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Schönheitschirurgie
Göttliche Körper

Eine Burka aus Fleisch - so bezeichnete der Vatikan vor wenigen Jahren ein geliftetes Frauengesicht mit aufgespritzten Lippen. Offenbar sehen Religionsvertreter - christliche wie muslimische - Schönheitsoperationen grundsätzlich negativ - als Anmaßung des Menschen. Doch es gibt auch andere Stimmen.

Von Daniel Hornuff | 21.03.2018
    Eine Frau steh vor zwei Bildern der Mona Lisa mit Vorschlägen für eine Schönheitsoperation.
    Die Mona Lisa mit zwei Vorschlägen für eine Schönheitsoperation - da ließe sich noch einiges verbessern? (picture-allaince / dpa / Oliver Berg )
    Lädt der Vatikan zu einer Frauentagung, kann er sich bereits im Vorfeld einiger Aufmerksamkeit sicher sein. Dies umso mehr, wenn es nicht nur um die Situation der Frauen in der Katholischen Kirche, sondern auch um den Körper der Frau gehen soll; wenn sich also ein erlauchter Kreis älterer Männer darüber Gedanken macht, was denn dem Körper einer Frau angemessen ist und was nicht - und wie denn einzustufen sei, dass Frauen mehr denn je ihre Körper gezielten Gestaltungseingriffen unterzögen.
    Dass es noch vor Beginn einer solchen Vollversammlung im Jahr 2015 zu weltweiten, teils hitzig geführten Debatten kam, lag jedoch nicht allein am Tagungsthema. Als besonders brisant wurde dieses erst wahrgenommen, nachdem die Kirche zur Bewerbung ihrer Veranstaltung die italienische Schauspielerin Nancy Brilli engagiert hatte. Blondgelockt, in klischeehaft-verführerischen Posen und mit sichtbaren Zeichen ästhetisch-operativer Eingriffe ausgestattet, bewarb Brilli in einem kurzen Video die Konferenz.
    Das Gesicht der Tagung war ein merklich gestaltetes, das seine natürlichen Züge zugunsten einer durchaus maskenhaften Jugendlichkeit eingetauscht hatte.
    Die Schauspielerin Nancy Brilli
    Die Schauspielerin Nancy Brilli machte Werbung für den Vatikan (dpa / picture alliance / Virginia Farneti)
    In den Jahren zuvor war Brilli immer wieder als Verfechterin entsprechender Eingriffe aufgefallen, nicht zuletzt durch die Ehe mit dem bekannten Schönheitschirurgen Roy de Vita. Progressiven Positionen galt sie als Beispiel einer an weiblichen Stereotypen angepassten Figur, als wenig emanzipiert also. Konservative hingegen sahen eine forsche, zu selbstbewusste Ausstellung des weiblichen Körpers - und kritisierten folglich eine überstarke Emanzipationsbekundung.
    Emanzipation oder Selbstaufgabe?
    Somit hatte sich bereits vor Tagungsbeginn ein grundlegender Widerstreit artikuliert. Die Frage nach der Haltung der Katholischen Kirche zu den Möglichkeiten der Ästhetisch-Plastischen Chirurgie markiert ein Dilemma, das sich auch im größeren gesellschaftlichen Zusammenhang widerspiegelt.
    Das Dilemma nimmt seinen Ausgang an der Frage, welches Menschenbild der Bewertung nicht-indizierter operativer Eingriffe zugrunde gelegt wird: Beweist jemand, der sich zugunsten körperlicher Verschönerungen unters Messer legt, eine besondere emanzipatorische Kraft? Immerhin demonstriert dieser Mensch in wirkungsvoller Weise einen selbstbestimmten Zugriff auf seinen Körper – ja, er engagiert andere, um seinen Körper nach eigenen Wünschen gestalten zu lassen.
    Oder verhält sich die Sache umgekehrt? Schließlich dürfte kaum außer Rede stehen: Ästhetisch-plastische Maßnahmen greifen in massiver Weise auf gesellschaftliche Normvorstellungen zurück. Sie verfestigen kollektive Ideen von Schönheit, Attraktivität, Jugendlichkeit und körperlicher Leistungskraft. Die schöngebauten Körper sind Spiegelbilder eines ästhetischen Kanons, den sich eine Gesellschaft des Wohlstands über Jahrzehnte hinweg zurechtgebastelt hat.
