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Schuldenstreit mit Griechenland
"Es wird mit jedem Tag teurer"

Der ehemalige Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank, Ottmar Issing, warnt im Schuldenstreit mit Athen vor einem steigenden "Erpressungspotenzial". Bisher habe sich die EU von Athen an der Nase herumführen lassen. Issing plädierte im DLF für einen raschen Schuldenschnitt.

Ottmar Issing im Gespräch mit Christiane Kaess | 11.06.2015
    Der ehemalige Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank, Ottmar Issing
    Der ehemalige Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank, Ottmar Issing (imago/IPON)
    Indem mehr und mehr Griechen in der anhaltenden Schuldenkrise Geld ins europäische Ausland überwiesen, wachse gleichsam das Erpressungspotenzial, so Issing. Dieses Geld drohe im Falle eines Schuldenschnitts verloren zu gehen. Die Griechen müssten verstehen, dass das, was die Gläubiger wollen, im Sinne ihrer Bevölkerung sei, sagte Issing, der als Gründungs-Volkswirt der EZB acht Jahre an der Spitze der Zentralbank stand. Die EZB habe niemals eine Empfehlung für eine Aufnahme Griechenlands ausgesprochen, unterstreicht der 79-Jährige im DLF. Die Euro-Eintritt sei ein Fehler zumal "für Griechenland selbst" gewesen.
    Er habe nicht den Eindruck, dass die griechische Regierung den vollen Überblick über die Finanzlage des Landes habe. Auch habe die neue Athener Führung zur Rückkehr Griechenlands in die Rezession beigetragen. Das zarte Pflänzchen Wachstum sei zertrampelt worden, so Issing Nun brauche es einen klaren Schnitt, der einen ökonomischen Neuanfang bewirken würde.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Es ist seit Monaten das gleiche Spiel. Zwar ist Griechenland von der Staatspleite bedroht, aber die Verhandlungen mit den internationalen Kreditgebern kommen nicht substanziell voran. Offenbar ist man immer noch ein ganzes Stück entfernt von einer Einigung über die Bedingungen, zu denen in Aussicht gestellte Hilfsgelder von gut sieben Milliarden Euro ausgezahlt werden sollen. Gestern hat die EU-Kommission die jüngsten Reformvorschläge zurückgewiesen und Athen vorgeworfen, diese blieben zurück hinter den schon in der vergangenen Woche getroffenen Vereinbarungen. Und jetzt wird auch die Zeit knapp, denn das griechische Hilfsprogramm läuft Ende Juni aus. Vor diesem Hintergrund trafen sich gestern in Brüssel am Rande des EU-Lateinamerika-Gipfels noch einmal Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Francois Hollande mit dem griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras.
    Mitgehört hat Professor Ottmar Issing, ehemals Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank. Guten Morgen, Herr Issing!
    Ottmar Issing: Guten Morgen.
    Kaess: Diese Gespräche in Brüssel - wir haben es gehört -, sie haben eigentlich zu nichts geführt. Hatten Sie damit gerechnet, dass es bei dem Treffen gestern Abend noch mal substanzielle Fortschritte hätte geben können?
    Issing: Ehrlich gesagt nein. Man muss sich schon fragen, wie lange noch die anderen Regierungen und die europäischen Institutionen sich von den Griechen an der Nase herumführen lassen, denn das ist bisher ja nur ein Vor und Zurück gewesen, aber nicht ein wirklicher Wille von Seiten der Griechen, entscheidende Reformen zu unternehmen.
    Kaess: Und was wäre die Konsequenz? Wie sollte es Ihrer Meinung nach jetzt weitergehen?
    Issing: Es kommt nicht darauf an, wie es meiner Meinung nach weitergehen sollte. Es kommt aber irgendwann der Punkt, wo nun nicht nur die Geduld reißt, sondern wo die Gläubiger auch sehen, die Gläubigerstaaten, dass es mit jedem Tag teurer wird. Denn die ganze Geschichte läuft ja darauf hinaus: Die Griechen ziehen von ihren Konten in Griechenland Geld ab, sichern sich mit dem Bargeld gegen spätere Verluste, machen Überweisungen ins Ausland, und das führt dazu, dass sich bei den Notenbanken des Eurosystems, darunter vor allem die Bundesbank, Guthaben anhäufen, Guthaben, die am Ende bei einem Austritt Griechenlands verloren sind. Das Erpressungspotenzial wird sozusagen immer höher.
