Donnerstag, 28. März 2024

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Schutzzone in der Antarktis
"Ein absolut historischer Deal"

24 Staaten und die EU haben sich darauf geeinigt, im Rossmeer das weltweit größte Meeresschutzgebiet einzurichten. Greenpeace-Meeresexpertin Sandra Schöttner freut sich über den "historischen Deal". Die Einigung sei ein großer Erfolg für Wale, Pinguine und letztlich auch für den Menschen, sagte Schöttner im Deutschlandfunk.

Sandra Schöttner im Gespräch mit Christiane Kaess | 28.10.2016
    Adeliepinguine springen von einem Eisberg aus ins Meer.
    Pinguine im Rossmeer in der Antarktis. (picture alliance / dpa / Zuma Press)
    Das geplante Schutzgebiet sei gut für das gesamte Ökosystem, sagte die promovierte Meeresbiologin im DLF. Das Rossmeer beherberge eine Vielzahl an Arten, die es nur dort gebe. Das Rossmeer liege "am Ende der Welt", der menschliche Einfluss sei zwar bereits zu spüren, halte sich aber noch in Grenzen. "Da haben wir noch nicht so viel Zerstörung verursachen können wie in anderen Meereszonen". Der Wissenschaft stehe nun ein riesiges Freiland-Labor zur Verfügung, auch um die Folgen des Klimawandels zu erforschen.
    Schöttner betonte, Greenpeace hätte sich natürlich gewünscht, dass die Schutzzone nicht nur für 35 Jahre eingerichtet werde. Dies bedeute aber nicht automatisch das Ende nach Ablauf dieser Zeit, sondern neue Verhandlungen. Die Entscheidung sei ein "extrem wichtiges Signal" and die Staatengemeinschaft, weitere Meeresschutzgebiete einzurichten. "Denn wenn die Meere aus dem Gleichgewicht geraten, bekommen wir Menschen ein großes Problem."
    24 Staaten und die EU hatten sich nach jahrelangen Verhandlungen bei einem Treffen in Australien darauf geeinigt, im Rossmeer eine 1,5 Millionen Quadratkilometer große Meeresschutzzone einzurichten. Das Gebiet ist viermal so groß wie Deutschland.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Dieser Beschluss hat dann doch viele überrascht, vor allem, weil Russland und die USA zustimmen mussten, und das zu einer Zeit, in der die Spannungen zwischen den beiden Großmächten so groß sind wie lange nicht mehr. Aber wenn es um den Umweltschutz geht, gibt es offenbar andere Maßstäbe. Die Antarktis wird die größte Meeresschutzzone der Welt. Das hat eine Vielzahl an Staaten beschlossen.
    Am Telefon ist jetzt Sandra Schöttner, sie ist Meeresexpertin bei Greenpeace. Guten Tag, Frau Schöttner.
    Sandra Schöttner: Hallo, Frau Kaess. Ich grüße Sie.
    Kaess: Diese Meeresschutzzone, finden auch Sie, dass das eine bahnbrechende Entscheidung ist?
    Schöttner: Das ist ein absolut historischer Deal und ein ganz, ganz großer Erfolg, sowohl für die Wale, Pinguine und auch bedrohte Fischarten, die dort leben, und das gesamte Ökosystem als auch für den Menschen.
    "Eine Zone mit einer ausgesprochen hohen Biodiversität"
    Kaess: Warum hat man sich ausgerechnet dieses Gebiet ausgesucht?
    Schöttner: Die Antarktis ist natürlich ein ganz besonderes Meeresgebiet. Es ist nicht nur am Ende der Welt für uns gefühlt, sondern es beherbergt auch eine Vielzahl an Meereslebewesen, an Tierarten, die es nur dort gibt. Und vor allem: Es ist besonders reich an verschiedenen Arten und es ist auch eine Zone, wo sich viele Fischbestände und auch andere Tier- und Pflanzenarten erholen können und letztendlich die ganzen Weltmeere mitversorgen. Es ist eine Zone mit einer ausgesprochen hohen Biodiversität, die es so woanders nicht gibt.
