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Schirrmacher: Fest hat die Nationalsozialisten "geröntgt"

Die Entdämonisierung der Nationalsozialisten war nach Einschätzung von Frank Schirrmacher die herausragende Lebensleistung des verstorbenen Publizisten Joachim Fest. Fest habe gezeigt, dass die Nationalsozialisten "kleine Ganoven und Schurken" waren, denen man nicht zugestehen dürfe, dass sie zu bösen Übermenschen stilisiert werden, sagte Schirrmacher, Herausgeber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".

Von: Christoph Heinemann | 15.09.2006
    Christoph Heinemann: "Wenn alle an dir Anstoß nehmen, ich werde niemals Anstoß nehmen." Diesen Treueschwur des Petrus am Ölberg hat Joachim Fest zur Überschrift seiner Erinnerungen gewählt. Der Historiker und ehemalige Herausgeber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" ist am vergangenen Montag im Alter von 79 Jahren gestorben. Sein Buch mit dem Titel "Ich nicht - Erinnerungen an eine Kindheit und Jugend" wird in der kommenden Woche erscheinen. "Etiam si omnis, ego non", "auch wenn alle, ich nicht", das Bekenntnis des Petrus, gleichzeitig der politische Grundsatz seines Vaters, führt insofern in die Irre, als der Jünger bekanntlich schwach geworden ist und seinen Herrn später verraten hat, während Joachim Fest sein Buch den Eltern gewidmet hat, die nicht um das braune Kalb mittanzten.

    Fest schildert die Einsamkeit und Verzweiflung des Vaters und den Ekel, den die Mutter vor den Nazis empfindet sowie die durch beider Standhaftigkeit geprägte Familiengeschichte vor und während des Krieges sowie in den ersten Jahren nach 1945. Über dieses Buch möchte ich mit Frank Schirrmacher sprechen, dem Mitherausgeber und Feuilleton-Chef der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und in diesen Ämtern Nachfolger von Joachim Fest. Guten Morgen!

    Frank Schirrmacher: Guten Morgen Herr Heinemann!

    Heinemann: Herr Schirrmacher, Sie kannten Joachim Fest gut. In den ersten 100, 120, 150 Seiten des Buches begegnet man dem Lausbuben oder gar dem Rabauken, wie er selbst sich als Knaben beschreibt. Hat Sie dieser ungestüme Junge überrascht? Haben Sie ihm das zugetraut?

    Schirrmacher: Ja total, denn auch der Fest, den ich kannte, also ab 1983/84 schon - da war er schon ein älterer und sehr monumentaler Herr -, hatte diese Züge: also nicht nur das Freche, auch wirklich etwas Rabaukenhaftes. Das schimmerte durch. Das war natürlich jetzt nicht so vorherrschend, aber er war ja ein Berliner, hatte auch eine Berliner Schnauze manchmal, um es mal so etwas indezent zu sagen. Es hat mich also nicht überrascht. Mich hat eigentlich eher überrascht, dass er es so offen zugibt. Das hätte ich ihm nicht zugetraut.

    Heinemann: Er schildert seinen Vater nicht als Helden. Umso erstaunlicher ist es ja eigentlich, dass er letztendlich die Standhaftigkeit dieses Johannes Fest nicht erklärt. Er begründet es mit seinen republikanischen, bildungsbürgerlichen, preußischen und katholischen Überzeugungen, aber unter den Nazis gab es ja auch sehr wohl Republikaner, Bildungsbürger, Preußen und Katholiken.

    Schirrmacher: Ich kann das auch nur rekonstruieren aus den eigenen Äußerungen über das Dritte Reich und den Nationalsozialismus. Sie werden in dem Buch ja merken, dass der Vater die mit Ausdrücken des Ekels und der ästhetischen Abscheu bedenkt. Ich glaube das ist auch die Erklärung. Es geht hier nicht nur um rationale Argumente, sondern um bürgerliche Instinkte. Der Vater hat - und so hat er es mir auch immer wieder erzählt - mit jeder Faser seines Körpers gespürt, dass das Menschen sind, die unzivilisiert sind, die barbarisch sind, die natürlich auch keine bürgerlichen Werte anerkennen, und das ist eine Abscheu und eine Distanz gewesen, die gar nicht so sehr nur im Gehirn sich abspielte - und darum kann das wohl auch nicht erklären -, sondern wissen Sie, wenn Sie in einen Raum kommen, in einer unangenehmen Gesellschaft sind und plötzlich verstummen, so hat das der Vater, meine ich, erlebt. Er ist ja auch deshalb faktisch verstummt und hat gesagt, mit diesen unangenehmen Leuten möchte ich nichts zu tun haben, bin aber auch nicht derjenige, der sie jetzt des Raumes verweist, um bei dem Bild zu bleiben, sondern da waren die natürlich zu mächtig, zu brutal und auch zu aggressiv dazu.

