Dirk-Oliver Heckmann: Die chinesische Regierung scheint, bereit zu sein, den Menschenrechtsanwalt Chen zum Studium in die USA ausreisen zu lassen. Wir sprechen gleich mit dem China-Experten Eberhard Sandschneider. Chen hat ja behauptet, von Peking erpresst worden zu sein, er habe nur deshalb die amerikanische Botschaft verlassen, weil seine Familie mit dem Tod bedroht worden sei, und er fordert jetzt lautstark seine Ausreise. Auch der amerikanische Kongress hat sich mit dem Fall Chen nun befasst.
Ist China mittlerweile zu stark, um noch auf die Einhaltung der Menschenrechte zu pochen? Das nicht unbedingt, meinte der ehemalige amerikanische Botschafter John Kornblum heute im Deutschlandfunk. Aber die wirtschaftlichen Verflechtungen, die würden immer intensiver und deshalb immer wichtiger. Und weiter:
O-Ton John Kornblum: "Clinton meinte, es sei wichtiger, die Wirtschaftsgespräche weiterzuführen, als sehr viel Gewicht auf die Menschenrechtsfrage zu legen, aber das bringt die Administration jetzt in eine ziemlich schwierige Lage zuhause."
Heckmann: So weit der ehemalige amerikanische Botschafter John Kornblum heute Früh im Deutschlandfunk. - Am Telefon ist jetzt Professor Eberhard Sandschneider, Direktor des Forschungsinstituts der Gesellschaft für Auswärtige Politik. Schönen guten Tag!
Eberhard Sandschneider: Schönen guten Tag.
Heckmann: Herr Sandschneider, sehen Sie eine sich verstärkende Tendenz, Menschenrechte gegenüber Wirtschaftsinteressen hinten anzustellen?
Sandschneider: Das muss man klar und deutlich formulieren: Nein, eine verstärkende Tendenz gibt es nicht, weil im Zweifelsfall war das auch in der Vergangenheit immer so. Man darf beide Dinge schlicht und ergreifend nicht miteinander vermischen, um nicht in diese Glaubwürdigkeitslücke zu geraten. Wirtschaftsinteressen gegenüber China zu haben, ist eine Seite, und da haben alle Beteiligten recht: Die vertiefen sich, die intensivieren sich. Das macht den Umgang mit einem immer stärker werdenden China auch schwierig. Das heißt auf der anderen Seite nicht, dass man auf Menschenrechtsfragen verzichten soll. Nur wenn man sie anspricht, dann muss man sie glaubwürdig ansprechen, und wenn man sich gegenüber einem Land wie China, das stellvertretend für viele andere autoritäre Regime steht, in die Situation begibt, Glaubwürdigkeitsprobleme aufzuweisen, dann tut man natürlich am Ende sogar der Menschenrechtsidee nicht wirklich einen Gefallen und den betroffenen Menschen schon gar nicht.
Heckmann: Was heißt das? Wie sollte man dann diese Probleme ansprechen, wie Glaubwürdigkeit herstellen?
Sandschneider: Man muss sie schlicht und ergreifend offen ansprechen, ohne zu erwarten, dass China jetzt innerhalb von wenigen Jahren das tun kann, wofür wir im Westen auch weit über 100 Jahre gebraucht haben, wenn nicht länger, um die Menschenrechtsidee zur Umsetzung zu bringen. Darüber gibt es seit vielen Jahren eine heftige Debatte. Ich glaube, unter dem Strich kann man schon sagen, die Situation in China hat sich insgesamt verglichen mit früher verbessert, aber das ist ein problematischer Vergleich, weil die Menschenrechtssituation vor der Reformpolitik natürlich verheerend war. Aber sie ist weit davon entfernt, auch heute noch, unseren westlichen Standards zu entsprechen. Nur eines muss man einsehen: Es gibt keine Möglichkeit der Druckausübung auf China, schon gar nicht, wenn dieser Druck dann in Kontrast gerät mit den wirtschaftlichen, mit den währungspolitischen, mit den strategischen Interessen, die gerade ein Land wie die USA natürlich zuforderst mit China hat.