    Kaess: Warum hat sich das gerade da so gehalten, wie Sie es jetzt beschrieben haben?
    Schöttner: Das hat natürlich einerseits damit zu tun, dass der menschliche Einfluss in diesem Gebiet zu spüren ist. Das darf man nicht absprechen. Aber er hat sich noch in Maßen gehalten. Es ist keine starke Besiedlung vorhanden, die Schifffahrt hält sich noch einigermaßen in Grenzen. Es ist ein Polgebiet, es ist vieles von Eis bedeckt, es ist am Ende der Welt. Da haben wir natürlich noch nicht so viel Zerstörungspotenzial entfalten können als Menschen wie zum Beispiel in anderen Meeresregionen. Aber auch dort sind schon menschliche Einflüsse zu spüren, gar keine Frage. Klimawandel ist ein Beispiel.
    Kaess: Warum war die Einigung auf diese Schutzzone jetzt doch so schwierig? Wir haben gehört, es hat mehrere Jahre gedauert, bis man sich letztendlich einigen konnte.
    Schöttner: Solche Beschlüsse sind in den aller-, allermeisten Fällen immer nur nach langen, zähen, mühsamen Verhandlungen auf dem Tisch und dann überhaupt im Beschluss. Es ist unglaublich schwierig, auf eine Einigung zu kommen. Gerade auch in dieser Kommission zur Erhaltung der Meeresschätze in der Antarktis muss einstimmig beschlossen werden. Das heißt, wenn ein Land dagegen ist, dann kommt der Deal nicht zustande, und deswegen sind die letzten Jahre, die fast schon wenigen fünf Jahre, die das jetzt gedauert hat bis zu diesem Beschluss, zäh vorangegangen, aber in einem noch erträglichen Rahmen.
    "Russland war einer der größten Gegner"
    Kaess: Und welche Interessen standen diesem Deal entgegen?
    Schöttner: Russland war einer der größten Gegner, mit denen wir es hier zu tun hatten. Es gibt natürlich auch immer noch andere Konglomerate. Da schachern sich auch Staaten gegenseitig ihre Gefallen zu. Aber das ist eines der Länder, mit dem wir am meisten zu kämpfen hatten.
    Kaess: Und warum? Was ist das Interesse dort, da keine Schutzzone einzuführen?
    Schöttner: Es geht natürlich um die Nutzung von Ressourcen. Zu allererst geht es um Fischressourcen, um Fischbestände. Das ist ein wichtiges Fischereigebiet. Andererseits geht es aber natürlich auch in der Antarktis um Bodenschätze. Es ist in den meisten Fällen ja in vielen Regionen dieser Erde so, dass da dann auch solche Interessen eine Rolle spielen. Und da spielt die Wirtschaft immer mit rein, nicht nur der Umweltschutz.
    Kaess: Die Fischerei haben Sie angesprochen. Welche Bodenschätze spielen dort eine Rolle? Weiß man das, was da im Boden liegt?
    Schöttner: Das ist noch nicht alles grundlegend erforscht, denn die Antarktis ist ja schon zu einem kleinen Teil auch geschützt. Das sind sowohl Meeresbodenschätze, die auf dem Meeresgrund vorkommen als auch auf dem Festlandsockeln.
    "Die industrielle Fischerei ist ausgeschlossen, das ist schon ein sehr großer Erfolg"
    Kaess: Jetzt haben wir es gerade im Beitrag gehört: Die Fischerei wird dort limitiert, aber es ist nicht ganz verboten. Sind Sie zufrieden mit dem Kompromiss, der da offenbar ausgehandelt wurde?
