Kaum ein Unterrichtsfach polarisiert Schülerinnen und Schüler so sehr wie der Sportunterricht. Die einen lieben es, sich mit anderen zu messen und sich zu bewegen, die anderen fühlen sich abgehängt und reagieren ablehnend und demotiviert. Dabei hat Bewegung an Schulen laut den Kultusministerien der Länder einen hohen Stellenwert: Sportunterricht leiste einen "nicht austauschbaren Beitrag zu ganzheitlichen Bildung und Erziehung."
Eigentlich sollen drei Sportstunden pro Woche stattfinden, das gelingt meistens nicht. Die Gründe dafür sind vielfältig: zu wenig ausgebildete Lehrkräfte für Sport, marode Sportanlagen und Sanierungsstau durch die klammen Kassen der Kommunen.
"Natürlich werden Mathe und Deutsch als wichtiger angesehen als der Sport, sagt Helena Haaré. Sie ist Schülerin aus Thüringen und Sprecherin der Landesschülervertretung. Ihre Beobachtung: Andere Fächer würden vonseiten der Kultusministerien prioritär behandelt.
Status Quo zum Schulsport schwer zu erheben
Aktuelle Zahlen zum Zustand des Schulsports in Deutschland sind schwer zu ermitteln, der Unterrichtsausfall im Fach Sport wird zum Beispiel nicht separat erhoben, sagen die Kulturministerien auf Anfrage des Deutschlandfunks. Die letzte umfassende Studie zum Schulsport in Deutschland ist 2006 erschienen, also vor fast 20 Jahren.
Forschungsanträge seien teilweise sogar abgelehnt worden, berichtet Filip Mess, Professor für Sport- und Gesundheitsdidaktik an der TU München. "Man scheut die empirischen Studien, weil man aufdecken würde, was für die Gesundheits- und Bildungspolitik nicht vorteilhaft wäre."
Sportunterricht nicht nur als Leistungsabfrage
In der Schule sollte die Freude an der Bewegung im Vordergrund stehen, sind sich Schülerin und Bildungsforscher einig. Sport sollte nicht nur im Sportunterricht, sondern auch im Unterricht und in der Pausengestaltung Beachtung finden.
Konzepte der "Bewegten Schule" ließen sich zum Beispiel durch eine veränderte Architektur besser umsetzen, erläutert Mess. Das zeigten Beispiele aus Skandinavien. Wenn es Sportmöglichkeiten auf dem Schulhof gibt, dann werden sie auch genutzt.
Zudem weist er auf den Doppelauftrag des Sportunterrichts hin: "Erziehung im Sport und durch Sport. Dass wir es schaffen, alle für den Sport zu begeistern und sportliche Aktivitäten zu nutzen, um Bildungsziele auf andere Weise zu transportieren, wie zum Beispiel Fair Play."
Eine fairere Benotung könnte durch Einbeziehung anderer Kriterien als nur Weiten und Höhen stattfinden, so Mess. Helena Haaré ergänzt, dass auch die Fortschritte in der Leistung und das Erlernen vom Kompetenzen deutlich mehr berücksichtigt werden sollten.
Zudem wünscht sie sich einen Sportunterricht, der Schülerinnen und Schülern dabei hilft, Hemmungen abzubauen. "Man ist ja nicht mit Hemmungen geboren, sondern das wird einem ja mit der Zeit, gerade in der Pubertät, vermittelt."
Mehr Varianz bei den Sportarten
Auf den Lehrplänen stehen häufig die Klassiker: Leichtathletik, Turnen, Schwimmen und dann Ballsportarten. Gäbe es ein größeres Sportartenangebot, hätten die Schülerinnen und Schüler mehr Wahlmöglichkeiten, sagt Schülerin Haaré. Das würde zu deutlich mehr Motiviation führen.
Die Schule könnte auch durch theoretischen Input bewegungsbezogene Gesundheitskompetenz vermitteln, sagt Sportwissenschaftler Mess. Damit könnte die Gesundheit der Schülerinnen und Schüler langfristig gestärkt werden. Das zeigten diverse Studien. Allerdings müsse es eine ausgewogene Balance zwischen Theorie und Praxis geben. Sonst würde der Sport sein Alleinstellungsmerkmal verlieren.
Es gebe zum Beispiel beim Ganztagsangebot Kooperationen mit Sportvereinen und viele andere gute lokale Lösungen, sagt Mess. Diese würden allerdings aufgrund der föderalen Strukturen in der Bildungspolitik nicht bundesweit publik gemacht. Hier wünscht sich der Bildungsforscher mehr Verzahnung und eine bessere Kommunikation.
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