Heckmann: Normalerweise ist es ja der Job, Herr Sandschneider, der Diplomatie, solche Fälle abzuräumen, bevor solche wichtigen Gespräche dann dort vor Ort stattfinden. Hat hier die amerikanische Diplomatie versagt?
Sandschneider: Versagt hat sie vermutlich nicht, weil sie gar nichts dagegen tun konnte. Man kann schon vermuten, dass Herr Chen aus seiner Sicht völlig legitim und berechtigterweise natürlich das Vorfeld dieses Besuches genutzt hat, um maximale internationale Aufmerksamkeit zu bekommen - nicht weil er so sehr nach Aufmerksamkeit strebt, sondern weil er nach Sicherheit strebt, für sich selbst und für seine eigene Familie. Tut er einen solchen Schritt in einer normalen Zeit, dann schaut die internationale Presse mal kurz hin, aber auch gleich wieder weg. Der Besuch von Clinton und Geithner macht es natürlich möglich, dass das zu einem wirklichen Thema wird, und die Rechnung von Chen ist insoweit aufgegangen. Der amerikanische Kongress kümmert sich um ihn, er ist Thema des amerikanischen Wahlkampfes geworden, es ist ihm tatsächlich gelungen, sein Schicksal und sein Anliegen in die amerikanische Innenpolitik zu tragen.
Heckmann: Aber auf der anderen Seite haben amerikanische Diplomaten offenbar versucht, Chen im Krankenhaus zu besuchen, und das ist ihnen nicht gelungen. Das heißt, er steht nicht unter dem Schutz der USA.
Sandschneider: Nein, natürlich nicht. Er ist Chinese, er lebt in China, er hat die chinesische Staatsangehörigkeit und er kann nicht mal aus China heraus. Das haben die amerikanischen Behörden klar gemacht. Asyl beantragen, formal in den Vereinigten Staaten, dazu müsste er auf amerikanischem Boden sein. Der Druck auf ihn war natürlich massiv, aber ich glaube, die chinesische Regierung - zumindest geisterte das heute Morgen durch das chinesische Internet - hat eine klare Strategie der Deeskalation gewählt. Es gibt im chinesischen Internet den Hinweis, vielleicht sogar von Präsident Hu Jintao, Herunterspielen, Entschädigen, ausreisen lassen. Das hat das chinesische Außenministerium heute Morgen tendenziell auch so bestätigt. Beide Seiten haben ein großes Interesse daran, dass dieser Fall nicht über die Maßen die bilateralen Beziehungen beschädigt.
Heckmann: Das heißt, die Lösung könnte sein, die jetzt gemeldet wird, dass Peking anbietet, Chen könne wie jeder andere Chinese auch übrigens in den USA einen Antrag zumindest stellen zu studieren? Das ist also ein ernst zu nehmendes Angebot?
Sandschneider: Das muss man sehr ernst nehmen. Das wäre auch aus chinesischer Sicht ein brauchbarer Weg, um aus dieser Sackgasse herauszukommen, in die man da in den bilateralen Beziehungen geraten ist. Die spannende Frage - das muss man allerdings hinzufügen - heißt, was wird mit der Familie von Chen, darf seine Frau, dürfen vielleicht seine Mutter und seine Brüder mit ihm ausreisen. Wenn nicht, dann wird er in den Vereinigten Staaten ein studierender Dissident sein, der aber wohl beraten ist, sich nicht allzu kritisch gegenüber China zu äußern, weil der Druck auf die Familie zuhause natürlich das Druckmittel schlechthin ist in den Händen der chinesischen Regierung.
Heckmann: Ganz kurz noch, Herr Sandschneider: In Peking steht ein Machtwechsel an der Spitze an. Rechnen Sie damit, dass über solche Themen in Zukunft nicht mehr in dieser Intensität gesprochen werden muss?
Sandschneider: Wegen des Machtwechsels vermutlich nicht. Was da genau passiert, können wir im Augenblick noch nicht absehen. Da sind alle Türen zu, wir sehen einzelne Fälle wie etwa Bo Xilai, die andeuten, wie heftig die Auseinandersetzungen sind, und in solchen Zeiten sind gerade solche Fälle wie der von Herrn Chen besonders prekär. Das weiß man in Peking, das weiß man auch in Washington.
