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Schulöffnung in Corona-Zeiten
"Einen Tag Schule in der Woche mindestens"

Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) möchte, dass Schüler mindestens einen Tag in der Woche wieder in die Schulen kommen können. Dadurch sollten Eltern und Schüler zu Hause entlastet werden, sagte er im Dlf. Er geht davon aus, dass auch nach den Sommerferien kein normaler Unterricht möglich ist.

Ties Rabe im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 29.04.2020
Abiturienten am Gymnasium Dresden Klotzsche sitzen in einem Klassenzimmer für Prüfungsvorbereitungen.
Abstände einhalten ja, Maskenpficht nein: Eine Empfehlung für Masken werde es aber geben, sagte Ties Rabe (SPD) im Dlf. (dpa-Bildfunk / Robert Michael)
Die Schülerinnen und Schüler in Deutschland sollen bis zu den Sommerferien an ihre Schulen zurückkehren können - allerdings nicht in dem gewohnten Ausmaß. Auf dieses Ziel haben sich die Kultusminister der Länder geeinigt. In den Ländern wird es aber unterschiedliche Vorgehensweisen geben. Noch wurde allerdings nicht beschlossen, wann es damit losgeht.
Ties Rabe (SPD) ist Schulsenator in Hamburg. Die Frage, wann das Modell startet, werde nicht von den Kultusministern entschieden, sondern von den 16 Ministerpräsidenten und der Bundeskanzlerin im Zusammenspiel mit den Wissenschaftlern, sagte er im Dlf. Denn die Frage der Infektionsgefahr werde am Besten deutschlandweit beantwortet und nicht nur für einzelne Ressorts wie den Schulbereich. "Wir haben uns aber darauf verständigt, in welchen Schritten etwas passiert."
Auch nach den Sommerferien noch ein "Hin und Her"
Diese Schritte sähen vor, dass Schülerinnen und Schüler aller Klassen noch vor den Sommerferien tage- oder wochenweise in die Schule kommen. "Mir persönlich schwebt dabei vor, dass sie einen Tag in der Woche mindestens in der Schule sein sollten, damit man diese Unterrichtsform zu Hause auch in der Schule besprechen kann, ordnen kann und Aufträge besprechen kann." Damit sollen Eltern und Schüler zu Hause ein Stück weit entlastet werden, so Rabe.
Das liefe darauf hinaus, dass permanent ein Drittel der gesamten Schülerschaft an der Schule anzutreffen wäre. Das würde, so Rabe, die Infektionsgefahr deutlich verringern. Gleichzeitig wäre Schulunterricht möglich, damit auch das Lernen zu Hause begleitet werden kann.
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Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Erstmal nur Empfehlungen
Dies seien aber erstmal Empfehlungen an die Ministerpräsidenten. Erst nach der Entscheidung der Länder im Zusammenspiel mit der Kanzlerin, käme der Auftrag zurück an die Kultusminister. Rabe wagt auch eine Prognose: "Wenn sich an der Gesamtsituation nicht dramatisch etwas ändert, wird uns dieses Hin und Her zwischen Unterricht in der Schule und Fernunterricht auch noch im neuen Schuljahr begleiten." Er rechne nicht damit, dass die Schülerinnen und Schüler nach dem Sommer alle gleichzeitig wieder zum Unterricht erscheinen.

Das vollständige Interview lesen Sie hier:
Tobias Armbrüster: Herr Rabe, können Sie uns das genauer erklären - was soll da jetzt in den Schulen passieren?
Ties Rabe: Zunächst einmal muss man wissen, dass die Frage, wann das losgeht, nicht von den Kultusministern entschieden wird, sondern von den 16 Ministerpräsidenten der 16 Bundesländer und der Bundeskanzlerin im Zusammenspiel mit den Wissenschaftlern. Denn die Frage der Infektionsgefahr wird eigentlich am besten deutschlandweit beantwortet und nicht nur für das einzelne Ressort und nicht nur für den Kulturbereich, den Schulbereich alleine. Deswegen haben wir uns erst mal darauf verständigt, in welchen Schritten etwas passiert, aber wann die ersten Schritte ausgelöst werden, das soll später von der Bundeskanzlerin und den Ministerpräsidenten dann festgelegt werden.
