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Schönbohm wirft Regierung Dilettantismus vor

Dirk Müller: Verhindert die Verfassung eine sinnvolle Politik?

Moderation: Dirk Müller | 18.02.2005
    Jörg Schönbohm: Nein, überhaupt nicht. Die Verfassung ist die Voraussetzung dafür, dass wir uns kämpferisch und streitbar wie es in der Demokratie notwendig ist, mit den Rechtsextremen auseinandersetzen, und wenn dann noch in der Umsetzung von Möglichkeiten, die die Verfassung vorsieht, Fehler gemacht werden, dann kann es dazu kommen, dass wir indirekt auf kaltem Wege unbeabsichtigt die Rechtsextremen fertigen, wie mit dem gescheiterten NPD-Verbot und jetzt der Diskussion um das Versammlungsrecht.

    Müller: Diesen Fehler meinen Sie, das NPD-Verbot?

    Schönbohm: Ja, ich war damals schon skeptisch als einer der wenigen, ich weiß nicht, ob es nicht zielführend ist. Nun hat man dort gesagt, wenn drei Verfassungsorgane einen Antrag stellen, muss das so überwältigend sein, dass es funktioniert. Der Verfassungsrichter hat das gar nicht angenommen, weil er formale Bedenken hatte. Darum wissen wir gar nicht, wie das Verfassungsgericht selber über ein Verbot denkt und die NPD hat aus all dem gelernt, das darf man nicht vergessen. Sie ist eine rechtsextremistische Partei, die verboten werden sollte, die unsere Demokratie in Frage stellt, aber dies im einzelnen so zu beweisen, dass es gerichtfest ist, ist schwierig. Darum muss die politische Auseinandersetzung wirklich auf die Tagesordnung.

    Müller: Sind Verbote eine Kapitulation der Politik?

    Schönbohm: Nein. Wir sprechen in der Innenministerkonferenz seit fünf Jahren, darum bin ich auch empört, über die Frage Versammlungsverbot, am Beispiel Brandenburger Tor, Holocaustdenkmal. Wir haben verschiedene Vorschläge gemacht. Es hat Kommissionen und Gruppen gegeben, dann hat der Bundesinnenminister gesagt: Es ist nicht machbar. Jetzt auf einmal, nachdem die Diskussion anfängt und der 8. Mai 2005 - dass da 60 Jahre Kriegsende ist, das wissen wir ja seit 60 Jahren -, und dann sagt der Innenminister: Jetzt müssen wir schnell einen Entwurf machen. Er legt uns den am Freitag vor, informell in einer Innenministerkonferenz, jetzt wird der Entwurf geändert und jetzt wissen wir noch gar nicht, was dabei rauskommt. Das ist Dilettantismus pur und das ist, was mich ärgert. Wir reden über schwierige rechtliche, politische Fragen und auf einmal werden die in der Manier "hoppla, jetzt komm ich" übers Knie gebrochen und verkündet und da kann ich die Schwierigkeiten in der Koalitionsfraktion verstehen.

    Müller: Aber die Dinge, die spät kommen, müssen nicht falsch sein.

    Schönbohm: Nein, aber wenn sie spät kommen, müssen sie überlegt und richtig sein, und im Augenblick hat man den Eindruck, es ist nicht so sehr überlegt, es kommt aus einer Situation heraus, die gezeichnet ist von Unruhe und etwas Hilflosigkeit und einem Streit im Regierungslager. Die ganze Sache wird jetzt immer fataler, weil wir damit die Rechtsextremen aufwerten. Wenn es kein Verbot gibt, das Wasser hält und wirklich durchsetzbar ist, tragen wir wiederum schweren Schaden wie bei dem NPD-Verbot. Das sollten wir verhindern. Darum sind alle gefragt, jetzt zu einem gemeinsamen Ergebnis zu kommen.

    Müller: Ist Ihnen der Schily-Entwurf, der Ihnen vor einer Woche zugestellt worden ist, auch zu weit gegangen?

    Schönbohm: Wir hätten gerne folgendes gehabt, wenn wir noch die Möglichkeit hätten, wenn dieser Entwurf kommt mit der Möglichkeit, ihn noch zu erweitern in einem Punkt: Wir haben in allen Bundesländern Orte, wo sozusagen die symbolhaften Handlungen der Rechtsextremisten vorkommen. Wir haben in Brandenburg einen Soldatenfriedhof mit über 23.000 Kriegsopfern, und der wird immer am Volkstrauertag missbraucht, der Ort ist von morgens bis abends belagert von Rechtsextremen, von Gegendemonstranten und der Polizei, die für Ordnung sorgt. Das können die Menschen dort nicht verstehen und die Angehörigen der dort Bestatteten auch nicht. Solche Orte hätten wir gerne auch gehabt. Das ist kein Ort einer politischen Demonstration, sondern eines Gedenkens.

