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Schleswig-Holstein
Umstrittene Umbenennung der Marseille-Kaserne

Derzeit werden die Namen von Bundeswehr-Standorten auf deren Verbindung zur NS-Zeit geprüft. Die Marseille-Kaserne in Appen bei Hamburg wurde 1975 nach einem Kampfpiloten benannt, den Adolf Hitler persönlich ehrte. Für viele Anwohner ist das aber kein Grund, die Kaserne umzubenennen.

Von Johannes Kulms | 14.06.2017
    Asphaltierte Einfahrt zu einer Kaserne der Bundeswehr. Auf der rechten Seite steht eine große Tafel. Darauf prangt der Name des Standorts: "Marseille-Kaserne".
    Einfahrt zur Marseille-Kaserne in Appen in Schleswig-Holstein. (Johannes Kulms / Deutschlandradio)
    Es ist der 1. Oktober 1942 als das Oberkommando der Wehrmacht den Tod von Hans-Joachim Marseille meldet. Der Kampfpilot sei im Alter von 22 Jahren in Nordafrika getötet worden – "unbesiegt vom Feind", so der Nachrichtensprecher: "Erfüllt von unbändigem Angriffsgeist, hat dieser junge Offizier in Luftkämpfen 158 britische Gegner bezwungen. Die Wehrmacht betrauert den Verlust eines wahrhaft heldenhaften Kämpfers."
    Weil er besonders viele Abschüsse schaffte, erhielt Marseille zahlreiche Auszeichnungen. Die NS-Propaganda nannte ihn den "Stern von Afrika".
    Kann so jemand heute Vorbild sein – als sinnstiftender Namensgeber – zum Beispiel für eine Bundeswehrkaserne? Nein, meint Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Beim Parlamentarischen Abend des Reservistenverbands vor wenigen Wochen nahm sie direkten Bezug auf Marseille und betonte:
    "Denn Tradition, meine Damen und Herren, ist immer eine bewusste Auswahl aus der Geschichte, bewusst wählt man ein Ereignis oder eine Person und stellt sie in den Raum. Das ist Tradition."
    Seit 1975 trägt die Bundeswehr-Kaserne in Appen – einem 4.800 Einwohner Ort im Kreis Pinneberg – den Namen des Kampfpiloten. Am Kasernentor informiert ein von Rhododendronbüschen eingerahmtes Schild, dass hier der Sitz der Unteroffizierschule der Luftwaffe ist – mehr steht dort aber nicht.
    Streitkräfte und Bevölkerung einbeziehen
    Dass die Marseille-Kaserne bald einen neuen Namen erhält, gilt als sehr wahrscheinlich. Darüber mit Angehörigen der Streitkräfte vor Ort zu sprechen, ist zur Zeit nicht vorgesehen. Die Bundeswehr möchte bei Kasernenumbenennungen Streitkräfte und die Bevölkerung vor Ort in einen Dialog bringen. Dieser Prozess solle noch im laufenden Jahr abgeschlossen werden, heißt es auf der Bundeswehr-Homepage.
    Ein Gang durch das etwas verschlafen wirkende Appen zeigt : Auf große Unterstützung scheinen die Umbenennungspläne hier nicht zu stoßen. Volker Behlke ist 72 Jahre alt und war früher Banker. An diesem sonnigen Mittag steht Behlke am Rande eines saftig grünen Fußballfelds.
    Alexander Vasel (l) und Volker Behlke
    Alexander Vasel (l) und Volker Behlke sprechen sich beide gegen eine Umbenennung der Kaserne aus. (Deutschlandradio / Johannes Kulms)
    "Wir sehen jetzt hier unseren Platz 2."
    Als stellvertretender Vorsitzender des TuS Appen kennt er die Truppe; im Winter nutzt der Verein die Sportstätten in der Bundeswehrkaserne. Behlke ist gegen eine Umbenennung der Marseille-Kaserne.
    "Denn das waren damals Menschen, die in den Krieg geschickt wurden und ihr Bestes gegeben haben. Und dann bin ich der Meinung, dass man diese Leute ehren sollte und diese Ehrung kam eben durch die Namensgebung der Kaserne."
    Appen ist eine Gemeinde, die gut mit aber auch gut von der Bundeswehr lebt. Für Bäcker, Handwerker und Fleischer im Ort bedeuten die Soldaten vor allem eines: Kundschaft. Im Flur des Bürgerhauses hängt in einem rund ein Meter großen Bilderrahmen eine Urkunde.