    Heinemann: Herr Schirrmacher, stärkt Kultur oder diese Bildungskultur, diese Schicht die Abwehrkräfte gegen den Zeitgeist oder den Geist der Epoche, wie Fest schreibt?

    Schirrmacher: Es wäre so schön, wenn es so wäre. Wir wollen das immer alle gerne glauben. Man kann es nur individuell beantworten, denn natürlich wissen wir ja, dass es kultivierte, hoch gebildete Menschen gab, die auf Hitler und das Dritte Reich reingefallen sind. Ich glaube, dass hier wirklich entscheidend ist, in welchem Elternhaus Menschen sich bewegt haben, auch wie alt sie gewesen sind, als Adolf Hitler an die Macht kam. Es ist ein großer Unterschied, ob man 30, 40, 50 gewesen ist, ob man Familie hatte oder nicht, was übrigens den Vater Fest für mich so bewundernswert macht. Der war ja nicht allein. Der hatte ja auch seine Familie zu versorgen. Und was wir ja auch alle immer vergessen: Im Jahre, sagen wir, 1935 wusste niemand, dass das "nur" noch zehn Jahre dauert, sondern das war ja unabsehbar. Der musste ja eigentlich damit rechnen, dass er bis ans Ende seiner Tage und das seiner Kinder dieser Nationalsozialismus herrscht in Deutschland. Also die Antwort auf Ihre Frage lautet nein, sie tut es nicht. Sie hilft vielleicht. Dagegen hat es in vielen Fällen nichts getan. Wir können das nur individuell beantworten, nicht kollektiv.

    Heinemann: Fest Stellt uns ja eine in gewisser Weise untergegangene Epoche vor. Diese vier Kulturverpflichtungen republikanisch, bildungsbürgerlich, preußisch, katholisch haben unter anderem auch die 68er Jahre ja nur schwer beschädigt überstanden. Was heißt das für unsere Gesellschaft heute?

    Schirrmacher: Das Ganze, wie ja auch Fests Gesamtmentalität war, hat schon etwas, wie Sie ja auch sagen, von Abschied nehmen, auch von diesen Werten, von diesen Überzeugungen. Die gibt es so nicht mehr. Es gibt auch nicht mehr den Träger in der Gesellschaft, der das wäre. Allzu viele nennen sich heute konservativ und bürgerlich und haben damit überhaupt nichts mehr im Sinn und auch gar nichts mehr gemein, außer dass sie darunter verstehen, dass sie mehr Geld haben als andere. Das hat Fest ja nie gemeint. Es war wahrscheinlich immer nur ein kleiner harter Kern in der Gesellschaft. Wenn Sie sich beispielsweise - das ist ja ein berühmtes Beispiel - das München, das großartige leuchtende München Thomas Manns des Jahres 1912 vorstellen, das wurde gemanagt, sozusagen im Geist gemanagt von vielleicht 300, 400 Leuten, und der Rest war sozusagen Bevölkerung. Es hat immer nur sehr wenige gegeben, die diesen Geist, diesen Spirit aufrecht erhalten haben. Von denen gibt es immer weniger. Das merken wir ja auch in den Medien. Wir merken es in den Buchhandlungen. Die Zahl der Leser ist rückläufig trotz allem gerade in den jüngeren Generationen. Insofern - darum ist das Buch auch so wichtig - ist die Zäsur, glaube ich, wollen wir uns nichts schönreden, die ist da, aber jede neue Generation schafft aus sich heraus einen gewissen Prozentsatz von Menschen, die aus der Kultur heraus leben, aus dem Geist, aus den Büchern, aus der Bildung und vielleicht sogar, obwohl da bin ich am skeptischsten, aus dem Geist des Preußentums leben. Da bin ich auch bei Fest immer etwas anderer Meinung gewesen. Es war bei ihm auch immer so ein bisschen Stilisierungswille, darf man ja sagen, hatte auch ironische Züge. Denn preußisch lebte er ja nun auch nicht in jeder Beziehung.

