Sonntag, 05. Mai 2024

Archiv

Schweizer Abstimmung
Wirtschaftsvertreter: Schweiz braucht qualifizierte Fachkräfte

Enttäuscht und überrascht zugleich sei er über das Abstimmungsergebnis der Schweizer zur Zuwanderung, sagte Ralf J. Bopp, Direktor der Handelskammer Deutschland-Schweiz, im Deutschlandfunk. Der Rekrutierungsbedarf der Wirtschaft gehe jedenfalls über alle Branchenbereiche.

Ralf J. Bopp im Gespräch mit Thielko Grieß | 10.02.2014
    Ein Poster der SVP am Eingang zu einem Saal, in dem Menschen an Tischen sitzen.
    Die rechtspopulistische Schweizerische Volkspartei (SVP) setzt sich mit ihrer Initiative durch (dpa/picture alliance/Marcel Bieri)
    Thielko Grieß: Deshalb haben wir am Telefon kurz vor dieser Sendung Ralf Bopp erreicht, den Direktor der Handelskammer Deutschland-Schweiz in Zürich. Meine erste Frage an ihn, der auch Schweizer Staatsbürger ist: Wie haben Sie, Herr Bopp, gestern abgestimmt?
    Ralf J. Bopp: Ich persönlich habe die Initiative abgelehnt.
    Grieß: Sie haben mit Nein gestimmt?
    Bopp: Ich habe mit Nein gestimmt.
    Grieß: Sind Sie denn enttäuscht, dass eine Mehrheit, 50,3 Prozent, sich anders entschieden hat?
    Bopp: Enttäuscht und überrascht zugleich. Aber eher besorgt heute auch über das Abstimmungsergebnis. Allerdings darf man natürlich die Situation jetzt auch nicht dramatisieren in dieser ersten Phase nach dieser Abstimmung. Ich halte es für völlig falsch, jetzt den Schweizern vorzuhalten, sie seien ausländerfeindlich. Man muss einfach den Hintergrund sehen, dass das Maß an Zuwanderung und die Sensibilisierung der Bevölkerung hier einfach so hoch ist, dass das sich in diesem Abstimmungsergebnis widerspiegelt. Und man muss auch sehen: Die Schweiz hat natürlich, abgesehen von Luxemburg, die höchste Rate an Zuwanderung. Wenn die Wohnbevölkerung in einem Land jedes Jahr um zirka ein Prozent wächst, dann löst das in der Bevölkerung Ängste und Sorgen aus. Und es ist bedauerlich, dass diese Ängste nicht beseitigt werden konnten und dass man das nicht erklären konnte.
    Grieß: Hat es denn die Schweiz übertrieben mit der Zuwanderung in den vergangenen Jahren?
    Bopp: Wenn Sie sehen, dass die Arbeitslosenquote in der Schweiz in einer Größenordnung von etwa drei Prozent, 3,5 Prozent aktuell im Winter liegt, dann bedeutet das, dass der Arbeitsmarkt für die Wirtschaft schon angespannt ist. Das heißt, man sucht schon qualifizierte Fachkräfte. Und das war auch in den letzten Jahren so. Das heißt, eine Wirtschaft, die gut läuft, und wenn der Wirtschaftsmotor brummt, dann braucht es auch qualifizierte Fachkräfte. Und die stellt der Arbeitsmarkt in der Schweiz alleine mit im Inland befindlichen Erwerbstätigen nicht zur Verfügung. Insofern werden auch Arbeitskräfte im Ausland rekrutiert.
    Grieß: Sie sagen, die Schweizer Wirtschaft ist und wird auch in Zukunft angewiesen bleiben auf Fachkräfte aus dem Ausland, zum Beispiel auch aus Deutschland. Befürchten Sie denn, dass sich manche Firmen jetzt aus der Schweiz zurückziehen und zum Beispiel nach Deutschland rübergehen?
    Bopp: Ich glaube, dass die Firmen das im Moment erst mal sehr nüchtern analysieren werden. Im Moment ist das große Problem die Unsicherheit. Keiner weiß genau, in welcher Form das Abstimmungsergebnis umgesetzt wird. Es war ja auch keine Abstimmung gegen die bilateralen Verträge. Das ist ja die Form, in der die Wirtschaft den Zugang zum EU-Binnenmarkt hat.
    Grieß: Aber es war eine Abstimmung dafür, diese Verträge jetzt neu auszuhandeln oder zumindest die Freizügigkeit neu auszuhandeln. Das alles muss jetzt passieren, dann wird auch viel gesprochen werden über Kontingentierung, über Kontingente, wie viele Ausländer noch zuziehen dürfen und arbeiten dürfen in der Schweiz. Was für eine Art von Kontingentierung wünschen Sie sich für die Wirtschaft?
    Bopp: Ich wünsche mir eigentlich überhaupt keine Kontingentierung, um das gleich noch mal zu unterstreichen.
    Grieß: Aber die Lage ist ja seit gestern eine andere?
    Bopp: Ich wünsche mir eigentlich eine praktikable Lösung, die, ich sage mal, die Errungenschaften oder die Vorteile, die wir auf beiden Seiten, Wirtschaft-EU, Wirtschaft-Schweiz, über den bilateralen Weg gesichert haben, dass diese Vorteile uns auch erhalten bleiben. Von daher ist einfach die Vorstellung, dass wirklich jetzt so verhandelt wird, dass man zu einer Lösung kommt, die praktikabel für beide Seiten ist.
    Grieß: Banker dürfen weiter kommen, das wünschen Sie sich, Mediziner vielleicht auch, Lehrer auch und der Rest nicht?
    Bopp: Ich persönlich wünsche mir eigentlich, dass das offen ist und dass, ich sage mal, die Personenfreizügigkeit voll gilt. Es ist einfach so, dass der Rekrutierungsbedarf der Wirtschaft über alle Branchenbereiche geht. Man kann sehen: Es sind sehr viele qualifizierte Kräfte, die in den letzten Jahren ins Land gekommen sind. Die sind ja alle von dem Arbeitsmarkt aufgesogen worden. Insofern: Es gibt gar keine, ich sage mal, ganz bestimmte Gruppen, die ich da jetzt herausgreifen würde.
    Grieß: Die Wirtschaft hat ja massiv gegen diese Initiative der Schweizerischen Volkspartei geworben, hat damit auch verloren. Sind die Schweizer inzwischen zu wohlhabend, um sich von den Argumenten der Wirtschaft beeindrucken zu lassen?
    Bopp: Ich sehe eher eine größere Verunsicherung. Die hat vielleicht mit der Globalisierung zu tun. Sie hat damit zu tun, dass heute die Wirtschaft sehr schnelllebig ist. Sie ist heute auch sehr komplex und es geht darum, dass die Bevölkerung bei diesen Anforderungen der Wirtschaft kommunikativ mitgenommen wird.
    Grieß: Ralf Bopp, Direktor der Handelskammer Deutschland-Schweiz in Zürich, hier im Deutschlandfunk.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.