Donnerstag, 28. März 2024

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Sanktionen gegen Russland
"Die Nato agiert wie im letzten Jahrhundert"

Die Sanktionen gegen Russland träfen die Falschen und richteten auf beiden Seiten wirtschaftliche Schäden an, sagte Stefan Liebich, der Obmann der Linken im Auswärtigen Ausschuss, im DLF. Nur weil man sich in der Nato und in der EU nicht auf einen Konsens verständigen könne, fasse man die Sanktionen nicht an, so Liebich.

Stefan Liebich im Gespräch mit Christoph Heinemann | 07.07.2016
    Stefan Liebich, Mitglied der Berliner Linken und des Bundestages, nimmt am 30.05.2015 in Berlin am Landesparteitag der Partei Die Linke teil. Porträt eines Mannes im Anzug, der freundlich lächelnd in die Kamera grinst, das Kinn aufgestützt in der Hand, mit Brille.
    Stefan Liebich, der Obmann der Partei Die Linke glaubt an Konfliktlösung durch Dialog (dpa/Stephanie Pilick)
    Christoph Heinemann: Guten Tag, Herr Liebich!
    Stefan Liebich: Schönen guten Tag, Herr Heinemann.
    Heinemann: Wieso hat sich die Sicherheitslage in den letzten Jahren so deutlich verändert?
    Liebich: Wir haben unterschiedliche Herausforderungen. Zum einen hier in unserer unmittelbaren Nachbarschaft ist es das Agieren Russlands, das völkerrechtswidrige Agieren Russlands bei der Annexion der Krim und dem Agieren im Osten der Ukraine, und wir haben eine neue Bedrohung durch nicht staatliche terroristische Gruppierungen, die länderübergreifend agieren, wie der Islamische Staat. Das alles sind Veränderungen, mit denen wir umgehen müssen.
    Heinemann: Wie kann die Nato Putin abschrecken?
    Liebich: Ich glaube, dass die Nato agiert wie im letzten Jahrhundert, und der Versuch, mit einer Abschreckungspolitik von damals voranzukommen, das wird scheitern. Es gibt da sehr unterschiedliche Auffassungen im Bündnis. Man kann sich nur noch mühsam auf Kompromisse verständigen. Und ich glaube, man muss dort einen neuen Weg einschlagen. Der Bundesaußenminister, Frank-Walter Steinmeier, hat das ja auch öffentlich gesagt. Selbst jemand wie Herr Ischinger von der Münchner Sicherheitskonferenz rät zu einem neuen Weg. Und ich finde, auch wenn Russland falsch und völkerrechtswidrig gehandelt hat, muss man sich doch überlegen, was ist eine wirksame Antwort darauf.
    "Es war ja die Nato, die den Nato-Russland-Rat suspendiert hat"
    Heinemann: Herr Liebich, militärisch Flagge zeigen und verhandeln, das war die Philosophie des Nato-Doppelbeschlusses. Der war sehr erfolgreich im vergangenen Jahrhundert, führte unter anderem zum Mauerfall. Wieso sollte das jetzt nicht auch aktuell sein?
    Liebich: Ich finde das eine kühne Einschätzung, dass der Doppelbeschluss zum Fall der Mauer geführt hat. Ich denke, dass es viel mehr der Unwillen der Menschen in der DDR war, mit ihrer SED-Führung zu leben. Aber sei es drum. Ich glaube, heute ist der Slogan, man will auf der einen Seite abschrecken und auf der anderen Seite verhandeln, dadurch nicht so wirksam, dass man es mit dem Verhandeln nicht ernst meint. Es war ja die Nato, die den Nato-Russland-Rat suspendiert hat. Herr Rasmussen als der ehemalige Nato-Generalsekretär hat gesagt, wir treffen uns nicht mehr, zu einem Zeitpunkt, wo es am dringendsten notwendig war. Das war ein Fehler.
    Heinemann: Als Reaktion worauf?
    Liebich: Als Reaktion auf die Annexion der Krim. Das habe ich ja vorhin gesagt, dass das falsch war. Nur sich dann nicht mehr zu treffen, das war ein Fehler und das werden Ihnen im Moment auch ganz viele im Deutschen Bundestag bis hin zur CDU/CSU bestätigen. - Oder ich gebe ein weiteres Beispiel.
    Heinemann: Aber der Nato-Russland-Rat soll sich doch wieder treffen. Entschuldigung, dass ich dazwischen gehe.
    Liebich: Gott sei Dank! - Gott sei Dank! - Aber es war die Nato, die diese Gespräche unterbrochen hat, und ich bin froh, dass das wieder vorbei ist.
    Ich möchte ein weiteres Beispiel bringen: Im Rahmen der Sanktionen* ist zum Beispiel verabredet worden, dass Politiker der Duma in Russland ein Einreiseverbot in die Europäische Union erhalten. Im Gegenzug hat Russland ein Einreiseverbot gegenüber Politikern des Deutschen Bundestages verhängt. Das hat dazu geführt, dass das früher regelmäßige stattfindende Treffen der Auswärtigen Ausschüsse der Duma und des Deutschen Bundestages in dieser Legislaturperiode nicht mehr möglich waren. Wenn man über Dialog redet, dann muss man auch Dialog möglich machen, und das passiert leider überhaupt nicht.
    Heinemann: Kann man nach der Annexion der Krim so weitermachen, als wäre nichts geschehen? Einfach weiter miteinander plaudern?
    Liebich: Wenn man sich trifft, plaudert man ja nicht einfach miteinander, sondern wir haben schon früher, als der Ausschuss noch zusammensaß, sehr kontrovers miteinander gestritten. Ich glaube nur, die Idee, nicht mehr miteinander zu reden, hilft nicht zur Konfliktlösung. Ich glaube ohnehin, dass man einem Mann wie Putin nicht mit dem Motto, wer nicht hören will muss fühlen, beikommen kann. Es ist ja so, dass selbst in der Koalition, in der CSU, in der SPD darüber diskutiert wird, ob man hier nicht zu einer Veränderung der Politik kommen muss. Ich finde, das muss dringend passieren.
    "Sanktionen richten auf beiden Seiten wirtschaftliche Schäden an"
    Heinemann: Mit Sanktionen?
    Liebich: Ich halte von Sanktionen nichts. Ich glaube, dass die Sanktionen auf beiden Seiten wirtschaftliche Schäden anrichten und die falschen treffen und dass sie am Ende auch nichts lösen. Wenn die Bereitschaft da ist, Zug um Zug bei Veränderungen der Politik Russlands auch schrittweise die Sanktionen abzubauen, wäre das richtig. Das finden auch viele Mitgliedsstaaten der Nato und der Europäischen Union. Das Problem ist nur, dass weil man sich nicht auf einen Konsens verständigen kann, fasst man die Sanktionen überhaupt nicht an. Ich glaube, das ist die schlechteste Lösung.
    Heinemann: Nur als Reaktion auf Bedrohung und sogar eine de facto Annexion zu sagen, wir reden weiter miteinander, glauben Sie, dass das einen Menschen wie Wladimir Putin beeindrucken würde?
    Liebich: Die Bundeskanzlerin hat heute in ihrer Regierungserklärung über die Charta von Paris gesprochen. Und damals, im Jahr 1990 hat man gesagt, dass man, weil die Teilung Europas zu Ende ist, gemeinsam für Sicherheit in Europa sorgen will. Das ist nicht passiert. Die Nato hat sich mit dem Ende des Warschauer Vertrages auch nicht aufgelöst, sondern erweitert. Russland hat das als eine Bedrohung empfunden. Es ist ein Raketenschirm errichtet worden, gegen den erklärten Willen Russlands. Ich glaube, das war eine Politik, die zu dem falschen Handeln Putins geführt hat. Ich finde, dass man von dieser Politik wieder zurückkehren muss und nicht immer noch eine Schraube nachdrehen.
    "Die Nato handelt so, dass in Russland vieles als Bedrohung empfunden wird"
    Heinemann: Bedroht die Nato Russland?
