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"Sarrazin ist Rassist und islamfeindlich"

Mehmet Tanriverdi ist aus der SPD ausgetreten. Damit reagierte er auf die Einstellung des Ausschlussverfahrens gegen das umstrittene Parteimitglied Thilo Sarrazin. Tanriverdi wirft Sarrazin Rassismus vor - der SPD unterstellt er wahltaktische Manöver wegen der bevorstehenden Berliner Senatswahlen.

Mehmet Tanriverdi im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 27.04.2011
    Dirk-Oliver Heckmann: Am Telefon begrüße ich jetzt Mehmet Tanriverdi, er ist Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände. Schönen guten Tag!

    Mehmet Tanriverdi: Ja, guten Tag!

    Heckmann: Herr Tanriverdi, Sie haben bereits Ihren Austritt aus der SPD angekündigt, haben Sie ihn auch schon vollzogen?

    Tanriverdi: Ja, das habe ich getan, und zwar gestern spätnachmittags habe ich einen offenen Brief an die Frau Andrea Nahles und Sigmar Gabriel geschickt und angekündigt, dass ich die SPD verlasse.

    Heckmann: Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Kramer, hat gesagt, Sarrazin habe mit seinen rassistischen Thesen keinen Platz in der SPD. Hat er sich da getäuscht?

    Tanriverdi: Nein, das ist korrekt, so würde ich das auch unterschreiben. In meiner Funktion als Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände in Deutschland und Mitglied des Integrationsbeirates habe ich mich gezwungen gefühlt, diesen Schritt zu tun. Die Entscheidung der SPD am Donnerstag und die Begründung, eigentlich die nichtssagende Begründung hat mich dazu bewegt auszutreten. Der Sarrazin ist Rassist und islamfeindlich. Das hat er mit seinen Thesen in einem Buch deutlich gemacht, mit dem er Millionen von Menschen beleidigt und diskriminiert hat.

    Heckmann: Sarrazin selbst sagt, er sei kein Rassist, es gibt Millionen Deutsche, die das ähnlich sehen, und Andrea Nahles sagt, Sarrazin habe sich ja distanziert von diesen vermeintlich rassistischen Thesen. Und er hat eine Erklärung unterschrieben, wonach er keine Migranten diskriminieren wollte. Muss das nicht reichen?

    Tanriverdi: Nein. Wenn Sie das Buch gelesen haben ... Er begründet in seinem Buch biologische Unterschiede, also er geht mit den Rassen vor, er redet von Genen, von jüdischen Genen, er äußert sich fundamental gegenüber dem Islam, und er sagt, die sind nicht integrierbar. Das habe ich nicht ihm vorgeworfen, sondern das sagt er selbst. Und damit hat er die Gesellschaft tief gespalten. Was hat er gestern gesagt oder in den letzten Tagen? Er hat sich auch nicht entschuldigt. Er hat auch nicht in einer anderen Form, indem er gesagt hat, die Millionen, die ich durch das Verkaufen dieses Buches unberechtigterweise verdient habe, stelle ich für soziale Zwecke, für einen guten Zweck zur Verfügung – auch das hat er nicht getan. Er hat lediglich gesagt, es tut ihm leid, wenn jemand sich beleidigt gefühlt hat oder wenn er Gefühle von jemandem verletzt hat. Aber das reicht nicht aus.

    Heckmann: Mit dieser Entscheidung der Schiedskommission muss man da sagen, dass die SPD rassistisches Gedankengut duldet in der Partei?

    Tanriverdi: Das muss man leider der SPD-Führung mittlerweile vorwerfen. Das war Herr Gabriel, wie Sie am Anfang Ihrer Sendung, aber auch vorhin gesagt haben, er will so einen Menschen, so einen Sympathisanten in der Partei nicht haben. Er hat diesen Prozess eingeleitet und vorangetrieben. Wir haben diese Entwicklung begleitet, und die nichtssagende Begründung, wir dulden den Sarrazin hier bei uns, der ist zu Hause, für mich zeigt das, dass er hoffähig gemacht wird, dass irgendwelche Milchmädchenrechnungen gemacht werden bezüglich Wahlen in Berlin, und das wird nicht hinhauen. Wie einige SPD-Spitzen auch gesagt haben: Diese Entscheidung ist ein Widerspruch, was das Werteverständnis der Sozialdemokratie, besonders der Solidarität betrifft. Das widerspricht dem und ich bezeichne diesen Schritt als einen historischen Fehler.

    Heckmann: Sie sehen dahinter also auch wahltaktische Überlegungen, also vor dem Hintergrund der Abgeordnetenhauswahlen in Berlin im Herbst?

    Tanriverdi: Auf jeden Fall!

    Heckmann: Woraus schließen Sie das?

    Tanriverdi: Ich meine, das passiert ja in Berlin. Die Anträge – es gab vier Anträge, wahrscheinlich gab es tagelang Verhandlungen hinter den Kulissen. Alle vier Anträge wurden zurückgezogen. Da hat man wahrscheinlich Versprechungen gemacht. Die Berliner SPD, da vermisse ich von Herrn Wowereit zum Beispiel ein kritisches Wort oder eine Haltung. Der hat sich von Anfang an eigentlich von ihm distanziert. Warum sagt er nichts?

    Heckmann: Herr Tanriverdi, SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles hat jetzt gefordert ein Ende der Debatte um das Parteiordnungsverfahren um Thilo Sarrazin – was sagt das aus über die Diskussionskultur in der SPD, wenn die Führung offenbar glaubt, ein Ende dieser Debatte einfach zu verordnen?

    Tanriverdi: Ich meine, das weiß jeder, das mit einer Aufforderung allein wird es nicht getan sein. Das ist eine Entwicklung, ein Diskussionsprozess, der wird weitergehen. Ich bin froh, dass viele Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten – und das ist für mich die Mehrheit, wenn ich so höre – sich sehr kritisch äußern, auch Landesverbände, der Landeschef der SPD, Thorsten Schäfer-Gümbel, der sich sowohl gegenüber Presse, aber auch mir persönlich solidarisch geäußert hat, aber auch aus Stuttgart und aus anderen Landesverbänden, da sind wirklich wenige, die für die Beendigung der Diskussion eintreten. Dass es diese kritischen Stimmen gibt, zeigt, dass die Diskussion innerhalb der SPD weitergehen wird. Und das ist gut für unsere Demokratie, die müssen wir führen. Und die SPD muss aus diesem Fehler lernen und vor allem bei integrationspolitischen Themen sich öffnen endlich.

    Heckmann: Haben Sie denn die Hoffnung, dass die SPD sich das noch mal überlegt und Sie wieder zurückfinden könnten zur Sozialdemokratie?

    Tanriverdi: Für mich steht die Entscheidung fest, ich habe mich entschlossen, weil ich jetzt kurzfristig diese Lösung nicht sehe, aber für die Zukunft bin ich optimistisch, dass die SPD den Fehler korrigiert, ja.

    Heckmann: Der Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände, Mehmet Tanriverdi, war das hier im Deutschlandfunk-Interview. Ich danke Ihnen für das Gespräch!

    Tanriverdi: Vielen Dank, Herr Heckmann!