    "Burka aus Fleisch"
    Die Haltung der Kirche war indes eindeutig, und sie führte dazu, dass das Video schon kurz darauf in seiner englischsprachigen Version gelöscht wurde. In einem Dokument, das der Tagung als Grundlage diente, wurde die Ästhetisch-Plastische Chirurgie sogar gezielt und auf das Schärfste verurteilt. Wörtlich war von einer "Burka aus Fleisch" die Rede, die in aggressiver Weise das Gesicht verunstalte.
    Es geht um die alte Idee vom Gesicht als eines Spiegels der Seele - und gerade nicht um gesellschaftliche Restriktionen, die Frauen als Wesen, Körper, Gemeinschaftsmitglieder und somit als autonome Subjekte unkenntlich machen wollen.
    Dennoch ist auch diese Interpretation gespalten. Denn übersehen wird, dass es gerade streng islamisch geprägte Gesellschaften sind, in denen Schönheitsoperationen besonders stark florieren. So existieren in Saudi-Arabien Dutzende, teils riesige Zentren, die einzig mit dem Ziel installiert wurden, möglichst viele Dimensionen der Ästhetisch-Plastischen Chirurgie anbieten zu können.
    Begleitet wird der Aufstieg der Schönheitsoperationen in der islamischen Welt von einem breiten theologischen Begründungsdiskurs: Kaum ein Chirurg, der sich in seiner Werbung nicht auf irgendeine islamische Haltung zu körperverändernden Eingriffen berufen würde.
    Zwei Gedanken sind dabei wesentlich:
    1.Verschönernde Eingriffe in den Körper stellen zunächst eine Verletzung der göttlichen Schöpfung dar. Im Grunde vollziehen sie einen Akt der Gotteslästerung.
    2. Wird jedoch die eigene körperliche Verfassung als leidbringend erfahren, können Eingriffe erlaubt sein. Denn in diesem Fall werde nicht Gottes Tat perfektioniert oder gar korrigiert, sondern allenfalls auf ihren eigentlichen Ursprung zurückgeführt.
    In der offiziellen islamischen Doktrin erhält die Ästhetisch-Plastische Chirurgie daher den Status einer rekursiven Medizin - einer Medizin also, die die Wiederherstellung ursprünglicher oder eigentlich intendierter Zustände ermöglicht.
    Ein offenes Geheimnis ist es freilich, dass die Praxis dieser Chirurgie weit über die islamisch definierten Grenzen hinausgeht - und sämtlichen, meist an westlichen Idealen orientierten, Attraktivitätswünschen bedingungslos nachkommt.
    Der Arzt als "Mitarbeiter Gottes"
    Doch wird damit deutlich, wie nahe sich ethische Grundsätze aus islamischer und katholischer Theologie stehen. Denn gerade die katholische setzt ihre Überlegungen zu ästhetisch-plastischen Optionen in größere Kontexte. In einem Beitrag über die ethische Angemessenheit der Schönheitsoperationen fragt der österreichische Priester und Moraltheologe Josef Spindelböck prägnant:
    "Wie ist die Haltung der biblischen Offenbarungsreligion zum Beruf des Arztes? In einer älteren Überlieferungsschicht hat es den Anschein, als werde der Arzt als Konkurrent gegenüber dem göttlichen Heilungsmonopol empfunden. Im späteren Judentum und auch im Christentum erfreute sich der ärztliche Beruf hingegen einer hohen Wertschätzung, wobei der Arzt nicht mehr als Konkurrent Gottes gesehen wird, sondern als dessen berufener Mitarbeiter im Dienst an der leidenden Menschheit."
    Somit erhält die rekursive Medizin auch aus dieser Perspektive eine ästhetische Legitimation - und zwar ebenfalls, indem das Wiederherstellen nicht als Übersteigerung, sondern als göttlich gewollte Erfüllung deklariert wird.
    Spindelböck bezeichnet die wiederherstellende ästhetische Chirurgie denn auch als einen, so wörtlich, "Dienst aus recht verstandener Nächstenliebe". Damit geht es sowohl islamischen als auch katholischen Begründungen um einen Fokus auf pathologische Dimensionen. Erst wenn es nicht gelingt, den Körper in seiner erscheinenden Form anzunehmen und damit das eigene Leiden zu überwinden, ist der Einsatz des Messers ein erlaubter Schritt.
    Doch geben solch moraltheologischen Betrachtungen noch keine Auskunft über die tatsächlich ausgeübte Religionspraxis. Wer bestimmt eigentlich, welches Selbstbild als angemessen einzustufen ist? Wer entscheidet, ob Körper in einer Deckungsgleichheit mit dem Willen Gottes stehen? Wie wollen Religionswächter ermitteln, wo die Grenze zwischen dem Ausdruck des inneren Kerns und der bloßen Übernahme gängiger Schönheitsnormen verläuft? Und vor allem: Was bedeutet es, wenn der Körper zum Ziel religiöser Ge- und Verbote erklärt wird?