    Schöttner: Man muss ganz klar sagen, das ist ein erster, wichtiger, riesiger Schritt. Natürlich sind die über 70 Prozent komplett fischereifreie Zone nicht das, was wir uns wünschen, wenn es um ein Meeresschutzgebiet geht, und gleichzeitig ist es aber wirklich ein ganz beträchtlicher Anteil, und das darf man nicht vergessen. Denn in dem Rest ist eigentlich nur für Forschung die Fischerei erlaubt. Insofern ist die kommerzielle, die industrielle Fischerei ausgeschlossen, das ist schon ein sehr großer Erfolg.
    Kaess: Könnte man so weit gehen, um zu sagen, die Überfischung der Meere, die ist damit jetzt beendet?
    Schöttner: Auf keinen Fall. Die Überfischung der Meere findet weltweit statt, nicht nur in der Antarktis, aber zum Beispiel dem Antarktis-Riesendorsch hat dieser Beschluss sehr, sehr gut jetzt getan, denn der ist tatsächlich vom Aussterben bedroht, und es gibt noch andere Fischarten, die in diesen Gebieten, im Südpolarmeer befischt werden, inklusive Wale, leider auch noch von Japan. Denen kommt das sehr stark zugute und letztlich vielen anderen Meeresorganismen auch.
    "Der Wissenschaft steht ein riesengroßes natürliches Labor zur Verfügung"
    Kaess: Jetzt haben Sie selber schon gesagt, das Gebiet ist auch interessant für die Wissenschaft. Was können wir dort lernen?
    Schöttner: Der Wissenschaft steht damit ein riesengroßes natürliches Labor zur Verfügung, eines der letzten überhaupt, in dem man sich auch noch ansehen kann, welche Auswirkungen der Klimawandel auf unsere Meere hat und auf speziell dieses Gebiet.
    Kaess: Können Sie das an einem Beispiel festmachen, was uns das über den Klimawandel aussagen kann?
    Schöttner: Das eine ist natürlich die Eisschmelze. Das ist, glaube ich, das einträglichste Beispiel. Aber es geht auch um viele Kleinstlebewesen, die zum Beispiel direkt unter dem Eis leben, und das ganze Ökosystem, auch die Näherstoffe, das alles hängt sehr viel mit dem Eis zusammen. Und man kann dort nicht nur die Eisschmelze beobachten, sondern auch die Auswirkungen, die eine Eisschmelze oder auch eine Ozeanversauerung auf die Lebewesen hat. Das ist in einer der letzten unberührten Regionen dieser Erde in diesem Gebiet da unten tatsächlich noch möglich, in vielen anderen nicht mehr.
    Kaess: Jetzt ist diese Schutzzone auf 35 Jahre beschränkt. Hätten Sie sich mehr gewünscht?
    Schöttner: Natürlich hätten wir uns mehr gewünscht. Aus Greenpeace-Sicht muss es eine dauerhafte Regelung geben. Allerdings bewerten wir das trotzdem als großen Erfolg, denn diese 35 Jahre bedeuten ja nicht das Ende des Meeresschutzgebietes nach Ablauf, sondern lediglich eine neue Verhandlung. Das heißt, wir werden uns natürlich weiterhin einsetzen, wie wir das schon seit Jahren tun, zusammen mit der Antarktic Oceans Alliance, dieses Schutzgebiet auch weiterhin aufrecht zu erhalten.
    Kaess: Jetzt ist das nicht die erste Meeresschutzzone, die es gibt. Gerade US-Präsident Obama hat schon mehrere solche Zonen ausgewiesen. Sind Sie optimistisch für die Zukunft? Man sagt zum Beispiel, wenn Hillary Clinton Präsidentin werden sollte, dann könnte das Ganze wieder zurückgerollt werden, oder zumindest sind Kritiker skeptisch, was ihre Ambitionen da anbelangt.