Heckmann: Der China-Experte Professor Eberhard Sandschneider live hier im Deutschlandfunk. Herr Sandschneider, danke Ihnen für dieses Gespräch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Ist China mittlerweile zu stark, um noch auf die Einhaltung der Menschenrechte zu pochen? Das nicht unbedingt, meinte der ehemalige amerikanische Botschafter John Kornblum heute im Deutschlandfunk. Aber die wirtschaftlichen Verflechtungen, die würden immer intensiver und deshalb immer wichtiger. Und weiter:
O-Ton John Kornblum: "Clinton meinte, es sei wichtiger, die Wirtschaftsgespräche weiterzuführen, als sehr viel Gewicht auf die Menschenrechtsfrage zu legen, aber das bringt die Administration jetzt in eine ziemlich schwierige Lage zuhause."
Heckmann: So weit der ehemalige amerikanische Botschafter John Kornblum heute Früh im Deutschlandfunk. - Am Telefon ist jetzt Professor Eberhard Sandschneider, Direktor des Forschungsinstituts der Gesellschaft für Auswärtige Politik. Schönen guten Tag!
Eberhard Sandschneider: Schönen guten Tag.
Heckmann: Herr Sandschneider, sehen Sie eine sich verstärkende Tendenz, Menschenrechte gegenüber Wirtschaftsinteressen hinten anzustellen?
Sandschneider: Das muss man klar und deutlich formulieren: Nein, eine verstärkende Tendenz gibt es nicht, weil im Zweifelsfall war das auch in der Vergangenheit immer so. Man darf beide Dinge schlicht und ergreifend nicht miteinander vermischen, um nicht in diese Glaubwürdigkeitslücke zu geraten. Wirtschaftsinteressen gegenüber China zu haben, ist eine Seite, und da haben alle Beteiligten recht: Die vertiefen sich, die intensivieren sich. Das macht den Umgang mit einem immer stärker werdenden China auch schwierig. Das heißt auf der anderen Seite nicht, dass man auf Menschenrechtsfragen verzichten soll. Nur wenn man sie anspricht, dann muss man sie glaubwürdig ansprechen, und wenn man sich gegenüber einem Land wie China, das stellvertretend für viele andere autoritäre Regime steht, in die Situation begibt, Glaubwürdigkeitsprobleme aufzuweisen, dann tut man natürlich am Ende sogar der Menschenrechtsidee nicht wirklich einen Gefallen und den betroffenen Menschen schon gar nicht.
Heckmann: Was heißt das? Wie sollte man dann diese Probleme ansprechen, wie Glaubwürdigkeit herstellen?
Sandschneider: Man muss sie schlicht und ergreifend offen ansprechen, ohne zu erwarten, dass China jetzt innerhalb von wenigen Jahren das tun kann, wofür wir im Westen auch weit über 100 Jahre gebraucht haben, wenn nicht länger, um die Menschenrechtsidee zur Umsetzung zu bringen. Darüber gibt es seit vielen Jahren eine heftige Debatte. Ich glaube, unter dem Strich kann man schon sagen, die Situation in China hat sich insgesamt verglichen mit früher verbessert, aber das ist ein problematischer Vergleich, weil die Menschenrechtssituation vor der Reformpolitik natürlich verheerend war. Aber sie ist weit davon entfernt, auch heute noch, unseren westlichen Standards zu entsprechen. Nur eines muss man einsehen: Es gibt keine Möglichkeit der Druckausübung auf China, schon gar nicht, wenn dieser Druck dann in Kontrast gerät mit den wirtschaftlichen, mit den währungspolitischen, mit den strategischen Interessen, die gerade ein Land wie die USA natürlich zuforderst mit China hat.
Heckmann: Normalerweise ist es ja der Job, Herr Sandschneider, der Diplomatie, solche Fälle abzuräumen, bevor solche wichtigen Gespräche dann dort vor Ort stattfinden. Hat hier die amerikanische Diplomatie versagt?
