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Schuldenankauf der EZB
"Banken können ihren Schrott abladen"

Hans-Werner Sinn, Präsident des Ifo-Instituts, kritisierte im DLF die Ankündigung der EZB, Staatsanleihen aufzukaufen. Das würde vor allem die südeuropäischen Banken entlasten und könnte zu einer Abwertung des Euros führen.

Hans-Werner Sinn im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 19.01.2015
    Der Präsident des Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn.
    Der Präsident des Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn. (Imago / Sven Simon)
    Die Deflation sei ein vorgeschobenes Argument für den geplanten Kauf von Staatsanleihen durch die EZB. Hans-Werner Sinn, Präsident des Ifo-Instituts, kritisiert die Aussage, die Inflation sei nicht hoch genug. Dahinter stecke etwas anderes. Dahinter stecke der Wunsch, die Banken Südeuropas zu entlasten, die sich mit toxischen Staatspapieren vollgestopft hätten. Die Staaten Südeuropas ständen vor der Pleite und wären pleite, wenn es normale Zinsen gäbe. Die EZB wolle diese Staatspapiere sozialisieren.
    Noch ist der Aufkauf von Staatsanleihen der Euro-Staaten nicht beschlossen. EZB-Präsident Mario Draghi bietet als Kompromiss an, dass Deutschland nur seine eigenen Papier kaufen muss. Das sei ein richtiger Schritt, sagte Sinn. Wenn das aber für alle Euro-Länder gilt, könnte die Folge aber sein, dass die Staatengemeinschaft doch wieder auf ihren Forderungen sitzen bleibt, wenn ein Staat oder eine Notenbank pleite gehe, so Sinn.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Die Europäische Zentralbank, die EZB steht in dieser Woche wieder mal im Fokus der internationalen Märkte. Die "Bild"-Zeitung nennt es heute bereits eine Schicksalswoche für den Euro. Am Donnerstag trifft sich der EZB-Rat zu seiner regulären Sitzung und dieses oberste Gremium wird dann wahrscheinlich ein gigantisches Programm zur Ankurbelung der europäischen Volkswirtschaften beschließen. Gedacht ist daran, dass die EZB den massiven Ankauf von Staatsanleihen verkündet im Wert von 500 Milliarden Euro. Es wäre völlig neues Territorium für die Europäische Notenbank, aber EZB-Chef Draghi sagt, ein solches Programm sei nötig, um die Gefahr einer Abwärtsspirale, also einer Deflation in der Euro-Zone zu stoppen. - Am Telefon ist jetzt Hans-Werner Sinn, der Chef des Münchener ifo-Instituts. Er hat die EZB-Politik in den vergangenen Jahren immer wieder recht deutlich kritisiert. Schönen guten Morgen, Professor Sinn.
    Hans-Werner Sinn: Guten Morgen.
    Armbrüster: Herr Sinn, was ist gegen dieses Kaufprogramm zu sagen?
    Sinn: Ja, das mit der Deflation halte ich für vorgeschoben, weil die Kern-Inflationsrate, wo man rausrechnet, dass die Ölpreise gefallen sind, am aktuellen Rand schon wieder anzieht, liegt bei 0,8. Also ich weiß gar nicht, wo das Problem ist. Wir haben ein bisschen Inflation, Preisstabilität ist vorgeschrieben vom Maastrichter Vertrag, die Inflation kann man tolerieren. Aber dass man sagt, die Inflation ist nicht hoch genug, die wir haben, finde ich schon ein bisschen eigenartig.
    Dahinter steckt auch was ganz anderes. Dahinter steckt der Wunsch, die Banken Südeuropas zu entlasten, die sich vollgestopft haben mit toxischen Staatspapieren, und die Staaten Südeuropas stehen ja am Rande der Pleite und wären großenteils Pleite, wenn wir normale Zinsen hätten. Und die EZB will jetzt diese Staatspapiere - wollte, muss man sagen - eigentlich sozialisieren. Da gibt es den Streit zwischen der Bundesbank und dem Rest und auch einigen anderen Zentralbanken, die auch auf Bundesbankseite sind, die aber die Minderheit sind. Jetzt scheint es so zu sein, dass die Mehrheit der EZB eine Konzession macht der Art, dass jede Notenbank nur die Staatspapiere des eigenen Landes kauft und dass die Risiken, wenn der Staat Pleite geht, auch nur bei ihr liegen. Das wäre eine gewisse Konzession. Aber das ist noch gar nicht klar, ob das herauskommt. Ich habe auch gehört, dass man zur Hälfte nur das Risiko vergemeinschaften will und zur anderen Hälfte es national belassen will. Das müssen wir noch abwarten.
