Jochen Spengler: Der Streit in der Union ist kein Scheingefecht, sondern ab morgen geht es auf dem Grundsatzkongress um die grundsätzliche Orientierung der CDU. Die Grundfrage lautet: Soll sie bei der Linie bleiben, die vor drei Jahren in Leipzig beschlossen wurde und für die Friedrich Merz steht und Angela Merkel einmal stand, Steuersenkung für die Wirtschaft, Rückbau des Staates, Gesundheitsprämie, eine Linie, die vom Wähler vor einem Jahr nicht honoriert worden ist, oder muss die CDU sozialer werden, wie Jürgen Rüttgers meint, kein Predigen von Lohnverzicht und keine Unternehmenssteuersenkungen mehr, weil das doch keine Arbeitsplätze bringe. Momentan weiß niemand, für was genau die Union steht, wofür die Vorsitzende Angela Merkel steht.
Am Telefon ist die stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU und Bundesministerin für Bildung und Forschung Annette Schavan. Guten Morgen Frau Schavan!
Annette Schavan: Guten Morgen Herr Spengler!
Spengler: Frau Schavan, sollte sich die CDU verabschieden von den wirtschaftsliberalen Ideen eines Friedrich Merz, der mehr Markt und weniger Staat will?
Schavan: Das Erfolgsrezept der CDU seit ihrer Gründung war, dass sie unterschiedliche Traditionen in eine vernünftige Balance bringt. Und natürlich: wir haben die Daten der letzten Monate. Wenn mehr Arbeitsplätze entstehen, wenn mehr Steuern rein kommen, wenn die Wirtschaft wieder boomt, dann tut das auch dem Sozialstaat gut. Insofern haben wir uns nicht zu entscheiden zwischen dem einen und dem anderen - auch Leipzig ist kein Abschied vom Sozialstaat gewesen -, sondern wir müssen daran arbeiten, dass das, was uns in sozialer Hinsicht wichtig ist, auch in künftigen Generationen noch geleistet wird. Das ist das Kunststück, das wir jetzt vollbringen müssen.
Spengler: Die zentrale Frage lautet ja, Frau Schavan, womit schafft man Arbeitsplätze. Es war auf dem Leipziger Parteitag mehrheitlich die Erkenntnis, dass erst liberale Reformen und eine Entlastung der Unternehmen Arbeitsplätze entstehen lassen. Gilt diese Erkenntnis noch?
Schavan: Die Erkenntnis, dass Unternehmen entlastet werden müssen von Bürokratie und Regelungswut einerseits, von zu hohen Abgaben andererseits, gilt genauso wie der andere Satz, dass der Wohlstand des Einzelnen nicht mit übergroßen Abgaben verbunden ist oder andererseits der Wohlstand des Einzelnen und der Wohlstand von Unternehmen dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden, weil in Leipzig haben wir das eine betont, das gilt; das andere gilt aber genauso, dass das, was dann an Reformen gemacht wird, letztlich auch dazu führen muss, dass der Wohlstand des Einzelnen nicht den Bach runter geht.
Spengler: Das ist natürlich klar, dass Sie versuchen, die beiden Positionenextreme zusammenzuführen auf diesem Kongress, aber wird es Ihnen nützen, wenn Sie doch Gegensätze, die da sind, mit einer Harmoniesoße überschütten, oder verstärkt das nicht sogar die Profillosigkeit der Union?
Schavan: Es gibt keine Harmoniesoße, sondern man muss das ganze intellektuell durchdringen. Das ist eine politische Aufgabe, und zwar nicht das erste Mal in der CDU. Die CDU ist einerseits die Partei der sozialen Marktwirtschaft. Das ist der Name dafür, Kräfte des Marktes freizusetzen, um soziale Leistungen des Staates zu ermöglichen.
Spengler: Aber hat denn Jürgen Rüttgers Recht, wenn er sagt, es ist eine Lebenslüge der CDU, dass Steuersenkungen für Unternehmen und Lohnverzicht zu Arbeitsplätzen führen?