Sandschneider: Versagt hat sie vermutlich nicht, weil sie gar nichts dagegen tun konnte. Man kann schon vermuten, dass Herr Chen aus seiner Sicht völlig legitim und berechtigterweise natürlich das Vorfeld dieses Besuches genutzt hat, um maximale internationale Aufmerksamkeit zu bekommen - nicht weil er so sehr nach Aufmerksamkeit strebt, sondern weil er nach Sicherheit strebt, für sich selbst und für seine eigene Familie. Tut er einen solchen Schritt in einer normalen Zeit, dann schaut die internationale Presse mal kurz hin, aber auch gleich wieder weg. Der Besuch von Clinton und Geithner macht es natürlich möglich, dass das zu einem wirklichen Thema wird, und die Rechnung von Chen ist insoweit aufgegangen. Der amerikanische Kongress kümmert sich um ihn, er ist Thema des amerikanischen Wahlkampfes geworden, es ist ihm tatsächlich gelungen, sein Schicksal und sein Anliegen in die amerikanische Innenpolitik zu tragen.
Heckmann: Aber auf der anderen Seite haben amerikanische Diplomaten offenbar versucht, Chen im Krankenhaus zu besuchen, und das ist ihnen nicht gelungen. Das heißt, er steht nicht unter dem Schutz der USA.
Sandschneider: Nein, natürlich nicht. Er ist Chinese, er lebt in China, er hat die chinesische Staatsangehörigkeit und er kann nicht mal aus China heraus. Das haben die amerikanischen Behörden klar gemacht. Asyl beantragen, formal in den Vereinigten Staaten, dazu müsste er auf amerikanischem Boden sein. Der Druck auf ihn war natürlich massiv, aber ich glaube, die chinesische Regierung - zumindest geisterte das heute Morgen durch das chinesische Internet - hat eine klare Strategie der Deeskalation gewählt. Es gibt im chinesischen Internet den Hinweis, vielleicht sogar von Präsident Hu Jintao, Herunterspielen, Entschädigen, ausreisen lassen. Das hat das chinesische Außenministerium heute Morgen tendenziell auch so bestätigt. Beide Seiten haben ein großes Interesse daran, dass dieser Fall nicht über die Maßen die bilateralen Beziehungen beschädigt.
Heckmann: Das heißt, die Lösung könnte sein, die jetzt gemeldet wird, dass Peking anbietet, Chen könne wie jeder andere Chinese auch übrigens in den USA einen Antrag zumindest stellen zu studieren? Das ist also ein ernst zu nehmendes Angebot?
Sandschneider: Das muss man sehr ernst nehmen. Das wäre auch aus chinesischer Sicht ein brauchbarer Weg, um aus dieser Sackgasse herauszukommen, in die man da in den bilateralen Beziehungen geraten ist. Die spannende Frage - das muss man allerdings hinzufügen - heißt, was wird mit der Familie von Chen, darf seine Frau, dürfen vielleicht seine Mutter und seine Brüder mit ihm ausreisen. Wenn nicht, dann wird er in den Vereinigten Staaten ein studierender Dissident sein, der aber wohl beraten ist, sich nicht allzu kritisch gegenüber China zu äußern, weil der Druck auf die Familie zuhause natürlich das Druckmittel schlechthin ist in den Händen der chinesischen Regierung.
Heckmann: Ganz kurz noch, Herr Sandschneider: In Peking steht ein Machtwechsel an der Spitze an. Rechnen Sie damit, dass über solche Themen in Zukunft nicht mehr in dieser Intensität gesprochen werden muss?
Sandschneider: Wegen des Machtwechsels vermutlich nicht. Was da genau passiert, können wir im Augenblick noch nicht absehen. Da sind alle Türen zu, wir sehen einzelne Fälle wie etwa Bo Xilai, die andeuten, wie heftig die Auseinandersetzungen sind, und in solchen Zeiten sind gerade solche Fälle wie der von Herrn Chen besonders prekär. Das weiß man in Peking, das weiß man auch in Washington.
Heckmann: Der China-Experte Professor Eberhard Sandschneider live hier im Deutschlandfunk. Herr Sandschneider, danke Ihnen für dieses Gespräch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.