    Armbrüster: Ich will noch mal gerade, bevor wir über diese Konzession reden, bei der grundsätzlichen Entscheidung bleiben, dieses Aufkaufprogramm. "Quantitative easing" heißt das immer in der Fachsprache. Und es gibt ja Notenbanken international, die das seit Jahren relativ erfolgreich vormachen. Die USA und Großbritannien sind da ein Beispiel. Warum soll das nicht in der Euro-Zone auch klappen?
    Sinn: Der feine Unterschied zu den USA ist, dass die Fed, die amerikanische Zentralbank, ja nur bundesstaatliche Papiere kauft und nicht die Papiere der Einzelstaaten. Würde man die EZB nach Amerika schicken, würde sie jetzt die Papiere kaufen wollen von Kalifornien, Illinois oder Minnesota, drei Staaten, die am Rande der Pleite stehen. Aber die Fed kauft es eben nicht und deswegen müssen die sich selber mit ihren Gläubigern auseinandersetzen. Sie kriegen nicht genug Kredite und das hält die ganze Schuldenproblematik in Grenzen. Würde die Fed jetzt die Papiere von Kalifornien kaufen, was glauben Sie, was Kalifornien macht? Die würden sich munter weiter verschulden, weil ja gefahrlos man immer mehr Papiere ausgeben kann, ohne dass die Zinsen steigen. Das ist der große Unterschied. Die EZB tut etwas, indem sie die Papiere der Gliedstaaten kauft, was selbst die amerikanische Zentralbank, die Zentralbank eines Bundesstaates, den wir ja in Europa gar nicht gegründet haben, nicht tun würde.
    Draghi-Vorschlag ist ein wichtiger Schritt
    Armbrüster: Sie sind einer derjenigen, die das tun. Jetzt wird das deutlich kritisiert aus deutscher Sicht. Und wir haben es am Wochenende gelesen: Mario Draghi geht einen Schritt zu auf die Deutschen, auch auf die Bundesbank, und sagt, wenn wir dieses Programm starten, dann müsst ihr in Deutschland nur deutsche Staatsanleihen kaufen, und ihr seid auch nur für die deutschen Staatsanleihen haftbar. Ist das ein Schritt, mit dem das Risiko für Deutschland einigermaßen überschaubar wird?
    Sinn: Ja, das wäre ein wichtiger Schritt, um das begrenzt zu halten, wenn jeder nur seine eigenen kauft und auch nur die Zinseinnahmen daraus realisiert, beziehungsweise Abschreibungsverluste dann auch selber tragen müsste. Aber jetzt kommt das Problem. Das Problem ist, dass ja einige Notenbanken in Europa, so in Griechenland, in Irland und in Zypern, sowieso schon mehr Kredite ausgegeben haben, als es ihrer Größe entspricht, und zwar dramatisch mehr, ein Vielfaches zum Teil dessen, was ihr normales Limit ist. Das heißt, die sind ja netto verpflichtet, Zinsen an den Rest der Europäischen Zentralbank abzuführen. Wenn sie jetzt noch Staatspapiere kaufen, sind sie verpflichtet, noch mehr Zinsen abzuführen. Sie können die Zinsen aber nicht abführen an den Rest, wenn ihre Staaten Pleite sind. Das heißt, da gibt es gar keine nationale Haftung mangels Masse.
    Armbrüster: Und was wäre dann die Folge?
    Sinn: Die Folge ist, dass wir doch haften, denn per Saldo geben wir ihnen ja Kredite über das EZB-System, indem sie die Staatspapiere kaufen. Und wenn sie selber Pleite sind, dann können sie die Kredite nicht mehr zahlen. Wenn der Staat Pleite ist, kann er sowieso nicht für die Nationale Notenbank einspringen. Und selbst, wenn der Staat noch nicht Pleite ist und die Nationale Notenbank geht Pleite, dann gibt es ja das gleiche Problem, dass möglicherweise die Staatengemeinschaft auf ihren Forderungen sitzen bleibt, weil es keine Nachschusspflicht gibt. Der Staat muss nicht die Notenbank wieder auffüllen, sondern die kann Pleite gehen und fertig.