Schavan: Ich halte es nicht für richtig, von Lebenslüge zu sprechen, weil in der CDU nie jemand behauptet hat, dass das alleine schon das Rezept sei. Wir wissen heute, dass mehr Wachstum nicht automatisch zu mehr Arbeitsplätzen führt, weil Globalisierung heißt, jedes Unternehmen steht in einem internationalen Wettbewerb. Deshalb gehört zu einer guten Wirtschaftspolitik heute nicht allein die Frage der Steuerentlastung, sondern es gehört genauso dazu die Frage, wie kommen wir zu neuen Arbeitsplätzen, die unabhängig von Wachstumsprognosen entstehen. Das betrifft das Thema Entwicklung, das betrifft das Thema Forschung. Wir werden eine bestimmte Art von qualifizierten Arbeitsplätzen hier erreichen müssen, um dieses alte Gütesiegel "made in Germany" auch international wieder stark zu machen. Ich spreche also nicht von Lebenslüge. Ich glaube auch nicht, dass die CDU alleine auf dieser These ihre Politik aufgebaut hat. Wenn Sie nur daran denken: bis in die jüngste Zeit hinein ist die CDU auch die Partei, die alle großen familienpolitischen Gesetze in dieser Republik seit den 50er Jahren verabschiedet hat. Es geht also um Streit in der Sache. Der gehört übrigens zu jeder Arbeit an einem Grundsatzprogramm, weil das nie nur bedeutet zu schreiben, was man immer schon geschrieben hat, und es kommt in diesem Grundsatzprogramm darauf an, zusammenzubringen was in der politischen Realität zusammen gehört.
Spengler: Nun sagt der CDA-Vorsitzende - der ist gleichzeitig nordrhein-westfälischer Sozialminister - Herr Laumann, Leipzig, die Beschlüsse dort waren ein Irrtum.
Schavan: Die CDU wird sich von bisherigen Beschlüssen - dazu gehören auch die Leipziger Beschlüsse - nicht verabschieden, aber sie hat nicht nur Leipzig beschlossen. Sie hat auch ein familienpolitisches Programm beschlossen. Sie hat ein bildungspolitisches Programm beschlossen. Und noch einmal: nicht sich verabschieden von diesem oder jenem Programm, sondern Sorge dafür tragen, dass die Programmatik zusammen passt, das ist unsere Aufgabe.
Spengler: Frau Schavan, aber in Leipzig wurden doch bestimmte Beschlüsse gefasst, die noch nicht umgesetzt sind, und da will ich Sie fragen: radikale Steuerreform, einkommensunabhängige Kopfpauschale in der Krankenversicherung, gilt das noch?
Schavan: Es gelten damit verbundene Prinzipien, aber Sie sehen bei der Gesundheitsreform, dass wir nicht zuletzt auch aufgrund der großen Koalition jetzt zu Eckdaten gekommen sind, mit denen bestimmte Prinzipien, zum Beispiel Wettbewerb bei Krankenkassen, zum Beispiel der Gesundheitsfonds, aufgegriffen werden. Und dann ist die alte Erfahrung, dass ein grundsätzlicher Ansatz, wenn er umgesetzt wird, immer auch noch einmal abgegolten werden muss mit anderen Erkenntnissen. Da wird es auch Korrekturen, da wird es einen Feinschliff geben, aber es gibt jetzt keinen Grund zu sagen, das was damals nach langen Beratungen auch beschlossen worden ist, gilt heute nicht mehr.
Spengler: Also diese Gesundheitsreform, die die Union wollte, gilt noch. Warum kämpft sie dann nicht genügend dafür, die Union?
Schavan: Grundsätze sind Kompass im konkreten politischen Alltag. Da kommen immer aber auch andere Gesichtspunkte hinzu, die sich aus einer Koalition ergeben, die sich aus Zahlen ergeben, die sich aus der Möglichkeit ergeben, ein bestehendes System weiterzuentwickeln, denn wir stehen ja nicht an einem Reißbrett, an dem man am Punkt null beginnen kann. Deshalb gibt es dann noch einmal gesagt einen Feinschliff, der nicht einen Parteibeschluss zu 100 Prozent umsetzt, aber die Richtung muss stimmen und die Richtung muss heißen, dass in Deutschland Kräfte freigesetzt werden müssen und nicht durch immer mehr Abgaben - dieser Grundsatz war richtig - Kräfte gebunden werden.
