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Scholz erwartet Geschlossenheit seiner Fraktion bei Gesundheitsreform

Der Parlamentarische Geschäftsführer Olaf Scholz hat den Fraktionszwang unter den SPD-Abgeordneten bei der Abstimmung zur Gesundheitsreform verteidigt. "Wenn man in einer Abstimmung unter Freunden unterlegen ist, hält man sich bei der Abstimmung im Parlament an das gemeinsam Beschlossene", sagte Scholz. Bei der Haltung zur Gesundheitsreform handele es sich um keine Gewissensfrage.

Moderation: Elke Durak |
    Elke Durak: Was darf eine Fraktionsführung, was darf sie nicht, was muss sie tun? Dürfen SPD-Bundestagsabgeordnete die Gesundheitsreform kritisieren oder gar gegen sie stimmen, wenn es zum Schwur kommt? Heute ist es so weit im Bundestag. Im Vorfeld gab es so mancherlei Verwunderliches, jedenfalls für Menschen, die den Politikbetrieb nicht so gut kennen wie die, die drin stecken. Anders verhält es sich mit Olaf Scholz, dem Parlamentarischen Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion. Der kennt sich gut aus. Schönen guten Morgen, Herr Scholz!

    Olaf Scholz: Guten Morgen!

    Durak: Es hieß, die Kritiker der Gesundheitsreform aus der SPD-Fraktion, um die geht es jetzt vor allem, seien unter Druck gesetzt worden. Wurden sie?

    Scholz: Nein! Wir haben eine gute Diskussion in der Fraktion geführt, nicht einmal, sondern viele, viele Stunden immer wieder, seitdem die Reform in der Planung ist, jetzt noch einmal abschließend nachdem nun alle Gesetzestexte auch in allerletzter Fassung vorliegen. Das ist ja auch das Ergebnis vieler Beratungen unserer Fraktion. Und die Fraktion hat abgestimmt, ob sie zustimmen will oder nicht. Eine richtig große Mehrheit der Abgeordneten hat zugestimmt. Von den weit über 200 Abgeordneten haben bestenfalls 30 für sich in der Fraktion erklärt, dass sie eigentlich nicht einverstanden sind. Natürlich ist es dann so wie immer. Wenn man in einer Abstimmung unter Freunden unterlegen ist, hält man sich bei der Abstimmung im Parlament an das gemeinsam Beschlossene.

    Durak: Wieso? - Wieso ist das natürlich und wieso muss man sich daran halten? Kann die SPD-Fraktion die 20, 30 Gegenstimmen nicht einfach aushalten?

    Scholz: Die können sie aushalten, aber trotzdem gilt natürlich das Prinzip, dass, wer gemeinsam etwas bewirken will, sich auch insgesamt aufs gemeinsame Zusammenhalten festlegen lassen muss. Das gilt für mich wie für alle anderen. Manchmal ist man in der Mehrheit, manchmal ist man es nicht. Wenn man Mehrheiten haben will für den eigenen politischen Auftrag, muss man auch dann mit den eigenen Freunden stimmen, wenn man das in dem Einzelfall anders gesehen hat, denn in anderen Fällen hofft man ja, dass diejenigen, die etwas Zweifel hatten, einem bei dem eigenen Anliegen, wo man eine Mehrheit hatte, unterstützen. Wobei das ganz klar ist: Bei Gewissensfragen erwartet niemand von einem Abgeordneten, dass er anders abstimmt als sein Gewissen ihm gebietet.

    Durak: Was ist eine Gewissensfrage?

    Scholz: Ich denke zum Beispiel, dass bei Abstimmungen, die sich etwa mit der Frage beschäftigen, ob wir unsere Soldaten im Ausland einsetzen sollen oder nicht, etwas ist, wo jeder Abgeordnete nur seinem Gewissen gegenüber verpflichtet ist. Es gibt einen bestimmten Beurteilungsspielraum, aber die meisten von uns finden, auch die Gesundheitsreform ist eine ganz wichtige politische Frage, sicher, aber nichts wo es um das Gewissen geht, das was einen in den letzten Fragen von Leben und Tod zum Beispiel bestimmt.

    Durak: Manche meinen ja, bei der Gesundheitsreform geht es auch irgendwie ums Leben.

    Scholz: Ja. Dort geht es um ein gutes Gesundheitswesen. Das sollte man gar nicht so leicht nehmen. Deutschland ist eines der wenigen Länder auf der Welt, in dem man sich sicher sein kann, dass einem geholfen wird, wenn man krank ist, auch dann wenn man arm ist. Da wird es jetzt einen großen sozialpolitischen Fortschritt geben, vielleicht in der Nachschau den allergrößten, nämlich dass in Zukunft alle Menschen das Recht haben, krankenversichert zu sein, und die Pflicht.

    Durak: Herr Scholz, ich würde gerne noch mal zurückkommen auf die Fraktion, dass der Abgeordnete, wie Sie es schildern, sich dann ja auch gegen seine eigene Meinung entscheiden sollte, um der eigenen Fraktion zu helfen. Also ist der Abgeordnete ja letztlich nicht seinem Gewissen und dem Wähler verpflichtet, sondern der Fraktion?

