Montag, 29. April 2024

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Schulterschluss zwischen Bush und Scharon lässt Palästinenser außen vor

Heuer: Was Ariel Scharon und George Bush gestern in Washington vereinbart haben, könnte das Ende des Nahost-Friedensplanes sein. Für die Palästinenser steht dies, wie eben im Beitrag gehört, bereits fest. Am Telefon bin ich jetzt mit Volker Perthes von der Stiftung Wissenschaft und Politik verbunden. Herr Perthes, haben wir es mit einer historischen Wende in der Nahost-Politik der USA zu tun?

15.04.2004
    Perthes: Ich würde es als historische Wende nicht bezeichnen. Es ist sicherlich eine Veränderung, vor allem in der Verlautbarung, in der Sprache der Amerikaner, aber sicher ist es so, dass sich eine Veränderung der Position der USA angekündigt hat, seitdem George Bush Präsident ist, eine Veränderung gegenüber der Position von Clinton, der sich ja nun ganz ausdrücklich um Verhandlungsergebnisse und Kompromissvorschläge bemüht hat, die von beiden Seiten akzeptabel sind. Ich denke, George Bush hat hier an einigen Stellen zwar nur das gesagt, was offensichtlich ist, also dass nicht alle Siedlungen zurückkehren werden an die Palästinenser. Da gehen ja auch die Initiatoren der Genfer Initiativen von aus. Nur hat man eben bei allen Initiativen, die tatsächlich auf einen verhandelten Frieden setzen, gesagt, dass es Ausgleich geben muss, dass es territoriale Kompromisse geben muss, dass möglicherweise Teile des Gebietes, was heute zu Israel gehört, dann ausgetauscht werden. Das Fatale an der Sprache von George Bush ist hier, dass er so getan hat, als seien die Palästinenser überhaupt nicht mehr Teil des Friedensprozesses, als sei der Friedensprozess ein rein israelisch-amerikanischer und die Palästinenser hätten keinen Eigentum daran.

    Heuer: Bedeutet, dies mitgerechnet, denn die Erklärung von Bush und Scharon das Ende der "Road Map"?

    Perthes: Auch da bin ich nicht ganz sicher. Ich denke, das ist eine der Fragen, die die Europäer den Amerikanern sehr schnell stellen müssen. Das wird in den nächsten Tagen geschehen müssen, dass die Europäer die Amerikaner fragen, wollt ihr eigentlich das Nahostquartett noch, seht ihr das noch als ein Instrument, seid ihr noch bereit, überhaupt multilateral, also zusammen mit Europäern, mit den Vereinten Nationen und mit lokalen Parteien an einer verhandelten Lösung zu arbeiten, oder glaubt ihr wirklich, dass der Friedensprozess eine rein israelisch-amerikanische Angelegenheit ist, die ihr dann für die nicht lokalen Parteien, also für den Westen oder den Norden allein entscheiden könnt?

    Heuer: Ist es denn realistisch anzunehmen, dass das Nahostquartett, die Vereinten Nationen, die Europäische Union jetzt noch überhaupt etwas ausrichten können?

    Perthes: Ich glaube, wir können tatsächlich etwas ausrichten, wenn wir sagen, nun, was geschehen ist, ist geschehen. Da können wir jetzt auch nicht versuchen so zu tun, als hätte es den Besuch von Ariel Scharon und die Unterstützung von George Bush nicht gegeben. Wir haben ja an einer Stelle ein gemeinsames Ziel, nämlich dass die Ankündigungen von Scharon, er werde sich jetzt erst einmal aus dem Gaza-Streifen zurückziehen, auch tatsächlich umgesetzt werden, dass es also nicht bei einer Ankündigung bleibt, und dann amerikanische Versprechen für die Zukunft der Siedlungen, aber tatsächlich auf dem Grund nichts geschieht. Die Ankündigung muss umgesetzt werden, und dann geht es darum, in den nächsten Monaten oder in den Monaten, die einer solchen Umsetzung folgen, zusammen mit den Palästinensern zu arbeiten und zu sagen, wie füllen wir das Vakuum, was dort entsteht? Es ist sicherlich auch notwendig, dass die Europäer und die Vereinten Nationen ab heute mit den Palästinensern zusammenarbeiten und sagen, definiert ihr mal einen 100-Tage-Plan oder einen 150-Tage-Plan für die Zeit nach dem israelischen Abzug, was ist notwendig, was muss getan werden im Sicherheitsbereich, im Bereich wirtschaftlicher Wiederaufbau, im Bereich Schaffung von Arbeitsplätzen, was braucht ihr da für eine internationale Unterstützung? Hier hat die internationale Gemeinschaft tatsächlich eine Rolle gemeinsam zu spielen, die sich nicht nur auf die Verhandlungen konzentriert.