Spengler: Wenn Sie von Feinschliff sprechen, spielt da auch das schlechte Wahlergebnis vor einem Jahr eine Rolle? Das heißt die Korrektur durch die Wähler, erfolgt die jetzt sozusagen?
Schavan: Das Wahlergebnis hat gezeigt, dass es eine Skepsis gegenüber mancher Reformpolitik gibt, aber grundsätzliche Weiterentwicklung von Programmatik darf nicht von Wahlergebnissen oder von kurzfristigen Prognosen abhängig gemacht werden. Die Bürger müssen erkennen, dass das was wir wollen sozial verantwortlich ist. Das muss in der Länderpolitik, das muss in der Bundespolitik deutlich werden und deshalb haben wir ja in diesen acht Monaten auch nicht nur über Steuerpolitik gesprochen oder über Gesundheitsreform. Wir haben ein Investitionsprogramm von 25 Milliarden, das den Familien zugute kommt, das der Forschung zugute kommt, das dem Mittelstand zugute kommt, und über diese praktische Politik besteht dann auch die Chance und die Aufgabe deutlich zu machen, in welchem Kontext unsere Beschlüsse stehen.
Spengler: Frau Schavan, Sie haben am Wochenende 12 Grundsätze veröffentlicht. Ich will mal sagen die sind ein bisschen wolkig geraten. Darauf können sich sehr viele einigen. Unter anderem steht darin, dass die Eigenvorsorge gestärkt werden soll. Konkret gefragt: was soll der Staat künftig nicht mehr bezahlen?
Schavan: Grundsätze müssen immer so formuliert sein - -
Spengler: Immer wolkig!
Schavan: Nein, nein! Das ist nicht wolkig, sondern sie müssen Fundament sein auch dann für unterschiedliche konkrete Projekte. Ich glaube der wichtigste Grundsatz in dem Zusammenhang ist, dass nicht alles, was wünschbar ist, schon in einen staatlichen Rechtsanspruch umgesetzt ist, sondern staatliche Ansprüche müssen so sein und die Sozialsysteme müssen so sein, dass dem, der Hilfe braucht, auch wirklich verlässlich Hilfe zuteil wird.
Spengler: Was soll der Staat künftig nicht mehr bezahlen?
Schavan: Der Staat muss seine Gesetze so ausrichten, dass sie wirklich in Anspruch genommen werden von jenen, die diese staatlichen Leistungen brauchen, und nicht zu viele Mitnahmeeffekte entstehen. Der Staat muss - das war unsere Grundlinie - nicht immer mehr Transferleistungen schaffen, sondern über die steuerliche Entlastung dafür sorgen, dass der Einzelne mehr zur Verfügung hat.
Spengler: Frau Schavan, dann muss ich es noch mal anders herum versuchen. Wer bekommt heute vom Staat Unterstützung, die er nicht verdient hat?
Schavan: Ich habe ja nicht geschrieben, dass jemand Unterstützung bekommt, der sie nicht verdient hat, sondern ich habe gesagt, es muss ein Schwerpunkt gelegt werden darauf, dass jeder in die Lage versetzt wird, wirklich eigene Kräfte, persönliche Leistungen zu erbringen. Deshalb habe ich das Thema Talentschmiede, Leistungsträger, Existenzgründung bildungsstark gemacht. Das ist das Konzept der Zukunft, darauf zu achten, dass zum Beispiel Jugendliche einen Ausbildungsplatz bekommen und dann für sich selbst auch sorgen können in einer sicheren beruflichen Existenz und nicht von einem Praktikum zum anderen geschickt werden.
Spengler: Aber Sie wollen mir nicht sagen, wo der Staat kürzen soll?
Schavan: Es sind in den letzten Jahren übrigens auch schon unter der Vorgängerregierung Korrekturen vorgenommen worden, weg von immer höheren Transferleistungen.