    Liebich: Die Nato bedroht Russland nicht. Die Nato handelt aber so, dass in Russland vieles als Bedrohung empfunden wird. Ich habe das Beispiel Raketenschirm gebracht. Schon mit der Planung - der rührt ja noch aus uralten Zeiten her und Ronald Reagan hatte damals den Krieg der Sterne gegen die Sowjetunion im Blick; damals ist die Idee dieses Raketenschirms entstanden. Dass man diese Absurdität aus dem letzten Jahrhundert heute immer noch weiterführt, das wird in Russland als Bedrohung empfunden und das kann ich nachvollziehen.
    Heinemann: Wolfgang Ischinger, den Sie eben zitiert haben, der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, erinnerte heute früh bei uns im Deutschlandfunk an die Lage im Kalten Krieg. Damals konnte der freie Teil Deutschlands sich auf US-Truppen verlassen, die ein Gefühl der Sicherheit vermittelten. Und Ischinger zog eine Parallele zur Gefühlslage im europäischen Osten:
    O-Ton Wolfgang Ischinger: "Wenn jetzt Polen, Balten sagen, wir fühlen uns verunsichert durch kleine grüne Männchen auf der Krim und durch die Präsenz, die nie so richtig zugegebene, aber nachgewiesene Präsenz russischer Soldaten in der Ostukraine, wer weiß, was da bei uns noch passieren könnte."
    Heinemann: Müssen sich die Polen, die Menschen in den baltischen Staaten vor kleinen grünen Männchen fürchten?
    Liebich: OSZE zu neuem Leben erwecken
    Liebich: Ich kann die Bedrohungsempfindung in den baltischen Staaten und in Polen nachvollziehen. Es ist ja tatsächlich so, dass aufgrund der Geschichte man verstehen kann, dass man dort mit Sorge auf seinen Nachbarn schaut. Die Staaten sind Mitglied der Nato und das Nato-Verteidigungsbündnis agiert auch wie ein solches. Ich glaube nur - und das muss man auch unseren polnischen und baltischen Freunden sagen - dass man mit den Antworten aus dem letzten Jahrhundert, auf die ja der Herr Ischinger Bezug genommen hat, heute nicht mehr weiterkommt.
    Ich würde eher darüber nachdenken, ob man eine Organisation, die sich über viele Jahre, Jahrzehnte im Tiefschlaf befunden hat, nämlich die OSZE, in der die USA, Kanada, Ost- und Westeuropa, auch Russland, auch Deutschland Mitglied sind, ob man die nicht wieder zu neuem Leben erweckt. Das ist im Moment auch die einzige Organisation, die in der Frage der Ukraine-Krise handlungsfähig ist. Real wird ja die Sicherheitslage im Moment dadurch verbessert, dass man Entflechtungen der miteinander kämpfenden Truppen im Osten der Ukraine herstellt. Das macht nicht die Nato, das macht die OSZE. Deswegen finde ich ist da die bessere Antwort.
    Heinemann: Herr Liebich, zum Schluss kurz noch ein anderes Thema. Ihre Parteifreundin Sarah Wagenknecht hat im Zusammenhang mit dem geplanten CETA-Handelsabkommen heute im Deutschen Bundestag so bezeichnete "Brüsseler Antidemokraten" kritisiert, worauf SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann - Sie haben es mitbekommen - ihr AfD-Rhetorik vorgeworfen hat. Ist Die Linke anfällig für populistische Schlagwörter?
    Liebich: Ich finde, da haben beide überzogen. Meine Wortwahl wäre das nicht gewesen, die Brüsseler Entscheidung, die ich genauso falsch finde wie Sarah Wagenknecht, als antidemokratisch zu bezeichnen. Aber es ist ebenso absurd, jetzt Sarah Wagenknecht AfD-Nähe vorzuwerfen. Unsere Fraktion, unsere Partei kämpft wie keine andere gegen den Populismus von rechts. Ich glaube, hier wären alle Seiten gut beraten, ein wenig abzurüsten.
    Heinemann: Stefan Liebich, Obmann der Fraktion Die Linke im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Liebich: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    *Die kursiv markierten Abschnitte wurden nachträglich angepasst. Korrigiert wurden Fehler, die aus der Verschriftlichung der Audio-Datei resultierten.