    "Hier können Sie schon mal sehen die Verbindung zur Bundeswehr die wir pflegen. Also Partnerschaften. Ich sag mal, es gibt viele Soldatinnen und Soldaten, die hier wohnen, aber auch ehemalige Soldaten die ihren Ruhestand hier verbringen."
    Proteste in den 70er-Jahren
    Walther Lorenzen ist stellvertretender Bürgermeister von Appen. Noch in den 70er-Jahren hat der SPD-Politiker vor dem Kasernentor demonstriert. Auslöser dafür war ein privat geführtes Luftwaffenmuseum, das damals noch auf dem Gelände untergebracht war – und das zum Beispiel eine Uniform von Hermann Göring zeigte.
    Persönlich signalisiert Lorenzen Offenheit beim Thema Umbenennung.Doch als Kommunalpolitiker fühlt er sich seiner Gemeinde verpflichtet. Und deren Einwohner hätten sich nun mal an den Namen Marseille-Kaserne gewöhnt. Sollte sich aber herausstellen, dass mit dem Namensgeber schlimmere Sachen verbunden seien, müssten die Konsequenzen gezogen werden, sagt Lorenzen.
    "Ich möchte nur nicht, dass hier mit dem Rasenmäher jetzt durchgegangen wird und alle Namen, die irgendeinen Bezug zum Dritten Reich haben oder die damals Soldaten waren, das man sagt: ‚Das darf nicht mehr sein!‘"
    Ein Mann in einem hellen Hemd, dunklen Jeans und Brille steht vor einem Backsteinhaus. Der Mann heißt Walter Lorenzen, er ist stellvertretender Bürgermeister des Ortes Appen bei Hamburg.
    Appens Vize-Bürgermeister Walter Lorenzen. (Johannes Kulms / Deutschlandradio)
    Anders sieht es der Freiburger Militärhistoriker Wolfram Wette. Er plädiert für mehr Mut und fordert, alle Kasernen in Deutschland umzubenennen, deren Namensgeber in Verbindung mit der NS-Zeit stehen. Bei einer Person wie dem Kampfpiloten Hans-Joachim Marseille könnte nicht die militärische Ebene ohne die politische betrachten werden. Marseille habe im Dienste des NS-Regimes gestanden und an einem verbrecherischen Krieg teilgenommen, betont Wette.
    Doch auf kritische Stimmen stößt man auch im Kreis Pinneberg – zum Beispiel in Uetersen, der Nachbarstadt von Appen. Auch Uetersen unterhält eine Partnerschaft mit der Marseille-Kaserne. Erhard Vogt engagiert sich in der Stadt politisch wie geschichtlich. Er ist Ratsherr und für die SPD Zweiter Stellvertretender Bürgermeister von Uetersen.
    Zusammen mit anderen Interessierten arbeitet Vogt seit Jahren in mehreren Initiativen die Ortsgeschichte auf – auch die NS-Zeit.
    "Wir haben uns damit noch nicht beschäftigt aber mir persönlich erscheint eine Benennung einer Kaserne nach einem abgeschossenen Jagdflieger, der dann auch noch als Idol in der Nazi-Zeit verehrt wurde, erscheint mir aus heutiger Sicht fragwürdig."
    "Das ist jetzt ein Aktionismus, der tut der Bundeswehr auch nicht gut"
    Mit Ratschlägen an die Politik im Nachbarort Appen will Vogt sich zurückhalten, sagt nur so viel: Er persönlich würde sich für eine Namensänderung einsetzen. Andererseits sieht er beim jüngsten Umgang mit der militärischen Vergangenheit in Deutschland auch gewisse Grenzen. Der 64-Jährige erinnert daran, dass kürzlich an der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg ein Foto des Altkanzlers in jüngeren Jahren entfernt wurde. Schmidt war darauf in Wehrmachtsuniform zu sehen.
    "Das ist jetzt ein Aktionismus, der tut der Bundeswehr auch nicht gut. Es ist ja von ihm nicht bekannt, zumindest bisher nicht bekannt, dass er jetzt aktiver Nazi gewesen ist. Aber diese fast Heldenverehrung, die dem Marseille damals widerfahren ist, finde ich aus heutiger Sicht die Benennung 1975 ein bisschen merkwürdig."