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Schulz und Gabriel auf Wahlkampftour
Ziemlich beste Freunde

Mit Martin Schulz als designiertem Kanzlerkandidaten erleben die Sozialdemokraten ihren absoluten Höhenflug. Das war auch beim gemeinsamen Wahlkampfauftritt mit Sigmar Gabriel in Wolfenbüttel zu spüren.

Von Alexander Budde | 16.03.2017
    SPD-Kanzlerkandidat und künftige Parteivorsitzende, Martin Schulz (l), gratuliert am 15.03.2017 in Wolfenbüttel (Niedersachsen) bei der SPD-Delegiertenkonferenz dem scheidenden Parteivorsitzenden und Außenminister Sigmar Gabriel (SPD). Bei der Versammlung wählen die 170 SPD-Delegierten aus dem Wahlkreis Salzgitter-Wolfenbüttel-Vorharz Gabriel als ihren Kandidaten für die Bundestagswahl.
    Martin Schulz und Sigmar Gabriel bei der SPD-Delegiertenkonferenz in Wolfenbüttel. (dpa/ picture alliance/ Kay Nietfeld)
    800 Menschen drängen sich in der Lindenhalle. Die Bugwelle der Euphorie hat Martin Schulz bis Wolfenbüttel getragen. Auch hier, im Wahlkreis von Sigmar Gabriel, wollen viele den Mann sehen, der der SPD neues Selbstvertrauen gibt.
    "Er ist jemand, der ein starkes Auftreten hat, was viele Leute in der Republik heute auch wollen."/ "Ich möchte ein bisschen sehen, was er vom Programm her sagt, ob ein bisschen mehr kommt, als bis jetzt bekannt ist, was er unter Gerechtigkeit versteht."/ "Er hat ja auch in der Vergangenheit viel durchlebt – und das macht ihn auch ein Stück weit, finde ich, menschlicher auch."/ "Martin Schulz bringt natürlich viel Frische mit rein, ein bisschen mehr Linksruck wieder in die SPD."
    Schulz, der neue Hoffnungsträger
    Gabriel genießt in seinem Wahlkreis Sympathie, steht aber eher für die Altlasten der großen Koalition als für den Zauber des Neubeginns.
    So ziehen sie in die Halle ein, der scheidende Chef und der neue Hoffnungsträger. Was folgt, ist Politik mit reichlich Feingefühl: Schulz hält eine Lobeshymne auf jenen Mann, der ihm die Kanzlerkandidatur geschenkt hat. Emotional und kämpferisch erinnert der Redner auch an die dunklen Stunden der Politik.
    "Das ist ein menschliches Phänomen, dass man sich die Frage stellen muss: Was macht es aus mir, wenn ich den Höhenflug habe, mir alles zujubelt und was macht es aus mir, wenn ich das Gefühl habe, die Menschen lehnen das, was Du sagst, was Du tust ab, entziehen Dir das Vertrauen?"
    Bodenständig sei der Freund, belastbar auch, einer, der auf dem Teppich bleibt.
    "Und auf der anderen Seite die Stärke zu besitzen, sich nicht verbittern, sich nicht verhärten zu lassen. Ich bin dankbar dafür, dass ich diesen Mann meinen Freund nennen darf. Und der heißt Sigmar Gabriel!"
    Schulz soll Gabriel auch im Parteivorsitz beerben - am Sonntag auf einem Sonderparteitag in Berlin.
    "Dass ein Mann in der Lage ist, sein eigenes Interesse, seine eigene Ambition zurückzustellen zu Gunsten seiner Partei, ist eine außergewöhnliche Charakterstärke, die damit verbunden ist!"
    1.300 neue Beitritte in Niedersachsen
    Als Schulz die Bühne verlässt, fällt ihm Gabriel um den Hals. Zwei politische Alphatiere, die offenbar als Tandem funktionieren. Keine Selbstverständlichkeit, raunt es aus der Partei. In seiner neuen Rolle als Außenminister wirkt Gabriel gelassen, versöhnlich, fast wie befreit.
    "Nun habe ich es der Partei nicht immer leicht gemacht. Die Partei mir auch nicht – aber dazu ist sie auch nicht fähig, es ihren Vorsitzenden leicht zu machen. Naja, das ist manchmal nervig, und wenn Du nach Hause kommst, schimpfst Du wie ein Rohrspatz! Aber ich sage Euch, eine stumme Partei ist eine dumme Partei!"
    1.300 Beitritte allein in Niedersachsen seit Schulz im Januar zum Kandidaten ausgerufen wurde. Neidet er ihm den Aufschwung? Gabriel sagt er, habe Schulz den Weg aus Überzeugung frei gemacht:
    "Ich bin erst mal sehr zufrieden und natürlich auch ein Stück glücklich darüber, dass das so gut läuft. Das ist doch klar! Wenn man auf einmal merkt, dass die SPD das Potential, das sie seit 2009 nie richtig ausschöpfen konnte, dass sie mit Martin Schulz in der Lage ist, dieses Potential richtig auszuschöpfen und auszubauen – was gibt es eigentlich Schöneres für einen SPD-Vorsitzenden darauf hingearbeitet zu haben?"
    Bei nur einer Gegenstimme und einer Enthaltung wird Gabriel am Ende erneut zum Wahlkreiskandidaten gewählt. Noch eine ganze Weile schaut der 57-Jährige zu, wie sich die Leute um den charismatischen Gast drängen. Martin Schulz schreibt Autogramme, stellt sich auf zum Selfie. Sigmar Gabriel ist in Gedanken längst woanders.
    "Jetzt hoffe ich, dass wir hier noch in Ruhe ein Bier trinken. Und dann werde ich nach Hause gehen und meiner Frau helfen, die Nacht mit einem kleinen Baby zu durchstehen, denn Schlaf wird in diesen Zeiten überschätzt!"