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Schlarmann: Union setzt keine Schwerpunkte im Wahlprogramm

Zu den Herausforderungen Europa und Energiewende werden im Wahlprogamm der Union keine konkreten Vorschläge gemacht, kritisiert Josef Schlarmann (CDU). Auch die Finanzierung von "sozialen Wohltaten" wie der Mütterrente sei nicht vorhanden, ergänzt der Vorsitzende der Mittelstandsvereinigung.

Josef Schlarmann im Gespräch mit Jürgen Liminski | 22.06.2013
    Jürgen Liminski: Am Sonntagabend wir der letzte Schliff an das Programm der Unionsparteien gelegt und dieses dann zu Wochenbeginn verkündet werden, das Meiste ist allerdings schon bekannt.
    Wahlprogramm der Unionsparteien (MP3-Audio) Stephan Detjen fasst die Hauptpunkte zusammen.

    Mitgehört hat der Vorsitzende der Mittelstandsvereinigung von CDU und CSU, Josef Schlarmann. Guten Morgen, Herr Schlarmann!

    Josef Schlarmann: Guten Morgen!

    Liminski: Herr Schlarmann, was gefällt Ihnen am Programm Ihrer Partei nicht?

    Schlarmann: Es ist ein Programm über 250 Seiten, das kann man natürlich mit einem Punkt nicht insgesamt beschreiben. Aber wenn Sie mich fragen nach dem Programmpunkt, den ich auch schon kritisiert habe, dann ist es der, das soziale Wohltaten versprochen werden, ohne dass die Finanzierung mitgeklärt worden ist.

    Liminski: Das können wir gleich aufarbeiten, zunächst einmal eine Nachfrage: Konnten Sie qua Vorsitzender der Mittelstandsvereinigung Ihren Rat in das Programm einfließen lassen?

    Schlarmann: wir haben eine sehr breite Programmatik als Mittelstandsvereinigung. Diese Programmatik ist im Adenauer-Haus, was ja federführend für das Programm gearbeitet hat, bekannt, und wir sehen uns an verschiedenen Stellen wieder. Das heißt, man hat sich mit unserem Programm beschäftigt, und hat dort auch unsere Anregungen mit teilweise aufgegriffen. Ich will nur einen Punkt mal nennen, das ist der Mindestlohn: Wir als Mittelstandsvereinigung vertreten die Regelung, wenn es schon tarifliche Mindestlöhne geben muss, dann müssen die nach Regionen und nach Branchen differenziert werden und diese Passage findet sich im Programm wieder.

    Liminski: Aber Sie persönlich wurden nicht gefragt?

    Schlarmann: Doch, natürlich haben wir auch im Vorfeld schon an den Sitzungen teilgenommen und haben daran mitgearbeitet.

    Liminski: Zu den Inhalten: Sie sagen, die sozialen Wohltaten, die familienpolitischen Versprechen sind ja keine wirklichen Gaben, sondern zum größten Teil Pflichtmaßnahmen, Sie vollziehen nur die Sprüche des Bundesverfassungsgerichts. Wollen Sie das weiter auf die lange Bank schieben?

    Schlarmann: Nein, das kann man nicht machen. Aber ich will noch mal eine ganz allgemeine Bemerkung zu dem Programm machen. Wir sind ja froh, dass es nicht nur einen Wahlkampf mit der Kanzlerin gibt, sondern dass es jetzt die Kanzlerin mit einem Programm in den Wahlkampf zieht. Ich hatte allerdings nicht erwartet, dass ein Programm über 250 Seiten dabei herauskommt.
    Einige – ich sage mal – Kernthemen hätten wohl in den Vordergrund gestellt werden müssen. Wer das jetzt liest, der sieht, um was sich die Politik in Deutschland inzwischen alles bemüht, und das ist auch ein Thema, das uns als Mittelstandsvereinigung interessiert. Wir bekommen einen Staat, der sich um alles kümmert, der sich als Vormund auch gegenüber der Gesellschaft aufführt, und wir brauchen stattdessen einen Staat, der sich auf die wesentlichen Kernthemen, die die Öffentlichkeit betreffen, konzentriert, und dort dann auch zu Lösungen kommt. Ein Staat, der sich um alles kümmert, wird nie viel bewirken können, der verliert sich in den vielen Aufgaben, die er sich vorgenommen hat.

    Liminski: Also ein schlankerer Staat müsste eigentlich auch ein schlankeres politisches Programm haben, und das ist für Sie ein Kritikpunkt – ist es einfach zu viel, worum sich die Politik kümmert?

    Schlarmann: Ja, das ist das Politikverständnis, das unsere Parteien inzwischen haben. Auch die CDU ist davon inzwischen nicht mehr ausgenommen – man hat den Eindruck, dass Politik alles ist, Wirtschaft und Gesellschaft, aber wenig bedeuten. Es wird der Eindruck suggeriert: Vertraut uns, wir haben alle Dinge im Griff, wir kümmern uns um euch von der Geburt bis zur Bahre. Das ist nicht das, was ich mir unter einer freiheitlichen Gesellschaft vorstelle.

    Liminski: Aber der Generalsekretär Gröhe hat ja – wir haben das ja eben im Bericht von Stephan Detjen gehört – Prioritäten gesetzt, zum Beispiel die familienpolitischen Versprechen.

    Schlarmann: Wenn Sie das Programm über 250 Seiten lesen – ich habe mich der Mühe unterzogen –, dann werden Sie feststellen, dass alles sehr wohlgefällig dargestellt wird, über unzählige Seiten, aber es werden keine Schwerpunkte gesetzt. Das heißt, die Energiewende ist fast so wichtig wie der Städtetourismus oder der Stress am Arbeitsplatz.