    Scholz: Doch, er ist dem Wähler verpflichtet und auch seinen eigenen Vorstellungen und dem Gewissen. Im Übrigen steht in der Verfassung zwar nicht drin, Abgeordnete sollen schlau sein, aber das ist jedenfalls ein guter Rat. Wer immer eine Mehrheit für seine großen politischen Anliegen haben will, schließt sich am besten mit anderen zusammen in einer Fraktion Gleichgesinnter, einer Partei zum Beispiel. Wenn er diese Entscheidung trifft, dann sagt er auch, mal bin ich in der Mehrheit in meiner Freundesgruppe. Dann erwarte ich, dass diejenigen, die sich im Einzelfall nicht durchgesetzt haben, mit mir stimmen. Mal bin ich in der Minderheit; dann stimme ich auch mit den anderen. Es sei denn, das ist für mich eine so zentrale Frage, eine Gewissensfrage, dass das nicht geht. Und dann wird da auch kein Druck ausgeübt.

    Durak: Sie sprechen von schlauen Abgeordneten. Es heißt auch, die Schlauen unter den Gesundheitsexperten Ihrer Fraktion würden zur nächsten Reform eigentlich eingeladen, zur Pflegereform, und könnten aber sozusagen abgezogen werden, um sie vor Ähnlichem abzuhalten, also vor Kritik.

    Scholz: Die schlauen Abgeordneten sind alle. Ich glaube, dass da eine etwas beamtenressortmäßige Gedankenweise in den politischen Journalismus geschlichen ist, für die ich mich als Journalist jedenfalls schämen würde, denn jeder Abgeordnete entscheidet über das Gesamte, was wir in Deutschland bewegen. Es gibt überhaupt nur knapp über 600, und wer denkt, ich bin nur wichtig, wenn es um mein Fachressort geht, und ich darf mich und muss mich um andere Sachen inhaltlich nicht kümmern, der hat den hohen Verfassungsrang des Abgeordnetenmandats völlig verfehlt. Ich muss, wenn ich im Tourismusausschuss bin, mich für Krieg und Frieden, Wirtschaftspolitik, Arbeitsmarktpolitik, Gesundheitspolitik genauso verantwortlich fühlen wie diejenigen, die in den Fachausschüssen sitzen.

    Durak: Also bleiben die Gesundheitsexperten, die jetzt gegen die Gesundheitsreform eigentlich sind, auch im Ausschuss, um dann die Pflegereform anzugehen? Das ist ja das nächste große schwere Projekt.

    Scholz: Wir haben bei der Pflegereform vieles vor. Man kann ja im Koalitionsvertrag nachlesen, was ich übrigens allen, die darüber demnächst berichten wollen, mal empfehle, was wir uns vorgenommen haben. Auch da geht es darum, dass wir die Zusammenhänge unseres Gesundheitswesens, in diesem Fall im Bereich der Pflege, solidarischer machen als sie heute sind. Ich glaube, dass wir nicht über Sanktionen diskutieren, sondern gelegentlich über das, was Fraktionen tun, nämlich wie stellen wir uns am besten auf, aber die Debatte findet gar nicht jetzt statt.

    Durak: Ich habe noch eine Frage, weil ich es nicht ganz verstehe, andere vielleicht auch nicht, Herr Scholz. Als der Gesundheitsausschuss über die Reform abgestimmt hat, da haben sich SPD-Abgeordnete, die eigentlich gegen die Reform sind, von Kollegen vertreten lassen, die ja sagen. Waren die zu feige, nein zu sagen?

    Scholz: Nein, die haben sich korrekt verhalten, weil wir natürlich als Regierung in einem Parlament, das die Regierung wählt, auch dafür sorgen müssen, dass die Vorhaben, die wir gemeinsam vereinbaren, in der Regierung, in der Regierungskoalition, unter den Koalitionsparteien auch funktionieren. Wissen Sie, da glaube ich, nützt es auch, sich doch mal etwas grundsätzlicher Gedanken zu machen. Es gibt sehr unterschiedliche Formen von Demokratie. Es gibt die Präsidiale, wie in den USA zum Beispiel, wo die Regierung nicht vom Parlament gewählt wird. Da ist die Frage, was die Abgeordneten machen, relativ egal. In Parlamenten wie dem deutschen - das ist aber nicht das einzige auf der Welt -, wo die Regierung aus der Mitte des Parlaments gewählt wird, müssen die Abgeordneten sich dafür, dass die Regierung eine Mehrheit hat, auch immer mit verantwortlich fühlen, im Ausschuss und in der Gesamtsituation des Parlaments. Das ist aus unserer speziellen Form von Demokratie unmittelbar ableitbar. Und da mache ich mir jedenfalls schon den Gedanken, dass das so funktioniert, ärgere mich aber immer, dass mancher, der sogar Politikwissenschaft studiert hat, nicht unterscheiden kann zwischen einer präsidialen Demokratie und einer solchen, wo der gleiche Politikwissenschaftler am Tag, nachdem die Regierung mal irgendwo keine Mehrheit hat, schreiben würde, die Regierung muss zurücktreten, und zwar aus den gleichen Gründen, die ich gerade aufgeführt habe, und dann sagen würde, ist ja keine präsidiale Demokratie.

    Durak: Wie schwer ist es für Sie, gegen die eigene Überzeugung zu stimmen, für Sie selbst als Parlamentarier?

    Scholz: Es ist immer schwer, wenn man etwas anders sieht als andere, sich da einzureihen. Aber ich glaube, wer nicht so größenwahnsinnig ist, sich für den einzig Schlauen auf der Welt zu halten, der kann auch mit anderen gut zusammenarbeiten.

    Durak: Schönen Dank. Das war Olaf Scholz, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion. "Der Abgeordnete und die Gesundheitsreform", das war unser Thema. Die Gesundheitsreform wird ja heute vom Bundestag verabschiedet.