    Müller: Das heißt, es geht in erster Linie, wenn wir beim Thema Differenzen sind, darum, welche Orte mit auf diese Liste gesetzt werden.

    Schönbohm: Richtig. Und die Methode konnten wir im einzelnen gar nicht erörtern, die ist ja auch von Freitag bis heute wieder so geändert worden. Als wir anfingen, uns damit zu befassen, hieß es, es käme eine Änderung. Den neuesten Stand kennen wir offiziell gar nicht, er soll ja heute im Bundestag erörtert und dann komplettiert werden, so dass wir uns dann einbringen können in den Ausschussverhandlungen über unsere jeweiligen Abgeordneten.

    Müller: Wie hart sollen denn aus Ihrer Sicht Strafen sein?

    Schönbohm: Strafen müssen so sein, dass sie spürbar sind und eine abschreckende Wirkung haben. Sie müssen natürlich auch verhältnismäßig sein, darum kann man das abstrakt gar nicht beantworten, aber es darf nicht sein, dass der Eindruck erweckt wird, der Rechtsstaat verniedlicht das und akzeptiert alles unter dem Recht auf freie Meinungsäußerung. Die Menschen in der DDR sind auf die Straßen gegangen wegen des Rechts auf freie Meinungsäußerung. Sie haben es sich erstritten, es ist also ein hohes Gut, aber es darf nicht dazu führen, dass es zum Missbrauch kommt durch die Verfassungsfeinde. Diese Grenze muss so gezogen werden, dass es spürbar ist. Es hat schon Urteile gegeben, die wirklich spürbar waren, wo der Rechtsstaat zeigte, dass er wirklich richtig maßregeln kann.

    Müller: Also hat Schily auch ursprünglich doch recht gehabt mit seiner Absicht, wenn er sagt, das verherrlichen oder die Verharmlosung der NS-Diktatur soll künftig mit bis zu drei Jahren Haft gestraft werden?

    Schönbohm: Das ist ein richtiger Vorschlag. Die Schwierigkeit wird wieder sein, dieses im einzelnen zu beweisen, denn die NPD hat ja gelernt und sie versucht, einen anderen Weg zu gehen. Die Frage ist, ob man das nachher umsetzen kann. Das sind auch wohl die Bedenken aus der Fraktion. Das Wichtige ist, dass man beim Versammlungsrecht deutlich macht, an welchen Orten wir diese politischen Demonstrationen nicht haben wollen, und dieses dann so formulieren, dass dieses auch nachhaltig umgesetzt werden kann.

    Müller: Man hört aus Berlin ganz unterschiedliche Signale. Die einen sagen, wir sind bereit mit Regierung und Opposition zusammenzuarbeiten, andere wiederum sagen, das schaffen wir nicht mehr bis zum Mai. Sie haben ja eben diesem Zeitdruck thematisiert. Sind Sie denn bereit, tatsächlich zu einem gemeinsamen Entwurf zu kommen?

    Schönbohm: Das ist im Augenblick nicht zu sehen, zuerst muss die Regierung sich einigen, was sie will. Es gibt ja Fristen, ein Gesetz muss verkündet werden, es muss also in zwei Monaten fertig sein. Nachdem es in den letzten fünf Jahren nach all den Diskussionen in den Innenministerkonferenzen praktisch nicht geschafft wurde, das jetzt in zwei Monaten zu schaffen, da habe ich große Zweifel. Ich habe Sorge, wir diskutieren und es entsteht wieder der Eindruck, die kündigen etwas an und bringen tun sie nichts und das wäre verheerend. Darum aus einem Gesichtspunkt der Gemeinsamkeit der Demokraten sollten wir jetzt zu einem Ergebnis kommen, das wir gemeinsam vertreten können.

    Müller: Oder ist das so eine Art Strafmaßnahme der Union?

    Schönbohm: Nein. Wissen Sie, den Kampf gegen Rechts sollte man gemeinsam machen. Aber die Art und Weise, wie das von der Bundesregierung durch Herrn Schily vertreten in der Innenministerkonferenz abgebügelt wurde - ich habe das als Innensenator von Berlin angesprochen, als Innenminister in Brandenburg, mein Kollege Werthebach hat es aus Berlin angesprochen - es hieß immer, es ist nicht möglich und dann auf einmal mit einem Schnellschuss; wir hatten Arbeitsgruppen, Arbeitskreise gebildet, weil es eine schwierige Materie ist, das gebe ich vollkommen zu, aber es hätte eine Lösung schon vor zwei Jahren geben können, aber da war Rot-Grün nicht bereit und das ist wirklich Dilettantismus. Das Thema ist dazu zu ernst.