    Schöttner: Ja, da muss man tatsächlich vorsichtig sein und da bin ich gleichermaßen Pessimist und Optimist. Denn einerseits ist das ein extrem wichtiges Signal an die internationale Staatengemeinschaft, sich für den Schutz der Meere einzusetzen und weitere Schutzgebiete einzurichten vor allem in internationalen Gewässern. Da gibt es ja gerade auf UN-Ebene auch Verhandlungen, das sogenannte UN-High Seas Agreement, wo es um die Hohe See geht, die Unterschutzstellung der Hohen See. Dafür ist es ein wichtiges Signal. Aber natürlich können Staaten auch wieder zurückrudern und wir werden definitiv dran bleiben, das voranzutreiben und nicht wieder den Rückwärtsgang einzulegen. Aber auch -und das muss ich ganz klar sagen - die deutsche Bundesregierung muss ihre Hausaufgaben machen. Wir haben hier direkt vor unserer Haustür in Nord- und Ostsee Schutzmaßnahmen zu leisten. Wir haben Schutzgebiete. Es gibt noch keine Maßnahmen, es gibt noch keine Umsetzung. Auch für hier ist das ein wichtiges Signal.
    "Fischbestände wieder auf ein stabiles gesundes Niveau bringen"
    Kaess: Warum brauchen wir denn diese Schutzgebiete? Es ist natürlich klar für die Tiere, die dort leben, dass es für die gut ist, wenn die geschützt werden. Aber warum brauchen die Menschen diese Schutzzonen?
    Schöttner: Grundsätzlich sind Meeresschutzgebiete überaus wichtige Instrumente, um Fischbestände wieder auf ein stabiles gesundes Niveau zu bringen. Die brauchen wir letztendlich auch für unsere Ernährung. Aber noch wichtiger ist, grundsätzlich die Biodiversität zu schützen und letztendlich auch die Widerstandsfähigkeit von Ökosystemen, gegen Effekte des Klimawandels zum Beispiel. Denn wenn die Meere aus dem Gleichgewicht geraten, dann kriegen wir als Menschen ein ganz großes Problem, denn die Diversität und auch die Kreisläufe, die in den Meeren stattfinden, die Stoffkreisläufe stellen für uns unsere Lebensgrundlage dar. Jeder zweite Atemzug stammt aus dem Meer und letztendlich sind auch viele unserer Proteine und Nährstoffe aus dem Meer. Wenn das aus dem Gleichgewicht gerät, haben wir nicht nur ein Ernährungsproblem, sondern noch viele andere dazu.
    Kaess: Und wenn Sie sagen, das ist so wichtig für die Menschen, dann schauen wir mal zum Schluss unseres Gesprächs noch ein bisschen weiter. Es gab gestern eine Studie, dass die Zahl der Wirbeltiere auf der Erde seit 1970 um drei Fünftel gesunken ist. Der Grund ist die ungebremste Expansion des Menschen. Welche Auswirkungen hat das denn langfristig auf den Mensch, wenn auch dieser Tierbestand einfach zurückgeht?
    Schöttner: Man muss sich immer vor Augen halten: Tiere sind über viele Jahrmillionen genau wie wir Menschen in der Evolution zu dem geworden, was sie heute sind. Jeder hat in der Nahrungskette und auch im ganzen System eine wichtige Funktion zu erfüllen. Alles hängt voneinander ab, alles steht auch in Balance. Und wenn einzelne Teile in diesem Großen und Ganzen nicht mehr existieren oder nicht mehr so funktionieren, wie sie eigentlich sollten, dann kommt das ganze System aus dem Gleichgewicht. Das heißt, Wirbeltiere sind oft Räuber. Letztendlich fressen sie ihre Beutetiere im Meer und auch anderswo. Wenn Räuber fehlen, vermehren sich die Beutetiere über alle Maßen unkontrolliert. Ein Beispiel ist der weiße Hai oder auch generell Haie in unseren Meeren. Andere Tiere vermehren sich unkontrolliert und das System gerät aus dem Gleichgewicht und wir werden ein sehr, sehr großes Problem bekommen.
    Kaess: … sagt Sandra Schöttner, sie ist Meeresexpertin bei Greenpeace. Danke für dieses Gespräch heute Mittag.
    Schöttner: Sehr, sehr gerne, Frau Kaess.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.