    Heinemann: Und umgekehrt gefragt: Wozu heute "ich nicht" zu sagen fordert Joachim Fest seine Leser auf?

    Schirrmacher: Ich glaube - darüber wundern sich immer viele - zum Konformismus. All das, was gerade so en vogue ist. Das mag links sein, das mag rechts sein, das mag Gutmenschentum sein, Moral, die nichts kostet, die man nur im Munde führt. Also all das, was Zeitgeist eigentlich heißt, das hielt er für den Punkt, wo man "ich nicht" sagen müsste. Es ist eben nicht so, dass man automatisch auf der guten Seite ist, wenn man gut redet, sondern dazu gehört eben viel mehr. Es ist in Zeiten des Konformismus schwerer, unkonformistisch zu sein. Man sollte sich auch immer genau die angucken, die ausgegrenzt werden in solchen Gesellschaften, und dann kriegt man so ein Gefühl dafür, was Fest, glaube ich, heute sagen würde, wo man aufgerufen ist, sich zu melden und zu sagen "nicht mit mir, ich nicht".

    Heinemann: Herr Schirrmacher, "beim Häuten der Zwiebel" hat Günter Grass einen schwarzen Fleck freigelegt, mit Ihrem Zutun. Ist der Zeitpunkt, zu dem Joachim Fests Buch erscheint, ein Glücksfall?

    Schirrmacher: Ja, für mich sehr und für ihn übrigens, glaube ich, - er hat es ja in den letzten Lebensmonaten noch erlebt - auch, dass er das noch fertig bringen konnte, weil wir sehen: Es musste nicht so sein, wie Grass es nun doch sehr verspätet erzählt hat, dass man so unweigerlich wie auf einer Seifenrutschbahn in die SS geriet. Es gab andere Möglichkeiten. Womit nicht Schuld gemeint ist im Sinne, dass man jetzt 16-Jährigen Schuld zuweist, aber wir reden ja, wenn wir über das Dritte Reich reden, auch immer über die Jahrzehnte, die folgten, die Art und Weise, wie wir mit Geschichte umgegangen sind. Grass hat nie darüber geredet. Fest hat uns Bücher geschenkt, vor allen Dingen sein Hitler-Buch um das Gesicht des Dritten Reiches, die eine Analyse dieser Zeit erbrachten. Für mich war sehr bewegend, also geradezu symbolisch, wie in den letzten Wochen zwei 80-Jährige, auf der einen Seite Grass, auf der anderen Seite der wirklich schon todkranke Joachim Fest, noch einmal nota bene um ihre Kindheit kämpften. Das ist ein unglaublicher Moment gewesen, wie in dieser abtretenden Generation noch einmal gesagt wird, "nein, so musste man die Kindheit nicht leben" oder "so hat man sie leben müssen". Es war auch zeitgeschichtlich und geistesgeschichtlich ein bewegender Moment.

    Heinemann: Ist diese Fest-Schrift eine Art Unterschrift unter sein historisches und literarisches Werk?

    Schirrmacher: Ja, würde ich genau so formulieren. Es ist das Siegel, wenn Sie so wollen. Er erklärt die Motivation. Der Mann hat sich in 30 Jahren mit Hitler und dem Dritten Reich befasst und letztlich immer wieder. Er hat Auswege daraus gesucht. Wissen Sie, er hat - das kann man ja nachvollziehen - mit 14 Jahren, 12 Jahren, 13 Jahren erlebt, dass sein Vater gedemütigt wurde, der bewunderte Vater, von diesen anonymen Kräften. Alles, was er dann gemacht hat, ist, diese Kräfte zu röntgen, sie durch und durch zu analysieren, um ihnen ihre Dämonie zu nehmen. Das ist ihm gelungen. Er hat ihnen ihre Dämonie genommen und hat gezeigt, dass das Verbrecher waren, dass das Menschen waren, deren Verbrechen aber auch rational erklärt werden können, denen man nicht zugestehen darf, dass sie sozusagen böse Übermenschen waren, sondern es waren kleine Ganoven und Schurken. Das war sein Lebenswerk.

    Heinemann: Joachim Fests Buch mit dem Titel "Ich nicht" erscheint in der kommenden Woche. Wir sprachen in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk mit Frank Schirrmacher, dem Mitherausgeber und Feuilleton-Chef der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Dankeschön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Schirrmacher: Vielen Dank.