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Sarkozys Mann fürs Grobe

Wenn Nicolas Sarkozy die Präsidentschaftswahlen gewinnen will, ist er auf die Sympathisanten der rechtsextremen Front National angewiesen. So ist es womöglich kein Zufall, dass Sarkozys enger Vertrauter, Innenminister Claude Guéant, am rechten Wählerrand auf Stimmenfang geht.

Von Ursula Welter | 09.02.2012
    Tumult im französischen Parlament. Die Szene ist der vorläufige Höhepunkt einer Debatte, und sie ist ein Wendepunkt im französischen Wahlkampf. Wirtschaftsfragen, Vorbild Deutschland, Finanzkrise – das waren die Themen der vergangenen Monate. Jetzt soll es um die Fundamente der Republik gehen.

    Der Parlamentspräsident ist gezwungen, die Sitzung zu unterbrechen. Der Premierminister persönlich hat gerade sein Kabinett aufgefordert, aus Protest den Saal zu verlassen. Alle Abgeordneten der Regierungsmehrheit folgen. Bis in die Zeiten der Dreyfus-Affäre, 1898, müsse man zurückgehen, um sich einer solchen Szene in der Assemblée Nationale zu erinnern, sagen die historisch bewanderten Parlamentsbeobachter.

    Seit Tagen hatte sich der Streit hochgeschaukelt. Innenminister, Claude Guéant, ein in Provokationen geübter Mitstreiter des Staatspräsidenten, hatte vor Studenten einer konservativen Einrichtung gesagt, anders als es die relativistische Ideologie der Linken glauben machen wolle, seien nicht alle Zivilisationen, nicht alle Kulturen gleichwertig und es gelte, die französische Zivilisation zu schützen.

    Schützen wovor? Die Sozialisten fühlten sich provoziert, Guéant gehe zu weit im Versuch, am rechten Wählerrand Stimmen zu sammeln.

    Die Opposition bausche die Sache auf, mischte sich der Staatspräsident persönlich in den Streit ein – da saß Angela Merkel noch neben ihm, gerade hatten beide ihr gemeinsames Fernsehinterview aufgezeichnet.

    Die Kritik an seinem Innenminister, das sei eine dieser lächerlichen Diskussionen, Guéant habe nichts anderes sagen wollen, als dass eine Gesellschaft, die die Gleichberechtigung von Frau und Mann nicht achte, eben nicht gleichwertig mit jenen der Republik sei. Das entspreche dem gesunden Menschenverstand.

    Er bedauere seine Äußerung nicht, sagte Guéant selbst, er bedaure aber, dass der fragliche Satz von den Sozialisten aus dem Zusammenhang gerissen worden sei.

    Und er wiederhole den Satz sehr gerne, dass er nicht alle Zivilisationen für gleichwertig halte, denn ...

    ... jene, die Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit verteidigten, seien denen überlegen, die die Tyrannei und etwa die Unterdrückung der Frauen akzeptierten, stellte Guéant seine Äußerung klar.

    Nein, rief im Parlament Serge Letchimy, sozialistischer Abgeordneter aus Martinique, Tag für Tag bringen Sie uns mit ihren Äußerungen in Richtung jener Ideologien, die die Konzentrationslager möglich gemacht haben.

    Als der Abgeordnete Letchimy den Vergleich zum Nazi-Regime zieht, hat die Regierung ihre Plätze bereits verlassen.

    Damit habe der Wahlkampf eine neue Qualität erreicht, sagt Paul Quinio, Herausgeber der linksgerichteten Zeitung "Libération".

    Im Grundsatz sei die Kritik der Sozialisten an den Äußerungen des Innenministers richtig, in der Form aber falsch gewesen. Im Grundsatz richtig, denn es sei nicht ungefährlich, wie die konservative Mehrheit nun versuche, den Kandidaten Sarkozy zu retten.

    Eine Inszenierung, hält der Publizist François d’Orcival von "Valeurs Actuelles" dagegen.

    Niemals hätte der Satz des Innenministers diese Bedeutung erlangt, niemals wäre daraus eine Affäre geworden, sagt d’Orcival, wenn die Sozialisten es nicht gewollt hätten . Drei Tage hätten sie Guéants Äußerungen öffentlich kritisiert, um dann einen farbigen Parlamentarier, der sich selbst ein Sklaven-Kind nenne, den Vergleich mit Nazi-Deutschland ziehen zu lassen.

    Inszenierung oder nicht – der Wahlkampf nimmt mit der Affäre um die Äußerungen des Innenministers eine neue Richtung. Integration, Einwanderung, Ausländerwahlrecht, innere Sicherheit – Claude Guéant habe nicht zufällig die Debatte in diese Richtung gelenkt. Der rechtsradikale Front National beeilte sich, auch das kein Zufall, sich in den Worten des Innenministers anzuschließen - der Kampf um die Wähler am äußeren Rand ist eröffnet.