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Unsere Schritte sehen vor, dass wir gerne wollen, dass zumindest Schüler aller Klassenstufen tage- oder wochenweise in die Schule kommen. Mir persönlich schwebt dabei vor, dass sie einen Tag in der Woche mindestens in der Schule sein sollten, damit man diese Unterrichtsform zuhause dann auch in der Schule einmal besprechen kann, ordnen kann, Aufträge mit den Schülerinnen und Schülern besprechen kann und damit auch die Eltern und Schüler zuhause ein Stück weit entlastet von dieser doch nicht einfachen Situation des Fernunterrichts.
"Durch die wechselnden Lerngruppen können wir die Abstände gut einhalten"
Armbrüster: Das heißt, wie viele Schüler sollen da pro Schule zugelassen werden? Welche Anteile sind da geplant?
Rabe: Man muss sich das so vorstellen, dass an einer Grundschule im Moment ja die vierten Klassen kommen dürfen. Die vierten Klassen stellen ein Viertel aller Schülerinnen und Schüler dar. Das wären 25 Prozent, die im Moment jetzt schon demnächst an den Schulen sind. Sie sind aber nicht alle gleichzeitig da. Da wir ja die Klassen in zwei kleine Lerngruppen teilen, die sich abwechseln, ist immer nur die Hälfte dieser 25 Prozent dann da.
Wenn wir jetzt weitere Jahrgänge zulassen, würden wir diese Jahrgänge vermutlich sogar noch weniger in der Schule haben, vielleicht nur einen Tag in der Woche. Das liefe am Ende darauf hinaus, dass dann vielleicht permanent rund ein Drittel der Schülerinnen und Schüler an der jeweiligen Schule anzutreffen ist. Das ist immerhin noch eine deutliche Reduktion der Infektionsgefahr, weil gleichzeitig sehr wenig Schüler da sind. Durch die wechselnden Lerngruppen können wir die Abstände gut einhalten, sind die Gebäude nicht zu eng, sind auch die unübersichtlichen Pausensituationen für die Lehrerinnen und Lehrer in der Aufsicht besser beherrschbar, und dadurch verringern wir nach wie vor das Infektionsrisiko, aber haben gleichzeitig wenigstens ein bisschen Schulunterricht in der Schule, damit das Lernen zuhause begleitet und besser strukturiert werden kann.
Hochhäuser des Wohnkomplexes Auf dem Kölnberg im Kölner Stadtteil Meschenich. Köln, 07.09.2016 Foto:xC.xHardtx/xFuturexImage
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Armbrüster: Herr Rabe, aber das sind jetzt alles lediglich Empfehlungen an die Schulen. Das sind keine Vorgaben, die Sie da machen?
Rabe: Es sind Empfehlungen an unsere Chefs, an die Ministerpräsidenten, an die Kanzlerin, nach dem Motto: Wenn die Schulen weiter geöffnet werden dürfen, dann denkt bitte in diese Richtung. So sehen wir das und das muss dann dort entschieden werden, und dann geht es wieder zurück an die Kultusminister, die dann durchaus mit klareren Vorgaben an ihre Schulen herantreten können und sagen können, so, und jetzt stellen wir uns das so und so vor, und zwar zum Beispiel, dass die fünften Klassen immer Montags da sind, die sechsten immer Dienstags und so weiter und so weiter. Das sind dann Vorgaben, die die Kultusminister selber genauer präzisieren können.
"Hin und Her zwischen Unterricht in der Schule und Fernunterricht wird bleiben"
Armbrüster: Und in der Zeit, in der die Schülerinnen und Schüler nicht im Klassenzimmer sind, nicht in der Schule sind, an den Tagen da heißt es dann wieder, wie jetzt auch gerade schon, Home Schooling? Da ist man dann zuhause angewiesen auf Computer und Internet?
Rabe: Ja, so wird das nach meiner Auffassung in diesem ganzen Schuljahr bis zu den Sommerferien noch bleiben. Und ich wage auch die vorsichtige Prognose: Wenn sich an der Gesamtsituation nicht dramatisch etwas ändert, wird uns dieses Hin und Her zwischen Unterricht in der Schule und Fernunterricht zuhause, dieser Wechsel, auch noch im neuen Schuljahr begleiten, denn ich rechne nicht damit, dass wir zum 1. August die Türen öffnen und dann in jedem Hamburger Gymnasium fast tausend Schüler, in jeder Hamburger Stadtteilschule 1400 Schüler gleichzeitig wieder Unterricht haben, so wie das vor der Corona-Krise der Fall war. Dann müsste es wirklich schon zu einer dramatischen Veränderung der Lage und der Einschätzung durch die Wissenschaft kommen, und die sehe ich im Moment nicht in Sicht.