    Die doppelte Entsubjektivierung der Frau
    Weniger islamisch denn islamistisch geordnete Gesellschaftsformen sind es, in denen sich das Dilemma zwischen Emanzipation und Unterdrückung in gesteigerter Brisanz artikuliert. Denn inzwischen verhüllt die Burka in millionenfacher Weise Körper, die oft massiven ästhetischen Eingriffen unterzogen wurden. Bietet hier die Schönheitschirurgie betuchten Frauen die Möglichkeit, trotz ihrer öffentlichen Unkenntlichmachung über den eigenen Körper in seinen verordneten Grenzen zu verfügen?
    Im Iran werden weltweit die meisten Operationen durchgeführt. Ist dies ein weiteres Zeichen körperästhetischer Emanzipation unter dem buchstäblichen Deckmantel eines autoritären Regimes? Oder verhält es sich genau umgekehrt - und die chirurgischen Maßnahmen führen am Körper der Frau lediglich fort, was bereits mit ihrer äußeren Verhüllung intendiert ist?
    In diesem Fall müsste von einer doppelten Entsubjektivierung der Frau ausgegangen werden: Im öffentlichen Raum den Blicken der anderen Männer entzogen, hat sie im Blick des eigenen Mannes als dessen ästhetische Wunscherfüllung zu erscheinen. So besehen erweist sich die islamische Glaubenslehre zur Ästhetischen Chirurgie als theologischer Zynismus: Durch eine pseudo-liberale Gottesorientierung erschaffen sich patriarchale Chauvinisten die Legitimation zu körperdesignten Befriedungsobjekten.
    "Vielfalt ist wunderbar"
    Verglichen mit katholischen und islamischen Auseinandersetzungen finden sich in der evangelischen Kirche nur vereinzelt prominente Stellungnahmen. Die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Margot Käßmann, ist eine der wenigen, die sich explizit zum Thema geäußert hat. Allerdings argumentiert sie nicht in der Komplexität einer theologischen Ethik - sondern wertet die Ästhetisch-Plastische Chirurgie lediglich als weiteres Symptom einer modernetypischen Oberflächlichkeit. Entsprechend verzichtet sie auf nähere Klassifizierungen und sieht derartige Operationen als Fortführung einer allgemeinen Schönheitssucht:
    "Immer mehr junge Frauen - und inzwischen auch junge Männer - sind massiv essgestört. Sie haben das Gefühl, nichts wert zu sein, wenn sie nicht dem Ideal der Models aus den Castingshows bei Heidi Klum entsprechen. Das Leben erscheint nur noch eine Bedeutung zu haben, wenn der Body-Mass-Index stimmt."
    Margot Käßmann, steht vor dem Lutherhaus in Eisenach (Thüringen).
    Margot Käßmann ist eine der wenigen Stimmen im Protestantismus, die sich zum Thema Ästhetisch-Plastische Chirurgie positionieren (pa/dpa/Reichel)
    Gemixt werden kulturpessimistische Versatzstücke mit medienkritischen Einlassungen. Die Folge ist, dass in diesem Fall eine spezifisch protestantische Position zur Ästhetisch-Plastischen Chirurgie unkenntlich bleibt - und in einer diffusen Anrufung gesellschaftlicher Vielfalt aufgeht. Letztlich wird die Wahrung der Gottesebenbildlichkeit als moralische Warnung ins Feld geführt und durchaus sozialromantisch verklärt. Käßmann dazu:
    "Menschen sind verschieden: groß und klein, dick und dünn, alt und jung. Solche Vielfalt ist anregend, wunderbar. Nach dem biblischen Menschenbild zeigt sich in jedem und jeder ein Abglanz Gottes. Vielleicht kann dieser Blick beruhigen, entspannen. Wir Menschen sind Geschöpfe Gottes. Vielfältig, verschieden, mit Macken und Alterserscheinungen, aber durchaus liebenswert."
    Gerade der Protestantismus ist geübt darin, die Orientierung auf die bloße Körperlichkeit besonders scharf zu verurteilen: Wer sich allzu sehr auf die bildhafte Ausgestaltung des eigenen Körpers fokussiere, drohe die innere Vergegenwärtigung Gottes zu vernachlässigen. In der Folge weiche die bindende Kraft des Glaubens an ein Jenseits einer entfremdenden Diesseitigkeit.
