden mit offenen Enden, Konsequenzen werden nicht ausgesprochen und Fragen nicht gestellt. Als "Geschichte ohne Fazit", die zu peinlich sei, um erzählt zu werden, bezeichnet Frances einmal einen ihrer Tage.
Ebendas ist Rooneys gesamter Roman, eine Geschichte ohne Fazit, eine Absage an die vollständige Erzählbarkeit einer zwischenmenschlichen Beziehung und eine Absage an den Autor als Allmacht. Sally Rooney weiß, dass sie allenfalls Ausschnitte ihrer Figuren bewältigen kann. Sie versucht gar nichts anderes und insofern könnte man der Autorin tatsächlich geringe literarische Ambitionen attestieren – oder eben ein überaus zeitgeistige Erzählhaltung.
Wenn unsere Gegenwart immer komplexer und jede Information darin digital jederzeit verfügbar wird, lässt sich die Welt – auch erzählerisch – nur durch radikale Selektion bewältigen. Bei dieser Selektion kann man als Autorin subjektiv vorgehen oder die Datenmenge per Suchalgorithmus eingrenzen, so wie Frances es anhand ihrer Chats mit Bobbi beschreibt.
"An jenem Abend beschloss ich, mir die alten Chatnachrichten mit Bobbi durchzulesen. […] Diesmal lud ich mir unsere Unterhaltungen als riesige Textdatei mit Zeitstempeln herunter. Ich sagte mir, sie sei zu groß, um sie von Anfang bis Ende zu lesen, und sie hatte auch keine durchgehende erzählerische Form, also beschloss ich, sie zu lesen, indem ich nach bestimmten Wörtern oder Phrasen suchte und um sie herum las."
Der kapitalistischen Nutzen von Monogamie
Die Autorin hätte vermutlich nichts dagegen, wenn ihre Romane auf dieselbe Weise gelesen würden. "Gespräche mit Freunden" springt immer wieder in verschiedene Diskurse. Der Roman besteht hauptsächlich aus Dialogen, was eine psychologische Figurenzeichnung naturgemäß erschwert und Sally Rooney nichtsdestotrotz kunstvoll und feinsinnig gelingt. Diskussionen lässt Rooney dabei ganz selbstverständlich analog und digital ablaufen. Zoë Beck trifft in ihrer deutschen Übersetzung dabei in jedem Kommunikationsmedium stilsicher den lässig unaufgeregten Ton des Originals.
Das Portrait einer Generation schreibt Rooney, wie inflationär behauptet wird, allerdings nicht. Ihre Figuren entstammen einem bestimmten Milieu, einer weißen und überdurchschnittliche gebildeten, urbanen Mittelschicht. Hier – und nur hier – diskutiert man über den kapitalistischen Nutzen von Monogamie, über das kommunistische Manifest und über Gilles Deleuze. Was ihren Roman trotzdem zeitdiagnostisch macht, ist Rooneys Sensibilität für soziale Ungleichheit.
"Bobbi hatte eine Art an sich, mit der sie überall dazugehörte. Obwohl sie sagte, sie hasse die Reichen, war ihre Familie reich, und andere wohlhabende Menschen erkannten sie als eine der ihren an. Ihre radikale politische Einstellung betrachteten sie als so etwas wie bourgeoise Selbstkritik, nichts allzu Ernsthaftes, und sprachen mit ihr über Restaurants oder wo man in Rom wohnte. Ich fühlte mich in diesen Situationen fehl am Platz, unwissend und bitter, hatte aber auch Angst davor, als halbwegs armer Mensch und Kommunistin identifiziert zu werden."
Irgendwann eine Vollzeitstelle
Jede Beziehung, die Sally Rooney in der Dubliner Mittelschicht beschreibt, ist geprägt von finanzieller Abhängigkeit. Frances' alkoholkranker Vater kann seiner Tochter monatelang keinen Unterhalt überweisen, auf den die Studentin dringend angewiesen ist. Liebhaber Nick und Mitbewohnerin Bobbi, beide aus wohlhabenden Familien, beginnen ihr Lebensmittel zu kaufen und Geld zu leihen. Trotzdem strebt Frances keine Karriere an. Deutlich spürbar sind in dem Dublin, wie Sally Rooney es beschreibt, die Nachwirkungen der Finanzkrise. Den Anfang Zwanzigjährigen erscheint eine Festanstellung, ja Lohnarbeit überhaupt weder aussichtsreich noch erstrebenswert. Lustlos absolviert Frances zwar ein unbezahltes Praktikum in einer Dubliner Literaturagentur. Ihren prekären Lebensstil hat sie jedoch längst zum Programm erhoben.
"Ich hatte verschiedene Niedriglohnjobs in den vergangenen Sommerferien und ich ging davon aus, dass es nach meinem Abschluss so weitergehen würde. Auch wenn ich wusste, dass ich irgendwann eine Vollzeitstelle antreten musste, phantasierte ich garantiert nie von einer strahlenden Zukunft, in der ich dafür bezahlt wurde, eine wirtschaftlich relevante Rolle einzunehmen."
Was im Leben erstrebenswert ist
So versehrt wie das Wirtschaftssystem sind Sally Rooneys Figuren. Sie leiden an Erschöpfung, Depressionen, sie fügen sich selbst Schnitte zu und Frances zerreißen immer wieder plötzliche, unbehandelbare Unterleibskrämpfe. Alles, was bleibt, und hier endet Sally Rooney hoffnungsvoll bei allen düsteren Diagnosen, ist die kompromisslose Solidarität zweier Frauen.
"Gespräche mit Freunden" ist ein Debütroman, der zärtlich und psychologisch feinsinnig von einem Lebensgefühl erzählt, das noch nach seinem literarischen Ausdruck sucht. Zwar ist Rooneys bisher nur auf Englisch erschienener zweiter Roman "Normal People" hier in vielerlei Hinsicht konsequenter und bereits deutlich markanter geworden.
Er wäre weit vorteilhafter für eine Platzierung auf dem deutschen Markt gewesen. Doch auch Rooneys Debütroman bricht mit bestehenden Vorstellungen davon, was in der Literatur und was im Leben als erstrebenswert gilt. Nicht alles ist dabei bereits zu Ende gedacht. Aber jeder, der das Buch liest, wird es spüren und sich dazu verhalten müssen.
Sally Rooney: "Gespräche mit Freunden"
aus dem Englischen von Zoë Beck
Luchterhand Verlag, München, 382 Seiten, 20 Euro.