Armbrüster: Herr Rabe, jetzt hören wir heute schon viele Stimmen und haben das auch in den vergangenen Tagen nach den ersten Schulöffnungen auch schon gehört. Da klagen viele Schulen darüber, da lassen uns die Politiker jetzt schön allein, machen schöne Vorgaben, aber wie wir dieses Chaos on the ground, am Boden regeln müssen, das bleibt uns an den Schulen selbst überlassen. Warum können die Politiker, die zuständigen Schulpolitiker so wie Sie da nicht deutlichere Vorgaben machen und für deutlichere Hilfen sorgen?
Rabe: Ich muss sagen, zumindest was Hamburg angeht, haben wir sehr deutliche Vorgaben gemacht. Hier ist der Hygieneplan der einzelnen Schule nicht von der Schule entwickelt worden, sondern da hat die Behörde einen entsprechenden Hygieneplan entwickelt, und auch die Behörde hat Vorgaben gemacht für den Wechsel der Lerngruppen und vieles, vieles mehr. Es bleibt aber insgesamt immer eine Teamarbeit. Ein Ministerium ist ein Ministerium, das für die Rahmenbedingungen sorgt. Diese Rahmenbedingungen zu gestalten und auszufüllen, muss doch der eigenen Schule überlassen bleiben. Oder stellen sich da einige vor, dass jetzt die Minister mit einem Zollstock durch jeden einzelnen Klassenraum laufen und die Tische hinrücken? Nein, da brauchen wir alle Kräfte. Und das ist auch für die Ministerien ja eine Situation, die wir noch nie ausprobiert haben und wo auch wir sehr, sehr viel dazulernen und improvisieren müssen. Insofern gilt diese Anforderung an alle. Ich glaube aber, das läuft eigentlich ganz gut, was ich bisher so mitbekommen habe.
"Verhaltensregeln müsse eingeübt werden"
Armbrüster: Was stellen Sie sich denn zum Beispiel vor, wenn da ein Drittel der Schüler wieder zurück ist in den Schulen? Wie läuft das in den Pausen? Wie wird da dafür gesorgt, dass zum Beispiel der Sicherheitsabstand eingehalten wird?
Rabe: Ich räume ein, das ist nicht leicht. Das ist nicht leicht, das stimmt schon. Aber umgekehrt: Man kann auch ein Stück durch eine bessere Organisation dafür sorgen, dass die Begegnungen sich reduzieren. Zum Beispiel, indem die Schulklassen versetzte Pausenzeiten haben und nicht alle gleichzeitig auf dem Schulhof sind. Zum Beispiel auch dadurch, dass Schulhöfe in bestimmte Segmente oder in bestimmte Abschnitte aufgeteilt werden, und dann ist die eine Gruppe in jenem Abschnitt und die andere in diesem Abschnitt. Und das erleichtert dann doch die Aufsicht und auch das Verhalten auf dem Schulhof.
Drittens braucht man aber auch gerade zu Beginn für die Schülerinnen und Schüler einen Unterrichtsteil, wo genau diese Verhaltensregeln genau eingeübt werden und besprochen werden. Das ist eigentlich das Wesentliche. Wenn die Schülerinnen und Schüler selber mit darauf achten, dann kann es besser klappen.
Armbrüster: Und warum haben Sie sich gestern nicht auf eine Maskenpflicht geeinigt?
Rabe: Ja, weil wir auf die Wissenschaftler hören, und die Wissenschaftler sind in Bezug auf die Maskenpflicht in solchen Zusammenhängen gerade bei Kindern nicht sicher, ob das nicht am Ende etwas bringt, oder sogar etwas schadet. Denn wenn ein Kind tatsächlich Corona hat und atmet die Viren in die Maske hinein, dann müssen diese Masken anschließend luftdicht verschlossen in einem Plastikbeutel aufbewahrt werden. Man muss sich beim Auf- und Absetzen immer die Hände waschen und so weiter und so weiter. Und es ist gerade bei Kindern nicht so sicher, dass die sich genauso verhalten. Wenn sie es nicht tun, dann kann die Maske sogar zur Virenschleuder werden, und deswegen haben wir gesagt, viel wichtiger sind die Abstände. Maskenpflicht auf dem Schulhof nicht, aber eine Empfehlung für die Masken, die sprechen wir durchaus aus.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.