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Schweizer Volksabstimmung
"Der Bundesrat ist jetzt in der Pflicht"

Das Schweizer Referendum zur Zuwanderung bedeute wirtschaftliche Unsicherheit und ziehe Fachkräftemangel nach sich, sagte der Schweizer Arbeitgeberpräsidenten Valentin Vogt im Deutschlandfunk. Es gehe jetzt darum, eine Lösung zu finden, mit der sowohl die EU als auch die Schweiz leben können.

Valentin Vogt im Gespräch mit Birgid Becker |
    "Masseneinwanderung schadet" steht auf einem Plakat der Schweizerischen Volkspartei (SVP)
    Ein Plakat der Schweizerischen Volkspartei (SVP) gegen "Masseneinwanderung". (picture alliance / dpa / Foto: Thomas Burmeister)
    Birgid Becker: Zum Start der Sendung das Schweizer Votum gegen eine uneingeschränkte Freizügigkeit für Europäer. Brüssel reagiert distanziert und der deutsche Bundesfinanzminister schwankt zwischen Missstimmung und Verständnis. Wolfgang Schäuble gestern Abend:
    O-Ton Wolfgang Schäuble: “Das wird eine Menge Schwierigkeiten für die Schweiz vor allen Dingen verursachen. Es zeigt natürlich ein bisschen, dass in dieser Welt der Globalisierung die Menschen zunehmend Unbehagen gegenüber einer unbegrenzten Freizügigkeit empfinden. Ich glaube, das müssen wir alle ernst nehmen.“
    Becker: Die Schweizer Wirtschaft und ihre Repräsentanten hätten sich ein anderes Votum gewünscht.
    Mitgehört hat der Präsident des Schweizer Arbeitgeberverbandes, Valentin Vogt. Guten Tag.
    Valentin Vogt: Guten Tag.
    Becker: Herr Vogt, die Arbeitgeber in der Schweiz hätten sich ein anderes Votum gewünscht. Was sind denn nun Ihre Befürchtungen, wie sich das Abstimmungsvotum gegen eine sogenannte Masseneinwanderung in der Schweiz wirtschaftlich auswirken könnte?
    Vogt: Ich glaube, es sind zwei Sachen. Das erste ist, dass eine Unsicherheit in der Schweizer Wirtschaft entstehen wird über die nächsten drei Jahre, bis klar ist, wohin die Reise geht. Und zweitens ist es sicher auch so, dass wir in unserem Land zusätzliche Fachkräfte brauchen. Die Schweizer Wirtschaft hat sich sehr positiv entwickelt in den letzten Jahren und wir sind auf diese Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen.
    Becker: Nun ist ja richtig deutlich mittlerweile der französische Außenminister Laurent Fabius geworden: Man werde die Beziehungen zur Schweiz überdenken. Er nannte das Abstimmungsergebnis paradox, weil die Schweiz 60 Prozent ihres Außenhandels mit der EU abwickelt. Inhaltlich werden Sie ihm zustimmen, das war eben zu hören. Aber Verhältnis mit der Schweiz überdenken, ist das nicht dann doch etwas zu harsch?
    Vogt: Ja. Die Schweiz ist klar mit der EU sehr stark verbunden. Das gilt natürlich gegenseitig. Der wichtigste Exportmarkt der Schweiz ist die EU, wo gut knapp 60 Prozent der Exporte hingehen. Auf der anderen Seite ist die Schweiz der drittwichtigste Handelspartner der EU. Die Exporte der EU in die Schweiz sind nicht unerheblich und ich denke, wir haben ein gemeinsames Interesse, hier eine Lösung zu finden. Wir leben in der Schweiz in einer direkten Demokratie. Das hat viele Vorteile, hat aber auch gewisse Nachteile, und ich denke, es geht jetzt darum, gemeinsam eine Lösung zu finden, mit der die EU leben kann, aber auch die Schweiz.
    Becker: Wie könnte solch eine Lösung denn aussehen? Fürchten Sie, dass das, was nun angedacht wird, dass es tatsächlich dazu kommt, dass alle sieben bilateralen Abkommen, die die Schweiz seit 1999 mit der EU abgeschlossen hat, dass die alle zur Disposition stehen? Es war ja eben im Beitrag die Rede von der sogenannten Guillotine-Klausel. Wie könnte eine Lösung in diesem komplexen Vertragsgeflecht denn aussehen?
    Vogt: Ja, das wäre natürlich der Supergau, wenn alle diese sieben bilateralen Abkommen fallen würden, die miteinander verbunden sind. Aber ich glaube, es geht jetzt mal darum, dass man in einen Dialog tritt, mal schaut, mal erklärt, was das Schweizer Volk gewollt hat, was die Abstimmung bewirken wird, und dass man sich zusammensetzt und nach Lösungen sucht, und ich denke, es geht darum, dass man Lösungen sucht und nicht die Probleme primär sind.
    Becker: Aber auf welcher Ebene setzt man sich da zusammen, Schweizer Regierung mit der EU?
