Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Schottland-Referendum
Abspaltungsbefürworter im Aufwind

Erstmalig gibt es in Schottland eine Mehrheit für eine Abspaltung von Großbritannien - nach 307 Jahren Zugehörigkeit zum Empire. Das Londoner Politik-Establishment versucht nun in letzter Minute gegenzusteuern. Ein Austritt Schottlands hätte unabsehbare Folgen - auch für die britische Regierung.

Von Jochen Spengler | 08.09.2014
    Kampagnen-Plakat gegen die Unabhängigkeit Schottlands
    Kampagnen-Plakat gegen die Unabhängigkeit Schottlands (AFP / Andy Buchanan)
    Nach dem politischen Erdbeben vom Wochenende herrscht überschäumende Stimmung bei Schottlands Separatisten. Erstmals seit zweieinhalb Jahren liegen sie vorne in den Umfragen. 52 Prozent für – 48 gegen die Unabhängigkeit, signalisiert die jüngste Erhebung. Und der Anführer der Yes-Scotland-Kampagne Alex Salmond erklärt:
    "Das ist ermutigend und ich freue mich für unsere Kampagne. Menschen in allen Gemeinden schließen sich uns an, weil wir die Gelegenheit haben, die Zukunft unseres Landes in die eigenen Hände zu nehmen, um ein wohlhabenderes Land und eine gerechtere Gesellschaft zu bauen. Das inspiriert den Ja-Schwung."
    Der Trend ist klar. Die bunte Basisbewegung aus Künstlern und Studenten, Grünen, Linksradikalen und Nationalisten hat innerhalb weniger Wochen einen 20-Punkte-Rückstand gedreht. Unwiderstehlich wirkt auf immer mehr der fünf Millionen Schotten deren Optimismus und die Vision eines Landes, in dem Milch und Honig fließen sollen, eines Landes, dem die Schottische Nationalpartei von Alex Salmond soziale Gerechtigkeit wie in Skandinavien und zugleich niedrige Steuern wie in Amerika verspricht. Wenn man sich nur endlich aus den Klauen der in Westminster regierenden, konservativ-neoliberalen Elite befreie.
    Abspaltung Schottlands bereitet in London Sorge
    Dass das seit 307 Jahren bestehende United Kingdom tatsächlich vor seinem Ende stehen könnte, besorgt nicht nur die Queen zutiefst. Das Parteienestablishment in London aus Konservativen, Liberalen und Labour ist aufgewacht und George Osborne, der Schatzkanzler, kündigte ein Angebot in letzter Minute an, um die Schotten bei der Fahne zu halten.
    "Es ist klar, dass Schottland mehr Kontrolle über die Entscheidungen haben will, die es betreffen. Da werden wir liefern. In den kommenden Tagen wird es einen Aktionsplan geben, Schottland mehr Kompetenzen zu geben, mehr Besteuerungsrechte, mehr Ausgaberechte, mehr Macht über den Sozialstaat."
    Das kommt reichlich spät. Monatelang hatten sich die von oben organisierten Better-Together-Unionisten auf ihrem Umfragevorsprung ausgeruht – unauffällig ihre Kampagne, die sich vor allem auf Warnungen vor dem Risiko einer Sezession konzentrierte. Das Nordsee-Öl werde knapp, Schottland dürfe das Pfund nicht behalten und müsse um die EU-Mitgliedschaft bangen. Keinerlei Vision aber für ein Schottland innerhalb eines reformierten, föderalen UK, weswegen Schottlands Ministerpräsident Alex Salmond die Zugeständnisse von George Osborne nicht ernst nimmt.
    "Niemand in Schottland ist dumm genug, ein Argument eines Tory-Kanzlers zu glauben. Wenn das ein bedeutendes neues Angebot wäre und nicht eine Panikmaßnahme, warum haben wir nicht davon gehört, bevor Hundertausende bereits per Brief gewählt haben. Die Menschen wissen: Wir müssen nicht mehr darauf vertrauen, was George Osborne meint. Wir können die Zukunft unseres Landes selbst bestimmen, indem wir Ja zu Unabhängigkeit sagen."
    Die Folgen wären überhaupt noch nicht absehbar. Es dürfte einen hässlichen Scheidungskrieg geben und auszuschließen sind weder ein Rücktritt des britischen Premiers Cameron, noch die Verschiebung der Parlamentswahl, weder das Ende der Regierungshoffnungen für die Labour-Partei noch der EU-Austritt eines geschrumpften United Kingdom.