    Armbrüster: Dann muss ich aber fragen, Herr Sinn: Was hätte denn EZB-Chef Mario Draghi für eine Alternative? Er muss ja nun mal dafür sorgen, dass die Inflation sich im Euro-Raum, in der Euro-Zone Richtung zwei Prozent bewegt. Davon ist sie derzeit weit entfernt. Sie liegt bei 0,2. Sie haben es selber angesprochen: Wenn man den Ölpreis rausrechnet, bei 0,8 Prozent. Das ist immer noch weit von der Zielvorgabe entfernt. Wenn er die Preise wieder zum Steigen bringen will, bleibt ihm ja derzeit nichts anderes übrig, als Staatsanleihen zu kaufen, oder?
    "Inflationsziel von zwei Prozent ist willkürlich"
    Sinn: Na ja. Muss er gegen zwei Prozent gehen? Das steht ja nirgends geschrieben. Das hat die EZB in eigener Macht mal irgendwann verkündet. Im Staatsvertrag, im Maastrichter Vertrag steht, Preisstabilität muss hergestellt werden, und nicht etwa zwei Prozent Inflation. Da steht null Prozent. Man kann jetzt sagen, man toleriert bis zu zwei Prozent Inflation, weil man die Null ja nie genau erwischen kann. Das ist schon richtig. Aber zwei Prozent jetzt umgekehrt zu einem Ziel zu machen, ist schon eine Dehnung des Mandats der EZB. Das kann man aus ökonomischer Sicht akzeptieren, aber eigentlich nicht so ohne weiteres aus rechtlicher Sicht.
    Armbrüster: Mit welchen Folgen rechnen Sie, wenn dieses Programm am Donnerstag verkündet werden sollte? Mit welchen Folgen vor allem in den Krisenländern?
    Sinn: Die Banken werden entlastet. Die können ihren Schrott da abladen bei ihren Notenbanken und können ihre Bilanzen bereinigen. Das werden sie im großen Umfang tun, und zwar gibt es für sie so ein Window of Opportunity, eine Chance bis zu den nächsten Sprüchen der Gerichte. Wir haben ja jetzt diese neue Entwicklung wegen auch des Spruchs des Generalanwalts des EuGH letzte Woche. Der hat Pleinpouvoir - volles Recht - gegeben für diese EZB-Aktion. Aber was der gesagt hat, muss ja nicht dasselbe sein, was der EuGH sagen wird. Das wird in vier bis sechs Monaten erwartet. Und dann das hauptverfahren liegt beim deutschen Bundesverfassungsgericht, und das ist ja ganz kritisch. Wenn der EuGH jetzt auf der Linie des Generalanwalts bleibt und sagt, das ist alles in Ordnung, was die EZB hier macht, dann wird das deutsche Verfassungsgericht gezwungen sein, bei seiner Linie zu bleiben, die es vor einem Jahr verkündet hat - das heißt, die Käufe sind überhaupt nicht rechtens -, und wird die Bundesbank möglicherweise zwingen, nicht mehr mitzumachen. Wann ist das? Das weiß kein Mensch. Im Herbst vielleicht. Aber die Banken wissen, bis dahin haben sie noch die Chance, ihre Staatspapiere zu sozialisieren und abzustoßen an die EZB, und das werden sie in großem Umfang machen. Und weil sie das machen, schwimmen sie in Liquidität. Was machen sie mit der Liquidität, tragen sie ins Ausland und es kommt zu einer Abwertung des Euro beziehungsweise einer Aufwertung der anderen Währungen, was wir jetzt schon gesehen haben bei der Schweiz. Die Schweiz war nicht in der Lage, diesem Trend sich noch zu widersetzen.
    Armbrüster: Es ist also eine spannende Woche, die dem Euro bevorsteht. Hans-Werner Sinn war das, der Chef des Münchener ifo-Instituts. Vielen Dank, Herr Sinn, für Ihre Zeit heute Morgen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.