    Vogt: Ja, ich denke schon. Der Bundesrat ist jetzt in der Pflicht. Unsere Landesregierung hat den Auftrag erhalten mit der Initiative, die im Text klar festlegt, dass der Bundesrat die Personenfreizügigkeit nachzuverhandeln hat, inklusive dieser Kontingente, und es ist jetzt zu schauen, was der Bundesrat da verhandeln kann, was die EU bereit ist, in die Waagschale zu werfen, und ich denke, man muss jetzt nicht gleich das Kind mit dem Bade ausschütten, sondern muss jetzt mal aufeinander zugehen und das besprechen.
    Becker: Jetzt mal in die Zukunft geschaut und in die Zukunft gedacht. In welchen Bereichen, in welchen Branchen glauben Sie denn könnte es im Zuge einer solchen Kontingentierung, wie sie jetzt angedacht wird, tatsächlich dazu kommen, dass weniger Arbeitskräfte aus dem EU-Ausland in die Schweiz gelassen werden?
    Vogt: Die Schweiz hat ja Erfahrungen mit Kontingenten. Wir hatten in den 70er-Jahren ein Kontingentsystem und in diesem Kontingentsystem sind leider nicht die Leute in unser Land gekommen, die wir uns eigentlich gewünscht hatten. Primär ist es natürlich so: Wenn Sie ein Kontingent haben, den Familiennachzug zum Beispiel beschränken, dass dann primär vielleicht mehr niedriger qualifizierte Leute kommen, die auch bereit sind, ohne ihre Familie in die Schweiz zu kommen, und wenn Sie höher qualifizierte Leute haben, dann ist es sehr schwierig, diese Leute in die Schweiz zu kriegen, wenn Sie ihnen sagen, sie können vielleicht ihre Familie in zwei Jahren nachziehen, wenn Sie dann auch noch ein Kontingent haben. Das wird sehr schwierig. Wir denken, es wird eher wieder ein Problem für die höher qualifizierten Leute.
    Becker: Nun ist die Schweiz ja auch in anderen Bereichen unter Beschuss: die ungelösten Fragen im Umgang mit Steuersündern, der Druck auf den Finanzplatz, der dadurch entsteht. Man ruiniert sich seinen Ruf ja meist nicht durch große umfassende Entscheidungen, sondern eher durch viele kleine Irrtümer oder falsche Richtungsweisungen. Haben Sie den Eindruck, dass das im Moment mit der Schweiz passiert?
    Vogt: Wir sind ja vom Arbeitgeberverband nicht gerade glücklich mit dieser Entscheidung und ich denke, wir waren auf gutem Wege, viele dieser Baustellen, die die Schweiz hat, zu klären und Lösungen zu suchen. Dieser Rückschlag, den wir jetzt quasi mit dieser Abstimmung hinnehmen mussten, der hilft sicher nicht, das zu tun. Aber wie gesagt: Das Volk in der Schweiz hat entschieden. Also es ist nicht an uns, jetzt diesen Entscheid zu kritisieren. Wir haben ihn zu akzeptieren und nach Lösungen zu suchen.
    Becker: In der Frage, wie offen soll ein Land sein für Zuwanderung, da vertreten ja die Schweizer Unternehmer und Wirtschaftsverbände wie Sie jetzt auch sehr ähnliche Positionen zu denen der Deutschen. Sie haben kein Gehör gefunden und auch bei den deutschen Arbeitgebern und Unternehmern hat man ja oft den Eindruck, sie dringen nicht durch, wenn sie etwa gegenübersteigerte Ängste vor Armutsmigration oder dergleichen warnen. Was an Argumenten fehlt Ihnen, oder was an Argumenten kommt einfach nicht an?
    Vogt: Wir haben ja eine Kampagne geführt und probiert, mit sachlichen Argumenten die Leute davon zu überzeugen, dass es hier nicht nur um die Zuwanderung geht, sondern dass diese Zuwanderung durch die bilateralen Abkommen noch weitreichende Konsequenzen haben könnte. Dem gegenüber sind emotionale Argumente der Befürworter-Initiative gestanden und wir sind offensichtlich mit unseren sachlichen Argumenten nicht durchgedrungen, und ich denke, das muss einem zu denken geben.
    Becker: Danke fürs Gespräch, einen schönen Abend wünsche ich.
    Vogt: Ich danke vielmals. Auf Wiederhören.
    Becker: Das war Valentin Vogt, der Präsident des Schweizer Arbeitgeberverbandes, und die schlechte Telefonleitung bitte ich zu entschuldigen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Das Schweizer Referendum zur Zuwanderung bedeute wirtschaftliche Unsicherheit und ziehe Fachkräftemangel nach sich, sagte der Schweizer Arbeitgeberpräsidenten Valentin Vogt im Deutschlandfunk. Es gehe jetzt darum, eine Lösung zu finden, mit der sowohl die EU als auch die Schweiz leben können.