    Liminski: Aber sozusagen in der Kommunikation des Programms, vielleicht jetzt nicht im Text, aber in der Kommunikation des Programms wird doch klar gesagt, Familienpolitik und dann Vorrang für Bildung und Forschung, das schafft Arbeitsplätze, werden doch klare Prioritäten gesetzt.

    Schlarmann: Ja, ja, die Prioritäten sind jetzt mündlich gesetzt worden durch die Vorankündigung von Frau Merkel. Frau Merkel hat ja in einem Telefoninterview auf diese Punkte hingewiesen und damit auch die mediale Öffentlichkeit auf diese sozialen Wohltaten und familienpolitischen Initiativen hingewiesen, aber das verschwindet im Text. Sie haben ein breites Politikangebot, wie ein, ich sage mal, Vollsortiment, und jeder kann sich das herausnehmen, was er meint, brauchen zu müssen im politischen Raum. Und das ist das, was mich als, ich sage mal, allgemeine Kritik an diesem Programm stört.
    Es ist ein Programm für alle, aber es werden viele gute schöne Worte gesagt, in den großen Herausforderungen, die wir haben, das ist Europa, und das ist die Energiewende, werden aber wenig konkrete Vorschläge zur bisher bekannten Politik unterbreitet.

    Liminski: Papier ist geduldig, aber es gilt ja doch das gesprochene Wort, und hier sind ja Prioritäten gesetzt. Können Sie sich nicht mit dem Programm dann doch irgendwie anfreunden?

    Schlarmann: Doch, wenn ich das durchgehe, dann komme ich zu Punkten, die mir sehr gefallen, vor allem, was der Hinweis auf die Soziale Marktwirtschaft angeht, das soll auch bei der Energiewende dann das Lösungsmotto heißen. Konkretisiert wird es aber dann leider nicht, das heißt, wir müssen warten. Gleiches gilt für die Eurokrise, dort hat die Union noch einmal ganz klar die Linie gezogen, mit uns keine Transferunion und keine Eurobonds. Ich begrüße natürlich auch, dass die Union sagt, wir wollen keine Substanzsteuern, weil das schädlich ist für den Mittelstand, das heißt also, die Vermögenssteuer soll nicht eingeführt werden, was auch schon aus verfassungsrechtlichen Gründen gar nicht möglich wäre, und man will auch die Erbschaftssteuer nicht erhöhen, um arbeitsschaffende mittelständische Betriebe nicht zu belasten.

    Liminski: Das sind doch schon ganz konkrete Maßnahmen. Ganz konkret sind auch die familienpolitischen Versprechen.

    Schlarmann: Richtig, das ist einmal die Mütterrente, das ist die Lebensleistungsrente, das belastet natürlich den Sozialhaushalt, da hätte ich mir aber erwartet – und das habe ich eingangs schon gesagt –, dass dazu Finanzierungsvorschläge gemacht werden, das belastet ja die sozialen Sicherungssysteme, auch in der Zukunft, und wir können ja nicht davon ausgehen, dass die gute Arbeitsmarktlage dauerhaft ist. Wir merken jetzt schon, dass die Konjunktur nachlässt, und um uns herum gibt es kriselnde Staaten, die Südländer sitzen in einer tiefen Rezession, und man muss als vorsichtiger Kaufmann und Politiker eigentlich dann auch Vorsorge treffen, und darf in dieser Situation keine Versprechungen machen, die man nicht finanzieren kann möglicherweise in der Zukunft. Es gibt eben deutliche …

    Liminski: Aber es sind ja …

    Schlarmann: Entschuldigung, es gibt diese Volksweisheit: Der Esel geht aufs Eis, wenn es ihm zu gut geht. Und wir befinden uns in einer ähnlichen Situation.

    Liminski: Aber es sind ja keine Versprechen im eigentlichen Sinn, sondern Pflichtmaßnahmen, hier werden ja nur die Sprüche des Bundesverfassungsgerichts vollzogen. Kann man daran vorbei?

    Schlarmann: Nein, das kann man natürlich nicht, wenn das Verfassungsgericht eine Sache als Pflichtmaßnahme darstellt, dann muss die Politik dem natürlich folgen. Da hat sie gar keine Wahlmöglichkeit mehr, weil die Politik an die Verfassung gebunden ist. Das ist es nicht, aber es ist ja nicht alles durch das Verfassungsgericht vorgegeben. Das Verfassungsgericht zieht ja nur die Grenzen, die die Politik einhalten muss, aber die Gestaltung selber, auch der Sozialpolitik, das ist politische Aufgabe, und dort müssen eben auch die systematischen Gesetzmäßigkeiten gesehen werden.
    Wie will ich die Lebensleistungsrente finanzieren? Will ich sie im Rentensystem finanzieren, oder will ich sie über die Steuern finanzieren? Das sind alles Fragen, die unbeantwortet geblieben sind. Man hat letztendlich nur gesagt, wir denken an die Mütter, das ist auch in Ordnung, da kann eigentlich vom Inhalt niemand etwas dagegen tun, aber es gibt natürlich bei allen sozialen Wohltaten auch ein Finanzierungsproblem.

    Liminski: Leise Kritik, könnte man zusammenfassen, am Programm der CDU. Das war der Vorsitzende der Mittelstandsvereinigung, Josef Schlarmann. Besten Dank fürs Gespräch, Herr Schlarmann!

    Schlarmann: Ja, vielen Dank!


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