    Kaess: Also ganz klar für Sie, die Gläubiger sollten auf gar keinen Fall weitere Zugeständnisse machen?
    Issing: Ja. Die Griechen müssen verstehen, dass das, was von den Gläubigern verlangt wird, ja im Grunde im Interesse ihrer Bevölkerung, der Arbeitslosen, der Wirtschaft ist. Das sind ja Maßnahmen, die Griechenland wieder auf die Beine helfen sollen, und nicht, um das Land in die Knie zu zwingen, so wie es die Griechen empfinden und darstellen.
    "Griechen verschonen nach wie vor die Reichen"
    Kaess: Dennoch werden ja im Moment Zugeständnisse von Gläubigerseite gemacht. Schauen wir mal auf den Spielraum, den es da gibt. Es geht im Moment vor allem um die Haushaltsziele, die Griechenland im Gegenzug für weitere finanzielle Unterstützung einhalten müsste. Die Geldgeber wollen für dieses Jahr einen Primärüberschuss von einem Prozent. Das ist sowieso schon viel weniger, als ursprünglich gefordert. Athen hat zuletzt angeboten nur 0,75 Prozent. Können die Gläubiger da noch weiter entgegenkommen?
    Issing: Das sehe ich nicht, denn die Idee ist ja die, dass auf lange Sicht Griechenland seinen Schuldenstand wieder in Ordnung bringt, und dazu braucht man einen Überschuss. Aber worauf es vor allem ankommt, dass die griechische Wirtschaft ihr Potenzial entfaltet, damit Wachstum zustande kommt. Denn das Haushaltsdefizit hängt ja nicht nur an der Ausgabenseite, sondern auch an der Einnahmenseite, und hier haben die Griechen ja im Grunde bisher noch gar nichts unternommen. Sie verschonen nach wie vor eher die Reichen, statt ihr Wahlversprechen zu erfüllen, dass sie für Steuergerechtigkeit sorgen.
    Kaess: Auf der anderen Seite hängt aber von diesem Budget-Ziel ab, wie stark die griechische Regierung sparen muss. Haben Sie, Herr Issing, nicht auch Verständnis dafür, dass Athen sagt, wir können uns nicht weiter kaputt sparen?
    Issing: Den Ausdruck "kaputt sparen" würde ich in dem Zusammenhang nicht akzeptieren. Griechenland war kreditunfähig, ist auf den Finanzmärkten außer Stande, sich Geld zu verschaffen. In einer solchen Situation muss ein Land doch alles unternehmen, um wieder kreditfähig zu werden. Noch einmal: Für mich ist das Haushaltsdefizit natürlich ein wichtiger Punkt in den Verhandlungen. Aber es kommt entscheidend darauf an, dass die griechische Wirtschaft vorankommt und nicht in eine neue Rezession verfällt, und dazu hat ja die neue Regierung schon ganz wesentlich beigetragen. Es ging ja aufwärts und dieses schwache Pflänzchen Wachstum, das wurde wieder zertrampelt.
    Kaess: Und ist für dieses schwache Pflänzchen Wachstum ist die Sparpolitik nicht Gift, die von den Gläubigern verlangt wird?
    Issing: Nein, das sehe ich nicht. Es kommt natürlich ganz darauf an, wie man die Sparbedingungen erfüllt. Aber noch einmal: Griechenland hat den Haushalt mächtig zusammengestrichen, das muss man anerkennen. Aber parallel dazu, seit die neue Regierung im Amt ist, geht es mit der griechischen Wirtschaft wieder abwärts. Vor diesem Hintergrund ist das, was da über Haushalt diskutiert wird, gewissermaßen nur die Spitze des Eisbergs.
    Kaess: Es gibt ja verschiedene Aussagen dazu, wie lange Griechenland das Geld noch reicht. Wann, glauben Sie, ist Athen pleite?
    Issing: Ich bin nicht sicher, ob das die Griechen selber wissen. Sie haben ja noch alle möglichen Gelder zusammengekratzt bei Kommunen, bei allen möglichen Krankenhäusern. Ich habe nicht den Eindruck, dass die Griechen selber ihre Finanzen völlig überblicken. Wenn ein Finanzminister mehr in der Welt herumreist, als in seinem Ministerium für Ordnung zu sorgen, muss man sich auch nicht wundern.
    Kaess: Der griechische Regierungschef Tsipras, der hat ja vor einem Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone gewarnt und sagt, dann könnte es Ansteckungseffekte geben. Hat er Recht?
