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Schulsport-Serie (4)
Ein ambivalentes Image

80 Prozent der deutschen Kinder und Jugendlichen bewegen sich laut Weltgesundheitsorganisation zu wenig. Der Sportunterricht in der Schule könne dem entgegenwirken, sagt der Deutsche Sportlehrerverband. Dennoch steht der Sportunterricht immer wieder in der Kritik.

Von Sabine Lerche | 02.10.2021
Schülerinnen beim Ballspiel in der Turnhalle, Sportunterricht, Grundschule
Die meisten Kinder kommen immer noch gern in den Sportunterricht, sagt Sportlehrer Udo Eversheim (imago/Siegfried Kuttig)
Keine Noten im Schulsport, Bundesjugendspiele abschaffen oder gleich den ganzen Sportunterricht – entsprechende Petitionen und Kritik zum Fach Sport gibt es immer wieder. Der Deutschlandfunk hat über Instagram gefragt: "Ist Sport ein Hassfach?" 56 Prozent klickten auf Ja. Die nicht repräsentative Umfrage deckt sich nicht ganz mit den Praxiserfahrungen von Udo Eversheim. Seine Einschätzung nach 17 Jahren als Sportlehrer: Die meisten Kinder kommen gern in den Sportunterricht.
Eine Sportlehrerin steht vor einer Klasse und macht eine Übung vor.
Auf die Lehrer kommt es an
Keiner kommt daran vorbei, am Schulsport. Für manche absolutes Lieblingsfach, für andere die schlimmste Stunde in der Woche. Zentrale Figuren: Sportlehrkräfte.
"Bei den Schülern hat der Schulsport sowieso keine Imageprobleme. Also die aller meisten, vor allen Dingen die jüngeren, die haben eine wahnsinnige Begeisterung nach wie vor für Bewegung. Die haben natürlich manchmal sehr persönliche Vorstellung, was gemacht werden sollte. Klar, das ist manchmal auch ein bisschen einseitig. Aber das Imageproblem, wenn überhaupt, gibt es eben auf Seiten der Eltern oder der Gesellschaft oder auch bei Kollegen oder der Schulleitung."

Sport fördert den Lernerfolg

Die Vorteile des Schulsports sehen viele nicht, bedauert Daniel Möllenbeck vom Deutschen Sportlehrerverband: "Dass Sport ja auch Transfereffekte hat. Das heißt: Wenn ich mich bewege, kann ich mir auch besser Dinge merken, kann besser lernen. Das ist leider immer nicht allen klar. Das ist noch nicht überall angekommen. Da muss ein Umdenken stattfinden. Es muss klar werden: Sport hat für den Lernerfolg der Kinder einen ganz großen Effekt."
Tobias Linnenweber hat Sport und Geschichte in Köln studiert. Für den Referendar hebt sich der Sportunterricht von allen anderen Fächern ab: "Wenn verschiedene Angebote für verschiedene Schüler und Schülerinnen bereitgestellt werden, wenn die Inhalte schülergerecht und schülernah vor allem aufbereitet werden, dann hat Sportunterricht so eine Kraft und so eine Möglichkeit, wie sich Persönlichkeiten weiterentwickeln können und hat aus meiner Sicht ein Alleinstellungsmerkmal, das kein anderes Fach in der Schule bieten kann. Von daher finde ich es manchmal ein bisschen schade, wenn Sportunterricht so belächelt wird."
Die Willkommensklasse beim Sportunterricht
Ein Sportangebot für alle gestalten
Sportbegeistert oder körperlich eingeschränkt, Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund oder mit Förderbedarf – im Sportunterricht können sich Unterschiede stärker bemerkbar machen als in anderen Fächern.

Noten als Legimitation

Noch weniger Anerkennung bekäme der Schulsport, wenn es keine Sportnoten mehr gäbe. Laut Linnenweber würde der Sportunterricht dann seine Legimitation gegenüber den anderen Fächern verlieren. Anders sieht das Christine Finke. Im Juni 2015 hat sie eine Petition gestartet, um die Bundesjugendspiele abzuschaffen. Die sieht sie als Demütigung der sportlich schwachen Kinder. Durch die Wettkämpfe und die Notenvergabe regiere der Leistungsdruck den Sportunterricht. Er solle eher Spaß und ein positives Körpergefühl vermitteln anstelle von Ausschluss und Abwertung, so Finke.

Lehrerverband fordert mehr Unterstützung

Laut der Weltgesundheitsorganisation bewegen sich 80 Prozent der deutschen Kinder und Jugendlichen zu wenig. Seit Beginn der Corona-Pandemie hat sich das noch verstärkt: Aus einer Forsa-Umfrage im Frühjahr 2021 geht hervor, der Lockdown habe das Faulenzen gefördert. Eine Folge: Viele Kinder nehmen zu und könnten im Erwachsenenalter unter den Folgen von Übergewicht leiden. Der Sportunterricht könnte dem entgegenwirken. Und das werde von der Öffentlichkeit und den Eltern auch gefordert, so Daniel Möllenbeck. Deshalb ist es ihm wichtig, dass der Sportunterricht mehr gefördert wird. Er sieht da aber Probleme:
"Wir sehen auch, dass die Ministerien abblocken, nämlich genau mit der Begründung: Wir haben die Sportstätten nicht, wir haben die Sporthallen nicht, wir haben die Sportlehrer nicht. Es passiert uns nach wie vor viel zu wenig. Da wird viel zu wenig Geld in die Hand genommen. Und ich bin da nicht zuversichtlich, dass sich da entscheidend was ändern wird. Also den politischen Willen, den sehe ich da eigentlich überhaupt nicht."
Ein Pauschenpferd steht während des Sportunterrichts in der Sporthalle einer Grundschule.
Zwischen Leistung und positiven Umwegen
Die Notenvergabe – eines der größten Streitthemen im Schulsport. Denn dem einen liegt eine Sportart, dem anderen nicht. Dass es im Sportunterricht dennoch Noten gibt, ist seit langem umstritten.
Wenn es nach Daniel Möllenbeck geht, liegt im Sportunterricht der Zukunft der Fokus auf der individuellen Leistungssteigerung jeder Schülerin und jedes Schülers. Was soll das Ziel des Sportunterrichts sein, hat der Deutschlandfunk auf Instagram gefragt. Manche haben vorgeschlagen, den Fokus mehr auf die Gesundheit der Kinder zulegen: Rückentraining und Haltungsschäden vorbeugen, Ernährungslehre integrieren und das Fach Sport als gesundheitsförderndes Fach ansehen. Mit welcher Zielsetzung auch immer: Die Freude an der Bewegung sollte bei keiner Ausrichtung des Unterrichts verloren gehen.