    Weil es Protestanten unmöglich ist, zu Lebzeiten von ihrem Status bei Gott zu erfahren, ja es ihnen noch nicht einmal vergönnt wird, ihre Chancen auf Gnade durch alltägliches Handeln zu erhöhen, erscheinen sie als besonders anfällig für konkurrierende Angebote. Die glaubensfestigende Gottesferne wandelt sich zur billigen Körpernähe. In der Rede vom Arzt als eines Halbgottes in Weiß schlägt sich diese Umwertung der protestantischen Werte in symbolhafter Weise nieder.
    "Korrektur" von Abweichungen
    Und wird damit erst recht deutlich: So sehr religiöse Glaubenslehren anhand der Ästhetisch-Plastischen Chirurgie normative Anthropologien schärfen, so stark agieren auch die Angebote dieser Chirurgie mit festgefügten Menschenbildern.
    Nahezu durchgängig wird das körperästhetische Programm als eine Maßnahme der Korrektur dargestellt: Nasen sollen korrigiert werden, wenn sie irgendwie aus der Reihe tanzen; Brüste sollen korrigiert werden, wenn sie entweder zu klein, zu groß, zu hängend oder wie auch immer von einer Regel abzuweichen scheinen. Bauch, Beine, Po sollen korrigiert werden, wenn an ihnen etwas auffällt, was so eigentlich nicht sein darf. Kurzum, der ganze Körper möge korrigiert werden, wenn er seine Korrekturbedürftigkeit allzu offensiv ausstelle.
    Entscheidend ist, dass diese Imperative der Richtigstellung darauf zielen, den Menschen wieder mit sich selbst zu versöhnen. Letztlich spielt das Marketing der Ästhetisch-Plastischen Chirurgie exakt jenen Sound, den auch Christentum und Islam jeweils zum Thema auflegen.
    So ist in entsprechenden Werbebroschüren davon zu lesen, dass die chirurgischen Eingriffe dazu dienen, einen fremd gewordenen Körper wieder mit seiner inneren Verfassung in Übereinstimmung zu bringen. Wer sich wie 30 fühle, aber wie 50 aussehe, könne das erscheinende dem erlebten Alter anpassen. Somit werde die Leib-Seele-Spaltung überwunden und in neuerliche Harmonie gebracht, was den Menschen als Trennendes belastet habe. Endlich wieder in den Spiegel gucken und sich selbst erkennen können!
    "Und Gott sah, was er gemacht hatte"
    Entsprechend verwendet die Ästhetisch-Plastische Chirurgie erhebliche Anstrengungen darauf, ihre Eingriffe unkenntlich zu machen. Das freilich hindert einzelne Chirurgen nicht daran, ihre Werbung auf das Anbieten eines als besonders formschön wahrgenommenen Körperteils zuzuspitzen.
    Beispielsweise verleiht die sogenannte "Bodenseeklinik" ihrem ästhetischen Stolz Ausdruck, indem sie die durch ihren Chef entworfene und entsprechend gebrandete "Mang-Nase" als "weltweit bekannt" deklariert. Die Chirurgie empfiehlt sich als serielles Produktdesign. In geradewegs paradoxer Weise wird Individualität durch das Verabreichen einer gesichtsmäßigen Massenware in Aussicht gestellt.
    Für manch fromme Menschen dürften die Dinge indes ähnlich eindeutig liegen. Denn in allen Religionen bleibt das Handeln des Menschen nicht unbeobachtet. In christlichen Stellungnahmen dient der Hinweis auf die alttestamentliche Gottebenbildlichkeit des Menschen bis heute als schärfste theologische Waffe gegen die vermeintliche Entgrenzungen der Ästhetisch-Plastischen Chirurgie. Gott sieht alles, vor allem den Eingriff in sein eigenes Bild.
    In einem Beitrag auf einer Homepage der Evangelischen Kirche heißt es:
    "Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde". So beschreibt die Bibel die Schöpfung des Menschen und drückt zwei Verse weiter die Zufriedenheit Gottes mit seiner Schöpfung aus: "Und Gott sah alles an, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut", (1. Mose 1,31). Pfuscht damit nicht jeder plastische und ästhetische Chirurg Gott ins Handwerk und verbessert etwas, das nicht zu verbessern ist?
    So einfach kann religiöser Glaube sein. Indem er den Körper in ein ästhetisches Direktverhältnis zu Gott versetzt, scheinen Fragen nach der gesellschaftlichen Stellung des Körpers aufgehoben. Sie stehen heute drängender denn je zur Debatte.