Spengler: Reichen die denn jetzt?
Schavan: Wir haben jetzt einen Stand erreicht, bei dem der Blick der Politik stärker auf die Möglichkeiten des Einzelnen gerichtet sind, und das halte ich für einen richtigen Weg. Wir stehen nicht vor neuen Kürzungen!
Spengler: Ich danke Ihnen für das Gespräch. - Das war die Bundesministerin für Bildung und Forschung, die stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU Annette Schavan.
Am Telefon ist die stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU und Bundesministerin für Bildung und Forschung Annette Schavan. Guten Morgen Frau Schavan!
Annette Schavan: Guten Morgen Herr Spengler!
Spengler: Frau Schavan, sollte sich die CDU verabschieden von den wirtschaftsliberalen Ideen eines Friedrich Merz, der mehr Markt und weniger Staat will?
Schavan: Das Erfolgsrezept der CDU seit ihrer Gründung war, dass sie unterschiedliche Traditionen in eine vernünftige Balance bringt. Und natürlich: wir haben die Daten der letzten Monate. Wenn mehr Arbeitsplätze entstehen, wenn mehr Steuern rein kommen, wenn die Wirtschaft wieder boomt, dann tut das auch dem Sozialstaat gut. Insofern haben wir uns nicht zu entscheiden zwischen dem einen und dem anderen - auch Leipzig ist kein Abschied vom Sozialstaat gewesen -, sondern wir müssen daran arbeiten, dass das, was uns in sozialer Hinsicht wichtig ist, auch in künftigen Generationen noch geleistet wird. Das ist das Kunststück, das wir jetzt vollbringen müssen.
Spengler: Die zentrale Frage lautet ja, Frau Schavan, womit schafft man Arbeitsplätze. Es war auf dem Leipziger Parteitag mehrheitlich die Erkenntnis, dass erst liberale Reformen und eine Entlastung der Unternehmen Arbeitsplätze entstehen lassen. Gilt diese Erkenntnis noch?
Schavan: Die Erkenntnis, dass Unternehmen entlastet werden müssen von Bürokratie und Regelungswut einerseits, von zu hohen Abgaben andererseits, gilt genauso wie der andere Satz, dass der Wohlstand des Einzelnen nicht mit übergroßen Abgaben verbunden ist oder andererseits der Wohlstand des Einzelnen und der Wohlstand von Unternehmen dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden, weil in Leipzig haben wir das eine betont, das gilt; das andere gilt aber genauso, dass das, was dann an Reformen gemacht wird, letztlich auch dazu führen muss, dass der Wohlstand des Einzelnen nicht den Bach runter geht.
Spengler: Das ist natürlich klar, dass Sie versuchen, die beiden Positionenextreme zusammenzuführen auf diesem Kongress, aber wird es Ihnen nützen, wenn Sie doch Gegensätze, die da sind, mit einer Harmoniesoße überschütten, oder verstärkt das nicht sogar die Profillosigkeit der Union?
Schavan: Es gibt keine Harmoniesoße, sondern man muss das ganze intellektuell durchdringen. Das ist eine politische Aufgabe, und zwar nicht das erste Mal in der CDU. Die CDU ist einerseits die Partei der sozialen Marktwirtschaft. Das ist der Name dafür, Kräfte des Marktes freizusetzen, um soziale Leistungen des Staates zu ermöglichen.
Spengler: Aber hat denn Jürgen Rüttgers Recht, wenn er sagt, es ist eine Lebenslüge der CDU, dass Steuersenkungen für Unternehmen und Lohnverzicht zu Arbeitsplätzen führen?