    Heuer: Das würde aber alles voraussetzen, dass die Palästinenser noch zur Zusammenarbeit bereit sind. Glauben Sie das?

    Perthes: Ich denke, dass die Palästinenser sicherlich mit der internationalen Gemeinschaft, also vertreten durch das Quartett, zur Zusammenarbeit bereit sind. Sie sind sehr tief enttäuscht von den Amerikaner, weil die Amerikaner hier den Israelis gegenüber das Prinzip des Unilateralismus gerechtfertigt haben, also den Israelis praktisch gesagt haben, ihr könnt im Friedensprozess machen, was ihr wollt, wir unterstützen jeden Schritt und wir stellen keine Forderungen an euch. Aber gleichzeitig ist es so, dass jetzt ja auch in unmittelbaren Reaktionen der Palästinenser gefordert worden ist, dass das internationale Nahostquartett zusammenkommt, und letztlich ist das Quartett die einzige Hoffnung, die die Palästinenser noch haben, weil hier ein Stück Multilateralismus wieder eingebracht wird und der Friedensprozess nicht allein zur israelisch-amerikanischen bilateralen Angelegenheit wird.

    Heuer: Die radikalen Palästinenser sprechen von einer Kriegserklärung. Was erwartet uns im Nahen Osten? Eine weitere Welle der Gewalt?

    Perthes: Ich bin da nicht sicher. Es kommt sicherlich darauf an, ob jetzt nach dieser Unterstützung, die Scharon aus den USA bekommen hat, er weiter auf dem von ihm angekündigten Weg fortschreitet und sagt, er geht tatsächlich daran, territoriale Rückzüge zu beginnen, erst mal aus dem Gaza-Streifen. Dazu wird er versuchen, in den nächsten Tagen die Unterstützung seiner eigenen Partei zu bekommen. Sicherlich - wir wollen auch versuchen fair zu sein den Amerikanern gegenüber - ging es bei der amerikanischen Unterstützung Scharons darum, ihm auch innenpolitisch den Rücken zu stärken, dass er eben nicht an seiner eigenen Partei scheitert. Wenn er die Zustimmung seiner Partei bekommt und dann tatsächlich den Rückzug konkret beginnt, Vorbereitungen beginnt, wenn die ersten Siedler und das Militär abzieht, dann muss dies nicht zu einer Welle der Gewalt führen, sondern dann kann es tatsächlich dazu führen, dass die Palästinenser, Hamas und Fatach, genauso radikale wie moderate Fraktionen, sich darum kümmern, was man denn macht mit dem Stück Territorium, was man dann bekommt. Wenn es aber bei Ankündigungen bleibt, dann würde ich tatsächlich davon ausgehen, dass wir eine neue Welle von Gewalt von allen Seiten sehen werden.

    Heuer: Die US-Regierung stellt ja selbst immer wieder den Zusammenhang her zwischen dem Nahost-Konflikt und dem Irak. Was bedeutet die neue Entwicklung für den Irak?

    Perthes: Ich glaube, sie bedeutet erst mal nicht sehr viel, weil - ich sage es mal zynisch - an Glaubwürdigkeit die Amerikaner im Irak nicht mehr so viel verlieren können, da haben sie schon das Meiste verloren. Die diversen irakischen Parteien werden sich in den nächsten Wochen sicherlich danach orientieren, was die Amerikaner und die Besatzungstruppen insgesamt im Irak tun. Also wird der Termin 30. Juni der Machtübergabe eingehalten, gibt es eine Übereinkunft mit den Vereinten Nationen und den irakischen Parteien, wie diese Machtübertragung stattfinden soll, an wen sie übertragen werden soll, und wie gehen die Amerikaner mit der Zivilbevölkerung um, gibt es eine Entspannung in den umkämpften Städten, wird man sich aus den Städten selber zurückziehen mit dem Militär, wird man die Sorge für Sicherheit und Ordnung in Städten wie Falludscha den irakischen Sicherheitskräften überlassen und die Amerikaner aus dem Straßenbild entfernen, um dort eher ein Gefühl von Sicherheit und Vertrauen auch bei der irakischen Bevölkerung wiederherzustellen? Das werden die Fragen sein, die die Iraker interessieren in den nächsten Wochen.

    Heuer: Danke für das Gespräch.