    Issing: Es wird sicher Probleme geben auf den Finanzmärkten, wenn Griechenland ausscheidet.
    Kaess: Welche genau?
    Issing: Die Anleger werden schon prüfen, wie das weitergeht. Aber wir haben das ja gesehen, dass die Märkte langsam auch die Geduld verlieren. Ein klarer Schnitt, denke ich, würde einen Neuanfang bewirken. Das Hauptproblem wird Griechenland selbst sein. Ansteckungseffekte gäbe es aber in die andere Richtung, wenn das so weitergeht. Das wäre ja ein Signal an alle anderen Länder, man kann die Spielregeln verletzen, man bekommt dann Hilfe von den anderen. Länder wie Spanien, die gravierende Reformen unternommen haben, würden dann vor den Wählern dastehen, dass es dessen gar nicht bedarf. Das ist ein Ansteckungseffekt, den man auch bedenken muss.
    Kaess: Was würde es denn für Griechenland selbst bedeuten, wenn es ausscheiden würde?
    Issing: Es würde bedeuten, dass man in welcher Form auch immer - es gibt ja verschiedene Varianten - zunächst jedenfalls nicht mehr offiziell dem Euroraum angehören würde. Griechenland könnte natürlich nicht mehr Kredite von der Europäischen Zentralbank bekommen, die griechischen Banken. Es wäre zu erwarten, dass die Preise steigen, dass es Lohnforderungen gibt, dass all die unerfüllten Wünsche jetzt auf die neue Regierung einprasseln, die ja im Wahlkampf Unmögliches versprochen hat. Das wären die Probleme Griechenlands.
    Kaess: Das heißt, wir hätten auch eine Massenverelendung?
    Issing: So weit würde ich nicht gehen. Das kommt ganz darauf an, wie die Regierung dann mit dieser Situation umgeht. Es gibt jetzt schon viele arme, aber Länder wie Slowenien und so weiter, die betonen ja zurecht, dass etwa die Mindestlöhne bei ihnen niedriger sind als in Griechenland.
    "Beitritt war ein ein Fehler für Griechenland selbst"
    Kaess: Herr Issing, Griechenland ist 2001 in die Eurozone gekommen. Davor wurde die griechische Wirtschaft geprüft. Sie waren damals als Chefvolkswirt der Verantwortliche auch dafür. Was war Ihr Bild damals von der griechischen Wirtschaft?
    Issing: Das ist richtig. Unter meiner Verantwortung hat die Europäische Zentralbank einen sogenannten Konvergenzbericht geschrieben. Das war unsere Verpflichtung. Wir haben dabei geprüft, inwieweit Griechenland die Kriterien bei der Inflationsrate, den Zinsen und so weiter erfüllt. Wir sind ein Kriterium nach dem anderen durchgegangen, haben auch auf die hohe Verschuldung und die daraus resultierenden Probleme Griechenlands verwiesen. Wir mussten uns dabei auf die Daten verlassen, die uns von der Europäischen Kommission geliefert wurden.
    Kaess: Und Sie hatten Zweifel an diesen Zahlen?
    Issing: Sie sahen in den öffentlichen Finanzen besser aus, als man das vermuten konnte. In Schwaben würde man sagen, die hatten ein Geschmäckle. Aber das nützt ja nichts. Wir bekamen die Zahlen über Griechenland ja noch nicht mal direkt von den Griechen, sondern von der Europäischen Kommission, vom Eurostat, dem statistischen Büro der Europäischen Gemeinschaften, und Sie können ja dann nicht sagen, dieser Zahl traue ich nicht, da will ich einen Beleg dafür.
    Kaess: Aber Sie gehen davon aus, dass die geschönt waren?
    Issing: Das wurde hinterher deutlich, ja.
    Kaess: War es im Nachhinein ein Fehler, Griechenland in die Eurozone aufzunehmen?
    Issing: Ich muss noch zunächst eines klären. Die Europäische Zentralbank hat zu keinem Moment eine Empfehlung abgegeben. Da steht kein Wort in dem Bericht. Das wäre auch nicht unsere Kompetenz gewesen. - Ich denke, es war ein Fehler. Es war ein Fehler für Griechenland selbst. Allerdings hätte das ganz anders laufen können, wenn Griechenland sich nach dem Beitritt daran gemacht hätte, seine Probleme zu lösen. Das Gegenteil ist geschehen.
    Kaess: Professor Ottmar Issing, er ist ehemals Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank gewesen. Danke schön, Herr Issing, für dieses Gespräch.
    Issing: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.