Schavan: Ich halte es nicht für richtig, von Lebenslüge zu sprechen, weil in der CDU nie jemand behauptet hat, dass das alleine schon das Rezept sei. Wir wissen heute, dass mehr Wachstum nicht automatisch zu mehr Arbeitsplätzen führt, weil Globalisierung heißt, jedes Unternehmen steht in einem internationalen Wettbewerb. Deshalb gehört zu einer guten Wirtschaftspolitik heute nicht allein die Frage der Steuerentlastung, sondern es gehört genauso dazu die Frage, wie kommen wir zu neuen Arbeitsplätzen, die unabhängig von Wachstumsprognosen entstehen. Das betrifft das Thema Entwicklung, das betrifft das Thema Forschung. Wir werden eine bestimmte Art von qualifizierten Arbeitsplätzen hier erreichen müssen, um dieses alte Gütesiegel "made in Germany" auch international wieder stark zu machen. Ich spreche also nicht von Lebenslüge. Ich glaube auch nicht, dass die CDU alleine auf dieser These ihre Politik aufgebaut hat. Wenn Sie nur daran denken: bis in die jüngste Zeit hinein ist die CDU auch die Partei, die alle großen familienpolitischen Gesetze in dieser Republik seit den 50er Jahren verabschiedet hat. Es geht also um Streit in der Sache. Der gehört übrigens zu jeder Arbeit an einem Grundsatzprogramm, weil das nie nur bedeutet zu schreiben, was man immer schon geschrieben hat, und es kommt in diesem Grundsatzprogramm darauf an, zusammenzubringen was in der politischen Realität zusammen gehört.
Spengler: Nun sagt der CDA-Vorsitzende - der ist gleichzeitig nordrhein-westfälischer Sozialminister - Herr Laumann, Leipzig, die Beschlüsse dort waren ein Irrtum.
Schavan: Die CDU wird sich von bisherigen Beschlüssen - dazu gehören auch die Leipziger Beschlüsse - nicht verabschieden, aber sie hat nicht nur Leipzig beschlossen. Sie hat auch ein familienpolitisches Programm beschlossen. Sie hat ein bildungspolitisches Programm beschlossen. Und noch einmal: nicht sich verabschieden von diesem oder jenem Programm, sondern Sorge dafür tragen, dass die Programmatik zusammen passt, das ist unsere Aufgabe.
Spengler: Frau Schavan, aber in Leipzig wurden doch bestimmte Beschlüsse gefasst, die noch nicht umgesetzt sind, und da will ich Sie fragen: radikale Steuerreform, einkommensunabhängige Kopfpauschale in der Krankenversicherung, gilt das noch?
Schavan: Es gelten damit verbundene Prinzipien, aber Sie sehen bei der Gesundheitsreform, dass wir nicht zuletzt auch aufgrund der großen Koalition jetzt zu Eckdaten gekommen sind, mit denen bestimmte Prinzipien, zum Beispiel Wettbewerb bei Krankenkassen, zum Beispiel der Gesundheitsfonds, aufgegriffen werden. Und dann ist die alte Erfahrung, dass ein grundsätzlicher Ansatz, wenn er umgesetzt wird, immer auch noch einmal abgegolten werden muss mit anderen Erkenntnissen. Da wird es auch Korrekturen, da wird es einen Feinschliff geben, aber es gibt jetzt keinen Grund zu sagen, das was damals nach langen Beratungen auch beschlossen worden ist, gilt heute nicht mehr.
Spengler: Also diese Gesundheitsreform, die die Union wollte, gilt noch. Warum kämpft sie dann nicht genügend dafür, die Union?
Schavan: Grundsätze sind Kompass im konkreten politischen Alltag. Da kommen immer aber auch andere Gesichtspunkte hinzu, die sich aus einer Koalition ergeben, die sich aus Zahlen ergeben, die sich aus der Möglichkeit ergeben, ein bestehendes System weiterzuentwickeln, denn wir stehen ja nicht an einem Reißbrett, an dem man am Punkt null beginnen kann. Deshalb gibt es dann noch einmal gesagt einen Feinschliff, der nicht einen Parteibeschluss zu 100 Prozent umsetzt, aber die Richtung muss stimmen und die Richtung muss heißen, dass in Deutschland Kräfte freigesetzt werden müssen und nicht durch immer mehr Abgaben - dieser Grundsatz war richtig - Kräfte gebunden werden.
Spengler: Wenn Sie von Feinschliff sprechen, spielt da auch das schlechte Wahlergebnis vor einem Jahr eine Rolle? Das heißt die Korrektur durch die Wähler, erfolgt die jetzt sozusagen?
