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Schädliche Emissionen
Die WHO fordert strengere Richtwerte für Luftverschmutzung

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat ihre Richtwerte für gängige Luftschadstoffe drastisch verschärft. Demnach gibt es wohl keine Unbedenklichkeitsschwellen für Stickstoffdioxid und Feinstaub. Etliche Fachgesellschaften fordern nun schärfere Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung.

Von Volker Mrasek |
Autoabgase enthalten luftverunreinigende Stoffe wie Kohlenstoffmonoxid und Kohlenstoffdioxid, Schwefeloxide, Stickoxide sowie Staub und Ruß
Autoabgase sind eine Quelle für Feinstaub und Stickoxide (dpa / Joker / Alexander Stein)
Einen Schwellenwert, ab dem ein Luftschadstoff unbedenklich ist, den gebe es im Grunde nicht. So kommentieren heute über einhundert Fachgesellschaften weltweit die neuen Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation. Eine Verschärfung der empfohlenen Höchstwerte sei längst überfällig, sagt Barbara Hoffmann, Professorin für Umweltepidemiologie an der Universität Düsseldorf:
"Auch ein bisschen Luftverschmutzung ist schädlich für den Körper, wenn man sie Tag für Tag, Jahr für Jahr einatmet. Die wichtigsten Neuerungen bei den WHO-Leitlinien jetzt sind tatsächlich die abgesenkten Werte für die Langzeit-Konzentrationen, für den Feinstaub und für das Stickstoffdioxid. Und dann auch noch ein neuer Wert für die Ozon-Langzeitkonzentration, den es vorher bei der WHO noch gar nicht gegeben hat."
Feinstaub: Autos ohne Partikelfilter und Holzheizungen blasen erhöhte Mengen davon in die Luft. Darunter sind Stoffe, die Krebs auslösen und tief in die Lunge vordringen können, wenn man sie einatmet.

Strenger Richtwerte bei Feinstaub und Stickoxiden

Die WHO hat ihren Richtwert für feinere Stäube mit Partikeldurchmessern bis zu 2,5 Mikrometern jetzt halbiert. Ein wichtiger Schritt nach vorne, sagt Peters, Direktorin des Instituts für Epidemiologie am Helmholtz-Zentrum München: "Der Jahreswert für den feinen Feinstaub liegt ja im Moment in Europa noch bei 25 Mikrogramm pro Kubikmeter. Und jetzt diese Richtwerte sagen sehr klar: Das sollte bei 5 liegen. Und da sind wir in Europa mit den 25 Mikrogramm pro Kubikmeter meilenweit von entfernt."
Noch drastischer ist die Korrektur bei Stickstoffdioxid, kurz NO2. Es zählt zu den viel zitierten Stickoxiden. Sie führen immer wieder zu Grenzwert-Überschreitungen an städtischen Messstationen. Denn eine Hauptquelle für NO2 sind Autos mit Dieselmotor. Hier senkt die WHO ihren alten Jahresrichtwert gleich um den Faktor 4! Von 40 auf nur noch zehn Mikrogramm pro Kubikmeter Luft.

Schädlich schon in niedrigsten Konzentrationen

Barbara Hoffmann findet, das sei plausibel. Stickstoffdioxid könne nämlich auch schon in ganz niedrigen Konzentrationen Entzündungen im Körper auslösen: "Was dann wiederum dazu führt, dass das feine Gleichgewicht zwischen Blutverklumpung und Auflösung von Blutklümpchen gestört wird und vermehrt zum Beispiel Schlaganfälle und Herzinfarkte zu beobachten sind."
Nicht nur die Wissenschaftlerinnen sehen Brüssel nun in der Pflicht - auch das Europäische Parlament. Es hat die EU-Kommission erst vor Kurzem dazu aufgefordert, die Grenzwerte für Luftschadstoffe anzupassen. Orientieren soll sie sich dabei ausdrücklich an den neuen Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation.
Das hält auch die Münchener Biologin und Epidemiologin Annette Peters für richtig: "Das kann man sicherlich nicht von heute auf morgen schaffen, diese Werte in deutschen Großstädten zum Beispiel einzuhalten. Aber da wir ja aufgrund der Klimakrise sowieso dabei sind, unsere Energienutzung und auch unser Mobilitätsverhalten zu ändern, denke ich, gibt es schon die Chancen, dass wir in fünf bis zehn Jahren deutlich näher an diesen Richtwerten sein werden als heute."
Lockdown als Maßstab: Wie weit lassen sich Luftschadstoffe vermeiden? (08:37) Interview mit Volker Matthias vom Helmholtz-Zentrum Hereon

Klimaschutz und Luftreinheit gehen Hand in Hand

Wie anspruchsvoll die Aufgabe ist, zeigt auch ein neuer Report der Europäischen Umweltagentur. Der Bericht hält fest, wie häufig selbst die alten WHO-Jahresrichtwerte im Jahr 2019 noch überschritten wurden - an wenigstens einer Messstation. Beim Feinstaub galt das für rund 30 europäische Länder und bei Stickstoffdioxid für 22. Der spanische Physiker Alberto González war an der Auswertung beteiligt: "Nimmt man jetzt die neuen Richtwerte der WHO, zum Beispiel für NO2, dann liegen alle Länder Europas darüber, zumindest mit einer Station. Das zu ändern, ist eine große Herausforderung. Aber wir alle und unsere Gesundheit werden davon profitieren."
Es sei nun um so wichtiger, die Energiewende voranzutreiben, sagt unter anderen die Düsseldorfer Umweltepidemiologin Barbara Hoffmann. Der Ausbau von Windkraft- und Solaranlagen nutze nämlich nicht nur dem Klima – sondern eben auch der Gesundheit. Er helfe genauso, die Konzentrationen von Luftschadstoffen aus Kraftwerks- und Industrieschloten zu verringern – und auch aus dem Auspuff von Autos, von denen immer mehr elektrisch unterwegs sind: "Also insofern können wir da zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen."