Donnerstag, 25. April 2024

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Schriftstellerin Que du Luu
Auf der Suche nach sich selbst

Flucht, Ankommen, Identität: In Que du Luus aktuellem Roman steht eine pubertierende Chinesin im Mittelpunkt, die durch die plötzliche Krankheit des Vaters und durch den Besuch des chinesischen Onkels mit der Vergangenheit und ihrer Herkunft konfrontiert wird. Ein Gespräch mit der Autorin.

Que du Luu im Gespräch mit Ute Wegmann | 11.06.2016
    Kurz vor der Rettung durch das deutsche Hilfsschiff Cap Anamur treibt ein Fluchtboot, das nahe am Kentern ist, mit 38 Fl
    Auch die Eltern von Que du Luu kamen nach ihrer Flucht aus Vietnam nach Deutschland. (dpa / picture alliance / Scharsich)
    Wir befinden uns nicht im Jahr der Ratte, der Schlange oder des Hasen. Laut chinesischem Horoskop befinden wir uns 2016 im Jahr des Affen. Das Jahr des Affen steht unter dem Stern der Veränderung und bedeutet immer, dass das Leben in Bewegung gerät. Alle zwölf Jahre kehrt dieses Sternzeichen zurück und somit bestimmte der Affe auch die Jahre 1968, 1980, 1992 und 2004.
    Das Buch, das wir heute in den Mittelpunkt der Sendung stellen, heißt "Im Jahr des Affen" und spielt im Jahr 1992. Die Schriftstellerin, die mit dem Titel ihren dritten Roman vorlegt, ist mit vielen Preisen ausgezeichnet und stand auch bereits mit dem Vorgängerroman "Vielleicht will ich alles" auf den Besten 7, der monatlichen Deutschlandfunk-Bestenliste.
    Ich begrüße im Studio sehr herzlich Que du Luu.
    Sie wurden 1973 geboren. Im Jahr des Büffels. Ausdauer, Verantwortungsbewusstsein, gutes Gedächtnis, Realitätssinn – das zeichnet die Menschen dieses Sternzeichens aus. Welchen Einfluss haben Sternzeichen, Glücksboten auf Ihr Leben?
    Que du Luu: Sie haben ja gut recherchiert. Die chinesischen Jahre fangen ja Ende Januar oder Anfang Februar an. Ich hätte auch Ratte sein könnte. Aber Sie haben recht, ich bin Büffel. Das hat keine große Bedeutung für mich. Ich wusste lange Zeit gar nicht, ob ich Büffel, Ratte oder Ziege bin. Ich mache mir auch nicht so viel aus Sternzeichen, auch wenn das jetzt kontraproduktiv ist, weil mein Buch "Im Jahr des Affen" heißt. Aber daran glaube ich wirklich, dass im Jahr des Affen viele Veränderungen passieren. Man ist ja immer ein bisschen abergläubisch.
    Wegmann: Auf das Jahr des Affen kommen wir später zurück. Sie wurden in Vietnam geboren, in Saigon und sind chinesischer Abstammung. Heißt das, Ihre Eltern waren bereits von China nach Vietnam ausgewandert?
    Que du Luu: Meine Eltern sind in Vietnam geboren, meine Großeltern auch. Aber mein Urgroßvater väterlicherseits ist von Südchina nach Vietnam ausgewandert. Wo er gelebt haben soll, da waren wir letztes Jahr auf Spurensuche.
    Wegmann: 1975, das Ende des Vietnamkrieges, viele Menschen wurden verhaftet, in Umerziehungslager geschickt, zu Tode gefoltert oder hingerichtet. - floh Ihre Familie, wie etwa 1,5 Millionen andere Vietnamesen und Chinesen, mit einem Boot nach Thailand, wo sie ein Jahr in einem Flüchtlingscamp verbrachten. Man sprach damals zum ersten Mal von Boatpeople. Von dort kamen sie nach Deutschland, nach Herford. Sie gingen dann später zum Studium der Germanistik und Philosophie nach Bielefeld, wo sie heute noch leben.
    Haben Sie Erinnerungen an die Zeit der Flucht?
    Que du Luu: Ich hab keine Erinnerungen. Ich meine, dass ich mich früher an das dunkle Schiff erinnerte, wo man hin und hergerollt ist, wo es sehr nach Erbrochenem stank. Das sind jetzt aber Erinnerungen an die Erinnerungen.
    Wegmann: Wurde bei Ihnen zu Hause offen über die Ängste, die Bedrohung, den Neuanfang in einem fremden Land gesprochen?
    Que du Luu: Als wir klein waren, ist klar, dass man da nicht drüber gesprochen hat. Aber ich bin mir auch nicht sicher, ob Chinesen über solche Sachen sprechen. Man baut sich eine neue Existenz auf und hat einfach andere Sorgen, als über die Vergangenheit zu sprechen, weil das bringt ja nichts.
    Wegmann: Ist das eine chinesische Haltung?
    Que du Luu: Das ist Pragmatismus.
    Wegmann: Wie kamen Sie zur Literatur?
    Que du Luu: Ich hab ja Germanistik studiert, gut, dann wird man nicht gleich Schriftstellerin. Ich hab mich während des Studiums gefragt, was ich werden will, und dann habe ich mich daran erinnert, dass ich immer schreiben wollte. Das hört sich verrückt an, weil ich bis dahin nie geschrieben habe. Ich hab mir gesagt, ich setz mich hin, probier das und dann hat es schnell geklappt. Ich hatte einfach Glück.
    Wegmann: Ihre familiäre Geschichte spielte in den ersten beiden Romanen gar keine Rolle. In Ihrem Debüt "Totalschaden" setzt sich der mittlerweile 24-jährige Protagonist mit einem Ereignis in seiner Jugend auseinander, dem Autounfall, bei dem sein Vater stirbt, verursacht durch die psychisch-belastete Mutter.
    In "Vielleicht will ich alles" blickt der 16-jährige Icherzähler auf sein soziales Umfeld, das – egal ob gut-situiert oder weniger – eine Anhäufung verspannter, schwach-wirkender Erwachsener ist. Tabletten, Alkohol und Gewalt sind in den Familien an der Tagesordnung. Er verliebt sich in ein Roma-Mädchen, die immer wieder aufgrund ihrer Herkunft mit Mobbing konfrontiert wird.
    In Ihrem aktuellen Roman steht eine pubertierende Chinesin im Mittelpunkt, die durch die plötzliche Krankheit des Vaters, ein Restaurantbesitzer, und durch den Besuch des chinesischen Onkels mit der Vergangenheit und ihrer Herkunft konfrontiert wird.
    Drei junge starke Menschen, die einer in irgendeiner Weise beschädigten Erwachsenenwelt gegenüber stehen. Junge Menschen, die ihren eigenen Weg suchen und finden und trotz familiär schwieriger Ausgangslage die Kraft aufbringen, sich von ihrer Familie zu emanzipieren. Das sehe ich als verbindendes Thema.
    Que du Luu: Das ist das Schöne, wenn man von anderen Menschen, die belesen sind und ein Gefühl für Literatur haben, solche Rückmeldungen bekommt, dass man auf neue Sichtweisen gestoßen wird. Worüber ich mir im Klaren bin, dass die beiden Romane Gemeinsamkeiten haben, aber dass es darum geht, sich von der Familie zu emanzipieren, das ist ein interessanter Punkt, ja, das ist wahrscheinlich so.
    Ich weiß nicht, ob man unterscheiden kann zwischen Jugendwelt und Erwachsenwelt. Ich hab mich beim zweiten Buch lange gefragt: Was ist eigentlich erwachsen sein. Früher hab ich gedacht, wenn man 18 ist oder wenn man 30 ist, oder wenn man Kinder hat. Jetzt begegnen mir immer Menschen, die älter sind als ich, Kinder haben und trotzdem nicht erwachsen sind. Ich würde nicht sagen, es geht ums Erwachsenwerden, sondern in allen drei Romanen um die Suche nach sich selbst. Um die Frage, wer bin ich?
    Es geht ums Andersein
    Wegmann: Was reizt Sie an der Perspektive des Teenagers?
    Que du Luu: Was mich reizt, ist die Frische, die verbunden ist mit dem Alter von 16. Man ist schon erwachsen, aber noch nicht ganz. Man hat die Reife, Vieles zu erfassen, aber es ist trotzdem alles neu. Man ist nicht abgestumpft. Und egal, wie viele Probleme man hat, man hat die Zukunft vor sich, kann noch was ändern. Das ist natürlich etwas ganz anderes, als wenn ich aus der Sicht einer 90-jährigen Frau schreibe.
    Wegmann: Der Roman "Im Jahr des Affen" erzählt neben dem Aspekt des Erwachsenwerdens unter anderem eine Vater-Tochter-Geschichte. Minh Thi Tu, genannt Mini, ist ein stinknormaler Teenager, 16 Jahre alt, hört Tainted Love, Dicke haben dicke Beine, guckt Pretty Woman, geht in die Disco, verliebt sich in Bela. Es geht um den Alltag dieses Mädchens, einer Chinesin in einer westfälischen Stadt. Es geht also ums Anderssein. Um eine Außenseiterposition, die man aufgrund des anderen Aussehens auferlegt bekommt, ob man will oder nicht. In anderen Ländern bleiben die Chinesen unter sich, gettoisiert, leben unter ihresgleichen. Da verwundert es nicht, dass Onkel Wu aus Australien sagt: "Ich sehe keine Chinesen. Wie kannst du Freunde haben."
    Mini aber hat eine ganz andere Selbstwahrnehmung. Für sie stellt sich die Frage nach Integration anfangs gar nicht.
    Que du Luu: Mini ist in Herford aufgewachsen, unter Deutschen, hat nur deutsche Freundinnen. Und was man tagtäglich vor sich sieht: Sie denkt, sie sieht genauso aus. Sie weiß zwar, dass sie anders aussieht, aber nur, wenn sie draufgestoßen wird. Sie denkt ja auch an einer Stelle: Ich hab mir nie mehr Chinesen hierhin gewünscht, sondern nur deutsch auszusehen.
    Wegmann: Sie wollte so gerne blond sein.
    Que du Luu: Ihr Anliegen ist es, nicht aufzufallen, dass die Leute sie so sehen, wie sie sich selber sieht.
    Wegmann: Die Mädchenfigur ist interessant, da sie sich der Auseinadersetzung und Konfrontation mit ihrem Herkunftsland, einem ihr eigentlich unbekannten Land verweigert. Da heißt es auf Seite 127: "Vermisst du deine Heimat?" ... Wieso waren die Leute immer vor den Kopf gestoßen, wenn man nichts vermisste? – Man sollte immer leiden."
    Interessant ist, dass weniger die Deutschen, mehr noch die eigenen Landsleute wie der Koch und Onkel Wu ihr das Anderssein spiegeln.
    Que du Luu: Ja das stimmt. Onkel Wu ist ein Einschnitt, er kommt aus einer großen Community, aus Australien. Dort wird Chinesisch gesprochen und gegessen und er ist sehr traditionell. Ihm fällt das natürlich auf, dass Mini ganz anders ist als ihre Cousinen in Australien.
    Wegmann: Verweigert Mini auch diese Auseinandersetzung, weil sie nicht auf das Andersein und die Geschichte der Boatpeople und Flucht reduziert werden will?
    Que du Luu: Ich glaube mit 16 hat man andere Probleme und widmet sich anderen Dingen als einer Flucht. Ich denke, man braucht immer einen Anstoß, um sich mit unangenehmen Dingen auseinanderzusetzen. Wenn man ein normales Leben führt und keinen Leidensdruck hat, dann macht man das nicht. Also, wenn ich keinen Hunger hab, geh ich auch nicht zum Kühlschrank.
    Wegmann: Sie haben auch eine normale Situation geschildert. Sie hat sich verliebt, in Bela, sie hofft darauf, ihn wieder zu treffen. Das ist die Parallelhandlung, die neben der großen Handlung, der Frage nach der Herkunft oder dem Herkunftsland, abläuft.
    Ganz kurz zum Inhalt:
    Als der Vater, mit dem Mini allein in einer Hochhauswohnung wohnt, (noch in den ersten Möbeln nach der Ankunft aus Vietnam), einen Herzinfarkt erleidet, springt sie im Restaurant ein. Und zur gleichen Zeit kommt ausgerechnet der in Australien lebende Onkel zu Besuch.
    Für Mini führt die neue Situation zu einer Auseinandersetzung mit Identität, mit Hierarchie (mit Koch und Kellner), mit chinesischen Gewohnheiten, die der Onkel lebt und thematisiert, aber auch mit Verdrängung und Schweigen und einem Geheimnis, das an die Flucht aus Vietnam gebunden ist.
    Ihre Figur Mini sagt: Seite 172: "Chinesen machten ja eigentlich nichts Komisches. Sie dachten immer praktisch und erlaubten sich nur mit den Göttern und Feng-Shui etwas Aberglauben."
    Wenn man den Roman gelesen hat, kann man nur sagen: Anders die Autorin. Woher kommt der feine Humor der Que du Luu, der sich durch den Roman zieht,?
    Que du Luu: In dem Buch sind einige komische Szenen drin, in den anderen Romanen auch. Ich kann gar nicht sagen, woher das kommt, weil ich mir nie vornehme, etwas Witziges zu schreiben. Wenn ich am Anfang stehe, denke ich, das wird eine ganz traurige, dramatische Geschichte, aber ich glaube, die Figuren wollen das nicht, die wollen, dass mal was komisch ist, Freude am Leben haben und dann lass ich denen das auch.
    Wegmann: In einer eindrücklichen Passage schildert der Koch, der damals 16 Jahre alt war, die Flucht und das Verlorensein auf dem Meer. Das Gefühl, in den Tod geschickt zu werden, auf diesen schrecklichen Booten, wie wir es öfter in der Vergangenheit gesehen haben. Inwieweit wirken die aktuellen Ereignisse auf Sie persönlich?
    Que du Luu: An die Flucht selbst hab ich keine Erinnerung, das sind Schilderungen meiner Eltern, die verwendet habe. Es ist nicht die Sache mit den Booten, die mich jetzt mehr betroffen macht, sondern wenn ich sehe, dass Menschen in Flüchtlingsheimen sehr angefeindet werden, einfach weil sie da sind, obwohl sie nichts getan haben. Das berührt mich wirklich. Als ich in den 70/80er-Jahren aufgewachsen bin, da war ja noch nicht alles so multikulti, da habe ich solche Erfahrungen auch gemacht, dass man nur angefeindet wird, weil man anders aussieht. Aber dann auch nur von Gruppen. Da hab ich gemerkt, was Feigheit ist, wenn man in der Mehrzahl ist und auf jemanden trifft, der anders aussieht.
    Wegmann: Die Situation der Flüchtlinge in den letzten Jahren, angefangen bei Lampedusa und jetzt in der Eskalation, war das für Sie ein Impuls, sich noch einmal mit der eigenen Geschichte und der Geschichte der ersten Boatpeople zu beschäftigen?
    Que du Luu: Nein, überhaupt nicht. Ich hab den Roman schon 2012 fertig geschrieben, da war das mit der Flüchtlingsfrage noch nicht so aktuell. Es ist reiner Zufall, dass der Roman dieses Jahr erscheint. Ich hatte eigentlich vorgehabt, das Buch den geschätzten 250.000 Menschen zu widmen, die als Boatpeople nie angekommen sind, die durch Piratenhände gestorben sind, aufgrund kaputter Boote abgetrieben sind, das habe ich dann nicht gemacht, weil man hätte denken können, ich mache das nur wegen der aktuellen Flüchtlingsfrage.
    Wegmann: Das habe ich nicht assoziiert und nicht gedacht, weil es ja doch eine andere Geschichte ist. Es ist ein Rückblick, es ist in einer anderen Zeit angesiedelt, was Sie an den Liedern, an den Filmen festmachen. Es ist eine Geschichte, die sich um vieles mehr dreht: um Anderssein. Ich hätte keinen direkten Rückschluss auf die Situation gezogen. Ich hätte bei einer solchen Literatur nicht gedacht, dass Sie sich auf ein Thema setzen, dafür ist das Buch zu eigenständig und auch zu sehr mit Ihrer persönlichen Geschichte verbunden, obwohl es ja keine Autobiografie ist und auch nicht sein will. Es ist ein eigenständiger Roman, der an Ihre Geschichte gebunden ist.
    Sie haben gesagt, Sie hatten überlegt, es den Menschen zu widmen, die nicht angekommen sind. Noch mal auf den Koch zurück.
    Den Koch kann Mini zu Beginn nicht ausstehen, weil sie glaubt, er nutze ihren Vater aus. Aber, das ist es nicht allein, er steht auch für diejenigen, die nicht angekommen sind im anderen Sinne, die kein Deutsch sprechen, die sogar illegal bleiben. Erst später erfährt sie seine Geschichte, die eng mit ihrer eigenen verknüpft ist. Sie erfährt, dass er mit dem Herzen in Vietnam bei seiner Mutter ist, die er damals als 15jähriger zurücklassen musste und die er bis heute nicht nach Deutschland holen konnte.
    Und zum Schluss Ihres Romans stellt Ihre Protagonistin fest: Seite 279:"Ich wusste jetzt, warum wir geflohen waren. Ich wusste jetzt, dass man das Beste daraus machen musste, wenn man schon zu den Überlebenden gehörte. Aus Achtung vor den Menschen, die es nicht geschafft hatten und für immer vom Meer verschluckt waren." Der Koch kämpft mit einem schlechten Gewissen, NICHT das Beste aus der glücklichen Situation gemacht zu haben.
    Wie schwer wiegt eine solche Pflicht?
    Roman über das Annehmen der Vergangenheit
    Que du Luu: Erstens muss man sich bewusst machen, dass man überhaupt Glück hatte. Ich glaube, das machen sich die meisten Menschen nicht bewusst. Auch in welcher glücklichen Situation man ist in Deutschland, weil man medizinisch versorgt ist, dass man selbst wenn man keine Arbeit hat, von der Gesellschaft mitversorgt ist. Bei den Flüchtligen ist es natürlich so, dass man sehen muss, dass man – auch wenn man es schwer hat, wenn andere in der Gesellschaft besser leben, auch wenn man in ärmlichen Verhältnissen lebt, schon mal das große Glück hatte, anzukommen im Vergleich zu vielen anderen. Bei uns war es auch der dritte Fluchtversuche, bei anderen der vierte oder fünfte. Wenn man es geschafft hat, ist das schon mit viel Glück verbunden und aufgrund dessen kann man sich mal Gedanken machen darüber, nicht nur zu jammern und daran zu denken, was man verloren hat, sondern überlegen, was bin ich dem Glück schuldig. Im Vergleich zu einer Viertel Million Menschen, die nicht angekommen sind.
    Wegmann: Ein Aspekt Ihres Romans ist das Annehmen der Vergangenheit – mit allem Positivem und Negativem. Ein Zeugnis dafür, dass sich nichts verdrängen lässt. Onkel Wu mischt das Selbstverständnis des Mädchens auf und zeigt, dass man durchaus Chinesin in einem fremdem Land sein kann und sich nicht von seinen Wurzeln distanzieren muss.
    Que du Luu: Ich habe mich in letzter Zeit oft gefragt, ich werde ständig auf diese Wurzeln angesprochen, das wird immer so vorausgesetzt, dass man sich mit seiner Vergangenheit auseinandersetzen muss und mit seinen sogenannten Wurzeln, ob das überhaupt stimmt. Ich setze mich mit meiner Vergangenheit auseinander, weil die Leute mich draufstoßen, weil ich das einfach muss, weil man mir ansieht, dass ich keine Deutsche bin.
    Und ich muss ehrlich sagen, wenn ich jetzt deutsch aussehen würde, dann hätte ich kein Problem damit, so zu leben und mich mit gar nichts auseinanderzusetzen. Aber man kann nicht nur im eigenen Saft schmoren, man lebt immer innerhalb einer Gesellschaft. Im Grunde kann man sich nie davon lösen, dass andere einen zu dem machen, was sie sehen. Wenn ich wie eine Deutsche aussehen würde, würde ich mich nicht mit Flucht, Vietnamkrieg und so weiter auseinandersetzen, und wäre wahrscheinlich zufrieden damit.
    Wegmann: Ich möchte damit schließen, dass Sie einmal gesagt haben: Man ist ja nur für eine kurze Zeit Flüchtling. Das ist keine Lebensaufgabe! Das hat mir gut gefallen, dass wir den Blick wieder auf den Menschen richten sollen/müssen. Es gab eine Geschichte vor der Flucht und es wird eine Geschichte nach der Flucht geben.
    Die Schriftstellerin Que du Luu war heute Gast im Büchermarkt. Herzlichen Dank für das Gespräch!
    Wir sprachen über:
    "Totalschaden und Vielleicht will ich alles" erschienen bei Kiepenheuer & Witsch.
    Und der aktuelle Roman, auch auf den Besten 7 im Monat Juni vertreten
    "Im Jahr des Affen" beim Verlag Königskinder, 287 Seiten, € 16,99