Schavan: Das Wahlergebnis hat gezeigt, dass es eine Skepsis gegenüber mancher Reformpolitik gibt, aber grundsätzliche Weiterentwicklung von Programmatik darf nicht von Wahlergebnissen oder von kurzfristigen Prognosen abhängig gemacht werden. Die Bürger müssen erkennen, dass das was wir wollen sozial verantwortlich ist. Das muss in der Länderpolitik, das muss in der Bundespolitik deutlich werden und deshalb haben wir ja in diesen acht Monaten auch nicht nur über Steuerpolitik gesprochen oder über Gesundheitsreform. Wir haben ein Investitionsprogramm von 25 Milliarden, das den Familien zugute kommt, das der Forschung zugute kommt, das dem Mittelstand zugute kommt, und über diese praktische Politik besteht dann auch die Chance und die Aufgabe deutlich zu machen, in welchem Kontext unsere Beschlüsse stehen.
Spengler: Frau Schavan, Sie haben am Wochenende 12 Grundsätze veröffentlicht. Ich will mal sagen die sind ein bisschen wolkig geraten. Darauf können sich sehr viele einigen. Unter anderem steht darin, dass die Eigenvorsorge gestärkt werden soll. Konkret gefragt: was soll der Staat künftig nicht mehr bezahlen?
Schavan: Grundsätze müssen immer so formuliert sein - -
Spengler: Immer wolkig!
Schavan: Nein, nein! Das ist nicht wolkig, sondern sie müssen Fundament sein auch dann für unterschiedliche konkrete Projekte. Ich glaube der wichtigste Grundsatz in dem Zusammenhang ist, dass nicht alles, was wünschbar ist, schon in einen staatlichen Rechtsanspruch umgesetzt ist, sondern staatliche Ansprüche müssen so sein und die Sozialsysteme müssen so sein, dass dem, der Hilfe braucht, auch wirklich verlässlich Hilfe zuteil wird.
Spengler: Was soll der Staat künftig nicht mehr bezahlen?
Schavan: Der Staat muss seine Gesetze so ausrichten, dass sie wirklich in Anspruch genommen werden von jenen, die diese staatlichen Leistungen brauchen, und nicht zu viele Mitnahmeeffekte entstehen. Der Staat muss - das war unsere Grundlinie - nicht immer mehr Transferleistungen schaffen, sondern über die steuerliche Entlastung dafür sorgen, dass der Einzelne mehr zur Verfügung hat.
Spengler: Frau Schavan, dann muss ich es noch mal anders herum versuchen. Wer bekommt heute vom Staat Unterstützung, die er nicht verdient hat?
Schavan: Ich habe ja nicht geschrieben, dass jemand Unterstützung bekommt, der sie nicht verdient hat, sondern ich habe gesagt, es muss ein Schwerpunkt gelegt werden darauf, dass jeder in die Lage versetzt wird, wirklich eigene Kräfte, persönliche Leistungen zu erbringen. Deshalb habe ich das Thema Talentschmiede, Leistungsträger, Existenzgründung bildungsstark gemacht. Das ist das Konzept der Zukunft, darauf zu achten, dass zum Beispiel Jugendliche einen Ausbildungsplatz bekommen und dann für sich selbst auch sorgen können in einer sicheren beruflichen Existenz und nicht von einem Praktikum zum anderen geschickt werden.
Spengler: Aber Sie wollen mir nicht sagen, wo der Staat kürzen soll?
Schavan: Es sind in den letzten Jahren übrigens auch schon unter der Vorgängerregierung Korrekturen vorgenommen worden, weg von immer höheren Transferleistungen.
Spengler: Reichen die denn jetzt?
Schavan: Wir haben jetzt einen Stand erreicht, bei dem der Blick der Politik stärker auf die Möglichkeiten des Einzelnen gerichtet sind, und das halte ich für einen richtigen Weg. Wir stehen nicht vor neuen Kürzungen!
Spengler: Ich danke Ihnen für das Gespräch. - Das war die Bundesministerin für Bildung und Forschung, die stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU Annette Schavan.